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Gut Ding will reifen

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Gut Ding will reifen
Herr Einbein und Herr Dreibein trafen sich neulich am Rand der Steilküste, in der Nähe des Kaps der lichten Tage. Da wo sich oft auch die Tiere dieses Landes gute Nacht sagten, bevor sie in ihre Dämmerung verfielen. So wie jedes Jahr, wenn der Nebel vom Meer her überhandnahm und man sich nur noch auf die eigene Stimme des Bauches verlassen konnte, damit sie einem mit ihrem Licht heimleuchtete.

Herr Dreibein stieß Herrn Einbein nervös an: „Sieh‘ doch, das kleine Trampeltier ist zu Treuhild in ihren Schildkrötenpanzer gekrochen, und sie haben ein Schild an die Tür gehängt, wo draufsteht: Hier wird geliebt.“
Herr Einbein war noch immer ganz außer Atem. Aber nicht von dem, was er da eben von seinem Kollegen zu hören bekommen hatte, sondern weil er die ganze Nacht über an einem Strategiespiel teilgenommen hatte und von einer Aufgabenstation zur anderen gelaufen war und dabei ständig das Gefühl gehabt hatte, dass ihn irgendetwas zu großer Eile antrieb. Und er ahnte sehr wohl, dass es vermutlich keine Sache von außen gewesen war, sondern er selbst höchstpersönlich.
Die Lade mit seinen lebenswichtigsten Tools schwebte noch immer unmittelbar neben ihm und strahlte in einem orangefarbenen Licht, als er sich auf ihr abstützen wollte und plötzlich einen Klappstuhl vor sich stehen sah. Dankbar atmete er hörbar aus und setzte sich geräuschvoll auf diesen.

Herr Dreibein schaute seinen Kollegen irritiert an. Er hatte diese Nacht an keinem der allnächtlich üblichen Spiele teilgenommen, war also auch nicht aus der Puste und konnte klar denken.
„Siehst du,“ sagte er zum Herrn Einbein, „Ich habe es da ziemlich einfach, weil ich gleich drei Standbeine mein Eigen nenne, und wenn ich erschöpft bin, ruhe ich mich auf einem von diesen aus, während die anderen einfach weiterlaufen und mich und mein drittes Bein hinterherziehen, so als säße ich im Schubkarren und wäre ihre tägliche Last.“

Herr Einbein zog abwechselnd mal seine linke und dann wiederum seine rechte Schulter nach oben und ließ sie dann wiederum sinken, so als ob er eine Morgengymnastik betreiben würde, um sich für alles weitere zu ermuntern.
Dann entgegnete er dem Herrn Dreibein: „Das mag ja für dich und dein Leben alles schön und gut sein. Aber ich will keine Last für mich selbst sein, wenn ich mal nicht mehr kann. Ich mag es, wenn ich mir selbst meine Pausen gönne, ohne mich selbst dafür anzutreiben. Ich bin eben kein Perpetuum mobile, sondern auch ich bin endlich in meinem Antrieb und meiner Kraft.

Da machte der Herr Dreibein große Augen und spürte, wie ihm alle drei Knie weich wurden, bevor er Herrn Einbein um ein bisschen Platz auf seinem Klappstuhl bat, damit auch er sich etwas ausruhen konnte.
Herr Einbein lächelte, als sein Klappstuhl sich zu verformen begann und zu einem einladenden breiten Baumstumpf wurde, dessen Wurzeln noch immer tief ins Erdreich hinabragten.

So konnte sich auch Herr Dreibein niederlassen und wieder zu Kräften kommen.
Er saß Rücken an Rücken mit seinem Kollegen und genoss die Ruhe im Nebel mit seinen abertausenden leuchtenden Mottenspinnen, welche die Winde in ihrem Flug vom Meer herangetragen hatten, um so auch die erwachende Tagesdämmerung mit dem Nebel zu verspinnen.

Aus der Ferne schwebten leise Musikklänge heran, und die beiden Herren schlummerten auf ihrem Baumstumpf ein. Die Musik aber wurde lauter und lauter und schwoll schließlich zu einem Liebeslied mit Kirchengeläut an, während der ewige Dunst um den Baumstumpf herum immer dichter wurde und die Mottenspinnen in ihrem fliegenden Tanz der Lichter sich und den Nebel und alles was darin schlief zu einem Gespinst einspannen.

So vergingen Stunden, Tage, Wochen, gar Monate … bis Treuhild, die Schildkröte, ihr inzwischen erwachsenes Trampeltier endlich an die frische Luft gesetzt hatte, um unter ihrem eigenen Dach den Führjahrsputz zu machen. Das Trampeltier war desterwegen ein bisschen bedröppelt und entschied sich, ein kleines aushäusiges Abenteuer zu suchen.
Und als es nach einigen trägen Gehversuchen auf der anderen Seite der Steilküste das baumhohe Kokongespinst mit dem riesigen Netz drumherum entdeckte, rieb es sich verwundert die Augen. Denn das war etwas Neues in dieser Landschaft. Zumindest konnte es sich nicht daran erinnern, dieses Gebilde jemals zuvor gesehen zu haben.

Es trottete in dessen Richtung und zwickte sich dabei mehrmals in seine lange Nase, die es immer wieder gegen die Windrichtung hielt, um Witterung aufzunehmen. Und es deuchte ihm, als würde es einen Hauch von Myrrhe wahrnehmen.
Als das Trampeltier beim Kokon ankam, reckte es sein Riechorgan dem Etwas entgegen und rieb dieses ausgiebig daran. Es staunte nicht schlecht, als seine großen Ohren aus dem Gespinst leise Klingeltöne vernahmen, und der Kokon bei seinen Berührungen Goldfunken sprühte, bis er schließlich mit einem Getöse auseinanderbrach und fiel, sich in Luft auflöste und einen großen Myrrhenbaum preisgab, der allein auf weiter Flur stand.

Das Trampeltier bekam plötzlich Schluckauf und schielte auf seinen Rüssel, der nun nicht mehr mausgrau aussah, sondern dezent rosa leuchtete, wie auch sein gesamter massiger Körper. Das jedenfalls lachten ihm die Möwen vom Himmel herunter, der nun stahlblau aussah, und dessen Meereswinde den Nebel inzwischen gänzlich vertrieben hatten.
Das Trampeltier wurde sich plötzlich seiner Schamesröte bewusst und fühlte sich nun eher nackt als gräulich bedeckt und gut getarnt. So eilte es mit wuchtigen Elefantenschritten zu seiner Treuhild zurück und trötete ihr ein Ständchen, damit sie ihn wieder in ihr Haus einlassen möge. Denn er war sich seiner jetzt tatsächlich Größe noch nicht bewusst …

© CRSK, LE, 02/2022

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Die Illu zum Text. Mein Dank gilt Pixabay. Die orginalbildbestandteile sind allesamt von dort.
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