Einschlägige Kreise (Momentaufnahme)
Vorab möchte ich zu meiner Kurzgeschichte anmerken, das ich überlegt hatte sie in unserem Acht-Wörter-Spiel zu posten. Jedoch stellte ich fest, dass jeder Satz, den ich weiter hinzufügte, zu sehr diese Momentaufnahme zerpflückte. Mir erschien es richtig und für mich wichtig nicht weiter drum herum zu schreiben, sondern es genau so in dieser kurzen Fassung zu lassen. Ich hoffe, ihr seid gnädig in eurer Kritik mit mir.
Einschlägige Kreise
Agnes rang nach Luft. Sie konnte einfach nicht glauben, was sich in diesem Moment vor ihren Augen abspielte. Eher zufällig hatte es sie an diesem Abend vom Büro aus direkt in die Fetisch-Bar, in der sie gelegentlich einen Gin Tonic trank, getrieben. Und so war es auch eher ein Zufall, dass sie dann einen Blick in die Spielräume warf. Es waren die Geräusche vom hinteren Teil des vom Eingangsbereich abgeschirmten Raumes, die sie neugierig gemacht hatten.
Ein männliches Stöhnen, mal lustvoll, mal schmerzvoll, erreichte ihre Ohren. Und bereits bevor sie das Schauspiel erblickte, beschlich sie eine Ahnung, als wenn ihr etwas Vertrautes, ob sie irgendetwas in dieser Stimme erkannte. Als sie sich näherte und zunächst vorsichtig um die Ecke schaute, wünschte sie sich beim Anblick des Szenarios augenblicklich, am liebsten gar nicht dort gewesen zu sein. Eine Schockwelle durchflutete ihren Körper, sie war fassungslos. Der hintere Teil des Raumes bestand aus einer Bühne mit offenen, schweren Samtvorhängen. Mittig hierauf erstreckte sich ein niedriger, gepolsterter Podest, dahinter ein Andreaskreuz, welcher von zwei eisernen Kerzenhaltern mit flackernden Kerzen an der Wand eingerahmt war. Der Raum war nur spärlich beleuchtet, jedoch umgab das Szenario ausreichend Licht, um alles Wesentliche zu erkennen:
Ein nackter Mann, nur mit einem ledernen Halsband bedeckt, kniete auf allen Vieren auf dem Podest zu Füßen einer in Leder gekleideten Frau. Sie hielt eine Leine, die zu seinem Halsband führte. Diese Domina, die in einschlägigen Kreisen unter dem Namen „Schwarze Witwe“ bekannt war, schlug mit einer Reitgerte rhythmisch auf seinem Rücken und den Arschbacken.
Zuerst war Agnes gebannt von diesem Schauspiel. Als indes ein weiteres Stöhnen voller Lust aus dem Mund des Mannes entwich, erkannte sie mit Schrecken, dass dieser Mann niemand anderes als ihr Lebensgefährte war. Ihr geliebter Mann, den sie als dominanten und als selbstbestimmten, immer die Zügel in der Hand haltenden Mann kannte. Er hatte ihr immer den Eindruck vermittelt, dass er sich von einer Frau niemals dominieren lassen, niemals unterwürfig zu Füßen einer Frau liegen würde. Genau dieser Mann, den sie seit 20 Jahren glaubte zu kennen, kniete dort und genoss seine Unterwürfigkeit. Dieses Bild brannte sich in ihre Wahrnehmung: Emil auf Knien und ergeben vor Lustschmerz stöhnend. Sein Rücken und sein Po bereits mit roten Striemen überzogen. Es gefiel ihm. Und seine Erregung war unverkennbar.
Die zwei waren sehr in ihrem Rollenspiel vertieft. Zwar nahm die "Schwarze Witwe" die stille Betrachterin an der Türschwelle zur Kenntnis, jedoch schenkte sie Agnes keine weitere Beachtung.
Agnes hatte genug von diesem für sie surrealen Schauspiel und ging zurück an die Bar, setzte sich auf den Barhocker mit Blick zum Eingang des Spielraums und trank ihren Gin Tonic langsam weiter.
Sie spürte einen inneren Zwiespalt. Gefühle von schockiert bis zu belustigt sein wechselten sich, mal lachte sie kurz auf, mal spürte sie einen Kloß im Hals. Es war ein seltsames Gefühl, ihren ach so dominanten und erhabenen Mann, Partner, Freund und Liebhaber in dieser obszönen Position zu wissen. Mit ihren eigenen Augen gesehen zu haben, wie er sich unterwarf. Und vor allem seine unüberhörbare Lust gespürt zu haben. Übelkeit überkam sie und sie versuchte angestrengt, die Fassung zu bewahren. Jetzt nicht in Tränen ausbrechen. Nein - diese Blöße durfte sie sich nicht zugestehen.
Sie hatten bereits vor geraumer Zeit beschlossen, ihre Beziehung zu öffnen, wenngleich die Initiative hierzu mehr von ihr ausging. Damit war Emil nach erstem Zögern einverstanden, jedoch behauptete er immer, dass sie ihm genug war und er keine zweite Frau bräuchte, um glücklich zu sein. Er wünschte sich lediglich, dass sie glücklich und zufrieden sei und sich damit arrangiere, die Beziehung zu öffnen. Sie hatten auch offen über ihre sexuellen Wünsche gesprochen. Dabei hatte er ihr auch nachdrücklich gesagt, dass er zufrieden war und keine offenen sexuellen Wünsche hatte.
Unschlüssig und vollkommen überfordert mit dieser neuen Situation verharrte sie an der Bar. Darauf wartend, dass Emil von den Spielräumen herauskam.
Nur wenige Minuten später durchschritt er die Tür zum Barbereich, noch gefangen vom Lusttaumel, jedoch bereits mit einer Hose bekleidet und vom Halsband befreit. Mit verschwitztem und freiem Oberkörper lief er direkt auf sie zu. Als er seinen Blick hob, sah er geradewegs in Agnes Gesicht. Sie erkannte, wie er regelrecht zur Salzsäule erstarrte, ihn ein Frösteln sichtbar durchfuhr. Seine Gesichtszüge entglitten ihm und stammelnd entwich seinem Mund.
„Agnes! Du hier? "
© 02.2022 Aphroditee
„Wir sind zwei Abgründe - ein Brunnen, der den Himmel anstarrt.“
Fernando Pessoa