Offenbarung des unbekannten Mannes
Offenbarung des unbekannten Mannes© 2006 by Th.R. Buntrock
1.
Und ich sah auf, und sah, wie das Lamm das Erste Siegel brach. Und die Stimme sagte: „Komm“
Und ich sah ein weißes Pferd, und der darauf saß, hielt einen Bogen. Und ihm wurde eine Krone gegeben, damit er auszöge, zu siegen
Scheinwerferkegel. Einer. Wie ein Geisterfinger zuckte er nervös über die Wasseroberfläche. Braunes Wasser. Braun, dreckig und undurchsichtig. Wellenkronen, die sich hell gegen den Regenbraunen nächtlichen Himmel abheben wie kleine leuchtende Derwische die den Kutterkapitän vom Wege abbringen wollten. An einer Bake verweilt der Finger aus verwaschenem Licht kurz, um sich dann wieder seiner nervösen Suche zu widmen. Die Sterne sind weg.
Der Himmel und das Wasser gehen ineinander über, die Horizonte verwischen und einen Augenblick lang wähnt der linkisch wirkende Mann am Bug des Schiffes sich zu Hause.
Der Scheinwerferkegel wird durch die Regentropfen dunkler und verwirrender. Lange kann man nicht in den Lichtkegel sehen, ohne dass Schwindel einsetzt.
Der Mann am Bug lächelt, Still und leise, kaum wahrnehmbar. Die, die ihn in unangenehmer Erinnerung behielten, kannten dieses Lächeln nur zu gut. Immer wenn die Dinge grimmig wurden, lächelte er.
Sein vor Nässe glänzendes Ölzeug stach aus der braunen Umgebung hervor wie ein Fanal. Ein Mahnmal, ein Kontrapunkt zum dreckigen Wasser und dem stürmischen, braunen Himmel.
Längst war die Sonne unter gegangen und er hatte das reguläre Fährschiff verpasst. Dabei konnte man bei gutem Wetter die Insel sogar sehen. Er war dieses eine Mal nicht schnell genug gefahren. Aber aufgeben lag ihm nicht. Er hatte ein Versprechen abgegeben.
“Ich komme“
Das war es, und wenn er schwimmen müsste, würde er auch das tun. Einen winzigen Moment lang war er versucht, den Heliport heimzusuchen, aber der freundliche Keeper riet ihm davon ab. Er solle doch an die armen Fischer denken.
Stirnrunzeln, dann begreifen. Wieder dieses Lächeln. Natürlich.
Schnell war ein Krabbenfischer ausgemacht und man einigte sich auf 200 DM. Kein übler Kurs für eine einfache Überfahrt, aber Ebbe stand an und die Entscheidung musste schnell getroffen werden. Das Geld war ihm vollkommen egal. Sein Versprechen war wichtiger als alles Andere.
Lichter tauchten aus der braunen Umgebung auf. Winzig zunächst. Wie Leuchtfeuer vom Ende des Universums. Stampfend und torkelnd arbeitete sich der Kutter weiter darauf zu, gepeitscht von Regen, unermüdlich seinem Ziel folgend und kleine dreckig-weiße Gischtkronen hinter sich her schleppend. Wieder lächelte der Mann sein kleines Lächeln in diesem Gesicht, das einmal jugendlich glatt war, aber nun zahlreiche Falten aufwies. Und nicht alle Falten zeugten von einer schönen Erfahrung.
Endlich die Insel. Er erspähte das Kai. Nicht sehr lang und schlecht beleuchtet. Im Regen sah man noch weniger, es sah aus als ob Millionen Wassermotten um das kärgliche Licht tanzten.
Ein Gebäude. Kalt und tot. Eine einzelne Neon- Reklame kämpfte tapfer den Kampf gegen die Dunkelheit, immer kurz davor, den Kampf zu verlieren.
Müllcontainer am Ende des Kais. Schatten. Braune Schatten. Bizarr gelängte Schatten, vom Regen gepeitscht und es schien, als bewegten sie sich.
Mit zusammen gekniffenen Augen versuchte der Mann etwas zu erspähen. Sorgfältig beobachtete er das Kai, das Gebäude und die Container. Er spürte die Anwesenheit eines anderen Menschen. Sehen konnte er die Person nicht. Noch nicht.
Der Kutter wurde ruhiger, als er durch die Hafeneinfahrt gelangt war. Das Schlingern und Stampfen wurde zu einem schaukelnden Gleiten.
Der Kutter legte an. Ein stummer Händedruck, zwei lächelnde Männer. So soll es sein.
Zwischen den Containern löste sich ein Schatten, wurde zu einer Gestalt. Gespannt verfolgte er, wie zögerlich und wie vorsichtig der Schatten sich in Bewegung setzte, als wüsste die Person nicht, dass er erscheinen würde, immer bestrebt, die Schatten der regennassen Container als Deckung zu nutzen. Dachte sie, der Mann sähe sie nicht? Dachte, oder hoffte sie vielleicht, er würde wider umdrehen, als das nasse Deck springen und einfach davonfahren? Dachte sie das? Dann kannte sie ihn nicht..
Starren Blickes saugte er jede Bewegung auf, während hinter ihm der Kutter losmachte und langsam tuckernd in der Dunkelheit verschwand.
Einen Moment lang hatte er das Gefühl, gefangen zu sein. Hier nie wieder fort zu kommen. Aber das war nur eine Einbildung. Er konnte gehen wann immer er wollte.
Ihr zögern ließ ihn still stehen. Abwarten. Hatte er erwartet, dass sie wie ein junges Füllen auf ihn zugestürmt kam, ihm in die Arme fiel? Dass sie, vergehend vor Sehnsucht ihn zu spüren, wie ein Orkan auf ihn zu rollte und niederküsste? Dachte er das? Ja, das dachte er. Vielmehr hatte er sich das gewünscht.
2.
Und ich sah auf, und sah, wie das Lamm das Zweite Siegel brach. Und die Stimme sagte: „Komm“
Und ich sah ein rotes Pferd, und der darauf saß, hielt ein Schwert. Und ihm wurde Macht gegeben, damit er auszöge, den Frieden von der Erde zu nehmen
Seine Träume, die er träumte, wenn er allein war. Allein mit dem inspirativen Drachenschwert, Scotch und dem Universum. Dann, mit zunehmender Verwirrung der Gedanken, wurden seine Wünsche glasklar. Nein, mehr als das. Seine Wünsche, seine Träume, alles drehte sich immer wieder um das Gleiche Thema. Leidenschaft.
Seine alte Beziehung gab das nicht her. Kein Austausch von Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit, oh Gott, was denken die Leute? Keine kleinen Gesten, kein Zugehörigkeitsgefühl, nach außen transportiert, für alle sichtbares Zeichen der Verbundenheit und der tiefen Gefühle. Empörung, wenn er die Grenze überschritt und sie mitten im Aldi in den Po zwackte. Stundenlange Diskussionen über das Für und Wider gelebter Leidenschaft. Leidenschaft, die nur im Dunkel des Schlafzimmers stattfand. Und nur da. Es war nicht wichtig, was für ihn wichtig war. Die Konsequenz: ein neuer Versuch. Neue Frau, alte Probleme. Sie war geflohen. Auf die Insel. Wollte ihn sehen, aber nicht so. Morgens kommen und abends gleich wieder weg. Komm Hündchen, geh Hündchen, wuff, hechel.
Ich sehe dich gern wenn ich dich brauche, aber bleib weg, wenn nicht. Beziehung auf Neumodisch. Nein, nicht so. Nicht mit ihm.
Mehrfach hatte er schon gehört, dass er nicht in diese Zeit passte. Ein lebendiger Anachronismus, ein lebendes Fossil, Reliquie aus alter Zeit. Übrig geblieben im Strom der Zeit, sich verirrt in eine Zeit, die nicht die seine war.
Der Verfall der Werte. Eine Spaß- und Fun - Gesellschaft ohne Tiefgang, ohne Mitgefühl und ohne den Blick auf das Wesentliche. Getragen vom Egoismus. Gesteuert durch das eigene Ego, das immer im Vordergrund stehen soll, nur keine andere Meinung zulassen, nur nicht teilnehmen am Schicksal der anderen. Entfremdung, Missgunst, Egomanie. Der Mann glaubte, dass der Teufel nun endgültig gewonnen hat. Schlussendlich hatte die Vernunft aufgegeben und der Egoismus gesiegt.
3.
Und ich sah auf, und sah, wie das Lamm das Dritte Siegel brach. Und die Stimme sagte: „Komm“
Und ich sah ein schwarzes Pferd, und der darauf saß, hielt eine Waage.
Und die Stimme sprach: Ein Maß Weizen für einen Silbergroschen und drei Maß Gerste für einen Silbergroschen; aber dem Öl und Wein tu keinen Schaden!
Es war wie ein Austausch. Komm zu mir, gib mir was ich brauche, du bekommst deinen gerechten Lohn. Doch dann suche die Einsamkeit, bis ich dich wieder rufen werde.
Sein Innerstes, seine Gefühle, seine Ansichten und Einstellungen zum Leben sahen eine Sklaverei nicht vor. Umgekehrt, wenn sie seine Sklavin sein würde, ein Leben in Pracht stünde ihr an. Verantwortung, Fürsorge, Leidenschaft, Liebe, Achtung und Respekt vor diesem Geschenk, all das hatte er ihr geben wollen.
Ein Handel würde all das zunichte machen. Alles, an das er glaubte, all das, was dafür stand, zusammen zu sein, das Leben fürderhin gemeinsam zu gehen, all das wäre nichts mehr wert als ein Silbergroschen. Doch das Öl, das Öl des Lebens, die Liebe, wäre zerstört im Getöse um den Mammon. Ein schlechter Ratgeber er ist und ein noch schlechterer Liebhaber. Ein feiger Gesell, der immer nur dorthin geht, wo andere seines Glaubens die Gesellschaft der geknebelten vermeintlich stärker machen.
Und sie? Würde sie ein Leben tauschen, ein Leben in Selbstbestimmung, in Eigenverantwortung und Lieblosigkeit? Der Regen würde die Antwort bereits wissen. Unsicher betrachtete er ihre ersten zaghaften, ja scheuen Schritte aus dem Schatten der Container. Nur mühevoll schien sich der Schatten vom schützenden Bollwerk menschlicher Abfälle lösen zu wollen.
4.
Und ich sah auf, und sah, wie das Lamm das Vierte Siegel brach. Und die Stimme sagte: „Komm“
Und ich sah ein fahles Pferd, und der darauf saß, dessen Name war: Tod und die Hölle folgte ihm nach. Und ihnen wurde Macht gegeben über den vierten Teil der Erde, zu töten mit Schwert und Hunger und Pest und durch die wilden Tiere auf Erden.
Es würde sich entscheiden. Hier und jetzt. Ein Leben Zweier Menschen in Einsamkeit und liebloser Armut oder einen gemeinsamen Weg der Erfüllung und der Liebe. Eine Neue Ordnung würde entstehen oder die Alte beibehalten werden.
Wie lange hatte er gekämpft? Hatte jeden Gedanken an sie geliebt, jede Minute genossen, jedes Bild aufgesogen wie die Prophezeiung? Wie lange hatte sie sich gewehrt, hatte gehadert, gezögert, überlegt, hin und hergerissen zwischen Verstand und Emotion? Wie lange hatte er gehofft? Hatte sich ausgemalt wie es sein würde? Wie lange noch...
Dann, als Hüter des Schwertes, sich besinnend auf die Traditionen der Krieger, hatte er eine Entscheidung getroffen. Die Entscheidung, eine Entscheidung zu treffen. Jetzt. Nicht morgen, nicht übermorgen, nicht irgendwann. JETZT. Und doch haderte er. War diese Entscheidung richtig? Durfte er sie herbeiführen? Er wusste es nicht. Er wusste nur: Es musste sein. Denn der Preis für Zögerlichkeit und Angst wäre seine Seele gewesen und der Fürst der Dunkelheit lauerte im dreckig- braunen Wasser des Kais und rieb sich seine hässlichen Hände. Seine glutenden Augen verfolgten jede Bewegung, jeden Schritt, jeden Wimpernschlag.
Und er? Der Mann? Er hatte nichts mehr. Gekommen mit Nichts, zurück gelassen all den Ballast, an dem Menschen hängen. Würde die Entscheidung fallen, egal wie, es wäre ohnehin nichts mehr wert. Das Letzte Hemd hat keine Taschen. Alles was wir mitnehmen in die nächste Existenz besteht aus einem reinen Herzen, der Tapferkeit und dem erlangten Wissen um die Dinge.
Ihr nächster Schritt. Ein wenig entschlossener. Sie wartete auf seinen Schritt. Abtasten, warten, nicht Taktieren. Das wäre die Lüge des Kais und der Teufel freute sich bereits.
5.
Und als das Lamm das Fünfte Siegel auftat, sah ich unten am Altar die Seelen derer, die umgebracht worden waren um des Wortes Gottes und um ihres Zeugnisses willen. Und sie schrien mit lauter Stimme: Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, wie lange richtest du nicht und rächst nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen?
Natürlich kannte er ihre Geschichte. Er wusste um ihr Schicksal, ihre Entbehrungen, ihren Neid, ihre Verantwortung, ihre Enttäuschung und ihre Qual nach dem Verlassenwerden. Ihre Bekanntschaften hatten sie getötet. Mehrfach. Multiple Tode gestorben war sie und nur noch ein kleiner Teil ihrer Selbst hatte überlebt, diesen fast hohlen Körper mit dem großen Geist über Gottes Erde zu tragen. Ungebrochen war der Wille zu leben, zu siegen und über das Schlechte zu triumphieren. Und der Teufel freute sich schon....
Doch der Schritt war gewagt. Hier stand er, der Mann. Der Gefährte. Der Vertraute, der Liebhaber, der Herr und der, der dafür sorgen würde, dass diejenigen, die versuchten seine Lieben zu vernichten und zu vergiften, gestraft wurden mit dem Schwerte der Vergeltung. Nicht leben soll der, der nicht an Gottes Wort sich gebunden fühlt. Nicht leben sollen die, die des Teufels sind, ihm huldigen und seine Pestilenz ausbreiten über die Erde Gottes Kinder.
Ein weiterer Schritt.... und noch einer. Dann noch einer. Er erkannte sie. Ja, die Blicke der wasserblauen Augen strahlten verhangen. Zerrissen zwischen Freude und Sorge, schwankend zwischen Wollen und flüchten. Der ewige Kampf dessen was man will und was man bekommt. Kein Abenteurer war sie, nein. Sicherheit, Geborgenheit waren ihre Pfeiler. Neugier und Furchtlosigkeit die seinen.
Er wusste genau, dass es schwer werden würde. Aber er wusste auch, dass, würden beide ihrer Bestimmung folgen, eine Zeit der Freude bräche an. Und er tat den nächsten Schritt. Mutig und entschlossen. Der Schritt der Titanen kam von ihr. Wie Duellanten schritten sie aufeinender zu. Schneller werden, fröstelnd und durchnässt in dieser braunen, dreckigen Herbstnacht.
6.
Und als das Lamm das Sechste Siegel auftat, da geschah ein großes Erdbeben, die Sonne wurde finster wie ein hehrer Sack, der Mond wurde zu Blut und die Sterne fielen auf die Erde. Und die Könige auf Erden und die Großen und die Obersten und die Reichen und die Gewaltigen und alle Sklaven und alle Freien verbargen sich in den Klüften und Felsen der Berge. Und die Stimme sprach: Denn es ist gekommen der große Tag des Zorns, und wer von euch wird bestehen?
Dann standen sie voreinander. Achtlos ließ der Mann die Tasche in die Pfütze fallen, breitete die Arme aus und wartete. Und sie... kam näher. Plötzlich überflutet von einem Gefühl aus Geborgenheit und Trauer. Und als sie sich umarmten, bebte die Erde für beide. Wie eine Konklusion zweier Himmelskörper, die endlich zusammen prallten um sich zu vernichten und sich neu zu schaffen. Tod und Wiedergeburt, so dicht beieinander. Getrennt durch einen Wimpernschlag.
„Du bist völlig verrückt, weißt du das“
„Ja ich weiß. Aber versprochen ist versprochen“
„Scheiß drauf“
“Nein, das geht nicht. Das kann ich nicht und das weißt du“
„Ja ich weiß. Ich weiß...“
Sie gingen ohne auf den Regen zu achten und auf den Wind und auf die treibenden Wolken. Angekommen, trockneten sie sich ab. Im Licht der Kerzen, die sie zuvor aufgestellt hatte ( ein gutes Zeichen?) sah er ihre Augen das erste Mal richtig. Erkannte ihren Widerspruch, den Zwist der Gefühle die mit der Vernunft rangen. Ein Tanz auf der Klinge. Und sie tanzte gut.
Doch er wusste, was zu tun war. Und er setzte sich hin und er wartete. Und er sah. Und er sah ihre liebliche Gestalt, die ihn erfreute. Und er spürte sie, spürte, wie sie noch immer tanzte.
Und sah ihr in die Augen. Und legte all seine Liebe in diesen Blick, auf dass sie erkennen möge, er ist derjenige, welcher sie aus dem Tal geleitet. Sanft und doch gestreng. Liebevoll und doch mit harter Hand. Getragen von den Schwingen der Macht, geleitet vom Strom der Liebe. Das Geschenk. Er wollte es. Sie wollte das ebenfalls, aber noch mit einer Bedingung. Doch hatte der Man sich geschworen, Wahrhaftigkeit zu leben und Bedingungen führten wieder in Sklaverei. Nein. Sein Blick sagte auch das. Liebevoll und doch hart der Blick, der auf den Grund ihrer Zweifel sah. Sie fühlte sich federleicht, urplötzlich. Sie erkannte seine Absicht. Sie erkannte seine Liebe. Sie erkannte seine Sorge, die ihrer glich. Und sie erkannte die Einsamkeit in seinem herzen, die eine Zwillingsschwester ihrer sein könnte. Und erkannte den Weg.
Sie kam zu ihm. Näherte sich festen Schrittes. Entledigte sich der störenden Kleidung, um ihm den Blick nicht u verwehren, was gleich für immer ihm gehören würde. Mit allen Konsequenzen, mit allem Anspruch und mit aller Leidenschaft.
Und er erkannte die Leidenschaft. Und war stolz, war er seinem Ziel nie so nah. Leidenschaft.
Und der Teufel wandte sich angewidert ab im Anblick der Liebe....
7.
Und als das Lamm das Siebente Siegel auftat, bedeckte Stille die Erde. Und ich schaute auf und sah die Sieben Engel und ihnen wurden Sieben Posaunen gegeben. Und ein anderer Engel trat an den Altar der Seelen mit einem goldenen Räuchergefäß, und der Rauch stieg mit den gebeten der Heiligen von der Hand des Engels hinauf zu Gott. Und der Engel nahm das Gefäß, füllte es mit Feuer vom Altar der Seelen und schüttete es auf die Erde. Und da geschahen Donner, Stimmen und Blitze und Erdbeben.
Beide lagen spät in der Nacht da. Selig schlief sie, den Kopf voller Vertrauen und alle Barrieren der Zweifel besiegt, an seiner Schulter. Ruhig lauschte er ihren kleinen, regelmäßigen Atemzügen. Spürte ihren Körper, den er benutzen durfte. Den er mit Leid überschüttet hatte. Die Art Leid, die eine Frau wie sie noch tagelang stolz im Spiegel betrachtete. Weil sie stark gewesen ist. Weil sie Liebe und Schmerz zu einer Hochzeit hatte führen können. Weil sie sich trotz aller Widersprüche auf einen Mann eingelassen hatte, dem zu vertrauen sie sich zuvor nicht hatte vorstellen können. Und doch war es so...
Der Mann grinste wieder sein kleines Lächeln. Diesmal voller Zufriedenheit. Und auch die entfernte Brandung, die kaum wahrnehmbar war, die beiden tickenden Wecker, die sich lebhaft von der Küche ins Schlafzimmer und zurück unterhielten, störte seine Gedanken nicht. Es waren, außer den tiefen Atemzügen der Frau, die einzigen Geräusche im Raum.
Und doch waren die Posaunen von Jericho entfesselt. Taubheit bemächtigte sich seinem Kopf und er hörte das Stampfen der Krieger. Er hörte das Fallen von Mauern, er hörte das Geräusch der Schlacht noch immer. Das Klirren der Rüstungen, das knarren der Harnische, das Reiben der Schilde und das glockenhelle Klingen der Schwerter.
Und er grinste. Denn seine Entscheidung war die Richtige. Schlachten werden in der vordersten Reihe geschlagen. Dort.... wo die meisten fallen.
Und doch ist Ruhm und Ehre nur dort zu finden, wo sich alle Widerstände gegen die Krieger erhoben haben. Er hörte die Schlacht und tauchte ein. Schwang sein Schwert gegen das Böse. Gegen Widerstand, gegen Einbildung und Hochmut. Gegen Egoismus und Feigheit. Er richtete und streckte seine Feinde nieder in hoher Zahl. Schnitt durch Leder, durch Rüstungen und durch Haut, Blut und Knochen. Und erst wenn der Letzte Widerstand gebrochen, wenn die Letzte Flagge verbrannt im Zorne der Wahrhaftigen und der Letzte Feind unter der singenden Klinge des aufrechten Kriegers gefallen, wenn die Schlangen der Erde zermalmt zu seinen Füßen liegen... dann würde wahrhaftig Frieden die Stille über der Erde tragen.
Er blickte sie an. Wie friedlich sie schlief. Entspannt, einen schönen Traum auf den Lippen. Ja. Der Teufel hatte verloren. Für dieses Mal.