Facetten der Einsamkeit
‚An Weihnachten werde ich allein sein‘ hatte ich letztens gesagt. Allein – wirklich allein? Was bedeutet das Wort „allein“ überhaupt? Allein – all(e)ein(e)……??Kann man wirklich allein sein? Eigentlich werden meine Kinder bei mir sein, also bin ich gar nicht allein. Nur der, der mein Herz besitzt, er kann nicht bei mir sein. Also bezog ich das ‚allein sein‘ in diesem Moment nur darauf, dass ich nicht mit ihm zusammen sein kann? Sind ‚einsam‘ und ‚allein‘ dieselben Dinge? Wird doch oft beides in einem Satz genannt: „einsam und allein…“ oder „einsam und verlassen“… bedeutet dies alles ein und dasselbe? Bedeutet, oder beschreibt es die Tatsache, dass man körperlich ohne Gesellschaft ist, oder auch eine innere Leere?
Jemand der wirklich ohne Familie; Freunde oder sonstige Verwandte ist, ist der einsam, allein oder verlassen?
Ein Patient im Krankenhaus, wie fühlt er sich, in der medizinischen Routine, unter all dem geschäftigen Treiben, in dem sich doch viele um ihn kümmern?
Ein Kind, das vorm Fernseher sitzt, stundenlang die flimmernden Bilder betrachtet, hinter sich im Zimmer seine Spielsachen türmen, Eltern die keine Zeit haben, sich wirklich um seine Bedürfnisse zu kümmern, ein Kind das satt und versorgt ist, wie fühlt es sich ohne Zuneigung?
Das ältere Pärchen, das genervt und gelangweilt nebeneinander durch die Stadt trottet, ohne Worte, keines Blickes würdigen sie sich und wenn doch, blitzt dort nicht etwas wie ewiger Hass in den Augen? Das Gefühl verschwendeter Jahre, verlorenes Leben, unwiederbringlich verflossen.
Der nachdenkliche Mann, im Bus, der seinen Kopf gegen die beschlagene Scheibe lehnt, welche Gedanken kreisen in ihm? Draußen huschen die Lichter der Großstadt in zuckenden Blitzen über den nassen Asphalt, seine Blicken folgen diesem Schauspiel, doch bemerkt er es wirklich? Was wird ihn zu Hause erwarten? Eine leere Wohnung? Wieder diese Stille, die ihn empfängt, sobald er seine Tür aufschließt? Niemand der ihn erwartet, ihn umarmt, ihm Wärme schenkt.
Der Teenager, inmitten der langweiligen Familienfeier. Sieht die Gesichter der Omas, Tanten, Onkels. Lustig, eifrig sind sie dabei über längst Vergangenes, bereits vor langer Zeit Verstorbene zu reden, erhitzen die Gemüter, essen und trinken, fühlen sich zusammengehörig. Doch sind sie es wirklich oder ist es nur ein Schein, der in der Gesellschaft allzu gewahrt werden muss?
Innerlich hat er sich zurückgezogen, betrachtet alles mit einem Blick von außen, fühlt sich nicht passend in dieser Menge, hört die Stimmen, das aufgesetzte Gelächter und fühlt sich doch unter all diesen vielen Personen – ja, wie?
Die junge Frau im Park, auf der Bank, mit einem dicken Buch in den Händen. Nach Feierabend von ihrem Job, der es ihr ermöglicht, sich alles kaufen zu können, was sie sich erträumt, der Job, in dem sie erfolgreich ist, gebraucht wird, gelobt und gefördert wird, flüchtet sie hierher. Beobachtet die Familien mit Kindern, die an ihr vorbei spazieren, Paare, die Hand in Hand an ihr vorüberziehen.
Sie sucht die Freiheit außerhalb ihrer vier Wände, und weiß sie doch, wenn sie später notgedrungen wieder nach Hause geht, wird sie dort nichts finden. Solange sie hier draußen die Sonne betrachten kann, ist es nicht allzu dunkel in ihr. Bis zum nächsten Feierabend.
Werde ich wirklich „Allein sein“ an Weihnachten? In Gesellschaft meiner Kinder? In Abwesenheit des Mannes, den ich liebe?
Ich werde immer allein sein, so wie es jeder Mensch ist.
Doch werde ich mich an die Hand nehmen, habe keine Angst vor dem ‚Ich‘ in mir, suche nicht nach nutzloser Ablenkung und werde es spüren, dass ich nicht ganz allein bin – mit mir!