Bittere Brüche
Sophia hatte wie immer alles vorbereitet: das Fest für die Freunde, den Weihnachtsabend mit der Familie.Das Haus war geputzt, der Kühlschrank gefüllt, Kuchen lagen in Folie im Keller, die Wäsche gebügelt im Schrank. Geschenke, liebevoll ausgewählt, waren an die Familie in der Ferne verschickt oder warteten mit buntem Papier und glitzernden Schleifen in Körben auf die, denen sie Herzenswünsche erfüllten oder überraschende Freude bereiten würden.
Für den Weihnachtsvorabend mit Freunden, den sie seit Jahren so begingen, um eine Zäsur in der Vorbereitungshektik zu setzen, hatte sie wieder ihr Olivengulasch vorgekocht. Das Fleisch zerfiel zu weichen Fasern in der aromatischen Soße. Der dunkle Wein atmetet in den geöffneten Flaschen. Überall brannten Kerzen, Tannengirlanden umrahmten die Fenster, der Tisch glitzerte mit funkelnden Silberbesteck und polierten Gläsern. Sophia vergass ihr Rückenschmerzen über dem herrlichen Anblick – die Arbeit hatte sich gelohnt!
Die Freunde kamen und für eine Zeit war warme Herzlichkeit im leichten Gespräch.
Doch bald nach dem Essen erlahmte die Unterhaltung und nur mühsam gelang es Sophia neue Themen anzuregen. Das Gähnen nahm zu und die Gläser wurden zu schnell leer getrunken. Bald hatte man alle Erinnerungen an alte Zeiten aufgebraucht und fand nichts Neues mehr. Beim Aufbruch fiel das Glasherz in der Diele zu Boden und zerbrach.
Sophia räumte den Tisch ab und die Küche auf. Für den nächsten Tag, wenn sie mit den Kindern und ihrem Exmann feierte, sollte alles wieder schön sein.
Am nächsten Morgen kaufte sie frische Salate, holte den Wildschweinrücken ab und erstand auf dem Weihnachtsmarkt ein neues Glasherz.
Dann saßen sie alle am großen Tisch. Die Geschenke waren ausgepackt. Sophia blickte auf ihren bunten Stapel. Es waren schöne Dinge dabei – eine von Kirchner illustrierte Ausgabe von Heym-Gedichten, ihr Lieblingsparfum, schöne Ohrringe – aber wie passte eine Duftöllampe von Tschibo dazwischen? Oder die Gurkenreibe?
Als sie den Nachtisch auftrug, kam das Gespräch auf die geplante Wiederheirat ihres Exmannes. Ihr Ältester fragte besorgt, ob sich dadurch etwas an den finanziellen Zuwendungen während seiner Ausbildung ändern würde. Die beiden jüngeren Geschwister blickten irritiert.Wollt ihr dann etwa noch Kinder, fragte die Jüngste.
Sophia fühlte, wie ihr Exmann nach Worten suchte. Wie sollter er schonend formulieren, dass sein bisher großzügig gezahlter Unterhalt bald deutlich schrumpfen würde?
Dann war es heraus, dass wahrscheinlich das Haus verkauft werden müsse, und dass Sophia einer bezahlten Arbeit nachgehen müsste. Dass sie das schon längst hätte tun müssen. Plötzlich blieb es wie ein Vorwurf an ihr hängen: Ihre jahrelange Untätigkeit.
Sophia rührte in ihrem Espresso. Sie blickte auf die glänzenden Kugeln vor den dunklen Fenstern, die Engel an der Wand. Sie dachte an die Berge von Wäsche im Keller, das getürmte Geschirr in der Küche, die Zimmer über ihr, für jeden ein Raum und ein Bett.
Sie erinnerte sich an die durchwachten Nächte an Kinderbetten, an die vielen Stunden über Hausaufgaben, an Tausende von Malen „Mutter, kannst du mal...“, an Urlaube in Ferienhäusern, wo sie ihren Haushalt und seine Arbeiten nur an einen anderen Ort verlegt hatte. Sie sah die vielen Menschen - ihre Gäste, die ihres Exmannes und ihrer Kinder - die in ihrem Haus ein und aus gegangen waren, immer willkommen zu einer Mahlzeit, einem Gespräch und oft auch einer Übernachtung. Sie fühlte die Tonnen von getragenen Lasten - Essen, Kleidung, Möbel und Verantwortung - wie Blei in ihren Schultern.
So war das also: Nach zwei Jahrzehnten eines knochenharten Jobs,
der ihre letzten Reserven an Kraft fast aufgebraucht hatte, blieb ihr am Ende eine Art Kündigung, ohne Anerkennung oder Abfindung, und obendrein noch der Vorwurf, so faul oder so dämlich gewesen zu sein, ihre Energien in Mutterschaft und Hausfrauendasein gesteckt zu haben.
Sophia stand auf und ging in die Diele. Sie nahm das Glasherz vom Nagel und ließ es mit lauten Scheppern zu Boden fallen.
©tangocleo 2009