Klassenraumgespräche: 4. Charles
„Sind das niedliche Pinguine, Charles.“„Es sind Ponguine und die werden noch aussterben.“
„Ping oder Pong, wo liegt der Unterschied?“
„Es ist die andere Seite der Platte. Sozusagen der Nord- statt des Südpols. Aber wie gesagt: ‚sie werden wirklich aussterben.‘“
„Ja, rede du nur! Sicher fressen die blaugefrorenen Gummibärchen alle Ponguine weg. Und nur, weil es am Südpol keine Gummibärchen gibt, werden die Pinguine die Ponguine überleben.“
Er schaute schon wieder so überheblich. Als wüsste er mal wieder alles besser: „Farbige Gelatine wird Hans Riegel erst viele Jahre später in Bonn in die Bärchen rühren, bevor er diese in den Colorado schmeißen wird. Und die blaugefrorenen Gummibärchen werden es auch nicht überstehen. Auch die sterben aus, bevor sie in die Tüte kommen. Es sind Eisbären, mein lieber. Schau! Man erkennt es am weißen Fell.“
Charles Robert hatte nie begriffen. Er wird nie begreifen. Aber seine kindliche Logik ist entwaffnend. Haben sie jemals im Kindergarten mit einem Kind darüber diskutiert, warum die roten Bauklötzchen schöner als die Blauen sind? Haben sie jemals versucht zu ergründen, warum die besten Holzlöffel eindeutig jene aus Blech sind?
So war es damals in Shrewsbury auch mit Charles, als wir noch zusammen die Schulbank der Internatschule drückten. Alle redeten vom Osterhasen; er jedoch von den Osterinseln. Alle schrieben Gedichte an den Weihnachtsmann. Nur nicht Charly. Er schrieb über Rankenfußkrebse und malte Korallenriffe.
Er war ein Sonderling. Auch Cricket spielte er nicht.
„Schau. Male doch lieber ein paar Titten, Du musst dich nur umschauen. Hier, schaue dir die liebliche Flora in der Bank vor uns an. Hat sie nicht geile Hügel?“
Er reagierte nicht.
„Oder wie wäre es mit ihrer Schwester Fauna? Sind ihre Knospen nicht wunderbar, wie sie sich unter dem Stoff abzeichnen.“
Scheinbar hatte er kein Verlangen nach Mädchen. Weder Fauna, noch Flora konnten sein Interesse wecken.
Charles schaute mich mitleidig an. So wie jemand, der begreift, dass er nie verstanden werden wird. So wie jemand, der bereits jetzt wusste, dass er aus Shrewsbury herauskommen wird, in Edinburgh studieren sollte und letztendlich die große Welt bereist.
Es platzte mir der Kragen: „Du alter Evoluzzzer! Mal doch was du willst“
• Einige Minuten der Stille folgten -
„Malst du jetzt schon wieder Männchen, Charles?“
„mmm“
„Charles, malst du…?“
„grummel“
„Grummel nicht so!“ Ich wurde ungeduldig. „Charles, malst du Männchen?“
„Nein. Ich male Menschen.“
Er schaute auf, der alte Nörgler.
„Das sieht aber eher aus, wie Affen. Schau mal Charles, der gebückte Gang bei diesem dort, ganz links…“
„Das ist das Alter. Er läuft gebückt.“
„Nein, Charles, das ist ein Affe.“
Er schaute zum ersten Mal in dieser Biologiestunde auf und runzelte die Stirn: „Ich sagte: ‚Ein alter Mann‘“
„Einigen wir uns auf ‚alter Affe.‘“
Charles konnte noch nie gut malen.
Dieses Mitleid in seinem Blick.
Nun malt der auch noch ein Schiff. Und er schreibt einen Namen an den Bug: ‚Beagle‘. Da hätte er doch gleich ‚Cockerspaniel‘ drauf schreiben können. Ein Hundename für ein Schiff.
Charles hatte einfach keinen Sinn für die Realität. Und die Biologie – die wird er nie begreifen.