Ist das jetzt der Schluss ... "Fiep! Fiep!" ... oder???
Juvelius saß noch immer rauchend vor der Tür als Imelda wieder erschien. Versonnen hatte er den Kopf an die Wand gelehnt und lauschte in sich hinein. Aber er konnte nichts hören, außer ein riesengroßes Durcheinander. Imelda stand eine Weile da und starrte auf ihn nieder. Da öffnete er die Augen und sagte: „Ich glaube, wir sollten miteinander reden. Setzt du dich noch einmal zu mir?“
„Serafina glaubt mir nicht ganz, aber sie hat für den Moment nachgegeben.“ Dann setzte sie sich ächzend neben ihn auf die Stufe.
„Ähm, es tut mir leid“, sagte er nach einer längeren Pause, die mit angestrengten Schnaufern durchbrochen wurde.
„Oh? Was tut dir leid?“
„Alles. Dass du gezwungen warst, deine Gestalt zu ändern und du weißt schon was, dass es nicht schön war, eben, meine ich. Ja. Ähm. Genau.“ Er machte eine Pause und fügte hinzu: „Entschuldige auch, dass ich den Wächter nicht wach bekommen habe. Ich bin wohl nicht ganz so toll, wie ich dachte.“ Das sagte er etwas leiser, keiner gibt gerne offen zu, dass er nicht so klasse ist, wie man annimmt oder hofft zu sein und wenn man das doch macht, dann besser leise als laut.
Imelda betrachtete ihn eine Weile, dann meinte sie: „Dummkopf.“
„Danke. Das habe ich jetzt wirklich gebraucht.“
„Äh, du brauchst dich nicht zu entschuldigen, meine ich.“
„Ich weiß was es heißt, wenn du auf eine Entschuldigung von mir, Dummkopf sagst. Das sagst du nämlich schon seit fünf Jahren zu mir, alte Vettel.“
„Genau.“
Beide saßen nur und dachten an Verschiedenes.
Nachdem die Pfeife abermals ausgegangen war, sprang Juvelius auf, packte das Rauchzeug hektisch weg und sagte: „Schätzchen hat mir den Weg zu Zaubär gezeigt. Wir sollten uns beeilen.“
„Sag ihn mir, ich werde mich dorthin hexen, das geht schneller als mit dem Besen. Du und Serafina, ihr kommt mit den Besen und vergiss mir nicht auf Schwiegermutter.“
Damit stürmte sie hinein und holte ein ganz bestimmtes Hexenpulver. Während sie wieder rausrannte und dabei nach den Besen pfiff, rief sie: „Serafina Lang, komm her! Du musst Juvelius folgen. Jetzt kannst du mal sehen, was dieses kleine Mädchen so drauf hat! Du dumme Gans!“
Schnell rannte die mütterliche Hexe aus dem Haus, das wollte sie sich nicht entgehen lassen. Insgeheim hoffte sie, dass Imelda versagen würde. Aber so war es leider nicht.
Imelda warf das Pulver in die Luft, murmelte einige unverständliche Worte und – verschwand.
„Verdammt!“, fluchte Juvelius, was an sich bei ihm schon sehr, sehr selten vorkam. „Das hätte sie nicht tun sollen. Ich habe kein gutes Gefühl dabei.“
„Ach was! Steig auf den Besen, Bursche und zeig mir den Weg“, herrschte ihn Serafina an, die jetzt ihre Chance witterte, auch wenn sie zugeben musste, dass sie die Hexerei beeindruckt hatte – aber laut hätte sie das nie gesagt.
Imelda landete mit einem lauten „ARGHHHH!“ vor der Bärenhöhle. Dort saß sie nun und rieb sich den Hintern. „Ich hätte doch die anderen Röcke noch anziehen sollen, dann wäre die Landung weicher gewesen“, murmelte sie. Da trottete auch schon der Zaubär heraus.
„Ah, wie ich sehe, hast du dich verwandelt. Aber so wird das nicht gehen. Wenn du die Alte sein willst, dann musst du sie ganz und gar sein“, brummte er zufrieden.
„Nein, ich kann mich nicht mehr verhexen. Ich werde meine Kraft für den Zirkel brauchen“, widersprach sie.
„Dann werde ich das für dich machen, aber etwas gründlicher. Sonst habt ihr keine Aussicht auf Erfolg.“ Er klang sehr selbstgefällig, als er das sagte.
„Warum willst du das machen? Ich habe mich solange verzaubert und beinahe vergessen, wie ich wirklich bin und nun lerne ich mich langsam wieder kennen und dann kommst du verdammter Meister Petz daher und willst mich in die Alte verzaubern!“
„Es muss sein“, sagte er entschieden, hob eine Tatze und noch bevor sie etwas denken konnte, hatte sie wieder graue Haare, das Furunkel auf der Nase, einen krummen Rücken und war alles in allem nicht mehr so schön anzusehen, auch ihre Jungfräulichkeit war wiederhergestellt.
Er gab ihr erst gar keine Zeit sich damit auseinander zu setzen, packte sie, setzte sie auf seinen Rücken und trabte mit ihr Richtung Bauernhof davon.
„Was hast du vor?“, fragte sie etwas ängstlich. An die alte Imelda musste sie sich jetzt rasch gewöhnen. „Blödmann“, fügte sie deshalb hinzu.
„Wir müssen den Schatten aufhalten, du weißt schon, das körperlose Grauen.“
„Ja, aber da brauche ich noch Juvelius und Serafina dazu“, entgegnete sie und zog den Bären an den Haaren, doch der lachte nur.
„Nein, meine Teure. Den möchtegern Wasauchimmer und das selbstverliebte Frauenzimmer, die brauchen wir nicht. Wir beide genügen.“ Dann lachte er und es war unheimlich. Imelda bekam plötzlich eine Gänsehaut und sie begann ganz gegen ihre Gewohnheit zu schreien.
„Du bist nicht der Zaubär! ARGH!“
„Zu spät erkannt! Ich habe dich wieder in den Zustand versetzt in dem du vorher warst. Außerdem habe ich gesehen, dass du nicht wirklich mit dem Herzen dabei warst, also bist du auch nicht ganz, du weißt schon.“
„Na toll“, sagte sie resigniert und zog den Bären so fest an den Haaren, dass der brüllte und sich auf die Hinterbeine stellte. Doch das Grauen hatte den Körper des großen Tieres fest im Griff und Imelda hatte keine Möglichkeit, abzuspringen. Er beschleunigte und erreichte den Hof noch vor der Morgendämmerung.
Der gesamte Hof war mittlerweile in der Blase gefangen und schimmerte in einem unheimlichen, grünen Licht. Gemächlich trottete der Bär darauf zu und durchschritt die Barriere. „Du brauchst keine Angst zu haben, Hexe. Uns tut diese Blase nichts. Mein Zauber schützt dich davor. Nun aber los – ich habe hier eine mächtige Hexe und eine Jungfrau wartet hier ebenso auf mich wie der Zauberer. Besser hätte es nicht laufen können.“
„Ich habe keine Angst“, sagte Imelda und fragte sich, wen sie wohl damit überzeugen konnte. Das Grauen sicher nicht, denn der lachte einfach und blieb vor dem Haus stehen.
„Geh rein und bring die beiden raus“, befahl er.
„Was, wenn ich mich weigere?“
„Ich würde es nicht auf einen Versuch ankommen lassen.“
„Ich schon“, sagte sie stolz und setzte sich auf die Stufe vor dem Haus.
Da wurde das Grauen zornig. Es dehnte sich aus und strömte dem Bären aus den Nüstern. Dann bewegte es sich auf Imelda zu. Diese blieb gelassen sitzen und rieb sich das Furunkel. Als der Schatten bei ihr anlangte, war sie schon weg und lehnte an der Hausecke.
„So ist das? Die Hexe will Spielchen treiben? Na schön, irgendwann geht dir die Kraft aus und dann gehörst du mir, wie alle hier auf dem Hof.“
„Dann lass uns spielen du Mistding oder was immer du sein magst!“
Das Grauen zog sich ganz aus dem Bären zurück, der verdutzt im Hof stand. Dann drehte er sich um und machte das Übliche, das Bären in solchen Situationen tun – er rannte weg, so schnell es ging und stieß mit Juvelius zusammen, der gerade mit viel Schwung auf Kesser Feger dahergeflogen kam.
„Ahnte ich doch eine Falle“, rief er und sprang zu Boden. Weil er in ein magisches Feld gehüllt war, konnte ihm die Blase ebenso wenig anhaben. In weiser Vorausschau hatte er sich noch auf den Flug den alten Zaubermantel umgelegt und einige Sprüche aufgesagt. Mit viel guten Wünschen von Kesser Feger und Imeldaschätzchen war er in dem unheimlichen Grün gelandet. Da stand er nun und sah das Grauen, das sich auf Imelda zu bewegte.
Diesmal durfte er sich nicht auf einen Verteidigungszauber beschränken. Entschlossen setzte er sich auf den Boden, zeichnete ein Pentagramm, malte noch einige Symbole über die Zacken und intonierte einen Zauberspruch. „Mei die rei di lau! Mei die rei di lau! Tau mei lei i do!“ So ging es dahin. Immer schneller sprach er und dann warf er etwas Hexenpulver in die Mitte des Pentagramms. Es gab einen lauten Knall und der Wächter stand vor ihm. Verschlafen rieb sich der riesenhafte Maulwurf die Augen. Dann sah er die Bescherung und er stieß einen schrillen Schrei aus. Das Grauen fuhr herum. Es sah den Wächter und wusste, dass es nur dann eine Möglichkeit zum Entkommen hatte, wenn es den Zauberer und die Jungfrau noch vor der Hexe erreichte. Also schrumpfte es sich und drang ins Haus ein.
„Schnell, Imelda, ihm nach!“, rief Juvelius. Die Hexe rannte los, so schnell es ihre nun arthritischen Knie erlaubten und erreichte nur knapp hinter dem Grauen die Stube, in der Lilly und Flash gefangen waren.
Da stand sie nun und das Grauen lachte, als es auf Lilly zu schwebte. „Nun gehört die Kleine mir“, sagte es als es sie schon fast erreicht hatte.
„Nein!“, schrie nun die Hexe und warf sich dazwischen. Da wurde sie von dem Grauen aufgesogen. „Har! Har! Har!“, hörte ihn Juvelius lachen, der ebenfalls „Nein!“, schrie und schon fast bei ihnen war, als er die Bescherung sah.
„Gib sie wieder zurück!“, forderte er.
„Was gibst du mir dafür?“
Juvelius überlegte angestrengt. Er hatte nichts anzubieten, außer sich selbst. Also sagte er nach einigem Zögern: „Mich. Ich bin ein Hexer, ein Zauberer und ebenso eine Jungfrau wie Imelda. Nachdem du sie zurückverwandelt hast, ist das, was letzte Nacht geschah, nicht wirklich passiert.“
Das Grauen hielt erstaunt inne. Dann lachte es noch lauter, ließ Imelda frei und schnappte sich Juvelius. Der war aber nicht gänzlich unvorbereitet. Er wusste, dass er gelogen hatte. So war er nun in dem Grauen und begann dort seine Sprüche aufzusagen. Ganz leise dachte er sie und die Ratte, die ihm nicht mehr von der Seite gewichen war, half ihm dabei. Immer lauter wurde der Singsang der beiden, bis das körperlose Grauen einen furchtbaren Schrei losließ und die beiden ausspuckte.
„Du hast mich betrogen!“, schrie es und schrumpfte zu einem ganz normalen Schatten zusammen. Langsam ließ das grüne Licht nach und die Zeitblase begann sich aufzulösen.
„Imelda, du kannst wieder in deinen Körper zurück“, sagte Juvelius endlich. Er lag auf dem Rücken und bekam nur noch schwer Luft.
Der Zaubär, die Besen und Serafina starrten zum Fenster herein. In der Stube starrten der Giersaubauer, Lilly und Flash.
Imeldas und das Bewusstsein der Ratte tauschten wieder die Plätze.
„Nun, das wäre geschafft“, sagte sie und half Juvelius auf die Beine. „Lass uns nachhause gehen.“
„Warte. Ich muss den Wächter noch davon überzeugen, dass er sich nicht mehr so einfach deiner Kräfte bedienen kann. Er hat dich nur ausgesogen.“
Der Hexer humpelte hinaus. Dort fand er den Maulwurf, der sich gerade verdrücken wollte.
„Heda! Hiergeblieben, Freundchen! Wir beide sind noch nicht fertig miteinander!“
Der Wächter drehte sich langsam um und blickte ihn aus blinden Augen an. „Ich dachte mir’s schon“, murmelte er. „Du hast meine Gedanken gelesen, während ich träumte.“
„Stimmt genau, du Faulpelz! Ab sofort, wirst du die Hexen dort in Ruhe lassen, verstanden? Sonst will nämlich keine mehr in dem Haus wohnen und du kannst auf deinen Whisky verzichten! Imelda wird dir jeden Tag deine Ration geben und du lässt sie dafür in Ruhe!“
„Gut“, sagte er. Dann zerstörte Juvelius das Pentagramm und der Wächter verschwand.
„Wahnsinn“, war alles, was Serafina die ganze Zeit über von sich hören ließ.
„Ihr habt das geplant, ihr hattet das geplant?“, fragte sie etwas später, kalkweiß im Gesicht und völlig verdattert saß sie in der Stube des Giersaubauern, der froh war, dass hier endlich wieder Normalität einkehren würde.
„Ich gebe dir Lilly zur Frau“, bot er dem Hexer an.
„Nein danke. Ich denke sie sollte selbst entscheiden“, antwortete er und schaute die alte Hexe an.
„Schau mich nicht an, Dämlack. Ich bin zu alt.“ Aber Imeldas Stimme klang eine Spur zu fröhlich um echt zu sein.
„Darüber reden wir später“, sagte er und grinste, als ob er etwas wüsste, das sie noch nicht erfasst hatte.
Flash war wieder in seinem Normalzustand verfallen, er starre Lilly traumverloren an und sie ihn. „Bauer, du solltest diese beiden da …“, meinte Serafina, die wirklich fröhlich war, nachdem sie die guten Speisen, die der Bauer zur Feier des Tages aufgetischt hatte, probiert hatte. Nun war ihr Bauch voll und sie lehnte sich zufrieden zurück.
„Wenn ihr mich nicht mehr braucht, ich kehre heim“, sagte sie nach einer Weile. „Ich werde meine Tochter besuchen und mich freuen, dass bei mir daheim alles so friedlich abläuft.“ Dann verabschiedete sie sich und bestieg ihren Besen. „SCHICKT MIR NIE WIEDER EINEN BRIEF!“, schrie sie noch als sie schon hoch in der Luft war und davon sauste.
Auf dem Hof begann das Leben wieder zu pulsieren. Lilly und Flash pulsierten ebenfalls, aber aus einem anderen Grund. Sie warteten nicht mehr auf die Hochzeitsnacht, sondern gingen gleich in ihre Kammer, wo sie sich zuerst einmal gründlich ausschliefen, bevor sie übereinander herfielen. Am nächsten Morgen erschienen sie dann atemlos und vollauf befriedigt zu ihrer Hochzeit. Sie wussten, dass sie den richtigen Partner gewählt hatten, zumindest hofften sie es.
Olaf und der Zauber hatten beschlossen sich nicht zu trennen. Ja, der Zauber wurde auch frei, nachdem das Grauen zum gemeinen Schatten geschrumpft war. Zusammen trotteten sie in den Wald und hofften noch eine Menge Bärinnen glücklich zu machen. Zufrieden brummten sie einen Walzer.
Juvelius und Imelda standen vor dem alten Hexenhaus. Eine lange Zeit starrten sie nur auf den Wald. Dann begann er in seinem Beutel zu kramen, zog die Pfeife hervor, setzte sich auf die Veranda und begann sie gemächlich zu stopfen. Dann zündete er den Tabak an und wartete und während er wartete ging die Sonne auf. Imelda stand noch immer wie angewurzelt da und hatte keine Ahnung, warum er nicht ging und es sich hier auf ihren Stufen gemütlich machte und auch nicht, warum sie selbst nichts sagte und tat.
Endlich regte sich Juvelius, als ein Strahl genau auf Imelda fiel, sagte er: „Jo dei mei die dau.“ Dann warf er ein Pulver in die Luft, nachdem er schon eine Weile vorher gekramt hatte und Imelda verwandelte sich wieder in ihre natürliche Gestalt. „Du sollst bleiben, die du bist“, fügte er noch hinzu, während er ein anderes Pulver auf den Boden streute und es entzündete. Süßlicher Rauch bildete sich, dann machte es „Poff“ und es war vorbei.
Imelda setzte sich zu ihm auf die Stufen und sagte: „Ich bleibe die Alte. Es ist so, wie das Grauen gesagt hat. Ich bin innen genauso hässlich wie außen. Also, geh besser, du Dummkopf, bevor ich dich noch in einen Frosch verwandle.“
Da begann Juvelius zu lachen bis ihm die Tränen kamen.
„Der hat dich ja ganz schön eingeseift“, sagte er schließlich, als er sich etwas beruhigt hatte. „Du bist die, die du sein willst und niemand sonst. Sieh dich an Imelda, du bist zwar kein junges Mädchen von zwanzig, aber eine schöne Frau. Hör auf deinen Schüler.“ Und wieder musste er lachen, weil sie aufsprang und ins Haus lief.
„Potzblitz“, hörte er sie rufen, dann … „Donnerwetter! Wer hätte das gedacht!“
Imelda kam wieder auf die Veranda. Sie hatte einen Krug und zwei Gläser dabei. Dann setzte sie sich zu ihm auf die Stufen, streckte die Beine der Sonne entgegen und fragte: „Machen wir jetzt da weiter, wo wir …?“
Weiter kam sie nicht …
„Fiep! Fiep!“, war alles, das die Ratte dazu sagte.
(c) Herta 2009/2010