Jessi Böttcher, Physiotherapeutin
In Vertretung für Tangocleo:
JESSIS Kreuzfahrt, Teil 1
Sie war noch einmal bei Susi, ihrer Lieblingsfriseuse, gewesen. Die frische Dauerwelle stand ihr gut und sie lächelte ihrem Spiegelbild zu, bevor sie sich nacheinander auf die zwei Koffer setzte, um die ächzenden Schnallen zuschnappen zu lassen. Gerd war bestimmt wie immer überpünktlich, um sie an den Hafen zu bringen.
`Wahrscheinlich hat er sogar ein Taschentuch zum Winken dabei´, dachte sie mit einem verächtlichen Schnauben, `dem Weichei bricht bestimmt schon wieder das Herz bei meiner Abreise.´
Als es klingelte, schmiss sie die Tür ins Schloss - `auf Nimmerwiedersehen, olle Bude´ - und stöckelte nach unten. In dieses Loch wollte sie nie wieder – sie war ja auch drei Monate im Mietrückstand - ebenso wenig wie in das Leben, das sie zurückließ.
Nicht in eine öde Massagepraxis, wo sie zuletzt nur ein paar uralten Kassenpatienten auf vierhundert Euro Basis das müde Rückenfleisch massiert hatte.
Nicht in die Kneipe an der Ecke, wo sie sich von den letzten Typen hatte aufgabeln lassen, jedes Mal enttäuscht, dass sie nach ihren Küssen nicht zu Prinzen wurden.
Und nicht zu Gerds Hundeblick, der ihr seit Jahren folgte, ohne ihr stolzes Herz zu erweichen.
`Auf zu neuen Ufern´ hatte sie sich geschworen, als sie auf dem Kreuzfahrtschiff MS Luxuria als Physiotherapeutin angeheuert hatte. Sie hatte bei der Bewerbung ihren Lebenslauf ein wenig aufgemotzt, aus einem missglückten Vorstellungsgespräch in einer Kurklinik in Baden Baden eine dreijährige Anstellung gemacht und aus Jessica Böttcher, 43 und Harz4-Empfängerin, eine siebenunddreißigjährige, mehrsprachige Promi-Physiotherapeutin gemacht. Man hatte sie sofort angeheuert und ihr einen akzeptablen, wenn auch nicht üppigen, Lohn zugestanden.
Das war ihre Chance, sie spürte das: sie würde eleganten Damen die verspannte Nackenmuskulatur weichkneten oder ihnen die wohlpedikürten Füße massieren und dabei mit reichlich Trinkgeld und schlüpfrigem Klatsch überschüttet werden, reichen älteren Herren würde sie die Lenden weichklopfen und bestimmt von dem einen oder anderen zum Dank auf ein Glas Champagner in die Bar am Oberdeck eingeladen werden – und wenn es dabei nicht gleich lukrative Heiratsanträge hagelte, lernte sie bestimmt einen der gut gebauten Stewarts kennen, die ihr die Nächte auf´s Angenehmste versüßen würden.
Genüßlich räkelte sie sich auf den Beifahrersitz, während Gerd ihre schweren Koffer hinten verstaute. Sie ließ ihn seine gut gemeinten Ratschläge und die wiederholten Beteuerungen brabbeln, er sei immer übers Handy erreichbar, und betrachtete die schönen Bilder in ihrem Kopf: Jessi in ihrem luxuriösen Behandslungsraum mit weichen, weißen Frotteetüchern, Jessi in ihrem schicken pinkfarbenen Overall als Freundin und Vertraute der Schönen und Reichen, Jessi in ihrem neuen Silberlameékleid beim Captainsdinner, Jessi, der alle Augen folgten, wenn sie ihre üppigen Hüften über das Oberdeck jonglierte, Jessi, endlich huldvoll einen Heiratsantrag eines Passagiers annehmend und mit strahlendem Bedauern dem Captain ihre Kündigung überreichend...
Sie erwachte aus ihren Tagträumen, als Gerd anhielt und fragte: „Und du bist sicher, dass es DER Pott ist?“
Jessi schaute aus dem Fenster und den Schiffsrumpfs entlang. Sie hatte es sich nicht nur größer vorgestellt, sondern vor allem großartiger.
Das sah doch alles ein wenig mitgenommen aus. `Hat wohl schon eine Menge Salzwasser abgekriegt´ dachte sie beim Betrachten der abblätternden Farben, denn es waren diverse Töne von mattschwarz bis schmierig braun. Und der Name MS Luxuria war kürzlich frisch aufgemalt, die Farbe glänzte noch - `ob sie den Namen nach der letzten Havarie schnell geändert haben´?, dachte sie misstrauisch. Das Traumschiff im Fernsehen, das immer als Kulisse ihrer Phantasien gedient hatte, versank vor diesem Kahn im trüben Brackwasser.
`Egal, die eine oder andere Havarie habe ja auch ich hinter mir und mein Lack ist auch an manchen Stellen ab´.
Mit einem Seufzer und einem wissenden Lächeln schwang sie sich aus dem Auto, nahm gnädig Gepäck und Abschiedsküßchen von Gerd entgehen und zog, so elegant wie möglich mit dem Hintern wackelnd, ihre tonnenschweren Koffer in Richtung Landungssteg.
`Innen ist bestimmt alles viel schicker und wenn erst mal die feinen Leute da sind...´
Die Koffer waren auf der unebenen Schräge mit Stöckelschuhen unmöglich nach oben zu ziehen. Hilfesuchend sah sie hoch zum Deck und entdeckte einen schmuddeligen Blonden im Blaumann, der mit dem Hammer auf etwas herumklopfte. Durch Winken, Rufen und Hüpfen erreichte sie seine Aufmerksamkeit, und er polterte den Aufgang herunter.
„Könnten Sie mir bitte mit den Koffern helfen?“ blinzelte sie ihn an. Er taxierte sie kurz von oben bis unten und lächelte dann. „Klar doch, komm mit, Süße“ warf er ihr über seine kräftige Schulter zu, nahm einen Koffer hoch und zog den anderen hinter sich nach oben, als wären es Einkaufstüten. Jessi folgte ihm, ohne ihre Augen von seinen gespannten Armmuskeln zu nehmen, um die sich ein breites SchlangenTatoo ringelte. So begann ihre Reise mit einem ordentlichen Schuß Adrenalin im Blut...