Der Abgrund
Die Teile 1-3. Bin gespannt was ihr davon haltet und erwarte eure konstruktive Kritik. Der Abgrund (1)
Er erwachte vom Geräusch fallender Steine.
Nachrutschendes Geröll scheuerte an seiner Wange, kleine Findlinge trafen schmerzhaft auf Arme und Schultern.
Benommen drehte er sich auf den Rücken und entging dadurch dem zentnerschweren Felsbrocken, welcher auf der steilen Moräne
hinunter Richtung Abgrund eilte.
Mit weit geöffneten Augen starrte er zu der Tonnenschweren Unmöglichkeit empor, die drohend, wie ein Damoklesschwert
fast einhundert Meter über Ihm hing .
Feldspat und Pyritadern durchzogen die gewaltigen Masse aus Granitgestein, glitzerten wie tausend kleine Augen, glühten in der Dunkelheit.
Was zur Hölle war passiert.
Vorsichtig das Gewicht verlagernd, drückte er die Arme durch und brachte seinen Oberkörper in eine aufrechte Position.
Es dauerte einige Minuten, bevor sich die blitzenden Sterne vor seinen Augen langsam auflösten und er die Dinge nicht mehr dreifach sah.
„Scheiß Idee“ brummte er in seinen Bart.
Mit drehenden Bewegungen trieb er die Steigeisen an seinen Bergstiefeln etwas tiefer in den losen Untergrund, tastete nach der Handschlaufe des Eispickels, fühlte dankbar das dicke Leder und versenkte den langen Edelstahldorn schwungvoll in einer Nase aus Basaltgestein, die aus dem Schutt des Abbruchs herausragte.
Mit der freien Hand fuhr er , vorsichtig tastend , über seine Arme und Beine, seinen Bauch, die Rippen und zuletzt, nach einem kurzen Zögern, über den Schädel und sein Gesicht.
Erschrocken zuckte er zurück, wimmerte kaum hörbar, als seine Finger eine krude, gezackte Masse berührten.
Als er Form und Beschaffenheit identifiziert hatte, atmete er hörbar aus, schickte ein Danke an den lieben Gott , löste den Kinnriemen und zog sich die Überreste seines Schutzhelmes vom Kopf.
Wie durch ein Wunder, hatte er diese Katastrophe unverletzt überstanden.
Aber...er blickte sich suchend um.....wo waren die anderen ?
Als sie vor drei Tagen in Oslo aufbrachen, waren sie zu fünft, zwei Finnen, ein Amerikaner, ein Engländer und er, ein Deutscher mit Schweizer Wurzeln. Ein Globetrotter, der sich auf der ganzen Welt zuhause fühlte und ständig auf der Suche nach neuen Abenteuern war.
Der Trip ins innere eines erloschenen Vulkans versprach ein solches zu werden. Daher hatte er sich der Gruppe im Internet angeschlossen
und sie waren, nach nur zwei Tagen Vorbereitung, aufgebrochen.
Der Aufstieg war anstrengend und gefährlich, aber sie hatten als Team funktioniert und alles gut überstanden.
Als sie auf Zweitausendeinhundert Metern ihr Basislager errichtet hatten und das Abendessen zubereiteten, zündete einer der Finnen
einen defekten Gaskocher und wurde von der detonierenden Druckflasche schwer verletzt.
Nach der Erstversorgung brachen sein Landsmann und er den Trip ab und machten sich auf den Heimweg.
Zu dritt den riskanten Einstieg in den Abgrund des toten Feuerberges zu wagen, war alles andere als clever, doch nach den überstandenen Strapazen und dem zusätzlichen Reiz des bevorstehenden Nervenkitzels, hatten sie beschlossen es durch zu ziehen.
Anfangs lief auch alles bestens. Sie überwanden den Grat ohne Schwierigkeiten und brachten bis zum Mittag die ersten vierhundert
Meter des Abstieges in den Krater über eisige, schneebedeckte Felsspitzen, hinter sich.
Es war früher Abend und die Sonne stand noch recht hoch, als der Amerikaner mit einem Aufschrei in einer Spalte verschwand und den Engländer am Sicherungsseil mit sich zerrte.
Gemeinsam schafften sie es, die Leine zu sichern. Als der Engländer mit seiner Druckluftpistole weitere Bolzen in den Stein über der
Felsspalte versenkte, um den Flaschenzug zu instalieren, begann das Beben.
Die gesamte Nordflanke des Kraters geriet ins Rutschen .
Das ungläubige Entsetzen im Gesicht des Amerikaners, als die Ränder einbrachen, Steinsplitter seine Sicherungsleine wie einen Bindfaden durchschnitten und er in die Tiefe fiel, würde er nie vergessen.
Nur einen Wimpernschlag später, standen auch er und der Brite nur noch auf leerer Luft und folgten ihrem Kameraden in die Tiefe.
Auf einer Lawine aus Stein und Eis ging es abwärts.
Rasend schnell.
Laut.
Dann ging das Licht aus.
Licht.
Er schüttelte die beklemmenden Erinnerungen ab und wühlte in den Taschen seiner Goretex Jacke nach Magnesiumfackeln und Taschenlampe.
„Mistding“ er schüttelte die Stablampe und wurde mit einem scharfen Lichtstrahl aus der Halogenbirne belohnt, die ihn im ersten Moment fast blind machte.
Mit zusammengekniffenen Augen schickte er die Helligkeit auf Wanderschaft.
Der Abhang, den er heruntergerutscht war, bestand fast nur aus Schutt und Geröll. Nur vereinzelt waren große Findlinge liegengeblieben.
Das Gestein präsentierte eine seltsame Mischung. Rein gar nicht das, was man in einem Vulkan erwartete, Granit, Kalkstein, Basalt, sogar Schiefer wenn er sich nicht irrte.
Es gab nur eine Erklärung. Er befand sich in einer Verwerfung.
Dem Ergebnis einer Kontinentaldrift aus grauer Vorzeit, als die tektonischen Platten aneinander stießen und sich verschiedene Gesteinsschichten ineinander schoben.
Er ließ den Lichtfinger wandern, auf der Suche nach einem Lebenszeichen seiner Begleiter.
Ohne Erfolg. Die Reichweite mochte zweihundert Meter betragen, so ungefähr, aber es gab nichts zu sehen.
Er richtete den Strahl nach oben. Jenseits der glitzernden Felsnadel verlor sich der Schein seiner Lampe in der Dunkelheit.
Er konnte die Decke nicht sehen.
Sie waren durch einen meterbreiten Riss gestürzt, warum sah er über sich kein Tageslicht ?
Er richtete den Halogenstrahl auf seine Füße und ließ ihn weiter abwärts gleiten.
Ein Schreckensschrei entfuhr seiner Kehle.
Nur eine Armlänge unterhalb seiner Füße, endete der Abhang.
Keuchend drehte er sich auf den Bauch , grub seine Klettereisen in den schwammigen Untergrund und schob sich langsam vorwärts.
Mit ausgebreiteten Armen, die Handflächen auf dem scharfkantigen Schutt, kroch er auf den Rand zu und starrte in die Tiefe dahinter.
„Ich träume“ schoss es ihm durch den Kopf. Ich habe Halluzinationen „dachte er“.
Das ist absolut unmöglich !
© 2009 by Biker_696
Der Abgrund (2)
Mit morbider Faszination folgte sein Blick dem tausendfachen Glitzern in die Tiefe, als sich der Strahl seiner Taschenlampe in der Gischt des Wasserfalles brach. Aus unzähligen Rissen, Spalten und Löchern, nur wenige Meter unter ihm, drang es mit unbändiger Gewalt aus dem Gestein und ergoss sich, beinahe lautlos, in eine gewaltige Schlucht, in der sich sein geliebter Grand Canyon rettungslos verlaufen hätte.
Rot und Gelb glühten Magmaströme in der Ferne, mäanderten durch kleiner Täler, füllte Seen und tropfte aus Bergen, pulsierend wie Arterien„Wie ein Riss im Herzen der Erde“ dachte er.
Nur mit größter Mühe gelang es Ihm, sich von dem spektakulären Szenario loszureißen. Benommen schüttelte er seinen Kopf um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Er befand sich am Arsch der Welt. Allein. Mit nur wenig Ausrüstung und ohne zu wissen, was aus seinen Kameraden geworden war. Keine sehr erfreulichen Aussichten. Ein Aufstieg kam auf diesem unsteten Untergrund überhaupt nicht in Frage. Ein falscher Schritt und er würde in einer gewaltigen Lawine aus Schutt und Geröll über diese Kante in den Abgrund gerissen werden, was seinen sicheren Tod bedeutet hätte. Also gab es nur einen Weg. Nach unten.
Vorsichtig robbte er einige Meter zurück und drehte sich auf den Rücken. Gründlich und methodisch, wie es seine Art war, machte er Inventur. Über Brust und Schulter spürte er immer noch das beruhigende Gewicht des einhundertfünfzig Meter langen Karbonfaserseiles, auch der Beutel mit Kletterhaken und die Gürteltaschen mit Karabinern und Seilstoppern befanden sich noch an ihrem Platz. Das Erste Hilfe Kitt, Notrationen in Form von Keksen und Müsliriegeln, sowie eine „Ein-Schuß-Signalpistole“ waren in das Innenfutter seiner Jacke eingenäht. Seine Finger ertasteten eine gerissene Halteschlaufe an seiner Hüfte und leichte Panik erfasste ihn, dann spürte er die gespannte Nylonschnur, zog sie behutsam an sich heran und umklammerte dankbar den zerschabten Blechdeckel seiner Wasserflasche. Er schickte ein kurzes Dankgebet an seinen Dad, der Ihm diesen Trick mit der zusätzlichen Sicherung schon in seiner Jugend gezeigt hatte. Ohne Wasser war man verloren. Nachdem er die fast volle Isoflasche mit einer freien Schlaufe gesichert hatte, setzte er sich vorsichtig auf und durchsuchte die Taschen seiner Kletterhose. Bis auf ein Schweizer Messer und einen Streifen Kaugummi, hatte er alle persönlichen Dinge beim Sturz verloren. Aber es gab auch eine angenehme Überraschung. In dem Beutel, der die Taschenlampe und Phosphorfackeln enthalten hatte, fand er noch eine halbvolle Schachtel Zigaretten, ein Feuerzeug und ein zweites Klettergeschirr, inklusive Sitzgurt und zwei weiteren dreißig Meter lange Seile. „Könnte schlimmer sein“ dachte er so bei sich.
Nachdem er seine Ausrüstung ordentlich verstaut und gesichert hatte, begann der wirklich schwierige Teil. Er musste einen Punkt für den Abstieg finden. Stundenlang bewegte er sich vorsichtig, wie eine Krabbe, am Rand es Abgrundes entlang, bis er endlich auf eine Stelle stieß, die Ihm geeignet schien. Hier ragte massives Gestein aus dem Schutt hervor und versprach stabilen Halt. Er hämmerte einen Kletterhaken in den harten Fels, klinkte einen Karabiner ein und zog das Seil in einer Schlaufe hindurch, so würde er es bei seinem nächsten Stopp einfach lösen und für die nächste Strecke wieder verwenden können. Er prüfte den Sitz, indem er sein Körpergewicht langsam dem Haken anvertraute und sich dann mit den Beinen abdrückte. Der Stahl hielt bombenfest im Gestein. Langsam ließ er das Seil nach, bis sich sein Körper direkt am Grat über dem Abgrund befand. Dann atmete er noch einmal tief ein, setzte einen tastenden Fuß in die steile Wand und begann seinen Abstieg ins Ungewisse.
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Der Abgrund (3)
Seine Arme schmerzten und die Bänder und Schließen seines Klettergeschirrs hatten sich tief in das Fleisch von Oberschenkel und Hüfte eingegraben. Er brauchte eine Pause. Wenige Meter unter und nur zwei Armlängen rechts neben seiner jetzigen Position konnte er einen Vorsprung im diffusen Licht der Magmaströme am Grund der Schlucht erkennen. Als er ihn fünf Minuten später erreicht und sich mit mehreren Kletterhaken gegen ein Abrutschen gesichert hatte, sackte sein Körper dankbar in sich zusammen. Bereits sieben Mal hatte er das einhundertfünfzig Meter Seil mittels der Schlaufentechnik gelöst und neu angebracht. Über eintausend Meter Abstieg lagen also schon hinter ihm, aber der Boden des Abgrundes schien immer noch unerreichbar fern.
Die Temperatur war mit jedem Meter gestiegen und sein Körper verlangte immer öfter nach Wasser. Jedes mal, wenn er einen kleinen Schluck nahm, musste er gegen den Drang ankämpfen, die Wasserflasche in einem Zug zu leeren.
Er stöhnte und massierte seine schmerzenden Muskeln. Nur ein paar Minuten die Augen schließen und ausruhen, nahm er sich vor. Nur ein paar Minuten.
Er erwachte vom Rauschen des Wassers und der unglaublichen Hitze, dicht unter seinem Lagerplatz. Als er über den Rand des Vorsprungs blickte, setzte sein Herzschlag einen Atemzug lang aus. Die Lava am Grund der Schlucht hatte sich angesammelt, bildete nun nicht mehr einige kleine Pfützen oder Seen, sondern glich einem rotglühenden Meer, dass immer weiter anstieg.
Wenige Meter unter der Felsnase auf der er saß, hatte das Wasser sich einen weiteren Weg aus dem Fels gesucht und ergoss sich wie in Wellen alle paar Minuten durch ein riesiges Loch in die Tiefe, um etwa achtzig Meter tiefer zischend auf dem geschmolzenen Gestein zu verdampfen. Mit aufgerissenen Augen beobachtete er, wie sich die glühende Masse Zentimeter für Zentimeter an den schroffen Felswänden empor schob und den Abstand zu seinen Füßen langsam verringerte.
Hastig löste er seine Sicherungen und verstaute seine Ausrüstung. Nach oben kam als Fluchtweg nicht in Frage, schließlich hatte er keine Ahnung wie hoch die Lava noch ansteigen würde. Vor seinem inneren Auge sah er sich selbst am Seil in der Steilwand hängen und seine Kleidung in der aufsteigenden Hitze in Flammen aufgehen. Er schüttelte dieses grausige Bild ab und nahm das Loch in der Felswand unter ihm näher in Augenschein. Gerade ergoss sich wieder ein Schwall Wasser mit unglaublicher Wucht durch die Öffnung, ragte beinahe waagerecht fast fünfzig Meter in die Schlucht, bevor es sich mit einem gewaltigen Brüllen auf die kochende Masse unter sich warf und sich in Wasserdampf verwandelte. Nur fünfzehn Sekunden hatte dieses Intermezzo gedauert. Er zählte langsam weiter um die Abstände zwischen den Wellen zu bestimmen, durchnässt von Schweiß und Wasserdampf, das Seil dieses mal fest verknotet, da sich die Schlaufe bei all zu heftigem hin und her schwingen mit Sicherheit lösen würde.
Nach eineinhalb Minuten schoss die nächste Welle durch das Loch und er begann mit dem Abstieg. Das Gestein war nass und glitschig vom aufsteigenden Wasserdampf und er hatte Mühe, einen sicheren Halt zu finden. Immer wieder glitten Finger und Schuhe ab und nur mit gewaltiger Anstrengung schaffte er es sich dem Durchbruch langsam zu nähern.
Es trennten ihn nur noch wenige Meter von der Oberkante des Loches, als wieder eine gewaltige Welle hindurch brandete und den Fels unter ihm erzittern ließ. Da verloren seine Finger endgültig den Halt. Kopfüber stürzte er hinab, bis ihn das Sicherungsseil nach wenigen Metern schmerzhaft hart bremste. Seine Beine schlugen gegen die Wand der Schlucht ,doch Kopf und Oberkörper baumelten vor dem gewaltigen Loch, durch welches das Wasser in knapp einer Minute wieder mit urbaner Gewalt schießen würde. Hastig tastete er nach dem Seil an seinem Geschirr und war gerade dabei, sich in eine Aufrechte Position zu bringen, als ihn etwas irritierte. Er brachte einen Stopper am Seil an und wartete einen Augenblick, bis sich sein Körper weiter drehte und er wieder die Höhle vor Augen hatte.
Er konnte sehen ! Und nicht nur einige Meter weit und in diffusem Licht, sondern hunderte Meter weit in eine riesige, unterirdische Kaverne.
Aufkommender Wind und das Brausen des Wassers rissen ihn aus seinem Starre. Hastig packte er das Seil und zog sich Hand über Hand nach oben, bis er seine Bein an der Oberkante des Durchbruches abstützen konnte. Die nächste Welle brach aus der Wand und als sie verging, schwang er sich über den Höhlenrand ins Innere und seilte sich mehrere Meter an den nassen Wänden hinab, bis seine Füße wieder festes Gestein erreichten. Staunend sah er sich um und versuchte zu begreifen, was sich seinen Blicken darbot.
© 1. 2010 by Biker_696