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Kapitel vier6
Hui, aufregend. Ich schreibe schon länger und wenn ich daran denke…
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Der Abgrund, 1.Kapitel - Verbesserungthreat

Der Abgrund, 1.Kapitel - Verbesserungthreat
Der Abgrund

Kapitel 1
Unter der Erde

Er erwachte vom Geräusch fallender Steine.
Nachrutschendes Geröll scheuerte an seiner Wange, kleine Findlinge trafen schmerzhaft auf Arme und Schultern.
Benommen drehte er sich auf den Rücken und entging dadurch um Haaresbreite dem zentnerschweren Felsbrocken, welcher auf der steilen Moräne an ihm vorbei nach unten eilte.
Mit weit geöffneten Augen starrte er zu der Tonnenschweren Unmöglichkeit empor, die drohend, wie ein Damoklesschwert
fast einhundert Meter über Ihm hing .
Feldspat und Pirytadern durchzogen die gewaltigen Masse aus Granitgestein, glitzerten wie tausend kleine Augen, glühten in der Dunkelheit.

Was zur Hölle war passiert.

Vorsichtig das Gewicht verlagernd, drückte er die Arme durch und brachte seinen Oberkörper in eine aufrechte Position.
Es dauerte einige Minuten, bevor sich die blitzenden Sterne vor seinen Augen langsam auflösten und er die Dinge nicht mehr dreifach sah.
„Scheiß Idee“ brummte er in seinen Bart.

Mit drehenden Bewegungen trieb er die Steigeisen an seinen Bergstiefeln etwas tiefer in den losen Untergrund, tastete nach der Handschlaufe des Eispickels, fühlte dankbar das dicke Leder und versenkte den langen Edelstahldorn schwungvoll in einer Nase festen Gesteins, die aus den Trümmern des Abbruchs herausragte. Der Schutt unter ihm geriet in Bewegung und er klammerte sich panisch mit beiden Händen an dem schmalen Lederriemen fest und wagte nicht mehr zu atmen. Einige Kiesel rollten davon und seine Füße sanken einige Zentimeter in das lose Geröll ein, dann beruhigte sich seine Umgebung wieder. Er verharrte noch einige Augenblicke in dieser Position, bevor er es wieder wagte tief durch zu atmen und sein gesamtes Körpergewicht dem trügerischen Untergrund an zu vertrauen.
Eine Hand umklammerte noch immer die Schlaufe des Eispickels.
Mit der freien Hand fuhr er , vorsichtig tastend , über seine Arme und Beine, seinen Bauch, die Rippen und zuletzt, nach einem kurzen Zögern, über den Schädel und sein Gesicht.
Erschrocken zuckte er zurück, wimmerte kaum hörbar, als seine Finger eine krude, gezackte Masse berührten.

Als er Form und Beschaffenheit identifiziert hatte, atmete er hörbar aus, schickte ein Dankgebet an den lieben Gott , löste den Kinnriemen und zog sich die Überreste seines Schutzhelmes vom Kopf.
Wie durch ein Wunder, hatte er diese Katastrophe unverletzt überstanden.
Aber...er blickte sich suchend um.....wo waren die anderen ?

Als sie vor drei Tagen in Oslo aufbrachen, waren sie zu fünft. Zwei Finnen, ein Amerikaner, ein Engländer und er, ein Deutscher mit Schweizer Wurzeln. Ein Globetrotter, der sich auf der ganzen Welt zuhause fühlte und ständig auf der Suche nach neuen Abenteuern war.
Der Trip ins Innere eines erloschenen Vulkans versprach ein solches zu werden und das Innere der Erde hatte ihn schon immer fasziniert. Daher hatte er sich der Gruppe im Internet angeschlossen und sie waren, nach nur zwei Tagen Vorbereitung, aufgebrochen.
Der Aufstieg war anstrengend und gefährlich, aber sie hatten als Team funktioniert und alles gut überstanden. Jeder Einzelne von ihnen war ein absoluter Profi und mit technisch hochwertigem Material ausgerüstet.
Als sie auf Zweitausendeinhundert Metern ihr Basislager errichtet hatten und gerade das Abendessen zubereiteten, zündete einer der Finnen
einen defekten Gaskocher und wurde von der detonierenden Druckflasche schwer verletzt. Die Splitter der Stahlflasche fuhren wie Schrapnellgeschosse durch seine wärmende Schutzkleidung, trennten zwei Finger ab und zerrissen ihm den Unterarm. Gemeinsam schafften sie es die Blutung zu stoppen und ihn soweit zu stabilisieren das er wieder auf eigenen Beinen stand, aber natürlich brachen sein Landsmann und er den Trip ab und machten sich am nächsten Morgen auf den Heimweg.

Zu dritt den riskanten Einstieg in den Abgrund des toten Feuerberges zu wagen, war alles andere als clever, doch nach den überstandenen Strapazen des Aufstieges und dem zusätzlichen Reiz des bevorstehenden Nervenkitzels, waren sie überein gekommen es durch zu ziehen.
Anfangs lief auch alles bestens. Sie überwanden den Grat ohne Schwierigkeiten und brachten bis zum Mittag die ersten vierhundert
Meter des Abstieges über eisige, schneebedeckte Felsspitzen hinter sich.
Es war früher Abend und die Sonne stand noch recht hoch, als der Amerikaner mit einem Aufschrei in einer Spalte zwischen den Felsen verschwand und den Engländer am Sicherungsseil mit sich zerrte. Geistesgegenwärtig warf er sich mit seinem ganzen Gewicht auf seinen Kameraden um zu verhindern das dieser weiter mit gezerrt wurde.
Gemeinsam schafften sie es, die Leine zu sichern und klopften sich anschließend atemlos, aber glücklich grinsend gegenseitig auf die Schultern. Jetzt mussten sie den Amerikaner nur noch aus diesem verfluchten Loch heraus bekommen. Er bereitete gerade die nötigen Seile vor als der Engländer mit seiner Druckluftpistole weitere Bolzen in den Stein über der Felsspalte versenkte, um den Flaschenzug zu installieren. Da begann das Beben.

Die gesamte Nordflanke des Kraters geriet ins Rutschen .
Das ungläubige Entsetzen im Gesicht des Amerikaners, als die Ränder einbrachen, Steinsplitter seine Sicherungsleine wie einen Bindfaden durchschnitten und er schreiend in die Tiefe fiel, würde er nie vergessen.
Nur einen Wimpernschlag später, standen auch er und der Brite nur noch auf leerer Luft und folgten ihrem Kameraden in die Tiefe.
Auf einer Lawine aus Stein und Eis ging es abwärts.
Rasend schnell. Laut. Dann ein dumpfer Schlag. Dunkelheit.

Licht.
Er schüttelte die beklemmenden Erinnerungen ab und wühlte in den Taschen seiner Goretex Jacke nach Magnesiumfackeln und Taschenlampe.
„Mistding“ er schüttelte die Stablampe und wurde mit einem scharfen Lichtstrahl aus der Halogenbirne belohnt, der ihn im ersten Moment fast blind machte.
Mit zusammengekniffenen Augen schickte er die Helligkeit auf Wanderschaft.
Der Abhang, den er heruntergerutscht war, bestand fast nur aus Schutt und Geröll. Nur vereinzelt waren große Findlinge liegengeblieben.
Das Gestein präsentierte eine seltsame Mischung. Rein gar nicht das, was man in einem Vulkan erwartete, Granit, Kalkstein, Basalt, sogar Schiefer wenn er sich nicht irrte.
Es gab nur eine Erklärung. Er befand sich in einer Verwerfung.
Dem Ergebnis einer Kontinentaldrift aus grauer Vorzeit, als die tektonischen Platten aneinander stießen und sich verschiedene Gesteinsschichten ineinander schoben.
Er ließ den Lichtfinger wandern, auf der Suche nach einem Lebenszeichen seiner Begleiter, jedoch ohne Erfolg.
Die Reichweite mochte zweihundert Meter betragen, so ungefähr, aber es gab nichts zu sehen außer Tonnen von Gestein. Laut zu rufen wagte er nicht. Möglicher weise würde der Schall den Hang erneut zum Rutschen bringen und ihn endgültig unter sich begraben. Er richtete den Strahl nach oben. Jenseits der glitzernden Felsnadel verlor sich der Schein seiner Lampe in der Dunkelheit.
Er konnte die Decke nicht sehen.
Sie waren durch einen meterbreiten Riss gestürzt, warum sah er über sich kein Tageslicht ?
Er richtete den Halogenstrahl auf seine Füße und ließ ihn langsam weiter abwärts gleiten.

Ein Schreckensschrei entfuhr seiner Kehle.
Nur eine Armlänge unterhalb seiner Füße, endete der Abhang. Gebannt folgte sein Blick einem Tennisballgroßen Stein, der an seinem linken Fuß vorbei rollte und über die Kannte hüpfte. Er zählte die Sekunden und wartete auf das Geräusch des Aufpralls, aber er hörte...nichts. Die Angst schnürte ihm die Kehle zu, doch er musste Gewissheit haben.
Keuchend drehte er sich auf den Bauch , grub seine Klettereisen in den schwammigen Untergrund und schob sich langsam vorwärts. Der Gedanke daran, das nur eine falsche Bewegung seinen sicheren Tod bedeuten würde, trieb ihm den kalten Schweiß auf die Stirn.
Mit ausgebreiteten Armen, die Handflächen auf dem scharfkantigen Schutt, kroch er auf den Rand zu und starrte in die Tiefe dahinter.
„Ich träume“ schoss es ihm durch den Kopf.“ Ich habe Halluzinationen „dachte er.„ Das ist absolut unmöglich !“
Mit morbider Faszination folgte sein Blick dem tausendfachen Glitzern in die Tiefe, als sich der Strahl seiner Taschenlampe in der Gischt des Wasserfalles brach. Aus unzähligen Rissen, Spalten und Löchern, nur wenige Meter unter ihm, drang es mit unbändiger Gewalt aus dem Gestein und ergoss sich, beinahe lautlos, in eine gewaltige Schlucht, in der sich seine geliebten Schweizer Berge rettungslos verlaufen hätte.
Rot und Gelb glühten Magmaströme in der Tiefe, mäanderten durch kleiner Täler, füllte Seen und tropfte aus Bergen, pulsierend wie Arterien.„Wie ein Riss im Herzen der Erde“ dachte er.

Nur mit größter Mühe gelang es Ihm, sich von dem spektakulären Szenario loszureißen. Benommen schüttelte er seinen Kopf um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Er befand sich am Arsch der Welt. Allein. Mit nur wenig Ausrüstung und ohne zu wissen, was aus seinen Kameraden geworden war. Keine sehr erfreulichen Aussichten, aber bei Gott, er würde hier nicht einfach liegen bleiben um zu sterben. Dann schon lieber bei dem Versuch, das Unmögliche zu schaffen Ein Aufstieg kam auf diesem unsteten Untergrund überhaupt nicht in Frage. Ein falscher Schritt und er würde in einer gewaltigen Lawine aus Schutt und Geröll über diese Kante in den Abgrund gerissen werden, was seinen sicheren Tod bedeutet hätte. Also gab es nur einen Weg. Nach unten.

Vorsichtig robbte er einige Meter den Hang hinauf und drehte sich auf den Rücken. Bevor er irgendetwas unternahm, musste er sich Klarheit über seine Ausrüstung verschaffen. Über Brust und Schulter spürte er immer noch das beruhigende Gewicht des einhundertfünfzig Meter langen Karbonfaserseiles, auch der Beutel mit Kletterhaken und die Gürteltaschen mit Karabinern und Seilstoppern befanden sich noch an ihrem Platz. Das Erste Hilfe Kitt, Notrationen in Form von Keksen und Müsliriegeln, sowie eine „Ein-Schuß-Signalpistole“ waren in das Innenfutter seiner Jacke eingenäht. Seine Finger ertasteten eine gerissene Halteschlaufe an seiner Hüfte und Panik erfasste ihn, dann spürte er die gespannte Nylonschnur, zog sie behutsam an sich heran und umklammerte dankbar den zerschabten Blechdeckel seiner Wasserflasche. Er lächelte bei der Erinnerung an seinen Vater, der Ihm diesen Trick mit der zusätzlichen Sicherung schon in seiner Jugend gezeigt hatte. Ohne Wasser war man verloren. Nachdem er die fast volle Isoflasche mit einer freien Schlaufe seines Klettergurtes gesichert hatte, setzte er sich vorsichtig auf und durchsuchte die Taschen seiner arg zerschlissenen Hose. Bis auf ein Schweizer Messer und einen Streifen Kaugummi, hatte er alle persönlichen Dinge beim Sturz verloren. Aber es gab auch eine angenehme Überraschung. In dem Beutel, der die Taschenlampe und Phosphorfackeln enthalten hatte, fand er noch eine halbvolle Schachtel Zigaretten, ein Feuerzeug und ein zweites Klettergeschirr, inklusive Sitzgurt und zwei weiteren dreißig Meter lange Seile. „Könnte schlimmer sein“ dachte er so bei sich und schöpfte wieder ein wenig Hoffnung.

Nachdem er seine Ausrüstung ordentlich verstaut und gesichert hatte, begann der wirklich schwierige Teil. Er musste einen Punkt für den Abstieg finden. Stundenlang bewegte er sich im Schein der Taschenlampe vorsichtig, wie eine Krabbe, am Rand es Abgrundes entlang, bis er endlich auf eine Stelle stieß, die Ihm geeignet schien. Hier ragte massives Gestein aus dem Schutt hervor und versprach stabilen Halt. Er hämmerte einen Kletterhaken in den harten Fels, klinkte einen Karabiner ein und zog das Seil in einer Schlaufe hindurch, so würde er es bei seinem nächsten Stopp einfach lösen und für die nächste Strecke wieder verwenden können. Er prüfte den Sitz, indem er sein Körpergewicht langsam dem Haken anvertraute und sich dann mit den Beinen abdrückte. Der Stahl hielt bombenfest im Gestein. Langsam ließ er das Seil nach, bis sich sein Körper direkt am Grat über dem Abgrund befand und warf einen Blick in die schwindelerregende Tiefe. Dann atmete er noch einmal tief durch, setzte einen tastenden Fuß in die steile Wand und begann seinen Abstieg ins Ungewisse.
Seine Arme schmerzten und die Bänder und Schließen seines Klettergeschirrs hatten sich tief in das Fleisch von Oberschenkel und Hüfte eingegraben. Er brauchte eine Pause. Wenige Meter unter und nur zwei Armlängen rechts neben seiner jetzigen Position konnte er einen Vorsprung im diffusen Licht der Magmaströme am Grund der Schlucht erkennen. Als er ihn fünf Minuten später erreicht und sich mit mehreren Kletterhaken gegen ein Abrutschen gesichert hatte, sackte sein Körper dankbar in sich zusammen. Bereits sieben Mal hatte er das einhundertfünfzig Meter Seil mittels der Schlaufentechnik gelöst und neu angebracht. Über eintausend Meter Abstieg lagen also schon hinter ihm, aber der Boden des Abgrundes schien immer noch unerreichbar fern.
Die Temperatur war mit jedem Meter gestiegen und sein Körper verlangte immer öfter nach Wasser. Jedes mal, wenn er einen kleinen Schluck nahm, musste er gegen den Drang ankämpfen, die Wasserflasche in einem Zug zu leeren.
Er stöhnte und massierte seine schmerzenden Muskeln. Nur ein paar Minuten die Augen schließen und ausruhen, nahm er sich vor. Nur ein paar Minuten.
Er erwachte vom Geräusch des Wassers und der unglaublichen Hitze, dicht unter seinem Lagerplatz. Als er über den Rand des Vorsprungs blickte, setzte sein Herzschlag einen Atemzug lang aus. Wie lange hatte er geschlafen? Die Lava am Grund der Schlucht hatte sich angesammelt, bildete nun nicht mehr einige kleine Pfützen oder Seen, sondern glich einem rotglühenden Meer, dass immer weiter anstieg und sich unaufhörlich seinem Lagerplatz näherte.
Wenige Meter unter der Felsnase auf der er saß, hatte das Wasser sich einen weiteren Weg aus dem Fels gesucht und ergoss sich wie in Wellen alle paar Minuten durch ein riesiges Loch in die Schlucht, um etwa achtzig Meter tiefer zischend und brodelnd auf dem geschmolzenen Gestein zu verdampfen. Mit aufgerissenen Augen beobachtete er, wie sich die glühende Masse Zentimeter für Zentimeter an den schroffen Felswänden empor schob und den Abstand zu seinen Füßen langsam verringerte.
Hastig löste er seine Sicherungen und verstaute seine Ausrüstung. Nach oben kam als Fluchtweg nicht in Frage, schließlich hatte er keine Ahnung wie hoch die Lava noch ansteigen würde. Vor seinem inneren Auge sah er sich selbst am Seil in der Steilwand hängen und seine Kleidung in der aufsteigenden Hitze in Flammen aufgehen. Seine Haut würde Blasen werfen und sich von dem schwelenden Fleisch darunter lösen... Er schüttelte dieses grausige Bild ab und nahm das Loch in der Felswand unter ihm näher in Augenschein. Gerade ergoss sich wieder ein Schwall Wasser mit unglaublicher Wucht durch die Öffnung, ragte beinahe waagerecht fast fünfzig Meter in die Schlucht, bevor es sich mit einem gewaltigen Brüllen auf die kochende Masse unter sich warf und sich in Wasserdampf verwandelte. Nur fünfzehn Sekunden hatte dieses Intermezzo gedauert. Er zählte langsam weiter um die Abstände zwischen den Wellen zu bestimmen, durchnässt von Schweiß und Wasserdampf, das Seil dieses mal fest verknotet, da sich die Schlaufe bei all zu heftigem hin und her schwingen mit Sicherheit lösen würde.
Nach nur neunzig Sekunden schoss die nächste Welle durch das Loch und er begann mit dem Abstieg. Das Gestein war nass und glitschig vom aufsteigenden Wasserdampf und er hatte Mühe, einen sicheren Halt zu finden. Immer wieder glitten Finger und Schuhe ab und nur mit gewaltiger Anstrengung schaffte er es sich dem Durchbruch langsam zu nähern.
Es trennten ihn nur noch wenige Meter von der Oberkante des Loches, als wieder eine gewaltige Welle hindurch brandete und den Fels unter ihm erzittern ließ. Da verloren seine Finger endgültig den Halt. Kopfüber stürzte er hinab, bis ihn das Sicherungsseil nach wenigen Metern schmerzhaft hart bremste und ihm die Luft aus den Lungen presste. Seine Beine schlugen schmerzhaft hart gegen die Wand der Schlucht ,doch Kopf und Oberkörper baumelten nun vor dem gewaltigen Loch, durch welches das Wasser in knapp einer Minute wieder mit urbaner Gewalt schießen würde. Hastig tastete er nach dem Seil an seinem Geschirr und war gerade dabei, sich in eine Aufrechte Position zu bringen, als ihn etwas irritierte. Er brachte einen Stopper am Seil an und wartete einen Augenblick, bis sich sein Körper weiter drehte und er wieder die Höhle vor Augen hatte. Er konnte sehen ! Und nicht nur einige Meter weit und in diffusem Licht, sondern Hunderte Meter weit in eine riesige, unterirdische Kaverne.
Aufkommender Wind und das Brausen des Wassers rissen ihn aus seiner Starre. Hastig packte er das Seil und zog sich Hand über Hand nach oben, bis er seine Bein an der Oberkante des Durchbruches abstützen konnte. Die nächste Welle brach aus der Wand und als sie verging, schwang er sich über den Höhlenrand ins Innere und seilte sich mehrere Meter an den nassen Wänden hinab, bis seine Füße wieder festes Gestein erreichten. Staunend sah er sich um und versuchte zu begreifen, was sich seinen Blicken darbot.
Fast hätte er die Zeit völlig vergessen. Der aufkommende Luftzug erinnerte ihn an die drohende Gefahr des nahendes Wassers. Der Tunnel war nur einige, wenige Meter lang und dahinter wogte ein riesiger Ozean. Wie die Brandung einer Flutwelle waren die Wellen immer und immer wieder gegen die Barriere aus Felsgestein angerannt, bis das malträtierte Gestein letztendlich nachgab.
Aber jetzt musste er sich beeilen. Wie gewohnt ruckte er zweimal heftig am Seil um die Schlaufe zu lösen, als ihm der Doppelknoten wieder einfiel, der ihn sicher sollte. Hastig versuchte er mit seinen feuchten, klammen Fingern das Seil von seinem Klettergurt zu lösen, doch das stundenlange Abseilen war für die Sicherheitsbefestigung nicht ohne Folgen geblieben. Die Windungen lagen so dicht aneinander, dass er sie selbst mit aller Kraft nicht voneinander trennen konnte. Der Wind und das Rauschen des Wassers nahmen immer mehr zu und Panik stieg in ihm auf. Hastig kramte er in seiner Tasche nach dem Schweizer Messer, bekam es zu fassen, öffnete die lange Klinge und begann in fieberhafter Eile das Seil zu durch trennen. Die Keflarfasern leisteten erheblichen Wiederstand und der Schweiß begann an seiner Stirn herab zu rinnen.
Endlich zerriss die Leine und er war frei ! Schon spürte er die ersten Tropfen auf seiner Haut. Ihm blieben nur noch Sekunden bis zur nächsten Welle. Schnell verschloss er die Taschen an seiner Jacke, zurrte den Beutel fest und rannte mit schmerzenden Beinen Richtung Höhleneingang. Das Wasser wogte etwa zehn Meter unter ihm und unter dem Durchbruch hatte sich loses Geröll angehäuft. Er sah die nächste gewaltige Welle heranrollen und reagierte aus reinem Überlebenswillen. Er sprang in die Tiefe.

Der Aufschlag war hart und das Gewicht seiner Ausrüstung zog ihn tief unter Wasser. Er zwang sich zu ruhigen Bewegungen und ließ langsam die Angehaltene Luft entweichen, als er sich mit kräftigen Schwimmbewegungen an die Oberfläche zurück kämpfte.
Kaum hatte er die Wasseroberfläche durchbrochen, wurde er von einem gewaltigen Sog erfast und mit unglaublicher Wucht gegen die Felsen geschleudert. Feuerräder tanzten vor seinen Augen und er wehrte sich mit aller Macht gegen die einsetzende Bewusstlosigkeit. Endlich lies der Druck gegen seinen Körper nach und er atmete tief ein. Sein Blick wurde wieder klarer und zum ersten mal bemerkte er den Geschmack des Wassers auf seiner Zunge. Das war kein Salzwasser, sondern schmeckte wie bestes Tafelwasser. Verdursten würde er also nicht, jetzt musste er nur noch sehen das die Wellen ihn nicht umbrachten.
Der durch die ablaufende Welle verursachte Strudel hatte seine Kraft verloren und er nutzte die Gelegenheit um sich einige Meter vom Durchbruch zu entfernen. Hier wurde das Wasser ruhiger und er kam langsam wieder zu Atem. Was nun ? Das nächste Ufer war mindestens fünfhundert Meter entfernt, soweit er das in diesem seltsamen Licht beurteilen konnte. An der Felswand, durch die er in das Innere gelangt war, verlief ein schmaler Grat, der sich Richtung Festland immer mehr zu verbreitern schien, allerdings wirkte er nicht sehr Vertrauenderweckend. Wie vom Schlag getroffen zuckte er zusammen. Etwas hatte sein Bein berührt. „Scheiß drauf, der Sims wird schon halten“, sagte er sich und begann eilig die steile Wand zu erklimmen.

Behutsam setzte er auf dem schmalen Stück ebene Gesteins einen Fuß vor den anderen und sicherte sich alle zwei Schritte, in dem er seinen Bergsteigerhammer in die Felswand schlug. Das war mühselig und kostete ihn Zeit, aber er wollte auf gar keinen Fall herausfinden was sich da sonst noch im Wasser tummelte. Gelegentlich lösten sich kleine Stücke und fielen in die wogenden Wellen, aber der Sims hielt.
Nach einer gefühlten Ewigkeit machte er in einer kleinen Felsnische eine weitere Pause und aß einen Teil seiner Notration um bei Kräften zu bleiben. Sein Harndrang hatte sich bei der unheimlichen Berührung unter Wasser schon von selbst erledigt. Jetzt hatte er zum erstem Mal Gelegenheit seine Umgebung in Ruhe zu betrachten.
Natürlich hatte er als Junge die Geschichten von der Reise zum Mittelpunkt der Erde verschlungen, aber nichts hier erinnerte ihn an die Fantasien, die das Buch von Jules Verne damals in ihm geweckt hatten.
Das Leuchten schien keineswegs von irgendwelchen fluoreszierenden Mineralien zu stammen und auch von Urweltartiger Fauna fehlte jede Spur. Das Licht schien von lokalen Quellen zu stammen, die unterschiedlich stark waren. Überhaupt vermittelte das ganze Bild nicht den Eindruck von „übriggebliebener Vorzeit“ sondern viel mehr eine Art „logischen Aufbau““ der einem bestimmten Zweck diente. Aber wer oder was sollte hier unten an irgendeiner Ordnung interessiert sein ? Die Vegetation schien sich nicht wesentlich von der an der Oberfläche zu unterscheiden, aber auch hier hatte er den Eindruck das eine gewisse Ordnung herrschte. Es erinnerte ihn an ein Vierfeldersystem, wie er es auf seinen Reisen durch Entwicklungszonen in Südafrika gesehen hatte. Noch war er zu weit entfernt um einzelne Pflanzen ausmachen zu können, aber die Sortierung nach Farbe und Größe konnten kein Zufall sein. Er beendete seine Verschnaufpause, streckte sich ausgiebig und schwang seinen Hammer um die nächsten Schritte ab zu sichern, als er mitten in der Bewegung innehielt und erstarrte.
Da waren Zeichen an der Wand ! Seltsame Linien und Formen, die beim ansehen in seinen Augen schmerzten und sich, noch während der Betrachtung, unter seinem Blick zu verändern schienen. Er wandte den Blick ab und versuchte die beginnenden Kopfschmerzen durch reiben seiner Schläfe zu verdrängen. In diesem Moment schien der Pfad unter ihm zu explodieren und er fiel.

Geistesgegenwärtig schlug er mit dem spitzen Ende des Bergsteigerhammers zu. Der brutale Stopp riss ihm fast den Arm ab, aber wenigstens bewahrte er ihn davor, erneut im Wasser zu landen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht sah er nach oben. Der Weg sah völlig intakt aus und nirgends zeigten sich Spuren eines Abbruchs oder losen Gesteines. „Jetzt fang ich wirklich langsam an zu spinnen“ dachte er bei sich. Er hatte fühlen können wie das Gestein unter ihm davon stob als er den Halt verlor und doch wies nichts was er sah darauf hin. Er blickte nach unten in die aufgewühlte See und zuckte zusammen, als er ganz deutlich mehrere graue Schatten wahrnahm, die unter der Wasseroberfläche vorbeihuschten. „Einbildung oder nicht, dachte er „hier hängen zu bleiben war keine gute Idee.
Kräftig trat er die Steigeeisen an seinen Schuhen in die Wand, suchte mit der linken Hand Halt , schob sich aufwärts und bewegte sich wie eine Krabbe leicht seitlich nach oben, bis er wieder sicher mit beiden Beinen auf dem Pfad über dem Wasser stand. Durch die Seitwärtsbewegung beim Aufstieg erreichte er den Sims erst ein ganzes Stück nach den seltsamen Schriftzeichen wieder und setzte seinen Weg, trotz weicher Knie, weiter fort.
Das Zeitgefühl war ihm total abhanden gekommen, aber er fühlte deutlich die Erschöpfung, die über das Ergebnis bloßer Anstrengung weit hinaus ging. Er musste schlafen. Vermutlich hatte sein Gehirn ihm deshalb diese seltsamen Streiche gespielt. Er war völlig übermüdet, dass war die einzig logische Erklärung. Oder wirkten hier noch andere Kräfte?
Auch beim Einschätzen der Entfernung hatte er sich gründlich geirrt. Das Loch in der Felswand, durch das er herein gekommen war, konnte er in der Ferne nicht mehr erkennen, dennoch schien der Strand noch genau so weit entfernt wie zu Beginn seiner Odyssee. Das konnte unmöglich stimmen ! Vom Wasser aus hatte er die Entfernung auf fünf oder höchstens siebenhundert Meter geschätzt. Es war unmöglich das er sich so getäuscht hatte. Andererseits schien hier so einiges nicht mit rechten Dingen zu zugehen, aber er hatte nicht vor sich länger an der Nase herum führen zu lassen. Ein alter Trick der Australischen Ureinwohner fiel ihm ein, den diese nach ihren Ritualen nutzen um wieder in die Wirklichkeit zurück zu finden. Er konzentrierte sich auf das Bild des einladenden Strandes, schloss die Augen, kreuzte die Hände vor der Brust, rannte los.... und fiel der Länge nach hin.

Als er die Augen wieder aufschlug fiel sein Blick auf weisen, weichen Sand und ein Paar ziemlich großer, nackter Füße. „Mindestens Größe fünfundvierzig“, schoss es ihm durch den Sinn, da wurde er rechts und links von starken Händen unter den Armen gepackt und unsanft in die Höhe gezerrt. Der Mann, dem er jetzt gegenüber stand, war nicht annährend so groß wie es seine Füße vermuten ließen. Er reichte ihm kaum bis an die Nase, verströmte allerdings eine Aura von Weisheit und Macht, die ihm wesentlich mehr Größe verlieh.
Kluge, graue Augen musterten ihn aus einem schmalen, bärtigen Gesicht das von langen weisen Haaren umrahmt wurde. Der Fremde war nackt, bis auf eine Art Wickelrock, aus feinen, bläulichen Pflanzenfasern, den er im Stil der Schotten um die Hüfte und in einer Bahn über die Schulter trug. Gehalten wurde das ganze von einer filigranen Metallspange, auf der sich ähnliche Muster zeigten wie jene, die ihn so verwirrt hatten.
Die beiden Männer die ihn auf die Beine gestellt hatten und nun hinter den Alten traten, waren genauso gekleidet, nur etwas jünger und kräftiger als der Bärtige, dessen Alter sich allerdings unmöglich schätzen ließ. Zwischen vierzig und achtzig schien alles möglich – zu groß war der Unterschied zwischen optischer Erscheinung und spiritueller Ausstrahlung.
Ihre Haut war hell, wie die jedes beliebigen Mitteleuropäers. Keine Tätowierungen oder Kriegsbemalung, die er aus irgendeinem Grund erwartet hatte. Auch das Gebaren der Fremden war alles andere als „wild“ oder „unzivilisiert“
Die Augen des Alten blitzen schelmisch, als er mit angenehmer Stimme auf Deutsch zu sprechen begann. „Unzivilisiert“, fragte er. „Gemessen an was den ?“ „Der Welt da draußen, oder entspräche es einfach ihrer Vorstellung von Leuten, die unter der Erde leben?“
„Wie lautet ihr Name“, fragte der Alte ihn und brachte ihn damit völlig aus dem Konzept. „Ich bin....ähm...mein Name lautet.....“ er räusperte sich kurz und energisch, „Kurt Brenner ist mein Name“. Der Alte trat einen Schritt auf ihn zu, ergriff fest seine Hand und schüttelte sie freundlich. „ Willkommen, Herr Brenner. Bitte nennen sie mich Heinz“. „ Wenn sie mir bitte folgen würden, dann kümmern wir uns zunächst mal um ihre Blessuren und geben ihnen etwas zu essen. Danach können wir uns unterhalten.
Hatte dieser Kerl gerade seine Gedanken gelesen, oder war das einfach ein unheimlicher Zufall? Kurt fühlte sich total benebelt und die Strapazen der letzten Tage machten sich bemerkbar. Also folgte er dem Alten und seinen zwei Begleitern, die sich sicher und leichtfüßig über den Strand in Richtung einiger Baumartiger Pflanzen bewegten, in deren Schatten er nun einen Pfad erkennen konnte.

Nach etwa einer Stunde Fußmarsch lichtete sich der Bewuchs. Die Pflanzen wurden niedriger und reichten ihm bald nur noch bis kurz unter die Knie. Mit der Größe hatten sich auch Form und Färbung verändert, nur der Geruch, der in der Luft hing, schien der selbe geblieben zu sein. Er erinnerte Kurt an eine Mischung aus Sandelholz und Vanille, allerdings mit einem leicht ekligen Nachgeschmack.
Vor ihnen kam ein kleines Tal und eine Siedlung aus Steinhäusern in Sicht und er staunte über die Größe. Hier hatten problemlos fünfhundert Menschen Platz. Einige der Bauwerke, die ihn in Stil und Aussehen an die alten Städte der Anaszasi oder Pueblo-Indianer erinnerten, ragten bis zu sechs Stockwerke empor. Manche endeten oben in einer halbrunden Kuppel, aber die meisten besaßen ein flaches Dach, um das noch eine niedrige Brüstung führte. Wie bei den Südamerikanischen Indianern waren die Etagen über Leitern auf der Außenseite miteinander verbunden. Was Kurt allerdings erstaunte war, das nirgends irgendwelche Menschen zu sehen waren.
„Sie warten in ihren Häusern, Herr Brenner“ teilte Heinz ihm mit.“ Wie sie sich denken können haben wir hier nicht oft Besucher und eine gewisse Vorsicht scheint uns in jedem Fall angebracht. Ich hoffe, sie missverstehen das nicht“.
Also doch, Telepathie. Kurt lief es einen Augenblick lang kalt den Rücken hinunter. „ Telepathie, mein lieber Herr Brenner, ist ein sehr modernes Wort für eine sehr alte Fähigkeit, die von den Menschen schon immer beherrscht aber leider irgendwann vergessen wurde“. Wir haben uns nur selbst daran erinnert wer wir einmal waren und dazu war wesentlich weniger nötig, als sie oder ihre Mitmenschen da draußen gemeinhin annehmen.“ Der Alte war stehen geblieben und hatte sich zu ihm umgewandt. Seine beiden Begleiter warteten einige Schritte entfernt und warfen sich einen kurzen, belustigten Blick zu. Vieles von dem was sie hier sehen werden wird sie vermutlich verwirren, aber wenn sie sich die Zeit nehmen wollen uns zu zuhören, werden alle ihre Fragen beantwortet. Natürlich wollte er, und wenn es das letzte war was er in seinem Leben erfahren sollte, dacht sich Kurt. Heinz lachte laut auf. „ Mein lieber Kurt, sie sind hier nicht in einem James Bond Film, wo der Finsterling nach ausplaudern aller Geheimnisse seinen Gefangenen tötet. Ob sie bleiben oder gehen wollen steht ihnen jederzeit völlig frei. „ Und nun lassen sie uns weiter gehen, wir sind fast da.“
Stumm brachten sie den leichten Abhang hinter sich, der in das Tal hinabführte. Kurt bestaunte die vielen Details in der Architektur und die Geometrie der Anlage. Alles erschien so formvollendet logisch und auf seltsame Art vertraut, das es ihm vorkam, als wäre eine längst vergessene Erinnerung Wirklichkeit geworden. Heinz geleitete ihn in eines der Kuppelhäuser und wies ihn an auf einem niedrigen Bett aus Stein Platz zu nehmen, das sich seltsam weich anfühlte. „ Mann wird ihnen zu essen bringen und ihre Wunden versorgen. Bitte stellen sie keine Fragen und schlafen sie anschließend ein wenig. Ich werde wiederkommen wenn sie wach sind, dann unterhalten wir uns weiter.“

Als Kurt sich auf dem seltsamen Bett ausstreckte, überkam ihm mit einem Mal eine ungeheure Müdigkeit. Wie in einem Traum nahm er mehrere Gestalten wahr, die ihm ein heißes Gebräu einflößten und seine Wunden versorgten. Dann fiel er in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Als er erwachte, saß der Alte ihm auf einem Steinhocker gegenüber und zwischen ihnen brannte ein kleines Feuer, dessen Rauch durch die Öffnungen zwischen den Etagen bis zum Dach und dort ins Freie gesogen wurde. Er setzte sich auf und bemerkte überrascht wie fit und ausgeruht er sich fühlte. Heinz lächelte ihn über das Feuer hinweg an, aber in den Augen des Alten lag eine große Portion Ernst. „ Es freut mich das sie sich besser fühlen, Herr Brenner. Wollen wir mit ihren Fragen beginnen, oder möchten sie lieber zuhören während ich erzähle ?“ „Auf einige Fragen hätte ich schon ganz gerne gleich eine Antwort, wenn sie erlauben“.“ Nur zu, bitte fragen sie.“
„Was waren das für seltsame Zeichen auf der Felswand und was ist mit mir geschehen als ich sie betrachtet habe ? War der ganze Weg an diesem unterirdischen Meer entlang nur eine optische Täuschung? Seit wann wissen sie das ich hier bin? Wie viele Menschen leben hier ? Und warum ? Und......“Langsam, mein lieber Kurt“, mahnte ihn der Alte freundlich aber bestimmt. Das sind viele Fragen auf einmal. Ich werde versuchen ihnen das zu erklären.
Zunächst einmal, wir haben sie entdeckt als wir den Durchbruch in Augenschein nehmen wollten, durch den sie den Weg hier herein fanden. Von diesem Augenblick an haben wir sie ständig beobachtet.
Die steigende Lava wird durch das Wasser des Süßwassersees erkalten wenn sie den Durchgang erreicht hat und diesen versiegeln, dadurch löst sich dieses Problem von selbst. Tatsächlich haben sie sich die ganze Zeit über auf einem etwa zwei Meter breiten Weg fortbewegt, den wir ständig benutzen und der um den gesamten See herum führt. Sie müssen einiges von dem Wasser geschluckt haben, als sie hinein gestürzt sind. Durch die Ausscheidungen der Fische enthält es einige schwach psychoaktive Substanzen, die Halluzinationen hervorrufen können und die Wahrnehmung beeinträchtigen.
Ähnlich verhält es sich auch mit den Schriftzeichen. Wir verwenden sie zu unserem Schutz. Sie sind sehr alt und es würde zu lange dauern es ihnen genau zu erklären, aber sie bewirken eine Art „Overload“ in ihren Synapsen, worauf hin das Gehirn kurzfristig abschaltet.
Zu ihren weiteren Fragen, hier leben derzeit fünfhundertsiebzehn Menschen. Die meisten sind hier geboren und gehören zur zweiten und dritten Generation. Es sind die Kinder und Enkelkinder der Menschen die sich, so wie ich, damals hier niederließen. Es ist viele Jahre her das jemand von Außerhalb zu uns gestoßen ist, so wie sie Herr Brenner.
„Aber wie kamen sie hierher? Und Warum? Wissen ihre Nachfahren von der Welt da draußen, oder hüten sie dieses Geheimnis um ihre Macht zu schützen, fragte Kurt ein wenig heftig, was ihm wieder ein Lachen von Heinz eintrug. „Aber natürlich wissen sie davon. Sie gehen sogar regelmäßig nach draußen um diese Welt kennen zu lernen. Und sie haben eine Aufgabe in dieser Welt.
Kurt betrachtete den alten Mann im Wiederschein des Feuers und fühlte sich plötzlich schuldig. „Verzeihen sie, ich hatte kein Recht ihnen so etwas zu unterstellen“, sagte er zerknirscht. Heinz stand auf und kam um das Feuer herum auf ihn zu. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter und Kurt spürte, wie eine große Kraft ihn durchdrang. Sie müssen sich nicht Entschuldigen, Herr Brenner. Ihr Verhalten und ihre Denkweise sind durch und durch Menschlich. Genau das ist der Grund dafür, weshalb ich und die Anderen damals beschlossen fort zu gehen.
Ich werde es ihnen erzählen.
Der Alte hatte wieder auf der anderen Seite des Feuers Platz genommen und streute nun eine Handvoll trockener Kräuter in die Flammen, die sich in einem feinen Funkenregen auflösten und einen angenehmen Geruch verbreiteten. Nun begann er zu erzählen und während es Kurt immer stärker in den Bann der Geschichte zog, nahm er am Rande gerade noch wahr, wie sich der Raum um ihn herum mit Gestalten füllte.
„Es gab schon immer Menschen, die mit der Entwicklung und den Missständen der modernen Welt nicht einverstanden waren. Viele von ihnen spürten eine gewisse Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, als die Menschen sich noch der Erde und der Natur verbunden fühlten. Manche wurden zu richtigen Forschern und Wissenschaftler beschäftigten sich mit diesem Thema. Sie sammelten Wissen und Überlieferungen aus dieser Zeit. Manche schrieben sogar Bücher darüber, was zu ernsten Diskussionen führte, die für einen regen Austausch und neue Erkenntnisse sorgte. Aber wie bei jedem Thema gab es auch hier Trittbrettfahrer, die mit ihren Übertreibungen und Lügen nur schnelles Geld machen wollten. Ihretwegen driftete das ganze in den Köpfen der Menschen in das Mystische und Fantastische ab und niemand nahm das Ganze noch ernst. Fast niemand. Erst Jahre nach diesem Hype um untergegangene Welten und das Wissen alter Kulturen, trafen sich zufällig ein paar Leute in einem Internetforum, bei dem es eigentlich um ganz andere Dinge ging. Kleine Gruppen seelenverwandter Menschen fanden sich zusammen. Erst nur virtuell, doch bald schon wurde in kleinen, privaten Kreisen wieder diskutiert und Wissen ausgetauscht. Alle waren sich einig, dass eine Wiederholung der öffentlichen Diskussion keinen Sinn machen würde. Manche gingen sogar soweit zu behaupten, die Menschheit wäre noch nicht bereit dafür.
Und so versuchten sie in dieser modernen, schnelllebigen Welt nach alten Regeln zu leben. Wandten das Wissen um Heilung und Erweiterung des Geistes an und entdeckten sich selber neu. Obwohl sie niemanden ihre Lehre aufzwangen und sich stets bedeckt hielten, gab es Menschen die ihre Lebensweise aus Angst und Unverständnis heraus ablehnten, ja sogar verurteilten.
Und so fanden sich jene zusammen, die bereit waren den nächsten Schritt zu tun. Es war kein Glaube, oder die Angst vor dem Ende der Welt, auch nicht die Angst um ihre unsterbliche Seele, die sie zusammen führte. Es war schlicht der Wunsch anders zu leben, ohne die Regeln und dem Zwang der Geschwindigkeit einer modernen Welt.
Sie zogen sich hierher zurück und praktizierten mit Gleichgesinnten ein Leben in Harmonie mit der Natur. Waren Lehrende und Lernende zugleich. Mit der Zeit erlangten sie längst verlorene Fähigkeiten zurück, verborgenes Wissen strömte in offene Geister und ermöglichten ein universelles Verständnis über das Leben und die Natur. Verbindungen entstanden und Kinder wurden geboren und großgezogen. Stets in dem Wissen um die Welt da draußen, ihren Lauf und ihre politischen Wirrungen, Hunger und Krieg.

Kurt starrte ins Feuer. Bilder formten sich vor seinem inneren Auge während der Alte erzählte, huschten in schneller Folge vorbei und vermittelten ihm das Gefühl, selbst dabei gewesen zu sein. Heinz Stimme hallte durch seinen Kopf, brachte sein Innerstes zum schwingen, stürzte ihn in einen Strudel aus Erinnerungen, Gefühlen, lichten Momenten das „Fast-Verstehens“, rührte an seinen Wurzeln, öffnete seinen Geist, befreite ihn wie von schweren Ketten und lies ihn treiben. Sterne und Planeten zogen an seinem innern Auge vorbei, mächtige Wurzeln umschlangen seinen Geist, spendeten ihm Mut und Kraft. Er fühlte das Blut durch seine Adern strömen, fühlte seinen Herzschlag und den Atem in seinen Lungen. Tauchte tiefer in sich hinein, bis in die kleinste Zelle, nahm ihre Funktion in sich auf, wuchs mit ihr, vermehrte sich mit ihr, wurde Teil des großen Ganzen, wanderte als blauer Blitz über seine Nervenbahnen, schlug Brücken über Kontakte und schuf neue Verbindungen. Er wurde Eins mit den vier Elementen, spürte ihre uralte Energie, ihre ungebrochene Macht. Wurde das Wasser, in dem sich das erste Leben entwickelte. Brannte in der ersten Flamme, die je ein Mensch entzündet hatte. War in der Luft, die als gewaltiger Sturm über eine junge, wilde, noch im Entstehen begriffene Erde eilte. Wurde die Erde selbst, schwer, irden, steinern. Ständig in Bewegung und so lebendig wie die Menschen, die damit begonnen hatten sie zu bevölkern. Fühlte das Gleichgewicht der Dinge und die Schwingungen des harmonischen Miteinander, über eine lange, lange Zeit. Reiste Äonen in die Zukunft und spürte die Veränderung wie einen unsagbaren, körperlichen Schmerz. Gift und Tod schwammen im Wasser. Über Zerstörung und Elend loderten die Flammen des Feuers. Seuchen und Krankheit waberten durch die Luft und in der Erde klafften hässliche, tiefe Wunden, von Menschenhand geschlagen.
Sein Bewusstsein kehrte zurück in seinen Körper, der sich schmerzerfüllt auf dem Boden wand. Krämpfe schüttelten ihn und seine Haut war schweißbedeckt.
Hände berührten ihn. Spendeten ihm Trost und Wärme. Nahmen ihm die Schmerzen und ließen ihn sanft zur Ruhe kommen.

„Das war....unglaublich“. Kurt setzte sich stöhnend auf und fuhr sich mit zitternden Händen durch die Haare. „Ich bin ehrlich überrascht das mein Kopf noch auf meinen Schultern sitzt“, sagte er mit einem schwachen Lächeln. Heinz und einige andere saßen in einem großen Kreis um ihn herum und musterten ihn mit freundlichen Blicken. Wortlos rückten sie etwas weiter auseinander und schufen eine Lücke für ihn. Er nahm das Angebot dankbar an und setzte sich zwischen sie. Sofort fühlte er sich besser und wie von neuer Energie durchdrungen.
„Das, mein lieber Herr Brenner, war erst der Anfang,“ sagte Heinz. Nun können sie selbst entscheiden ob und wie lange sie bei uns bleiben möchten, oder ob sie es vorziehen zu gehen.
„Geben sie mir ein wenig Bedenkzeit,“ bat Kurt. „ Aber natürlich, mein Freund. Nehmen sie sich so viel Zeit wie sie brauchen. Wir werden sie jetzt alleine lassen.“ Bei diesen Worten erhoben sich alle und verließen nacheinander das Haus.
Kurt blieb auf dem Boden sitzen und lehnte seinen Rücken gegen die Bettstatt. Die jüngsten Erlebnisse hallten noch in ihm nach und er ging in seiner Erinnerung zurück, soweit er konnte. Er begann in seiner Kindheit, versuchte sich jeden Tag in Erinnerung zu rufen. Durchlebte noch ein mal all die schönen und schrecklichen Momente, die sein Leben bisher geprägt hatten. Verweilte in Gedanken bei Freunden, seiner Familie, Geliebten und flüchtigen Bekanntschaften. Erweckte all die prächtigen Bilder seiner Reisen wieder zum Leben und damit auch all die Grausamkeiten, die mit der Schönheit dieser Welt Hand in Hand gingen. Ging gemessenen Schrittes durch seine innere Bibliothek, all das Wissen und was er gelernt hatte füllte kaum ein kleines Zimmer, im Vergleich zu den kurzen Einblicken, die ihm die Menschen hier gewährt hatten.
Viele Stunden verbrachte er in diesem Zustand, dann stand sein Entschluss fest.
Kurt trat hinaus ins Freie, sog tief die noch etwas ungewohnte Luft ein und begann mit einer kleinen Erkundungstour durch die Straßen der Siedlung. Niemand hielt ihn auf und er war sich sicher, dass der Alte jederzeit genau wusste wo er sich befand. Die Kuppelbauten schienen öffentliche Gebäude zu sein, denn überall gingen Menschen jeden Alters ein und aus, unterhielten sich zwanglos und angeregt und schenkten ihm einen freundlichen Blick, oder nickten ihm zu, wenn er vorbei ging. Als er in einem Gebäude über die Außenleiter die nächst höhere Etage betrat, fühlte er sich augenblicklich an seine Schulzeit erinnert. Eine kleine Gruppe von etwa zwölf bis siebzehnjährigen Jungen und Mädchen saßen im Kreis um ein steinernes Modell des Sonnensystems, dass auf dem Boden stand und lauschten aufmerksam der Stimme eines jungen Mannes mit sehr langen, tiefschwarzen Haaren. Auch in den Stockwerken darüber wurde Wissen vermittelt, erörtert und diskutiert. Kurts Begeisterung für diese Menschen wuchs mit jeder Minute, dennoch verspürte er vages Unbehagen bei der Vorstellung für immer hier zu bleiben.
Als er das Gebäude verließ, gesellte sich Heinz an seine Seite und begleitete ihn auf seinem Rundgang. Geduldig beantwortete er all seine Fragen und wies ihn auf kleine Besonderheiten hin, die Kurt bis dahin entgangen waren. Die grauen Augen des Alten nahmen jede Regung in seinem Gesicht zur Kenntnis und er fragte sich, was wohl im Kopf seines Begleiters vorging.
Als sie das Ende der Siedlung erreicht hatten, blieb Heinz plötzlich stehen und deutete Kurt an das Selbe zu tun. Über einen der Pfade, die aus dieser Richtung in das Tal hinein führten, schritt ein Mann von etwa vierzig Jahren auf sie zu. Er trug einen maßgeschneiderten, hellgrauen Anzug, ein dunkelgraues Hemd mit perlgrauer Krawatte, elegante Lederschuhe und eine schmale, lederne Aktenmappe in der linken Hand. Bei diesem unerwarteten Anblick entfuhr Kurt ein überraschtes Schnaufen und er trat unwillkürlich einen Schritt zurück, als der Neuankömmling direkt auf sie zu kam und dem Alten die Mappe reichte.
„Die USA werden an der Versammlung der Nationen zum Umweltschutzprogramm teilnehmen“, sagte er zu Heinz und umarmte diesen zur Begrüßung herzlich. „ Gut gemacht, mein Sohn. Wir werden uns später ausführlich darüber unterhalten.“
Dieser nickte und wandte sich Kurt zu, “herzlich willkommen, Herr Brenner“, sagte er. Dann setzte er seinen Weg in die Siedlung fort.
„Sie können den Mund jetzt wieder schließen, Herr Brenner“, sprach ihn der Alte freundlich an und berührte ihn am Arm. Ein verschmitztes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als Kurt aus seiner Starre erwachte und ihn fassungslos anblickte.
„Sehen sie Kurt, ich sagte ihnen ja bereits das wir eine Aufgabe in dieser Welt da draußen haben. Unsere besten Schüler stehen den Mächtigen und den Regierungen dieser Welt mit Rat und Hilfe zur Seite. Anfangs war es recht schwierig, wie sie sich denken können, aber über viele Jahre hinweg wurde eine Art Vereinbarung getroffen, die zur beiderseitigen Zufriedenheit funktioniert.
Ihre Sorge, dass sie das Tageslicht nie wieder erblicken würden, sollten sie sich entscheiden hier zu bleiben, ist also unnötig.“ Kurt musste sich setzen. Er ließ sich zu den Füßen des Alten in den Staub sinken, um des eben Gehörte zu verarbeiten. „ Soll das bedeuten, dass sie die Weltpolitik manipulieren?“ Das sie den Politikern sagen was sie zu tun und zu denken haben?“
Heinz nahm neben ihm auf dem Boden platz und sah ihm fest in die Augen. „Ganz so einfach ist es leider nicht, Herr Brenner. „Auch wenn diese Vorstellung sehr verlockend ist“, bemerkte er mit einem Augenzwinkern. Wir können nur beraten und versuchen die Welt in einen etwas besseren und sichereren Ort für uns alle zu verwandeln. Bei all den Unterschiedlichen Interessen und der Unvernunft und Rücksichtslosigkeit vieler Menschen ist das ein sehr langwieriges und schwieriges Unterfangen. Einige Katastrophen konnten wir bereits abwenden, aber es wird noch sehr, sehr lange dauern bis die Erde sich wieder erholt hat und wir alle in einer Welt leben, die sicher und lebenswert für uns alle, und das Gleichgewicht der Natur wieder hergestellt ist.“

Heinz erhob sich und streckte Kurt seine Hand entgegen. „Wollen sie uns dabei helfen, Herr Brenner“? Kurt ergriff die dargebotene Hand, drückte sie fest und ließ sich von dem Alten auf die Füße helfen. Er hielt sie auch noch fest als er Heinz in die Augen schaute und mit fester Stimme sagte,“ Das will ich, Heinz! Das will ich wirklich“.


ENDE 1. KAPITEL

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