Retrospektive
oder auchDas Land, in dem weder Milch noch Honig fließen
„Das Land, in dem Milch und Honig fließen, gibt es nur im Märchen“, versuchten mir damals die Erwachsenen einzubläuen, die nicht verstanden, dass ich in diesem Land heil war, ob der Altlasten ihrer eigenen Leben da Draußen, die sie mir indirekt und manchmal vielleicht auch direkt mit auf den Weg gegeben hatten.
Das Land, in dem der Genuss floss und die Helden der Märchen bare Münze waren, auch wenn sie, falls sie ins Reale eintauchten beziehungsweise eingetaucht wurden, durchaus einige Makel, Sprünge und Laster sowie Weh-Weh-chen hatten.
Das Land, in dem ich selbst damals ein Held sein und mir nicht die Butter vom Brot nehmen lassen wollte, von all denen, die mir im grauen Alltag meiner Kinder- und Jugendtage nicht wohlgesonnen waren. Jedenfalls in meinen heranwachsenden Augen nicht.
Das Land, in dem ich damals schon immer der sein konnte, der ich schon vor meiner Geburt gewesen war, der ich mich aber nie getraut hatte zu sein, selbst im Erwachsenenalter nicht, einfach mal, weil ich ihn gar nicht bewusst kannte. Also ich meine, dass er ich ist und ich er. Denn ich dachte bis vor gefühlt Kurzem noch, dass er nur mein Märchenheld ist und ebenso gar nicht ich selbst in real sein könnte.
Das Land, in dem mir aber auch beigebracht wurde, dass ich meine Träume instrumentalisieren kann, um zu lernen, wie es da Draußen nicht geht, wie es da Draußen aber auch gefälligst nicht werden wird, wenn ich nicht den Hintern hochbekommen würde, um den Macher und Ideen-In-Haber und Generator in mir zu leben und somit mutig, humorvoll, intuitiv und authentisch sowie empathisch für mich und meine Belange einzugestehen.
Das Land, in dem ich damals Freunde hatte, in dem ich sie mir so machen konnte, dass sie mir gefielen, wie sie in Real aber nie sein würden, weil sie das gar nicht wollten beziehungsweise nicht waren.
Das Land mit dem größten Konfliktpotential in meinem bisherigen Leben.
Ich erinnere mich noch zu gut daran, wie oft ich mir eine aufgeschürfte Nasenspitze geholt habe, weil ich damals geglaubt habe, dass die Menschen dort wie hier und zu jeder Zeit – eben in jeder Weltensphäre – dieselben waren und mir immer – nach meinen Vorstellungen – zu Gefallen waren.
Aber so war natürlich der Pustekuchen mein ständiger Hausgast und ging bei mir aus und ein. Denn aber auch wirklich Niemand mochte das auf Dauer mit sich machen lassen und schon gar nicht, wenn ich meinen Mut zusammennahm, um ihnen davon zu erzählen, damit sie mich verstehen würden …
Dabei wollte ich einfach nur geliebt werden und auch Freunde haben sowie auch Teil von etwas sein.
Das Land, dass ich heutzutage nur noch als Ideenpool für meine Kunst erschöpfe und eben nicht mehr zu meiner realen Realität mache. Okay, ich gebe zu, gelegentlich gibt es immer noch Streifzüge dort hinein. Und zwar immer dann, wenn ich in emotionaler Not eines Backflashs bin und um mich dann vor meiner Überforderung mit der Situation zu schützen. Manchmal aber auch, wenn mich Kleinigkeiten triggern oder wenn ich meinen Alltagsstress nicht bewusst abbauen kann, weil ich überreizt bin und ihn nicht gefiltert bekomme.
Zugfahrten sind übrigens für diese Ausflüge sehr prädestiniert, also wenn ich passiv irgendwo mitfahre. Aber das sind dann heutzutage nur noch kleine Zeitinseln und keine Tage oder Stunden am Stück mehr. Und ich bin mir dessen inzwischen auch sehr bewusst, vermische also nicht mehr den realen Alltag meines täglichen Lebens mit meiner ansonsten phantastischen Welt in meinem Kopf.
Und das vor meinen Augen entstandene beziehungsweise immer noch heranwachsende Ergebnis meiner Hände kreativen Arbeit, die ich seit letztem Freitag hier erschaffen habe, ist der kunsttherapeutische Versuch, mich diesem Lande anzunähern.
Es ist Teil meiner energetischen Schattenarbeit über und mit und durch meine gelebte Vergangenheit und ein Schritt von vielen hin zu meinem inneren Frieden mit mir selbst und dem Gewesenen, dass mir noch immer nicht in allen Anteilen bewusst sowie aktiv erinnerlich ist.
Sprich: Ich habe ab und an das Gefühl, dass ich mir nicht alle meiner Traumata bewusst bin?. Oder zumindest geistert in mir gelegentlich der Gedanke durch den Kopf: Wie jetzt, das Bisserl hat in mir all meine Probleme ausgelöst und über die Jahre genährt? Echt jetzt?
Auslöser für diese Arbeit sind die wiedergefundenen Original-Textseiten meiner allerersten Textbücher gewesen, die ich in den grauen Vorzeiten meines Studiums einmal zusammengestellt habe, um sie meiner Familie in kopierter und gebundener Form zu schenken.
Ich habe hier einige Original-Illustrationen daraus mit einfließen lassen. Einige, die sich für mich aus heutiger Sicht noch einigermaßen energetisch positiv anfühlen. Denn der große Rest dieser alten Arbeiten macht mir aktuell gesehen eher einen flauen Magen und buttrige Knie.
In meinen Heute-Augen ein Zeichen dafür, dass dort ganz viel Traumatisches hin verwurzelt ist beziehungsweise dorthin retraumatisiert? wurde. Denn eigentlich sind diese Negativ-Prägungen viel älter und vielleicht auch älter sogar als ich selbst. Das jedenfalls glaube ich mit meinem heutigen Erkenntnisstand oder vielmehr erahne ich es diffus.
Des Weiteren ist die Arbeit ein Materialmix aus Dingen, die ich hier in Leipzig sozusagen „auf der Straße gefunden“, in Mitnahmeboxen entdeckt oder auch im offiziellen Sperrmüll gesichtet habe. Das gilt für das Mosaik- aber auch das Collage-Material.
Beim Mosaikanteil habe ich aber auch Gekauftes mit einfließen lassen und auch noch meinen alten Fundus aus Stuttgarter Zeiten geplündert. Und es sind auch noch einige persönliche Erinnerungsstücke -hier wie da – mit verwendet worden.
In der oberen Hälfte des Bildes habe ich meine Art von Sonne oder auch Gestirn dargestellt, die oder auch das sich wie ein gefüllter Krug über die untere Hälfte des Wandbildes ergießt. In die Wolken hinein, die sie oder es umgeben und nährt dabei eine Art Wasserfall oder vielleicht auch Gefälle an Dingen, die meinen ganz ureigenen Weltenbaum nähren. Der Baum könnte aber auch mein Wahrnehmungstrichter sein, der ausnahmsweise mal nur die Perlen dieser Welt im Sieb behält und nicht auch noch die alltäglichen Suppenbestandteile unserer manchmal grauen Tage. Der von oben betrachtet aber auch wie meine geliebten Schildkröten aussieht, zu denen ich gleich noch kommen werde.
So oder so ungefähr könnte das sein.
Die beiden Putten kamen eher zufällig dazu, weil sie mich an den Bengel in mir erinnern, der mit seinem Humor gern die Welt auf die Schippe nimmt. Ach ja, und die Schildkröte sowie der Meister Fuchs sind mein Salz in der Suppe oder in der Milch oder im Honig.
Die Schildkröte entdeckt für mich die Langsamkeit, die mir oft so schwerfällt, und der Fuchs steht sozusagen für mein Brain, mein Verstand, meine Gabe der Reflektion. Und die Intuition ist der Würfel, der alles unberechenbarer macht, als es mit der Interpretation meinerseits erscheint. Zumindest wünsche ich mir das manchmal.
Video dazu: