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Trotz allem Freiheit (Endfassung)

nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Trotz allem Freiheit (Endfassung)
Ich habe diese Geschichte überarbeitet und wieder überarbeitet - eigentlich neu geschrieben. Das Ergebnis möchte ich euch jetzt nach und nach präsentieren und ich hoffe, die Story gefällt euch noch. *g*

Für das erste Kapitel habe ich noch einige Menschen über ihre Erfahrungen in der Gefangenschaft befragt, das hat mir auch bei den folgenden Kapiteln weiter geholfen. Ich hoffe, ich habe diese Eindrücke halbwegs gut rüberbringen können. Danke Herr R. und Frau S. für Ihre ausführlichen Berichte.

Hier das erste Kapitel:
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Der Sklave

Wie ein Tier nur viel langsamer krieche ich fast auf allen Vieren. Ebenso langsam und gleichförmig trottet die Zeit dahin, in einer monotonen Folge von Abschnitten. Zyklen nennen sie es.
Müde bin ich an Geist und an Körper.
Alt fühle ich mich, verbraucht.
Was ist alt? Bin ich alt?
Was ist Zeit?
Gehöre ich hierher?
Ich weiß es nicht.
Wer bin ich? Das ist die Frage aller Fragen. Sie war urplötzlich da und nun lässt sie mich nicht mehr los. Sie frisst mich auf, nagt mir das Selbst aus dem Leib. Lässt die Gegenwart verschwimmen und von weiteren Fragen überlagern. Fragen der Existenz, des Seins, der Essenz des Menschseins.

Stumpfsinn und Brutalität herrschen hier in den Minen von Lysan. Die Zyklen sind bis zum Bersten damit gefüllt.
Es ist laut in den Stollen. Steine werden aus dem Fels gebrochen.
Schreie, Peitschenknallen, Flüche.
Dann wieder die Stille des Todes, die in den Ohren brüllt und als Echo von den Stollenwänden zurückprallt und einen mit seiner Einsamkeit erschlägt.

Ich grüble, während ich weiter den Meißel in den harten Fels treibe.
Staub bedeckt hier alles. Dieser giftige Staub des unnötigen Erzes, das wir Sklaven aus dem Fels schlagen, in mühevoller Handarbeit. Hier kann keine Maschine arbeiten, das Erz ist zu instabil und reagiert mit Wärme. Erst wenn es chemisch behandelt wurde, ist es zur Bearbeitung geeignet und gewinnt seine Schönheit nach der alle trachten.
Ich erschrecke. Woher weiß ich das?
Panisch beginne ich im Boden zu graben. Mit bloßen Händen versuche ich ein Loch zu schaffen um mich darin zu verstecken, vor den Fragen zu flüchten. Ein Aufseher sieht das und reißt mich brutal in die Höhe. Er sieht furchterregend aus mit seiner Atemschutzmaske und erst die sonderbaren Geräusche, die von ihm ausgehen. Ich weiß, dass er frische Luft durch das Ungetüm bekommt. Ich will auch Luft. Zornig drückt er den Pickel in meine Hand und deutet auf die Felsen vor mir. Ich resigniere und schlage darauf ein. Es hilft nichts, ich muss gehorchen, ich bin ein Sklave.
Was ist Luft?
Welchen Zyklus haben wir?
Wie viele sind vergangen, seit ich hier bin?
Es ist schon sehr lange her, dass ich Tageslicht gesehen habe.
Was ist das überhaupt?
Wie fühlt sich Licht an, Wind?
Ich kenne nur Düsternis und Schwüle.
Es ist so verdammt heiß in diesen verfluchten Minen.
Warum bin ich hier?
Und wer zur Hölle bin ich? Wieder die Frage aller Fragen.
Ich bin 152.370. Einsfünfzwopunktdreisiebzig. Eine Nummer!
Ich habe das Gefühl, einen Namen haben zu müssen. Es ist wichtig, einen Namen zu haben, eine Identität. Das ist wieder so eine Erkenntnis, eine Frage, die in mir bohrt und nach einer Antwort schreit. Einer Antwort, die nicht kommt.
Sklaven haben keine Namen, nur Nummern. Eine Abfolge von Zahlen auf den verschlissenen Hemden, eingebrannt im Oberarm und ins Gedächtnis, damit man sie ja nicht vergisst in all der Gleichförmigkeit. Hier vergisst man sonst alles, man verliert sich selbst. Es gibt hier keine Menschen – nur Sklaven und die anderen, die in den Uniformen, mit den maskierten Gesichtern und den Peitschen.
Wie viele Leute hier sind, kann ich nicht sagen.
Tag und Nacht – immer das gleiche.
Was ist Tag?
Was Nacht?
Es gibt nur Arbeits- und Schlafzyklen. Diese wiederholen sich in unregelmäßigen Abständen. Gerade, wie es den Aufsehern gefällt.

Langsam werde ich verrückt. Ich fühle, wie mein Verstand auf Abwege gerät. Er ringelt sich wie eine Schlange ein, verzieht sich in den letzten Winkel und schnellt dann schreiend hervor. Ich weiß nicht mehr, was wirklich ist und was nicht. Es ist die Routine, diese verfluchte Eintönigkeit, die mich weiter machen und meinen Verstand halbwegs arbeiten lässt.
Nach Erz graben.
Pickel in den Fels schlagen.
Steine schleppen.
Gebeugter Rücken.
Ungelöste Rätsel.

Ein Peitschenhieb schickt mich zu Boden. Schon wieder bin ich zu langsam.
Warum fühle ich den Schmerz noch? Eigentlich müsste ich schon taub sein dagegen.
Ich bin übersät von zum Teil verheilten und noch frischen Wunden. Hier heilt nichts. Man stirbt mit blutenden, eiternden Verletzungen und ist froh darüber, aus dem Loch rauszukommen.

Endlich ist der Schlafzyklus da. Wieder einmal sehr viel später als gewöhnlich. Mit steifen Gelenken rolle ich mich auf dem Boden zusammen. Mir ist kalt, trotz der drückenden Schwüle.
Der Staub in den Stollen trocknet den Mund aus, setzt sich überall fest, scheint eine zweite Schicht Haut zu bilden. Durst – ein ständiger Begleiter. Immer gibt es zuwenig Wasser. Manche der Sklaven trinken bereits ihren eigenen Urin. Wann werde ich soweit sinken, das zu tun? Ich hoffe niemals, lieber will ich vorher sterben.
Hunger und Durst lassen mich nicht zur Ruhe kommen. Ist es der Hunger nach Nahrung oder der nach Freiheit?

Warum bin ich hier? Wieder so eine Frage.
Warum habe ich das gedacht?
Warum denke ich solche Sachen?
Sklaven denken nicht – sie sind dumme Tiere, nein weniger als das, Werkzeug, das beliebig austauschbar ist. Nachschub scheint es genug zu geben.
Ich bin ein Sklave, eine Nummer!
Niemand darf eine Nummer sein!

Im fahlen Licht sehe ich kränkelnde, magere Gestalten vorbei humpeln. Für sie hat der Arbeitszyklus begonnen. Ich bin froh, dass ich nicht zu ihnen gehöre.
Warum gehöre ich nicht zu ihnen? Der Gedanke erschreckt mich mehr als alle anderen und lässt mich hochfahren.
Was ist los mit mir?
Ich bin ein Sklave – wie sie!
Eine innerliche Gewissheit lässt mich das verneinen. Ich bin kein Sklave. Ich habe einen Namen. Wie lautet er? Ich weiß, dass ich jemand bin. Ich weiß es!
Diese Grübeleien bringen mein Herz zum Rasen. Mit hartem Klopfen drückt es gegen das Brustbein.
Was ist geschehen?
Ich war nicht immer hier! Diese Erkenntnis lässt mich schaudern und mir wünschen, mich tief in den Fels zu graben, mich zu verstecken.
Gibt es ein Vorher? Es muss eines geben! Wenn ich einen Name habe, dann gibt es auch ein Vorher, eine Vergangenheit, das ist das richtige Wort dafür.
Nur, wer bin ich?
‚Ich will keine Nummer sein’, denke ich und kann die aufkommende Verzweiflung nicht unterdrücken. Das Gefühl, dass hier etwas ganz und gar falsch läuft, lässt sich nicht abschütteln. Es kontrolliert meine Gedanken.

Ich möchte schlafen, bin so müde, von den Schlägen und der Schufterei. Doch noch mehr ermüdet mich das Denken. Es geht im Kreis, immer im Kreis herum – wie Planeten um eine Sonne.
Warum weiß ich, dass es Planeten und Sonnen gibt?
Ich habe kein Gefühl mehr für Realität – was ist wirklich, das hier oder meine Vorstellung von Freiheit? Was ist Freiheit?
Der Gedanke daran macht mir eine Gänsehaut.

Endlich schlafe ich doch ein.
Das Wecksignal lässt mich hochfahren. Der Schlafzyklus ist beendet. Mühsam rapple ich mich auf, schleppe mich in die lange Reihe. Zahlreiche Sklaven stehen mit gesenkten Köpfen da und warten auf die Morgenration. Mehr wird es bis zum nächsten Arbeitszyklus nicht geben.

Jemand drückt mir einen Becher mit heißem Wasser und ein Stück Zwieback in die Hand. Die Ration des Tages. In einigen Zyklen brauche ich das nicht mehr, dann bin ich tot.
Es ist ein Ende absehbar.
Niemand überlebt die Minen.
Niemand!

So kann es nicht weitergehen. Zorn macht sich in mir breit – und ein unbändiger Hass auf die Leute, die mir und den anderen das hier antun.
Ich mag nicht mehr, verstehe es nicht, verstehe mich nicht. Unter Schmerzen richte ich mich auf, streiche das wirre Haar aus dem Gesicht und starre den Wächter direkt an.
Das ist bei Strafe verboten.
Es reicht!
Ich habe die Schnauze gestrichen voll!
Auch Sklaven müssen irgendwelche Rechte haben!
Das will ich sagen. Aber ich habe die Sprache verloren.
Das einzige, das mir geblieben ist – Gedanken. Die konnten sie mir noch nicht nehmen, diese verdammten Peitschenschwinger.
Ich starre weiter. Der Wächter ist so erstaunt, dass er zuerst nicht reagiert. An seinen Augen sehe ich allmählich ein Erkennen. Er scheint unter all den Schmutz und den Bart zu blicken.
Er kennt mich!
Und nicht nur die verdammte Nummer.
Wer zum Teufel bin ich?

Ich hebe den Becher, reiche ihn zurück. Als er ihn nicht nimmt, leere ich das Wasser auf seine Stiefel.
Ganz langsam.
Provokant.
Die anderen Sklaven starren nun mich an.
Endlich reagiert er. Die Gerte trifft mich im Gesicht. Aber mir entkommt kein Schrei. Ich starre ihn weiter an. Das Blut tropft über die Wangen und dann zu Boden. Bevor er einen zweiten Schlag landen kann, fasse ich ihn am Handgelenk. Langsam biege ich seinen Arm nach unten und schaue ihm dabei unentwegt ins Gesicht. Dann reiße ich ihm die Maske runter und starre in seine erschrocken blickenden, wasserblauen Augen. Mit der freien Hand drücke ich mir die Maske über Nase und Mund und atme ein paar Mal tief ein und aus. Ich weiß wieder, was Sauerstoff ist.

Ein Brennen durchfährt mich, als ich am Rücken von Peitschenhieben getroffen werde. Die Maske fällt zu Boden. Der Aufseher schreit wie von Sinnen und versucht an den Sauerstoff zu gelangen. Ich falle auf ihn drauf und schlage mit den Fäusten auf ihn ein. Als er bewusstlos am Boden liegt, nehme die Atemschutzmaske an mich und richte mich auf. Das Gasgemisch lässt mich schwindeln. Ein anderer Aufseher reißt mir das Ding wieder runter und schlägt auf mich ein. Durch den Sauerstoff bin ich in einem Hochgefühl, fast so als hätte ich Drogen genommen. Es ist herrlich, ich fühle mich stark.
Sollen sie mich doch töten! Besser jetzt als in zwei Wochen an Hunger sterben.
Was sind Wochen?

Ich hole tief Luft und schreie meine Gedanken hinaus: „Wer bin ich!“
Erschrocken halte ich inne. Die anderen erstarren – Wächter und Sklaven gleichermaßen. Sogar die Luft scheint den Atem anzuhalten.
Die Wächter wissen wohl sehr genau, wer ich bin.
Sie wissen alles, sind aber so voller Angst, dass sie die Klappe halten und wegsehen oder zuschlagen.
Sadisten allesamt.
„Feiglinge“, zische ich.

Zorn und Schmerz sitzen ganz tief in der Brust und brechen sich nun Bahn. Die Schläge ignorierend stürze ich mich auf den nächsten Wächter und ringe ihn nieder. Es ist erstaunlich, dass die Sklaven nur zusehen. Oder vielleicht ist es das auch nicht. Was ich hier abziehe ist Selbstmord.

Ich entreiße dem Wächter die Gerte und schlage auf ihn ein. Auf mir landen weiter Peitschenhiebe. Ich fühle die Haut platzen. Blut, Schweiß und Dreck vermischen sich.
Ich brenne in der Hölle – von innen heraus.
Nein! Ich bin die Hölle!
Auch ich schreie. Drehe mich um, und will nun auf die anderen losgehen.
Peitschenhiebe treffen mich am Kopf und auf der Brust, reißen die Haut in Stücken aus dem Leib.
Es ist zuviel.
Ich sehe Sterne.
Freue mich darüber.
Dann – nichts.

Als ich zu mir komme, stelle ich fest, dass ich mich an einem anderen Ort befinde. Das hier sind nicht die Minen, denn ich liege nicht auf kaltem Stein, sondern auf einer Art Bett. Die Wände sind glatt, grau und trocken im Gegensatz zu den feuchten, braunen Felsen im Stollen.
Ich bin verwirrt.
Wo bin ich? Warum bin ich hier?
Bin ich tot?
Nein, denn dann wären die Schmerzen weg. Sie haben zumindest gesagt, dass Verstorbene nichts fühlen können.

Dann versuche ich aufzustehen. Sofort meldet sich Schwindel. Die Wände drehen sich um mich, kommen dann auf mich zu, bevor sie sich krümmen und auf meinem Verstand landen.
Mir ist schlecht, ich möchte mich übergeben. Alles Würgen bringt nichts, mein Kopf platzt gleich. Die Anstrengung kotzen zu wollen ist zu groß. Vorsichtig gleite ich zurück, bleibe auf der Seite liegen und versuche das Brennen im Körper und das Durcheinander in den Gedanken zu ignorieren.

Etwas später versuche ich es noch einmal und schaffe es tatsächlich in die Höhe. Ich fühle mich ausgedörrt und beginne in der Zelle nach Wasser zu suchen. Irgendwo muss es hier doch etwas geben, womit ich wenigstens meine trockene, geschwollene Zunge benetzen kann. Nein, da ist nichts. Ich lasse mich wieder auf die Pritsche fallen. Für meine Augen, die an das Dunkel in den Minen gewöhnt waren, ist es hier zu hell. Viel zu hell.
‚Wieso haben die mich nicht erschossen?’, ist alles, was ich lange Zeit denken kann.

Ich weiß nicht wo ich bin, ich weiß nicht wer ich bin. Ich kenne nur meine Nummer 152.370. Einsfünfzwopunktdreisiebzig. Oder habe ich einen Namen, wie die Freien?

Die Zellenwände lachen mich aus. Sie nähern sich und kreischen, während sie mich gleichzeitig mit ihrer Stille erschlagen. Ängstlich rolle ich mich unter der Pritsche zusammen und das Gefühl des Erdrücktseins nimmt noch mehr zu. Aber hier fühle ich mich weniger beobachtet.
Etwas scheint mich aus der Ferne zu belauern. Ich zittere vor Kälte und Angst. Hier ist es kälter als in den Minen, viel kälter und furchterregender.

Ich weiß nicht, ob ich jemals Angst gefühlt habe, aber jetzt fühle ich sie. Nicht einmal in den Minen habe ich mich so bedroht gefühlt. Dort war alles ein ewiges Einerlei aus Schreien, Steine klopfen und Peitschenknallen.
Hier herrscht Stille. Es ist so ruhig, dass ich mich atmen höre. Der Laut erschreckt mich.
Ich versuche leise zu atmen und nicht zu stöhnen, denn das ist noch lauter und scheint sogar ein Echo zu bilden.
Noch immer kauere ich auf dem Boden als mir plötzlich ein Name vor Augen steht. Wie mit Leuchtschrift geschrieben erkenne ich ihn.
„Kpt. Silvo Karmin“

Vor Schreck drücke ich die Hände auf die Augen, so fest, dass ich nur mehr kleine Blitze wahrnehme. Das Bild der Schriftzeichen alleine ist schon alarmierend genug, aber dass ich es lesen kann, lässt mich vollends erstarren.
„Ich habe einen Namen“, sage ich leise vor mich hin. „Und ich kann lesen.“

Diese Erkenntnis lässt mich kurze Zeit den Durst vergessen.

Plötzlich gleitet mit leisem Zischen die Tür zur Seite und mehrere Personen in Schutzanzügen betreten die Zelle. Sie zerren mich unter der Liegestatt hervor. Ich bin so verängstigt, dass ich mich kaum dagegen wehre. Es geht hinaus auf einen grell erleuchteten Gang. Ich kann nichts erkennen, weil ich die Augen gegen das Licht geschlossen halte.
Ich fühle wie mir behandschuhte Hände die Kleidung wegnehmen. Sie stoßen mich in eine Kabine, dort werden meine Hände an eine Stange gebunden.
Ich habe solche Angst, dass ich mich nicht bewegen kann. Noch immer ist es grell. Langsam versuche ich die Augen zu öffnen, um etwas zu erkennen, schließe sie aber sofort wieder.
Das will ich nicht sehen. Nein!

Ich werde von oben bis unten abgeschrubbt und desinfiziert. Sie entfernen jedes Haar an meinem Körper und desinfizieren mich noch einmal. Die Haut brennt wie Feuer. Sie drücken mich auf einen Stuhl, zwingen meine Augen auf und tropfen irgendetwas hinein. Das Zeug scheint den Augapfel zu verätzen. Ich möchte schreien, kann aber nicht, weil mein Mund ausgedörrt ist.
Die Behandlung ist entwürdigend und wird schweigend vorgenommen. Niemand sagt etwas. Die Leute in den weißen Anzügen scheinen sehr gut zusammen zu arbeiten. Sie zerren mich auf eine Liege, binden mich in Seitenlage fest und desinfizieren nun mein Inneres.
Ich dachte nicht, mit trockener Kehle so laut schreien zu können.
Endlich hören sie auf. Ich würge und schreie noch immer, kann mich nur langsam beruhigen.
Magen und Darm sind desinfiziert. Jetzt flössen sie mir noch eine brennende Flüssigkeit ein. Meine Mundschleimhaut saugt sie trotzdem gierig auf.

Sie lassen mich einige Zeit so liegen, dann machen sie mich los, geben mir frische Häftlingskleidung und bringen mich in einen anderen Trakt des Gefängnisses. Alles kommt mir so bekannt vor. Es schaudert mich. Hier ist es gefährlich, hier herrschen Angst und Terror, das ist alles, was ich weiß.

Ich werde in eine Zelle geschoben und wieder allein gelassen. Das Gefühl zu verbrennen lässt nicht nach. Ich habe den Eindruck innen und außen zu verglühen.

Ich betrachte meine Hände. Die Haut ist weiß, fast durchscheinend. Der Staub hat sie braun erscheinen lassen. Die Fingernägel schimmern bläulich. War ich immer so weiß?

Wieder beginne ich zu grübeln. Warum bin ich hier und nicht tot, wie ich es hoffte, als ich den Aufseher niederschlug?
Wer bin ich?
Bin ich dieser Silvo Karmin, dieser Kapitän.
Kapitän wovon?
Profilbild
****ia Frau
22.263 Beiträge
Whow, Herta, es liest sich jetzt viel intensiver.
Weniger kühl und sachlich.
Viel erlebter!
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Liebe Anke, dann lass dich mal von den Erinnerungen einholen ... diese folgen jetzt.

Danke *ggg* ich habe gehofft, dass es intensiver wird, habe es aber sooft gelesen, dass ich es nicht mehr fühle.
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
2. Kapitel Erinnerungen
Erinnerungen

Warum habe ich keine Vergangenheit?
Alles scheint ausgelöscht, so als hätte es mich vor der Mine nicht gegeben.
Warum bin ich hier in dieser Zelle und nicht tot?
So viele Fragen und keine Antworten – nur Angst. Unbeschreibliche Angst, vor einer unbekannten Vergangenheit und einer eben solchen Zukunft.

Ich weiß nicht, wie ich mich legen soll. Mein Körper brennt wie Feuer. Ich spüre, wie die Haut in Fetzen runter hängt. Jeder Knochen, jeder Muskel, ja jede Faser schmerzt. Nur mit Mühe kann ich mich bewegen. Stöhne immerzu. Fühle mich wie ein Tier auf der Schlachtbank.
Ich warte. Worauf?
Starre die Metalltür an.
Vielleicht geht sie auf und sie holen mich endlich, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Nein, das werden sie nicht, nicht nachdem sie mich desinfiziert haben.
Wer zum Kuckuck sind „sie“?
Wer bin ich?
Dieser Name, an den ich mich erinnert habe, ist das meiner?
Es ist zum Verzweifeln.

Ich merke, wie sich mein Verstand verabschiedet. Ich werde irre. Schreie, lache, tobe, weine – alles gleichzeitig. Dann liege ich nur noch da und starre auf die Metalltür.
Haben die mich vergessen?
Das hier ist für mich schlimmer als die Mine. Dort waren wenigstens Leute um mich. Ich fühlte Leben, auch wenn ich geschlagen wurde.
Hier ist nichts. Ich bin ganz alleine. Immer das helle Licht und diese erdrückende Stille.
Jeder Laut, den ich von mir gebe, jedes Stöhnen kommt mir unendlich laut vor. Ich bin wahnsinnig vor Angst.
Was wird geschehen?
Kommt irgendwann jemand?
Ich bin so durstig. Warum darf ich nichts trinken?
Wollen die mich verdursten lassen?

Ich falle in Dämmerschlaf und träume von riesigen Raumschiffen.
Ich sehe Sterne.
Ein Feuergefecht jagt das andere. Schiffe explodieren, enden als Staub und Schrott in den Weiten des Alls. Eines entfernt sich von den anderen und – ich erwache.
Finde mich schreiend auf dem Boden wieder.
Mein Magen dreht sich um. Ich würge und spucke. Es kommt nichts. Die Angst lässt sich nicht auskotzen. Mit tränenverklebten Augen schaue ich auf und sehe Stiefel.
Ich hebe den Blick – Hose, Jacke, verschleiertes Gesicht.
‚Scheiße’, denke ich und weiß nicht, warum ich plötzlich Panik fühle.
Irrational.
Jetzt stehen die Stiefel genau vor mir. Sie glänzen im Licht.
„Aufstehen!“, befiehlt der Soldat.
Ich versuche es, komme aber nicht hoch, falle wieder um. Behandschuhte Hände packen mich an jeder Seite und bringen mich weg.
„Was wollt ihr?“, frage ich voller Angst. Ein Schlag ins Gesicht ist die Antwort. Er lässt mich aufschreien.
Sie schleifen mich einen langen Gang entlang. Immer wieder versuche ich die Füße auf den Boden zu bringen. Es gelingt nicht.

Sie bringen mich in ein Verhörzimmer. Der Raum wird von einem klobigen Schreibtisch dominiert. Dahinter sitzt ein Mann mittleren Alters, der mir bekannt vorkommt. Seine Uniform ist mit Orden behängt. Die beiden Soldaten neben mir nehmen Haltung an, wobei sie den Griff an meinen Armen lösen. Ich sacke zusammen, habe keine Kraft in mir. Brutal zerren sie mich in die Höhe, halten mich eisern fest.
Der Colonell (woher weiß ich seinen Rang?) wirft einen kurzen Blick auf mich. Dann sieht er an mir vorbei, während er spricht: „Dir ist wohl nicht klar, dass der Angriff auf einen Wächter mit dem Tod bestraft wird?“
„Dann mach dem ein Ende“, unterbreche ich ihn müde. Ich will nicht mehr. Es ist genug. Ein Soldat rammt mir den Schlagstock in den Magen. Ich krümme mich, wimmere.
„Schweig! Ich sage dir jetzt, warum du noch lebst und wieder in Militärgewahrsam bist.“
Wieder im Militärgefängnis? Ich war also schon einmal hier.
„Deine Erinnerungen kommen zurück. Das ist Pech. Hier bist du trotzdem namenlos. Im Übrigen kann die Regierung auf einen Märtyrer verzichten.“
Plötzlich weiß ich, dass ich nicht Silvo bin. Ich war sein Erster Offizier. Wir befanden, oder befinden wir uns noch immer, im Krieg – irgendetwas ist damals geschehen. Was? Die Erkenntnis und die Fragen lassen mich schwindeln.
Wie ist mein Name? Warum bin ich ein Gefangener?
Ich weiß jetzt, dass ich bei meinem Volk bin. Warum also?
„Denk gar nicht erst darüber nach. Du bist ein verdammter Verräter und als solcher wirst du behandelt. Karmin hatte wenigstens soviel Schneid, sich selbst zu töten. Aber du warst schon immer ein Feigling. Deshalb lebst du noch.“
„Weshalb bin ich hier? Wer bin ich?“ Ich kann jetzt nicht schweigen.
„Das möchtest du wohl gerne wissen, du elender Verräter, du!“
Plötzlich schießen Erinnerungsfetzen auf mich ein. Kapitän Karmin und ich hatten einen Befehl verweigert. Es ging um den Beschuss irgendeines unterentwickelten Planeten.
„Wir hatten Recht“, sage ich heiser. „Ich würde es wieder tun! Was bringt es, eine Galaxie zu beherrschen, wenn dann niemand in Frieden und Freiheit leben kann?“
Kaum habe ich zu Ende geredet, trifft mich auch schon eine Faust im Gesicht.
Ich spucke Blut und einen Zahn.
„So wirst du deine Frau nie wieder sehen. Kehre zurück zu uns, und ihr seid beide frei.“
Der Colonell blickt mich feindselig an. Woher kenne ich den Typen? Warum ist er so erpicht darauf, mir dieses und jenes zu sagen?
Dann fällt mir ein Name ein.
Stella!
„Wo ist sie?“
Aber er lacht nur.
Dann zerren mich die Soldaten in die Zelle zurück.
Was sollte das?
Wollte er mir Angst machen? Es ist ihm gelungen.
Ich habe panische Angst – um Stella.

Ich denke an sie und schreie meine Frustration laut heraus.
Ihr Gesicht ist nur ein Schemen. Die Erinnerung an eine Erinnerung. Ich weiß nur, dass sie ein liebevoller, friedfertiger Mensch ist, und dass ich sie liebe.
Stella! Liebes, wo bist du?
Du hast mir den anderen Weg gezeigt. Liebe ist besser als Hass. Immer nur nehmen macht auf Dauer alles kaputt. Du hast mich gelehrt, auch zu geben.
Plötzlich fällt mir mein Name ein! Ich weiß wer und was ich bin.
„Sevin Libertas! Erster Offizier der Alpha-Star!“
Das brülle ich in die leere Zelle. So laut, dass es hallt.

Dann denke ich an Stella. Unsere Eheschließung fällt mir ein. Ich habe sie nach Art ihres Volkes geheiratet und ihren Namen angenommen. Es war eine wundervolle Zeremonie. Zuerst wollte ich mich nicht darauf einlassen, aber Tunkasila meinte, die Uniform würde mich so streng erscheinen lassen. „Tunkasila du weißt, dass ich nur diese Sachen habe“, erwiderte ich belustigt. „Und ihr seid ja alle kleiner als ich, also wird wohl nichts passendes dabei sein.“ Der alte Mann lachte, nahm mich an der Hand und führte mich in sein Haus. Dort überreichte er mir einen wunderschönen weißen Wildlederanzug.
„Probier ihn an, Sevin“, drängte er, als ich ablehnen wollte. „Er gehört dir. Nimm ihn.“
Tunkasila drückte mir die Sachen in die Hände und fing bereits an, mir die Uniform auszuziehen. Lachend gab ich nach. Der alte Mann war mir an Sturheit mehr als überlegen. Der Anzug passte wie angegossen, dabei war er nicht neu, was seiner Schönheit keinen Abbruch tat, im Gegenteil. Ich betrachtete mich im Spiegel und war erstaunt. Den Mann der mir da entgegenlachte, kannte ich nicht.
„Du siehst aus, wie der Tokahe auf unseren alten Bildern“, sagte eines der Kinder, die mich abholten. Ich tat, als hätte ich das nicht gehört, es war mir peinlich. Vielen Leuten schien das gleiche im Kopf rumzugehen, denn sie starrten mich mit offenen Mündern an.
„Stella, ich glaube, du hast dir den richtigen ausgesucht. Er ist zwar etwas blass um die Nase, aber er scheint schon zu passen“, sagte ihre Mutter lachend und führte sie auf den Platz.
Jetzt war es an mir, mit offenem Mund zu starren. Ich konnte nur staunen, so reich behängt war sie, meine wunderschöne Braut. Ihre Augen strahlten noch mehr als alle Juwelen und Glasperlen mit denen sie geschmückt war. Ihr weißes Kleid hob sich elegant von ihrer dunklen Haut ab.
‚Oh, was für eine schöne Frau und sie will mich’, dachte ich gerührt und fühlte mich geehrt.
Wie in Trance führte ich alles aus, was zu der Zeremonie gehörte. Ich konnte meine Augen nicht von Stella wenden.
Nach der Trauung gab es das übliche Fest. Es wurde gelacht und gesungen. Ich tanzte sogar mit den Männern einen Gruppentanz.
Dann trat Tunkasila vor und sprach: „Leute, meine liebe Sippe und alle Verwandten, die ihr heute hierher gekommen seid, seht wir haben ein neues Mitglied in unserer Gemeinschaft. Sevin, komm einmal her zu mir.“ Er reichte mir die Hand und ich trat zögernd vor. Ich fühlte mich unbehaglich so im Mittelpunkt des Geschehens.
„Vor euch allen hier adoptiere ich Sevin als Mitglied meiner Sippe. Fortan wird er Sevin Libertas sein – unser Sohn.“
Damit hatte ich nicht gerechnet und ich umarmte den alten Mann spontan. „Ich werde versuchen, dir ein guter Sohn zu sein“, nuschelte ich in sein Haar. Er lachte nur und meinte ich solle Stella ein guter Gatte sein, mehr würde er von mir noch nicht verlangen.
Diese Worte kamen mir rätselhaft vor und ich wollte ihn schon danach fragen, aber ich bekam keine Gelegenheit dazu und später vergas ich es. Alle wollten mir die Hand schütteln und gratulierten mir und Stella zu unserer Zusammengabe. Dann wurde wieder getanzt, gesungen und leider auch gesoffen. Ich denke, ich trank zuviel von dem gegorenen Beerensaft und Stella hatte nicht mehr viel von mir.
Auf jeden Fall tat mir am nächsten Tag der Kopf höllisch weh. Stella lachte mich aus und schallt mich einen Dummkopf, womit sie recht hatte. Ich vertrage einfach keinen Alkohol.

Kurze Zeit später wurde ich degradiert und meines Kommandos enthoben. Erst als mich Silvo Karmin anforderte, bekam ich wieder eine Kommandofunktion.
Jetzt fällt mir auch der Streit mit meinen Eltern wieder ein. Er muss schrecklich gewesen sein, denn sie verwiesen mich des Hauses. Warum sehe ich meine Eltern nicht?
Ich höre sie toben und mich beschimpfen, aber ich sehe nichts. Wer seid ihr?
Krampfhaft suche ich nach der Erinnerung und finde nichts weiter als dumpfe dunkle Leere.

O Stella, hoffentlich haben sie dir nichts getan.
Sippenhaftung, fällt mir jetzt ein. Das ist bei uns übliche Verfahrensweise. Die ganze Familie wird verhaftet, selbst Kinder.
Ich werde wahnsinnig vor Angst um sie und bin gleichzeitig froh, dass wir keine Kinder haben. Immer wieder rufe ich ihren Namen, heule und schluchze.
„Stella!“ Meine Schreie springen von den Zellenwänden zurück, treffen mich mit eiserner Faust, zerquetschen den Hörsinn und lassen mich taub zurück.
Dann trommelt jemand gegen die Zellentür und brüllt: „Ruhe, du Schwein, sonst komm ich rein und zieh dir eins über!“
Angst vor neuerlichen Schlägen lässt mich schweigen. Die Stille fasst nach mir und schüttelt mich, erstickt mich mit ihrer Dichte.
Ich versuche endlich zu schlafen. Doch Schmerzen, Angst und Durst lassen mich nicht zur Ruhe kommen.

Stunden später, in denen mich der Gedanke an Wasser quält, öffnet sich eine Luke in der Tür und eine schwarz behandschuhte Hand schiebt ein Tablett herein. ‚Wasser’, denke ich und stürze mich darauf. Es ist warm. Das macht mir nichts. Ich fühle mich so ausgetrocknet, dass ich sogar Schmutzwasser getrunken hätte. Langsam esse ich den eigentümlichen Brei. Ich muss mit den Fingern essen. Aus Angst vor Selbstmorden wird den Gefangenen Besteck und Bettzeug vorenthalten.

„Ich bin Leutnant Sevin Libertas, Erster Offizier der Alpha-Star, verheiratet mit Stella Libertas, Priesterin auf Trebis!“, rufe ich, als das Tablett wieder abgeholt wird. Ich will, dass alle wissen, wer und was ich bin.

Vom ungewohnten Essen habe ich Magenschmerzen bekommen. Ich lege mich auf die Pritsche und denke an Stella. Diese wunderbare, schöne, liebreizende Person. Ganz deutlich sehe ich ihr Gesicht vor mir: hohe Wangenknochen, leicht schräg stehende blaue Augen, ein sinnlicher Mund, die kleine Stupsnase und alles eingerahmt von dunklem seidig glänzendem, langen Haar.
Stella, meine Liebe. Ihre Augen strahlen Licht, Wärme, Leben und Liebe aus.
Sie hat mich vom harten Soldaten zu einem liebevolleren Menschen geführt.
Woher komme ich?

Ich weine um unsere Liebe, um meinen toten Freund und um die vielen Toten, die in einem grausamen, unnötigen Krieg getötet wurden – hingemetzelt von einem Feind, der sich nie zeigte.
„Warum bin ich hier?“, grüble ich. Den Märtyrerscheiß glaube ich keine Sekunde lang. Da muss noch etwas anderes dahinter stecken.

Tagelang bin ich alleine, sehe nur die schwarze Hand, die das Essen bringt und das Tablett wieder abholt. Ich warte und warte. Mein Leben scheint nur noch aus warten und starren zu bestehen. Die grauen Wände der Zelle beginnen sich um mich zu schließen. Ich fühle mich erdrückt davon, bekomme Atemnot. Klaustrophobie, fällt mir dazu ein. Wieder ein Wort aus der Vergangenheit. Ein Raumfahrer darf nicht darunter leiden.
Warum fühle ich es jetzt?
Ist es die Enge?
Die Gleichförmigkeit?
Das Nichtstun?
Alles zusammen?
Erinnerungsfragmente beginnen sich zu einem Ganzen zu formen. Durch die Untätigkeit bin ich gezwungen, mich mit den Gedanken zu beschäftigen. Ich möchte nicht verrückt werden. Ich möchte nicht verrückt werden, sage ich mir vor.
Warum lebe ich noch?
Macht das überhaupt Sinn?
Ich möchte mich bewegen können. Jede Anstrengung lässt eine andere, fast verheilte Wunde aufbrechen, dann blute ich wie ein abgestochenes Schwein. Also lasse ich es sein und konzentriere mich auf den Geist.

Ich denke an Stella. Unsere schöne gemeinsame Zeit in ihrer Heimat, nein unserer. Ich hätte den Dienst quittieren und dort bleiben sollen aber sie sagte immer: „Sevin, du bist genau dort, wo du hingehörst.“ Das höre ich sie sagen, wenn ich mir Vorwürfe mache und ich verstehe es heute ebenso wenig wie damals. Wo immer sie auch sein mag, ich liebe sie wie am ersten Tag. Wir hatten uns auf eine sonderbare Art und Weise kennen gelernt. In Erinnerung daran muss ich lachen. Es war wirklich zu komisch. Wir sollten Trebis erkunden. Es war so ziemlich meine einzige Forschungsmission. Der Erkundungstrupp bestand neben den üblichen Soldaten aus einem Botaniker und einem Geologen, auf einen Anthropologen hatte ich verzichtet, das wollte ich selbst erledigen. So hatte ich Gelegenheit den Planeten kennen zu lernen.
Als wir aus dem Shuttle stiegen stand sie da wie angewurzelt. Ich ging als erster raus und blieb im offenen Schot stehen, die anderen drängten nach vor und schoben mich auf sie zu. Dann drängten noch die Soldaten nach. Schließlich landete ich in ihren Armen und verdeckte sie ganz. Sie schlang haltsuchend ihre Arme um mich. So standen wir stocksteif in einer unerwarteten Umarmung und ich versuchte, sie nicht umzuwerfen. Als ich das Gleichgewicht wieder gefunden hatte sagte ich in verschiedenen Sprachen: „Tut mir Leid, dass ich dich umgerannt habe.“ Als sie nur dastand und lächelte sagte ich weiter: „Du scheinst nicht erstaunt zu sein, dass wir aus einem fliegenden Fahrzeug steigen.“
„Nein“, sagte sie, schob mich von sich und starrte mir weiterhin ins Gesicht. Ich dachte schon, dass ich vielleicht einen Ausschlag oder so etwas bekommen hatte und drehte mich verlegen um. Meine Mannschaft grinste dämlich.
„An die Arbeit. Sie wissen was Sie zu tun haben!“, kommandierte ich überlaut, um meine Verlegenheit zu kaschieren.
„Ähm. Ich bin Sevin und leite diese Erkundungstruppe“, sagte ich kurz angebunden.
„Ich bin Stella und ich bin hier zuhause“, antwortete sie ebenso knapp und lächelte schelmisch.
Noch nie im Leben hatte ich eine so schöne Frau gesehen, ich konnte die Augen nicht von ihr lassen. Ich denke, ich war sehr unhöflich, weil ich nur gestarrt habe.
„Sevin“, murmelte sie und nickte als würde sie etwas verstehen, das sie vorher nicht verstanden hatte.
„Ich bringe dich ins Dorf. Tunkasila wird dich kennen lernen wollen. Ich glaube, er hat dich erwartet.“
Jetzt staunte ich noch mehr. Wie konnte es sein, dass sie uns erwartet hatten? Das alles erfuhr ich später im Dorf.
Ich befahl den Soldaten auf die Wissenschafter zu achten und das Shuttle zu bewachen. Dann folgte ich Stella, mehr als neugierig geworden. Ihre Sprache war nicht schwierig und ähnelte einer mir bereits bekannten, so war die Verständigung kein Problem.
Das Dorf kam mir seltsam vertraut vor. Es war erschreckend. Der alte Mann trat auf mich zu, umarmte mich und sagte: „Ich wusste, dass du kommen würdest, mein Junge.“
Diese Worte ließen mich erstarren. Woher sollte er wissen, dass ich kommen würde? Aber ich wollte mehr darüber wissen und so unterhielten wir uns bis Sonnenuntergang. Als ich gehen musste verabredeten wir uns für den nächsten Tag.
Zum Glück brauchten der Botaniker und der Geologe noch etwas Zeit für ihre Untersuchungen und ich konnte mich ganz offiziell an Stella ranmachen. Nichts anderes war es. Die Anthropologie war nur mehr ein Vorwand, um sie zu treffen. Wir saßen stundenlang am Fluss und schauten dem Wasser zu. Sie konnte vortrefflich schweigen – es war ein geselliges Schweigen. Nie habe ich mit jemandem mein Leben so genossen.
Als ich wieder weg musste, wussten wir beide, dass wir uns wieder sehen mussten. Fortan verbrachte ich meine gesamte Freizeit auf Trebis.

Die angenehmen Erinnerungen werden von der Angst um sie verdrängt. Ich hoffe, dass sie in Sicherheit ist. Aber die Hoffnung ist sehr gering, nicht mehr als ein Funke.
Warum kann ich mich plötzlich an so viele Details aus meinem Leben erinnern?

Plötzlich steht mir was anders vor Augen. Es ist, als wäre es gerade erst geschehen. So deutlich sind die Bilder.
Der Kapitän ließ mich holen. Er war ärgerlich, nein zornig ist der bessere Ausdruck. Silvo stand am Fenster, die Hände hinter dem Rücken. Ich konnte sein Gesicht als Spiegelung erkennen. Seine helle Gesichtshaut wirkte fast durchsichtig, die braunen Augen schienen sich durch die Dunkelheit des Alls zu bohren. Als ich salutierte drehte er sich um. Kurz erhellte ein Lächeln sein Gesicht, dann wurde er wieder ernst.
„Setz dich Sevin“, sagte er, bot mir Kaffee an, den ich ablehnte. Dann reichte er mir einen schriftlichen Befehl. Ich las und war sprachlos, endlich fragte ich: „Was gedenkst du zu tun, Silvo?“ Untereinander waren wir per „du“, so gut waren wir befreundet. Vor der Mannschaft immer mit Rang, das war uns wichtig.
Er schien darüber nachzudenken. Dann meinte er zögernd: „Auch, wenn du mich jetzt für einen kompletten Vollidioten hältst, Sevin, dieser Befehl wandert in die Rubrik: „nie gelesen“. Was bilden die sich ein?“ Er sprang auf und lief im Büro herum während er weiterredete: „Wir sollen da so einen unterentwickelten Planeten entvölkern, nur weil er strategisch günstig liegt. Da hol mich doch der Teufel, oder wer auch immer, das ist sogar mir zuviel! Die Leute wissen nicht was mit ihnen geschieht, geschweige denn dass es uns gibt. Wir sollen einfach so drauflos ballern und gut ist. Das geht nicht. Das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Ich kämpfe gegen jeden ehrbaren Feind, der sich wehren kann, da scheue ich mich nicht, ein persönliches Risiko einzugehen, aber das da …“ Fassungslos verstummte er und nahm wieder am Schreibtisch platz.
„Du lehnst dich ganz schön weit aus dem Fenster, wenn du so redest“, sagte ich, aber ich nickte dabei. Silvo wusste, dass ich seine Ansicht teilte.
Ich halte unsere Entscheidung bis heute für richtig, ganz gleich, was es mich kosten mag. Ich werde nichts zurücknehmen!
Wir diskutierten eine Weile darüber, wie wir am besten vorgehen sollten, damit die Mannschaft nicht unsere Entscheidung zu büßen hätte und wir halbwegs glimpflich aus der Sache hervorgehen könnten. Aber alle Gedanken daran waren verschwendet.
Plötzlich glitt das Schot auf und Edwyn Lop’art trat ein. Er war der Zweite Offizier. Ein Mann mit Ambitionen. Hinter ihm standen, sich auf die Füße blickend, fünf Sicherheitsleute. Lop’art brüllte: „Sie sind Ihres Kommandos enthoben!“
Silvo lachte. Dann sagte er todernst: „Sie wissen, dass das Meuterei ist, Commander? Für diese Tat brauchen Sie einen triftigen Grund.“
Er nickte selbstgefällig, bevor er sagte: „Ja Kapitän, den hab ich. Mir ist bekannt, dass Sie den Befehl des Flottenkommandos nicht befolgen werden. Ich habe den Auftrag, Sie in Gewahrsam zu nehmen und jeden, der sich bei Ihnen befindet. Und genau das werde ich jetzt machen. – Mitkommen!“
Seine Stimme war schneidend, eiskalt, berechnend.
„Seit wann werde ich abgehört?“, verlangte Silvo zu wissen. Darauf bekam er nie eine Antwort. Die Sicherheitsleute nahmen uns in die Mitte und brachten uns in den Arrestbereich. Von Silvo sah ich ab diesem Zeitpunkt nie wieder etwas, hörte auch kein Lebenszeichen von ihm. Erst seit ich hier bin, weiß ich, dass er tot ist.
Dann fällt mir noch etwas ein. Lop’art sagte, nachdem der Planet beschossen worden war: „Libertas, deine Frau werden wir auch bald kriegen. Du kommst auf der nächsten Basis ins Militärgefängnis und wirst dort dein Urteil empfangen, solltest du dich nicht selbst töten“ Ich hörte nur, dass sie Stella suchten. An nichts anderes konnte ich denken. Ich verweigerte die Giftkapsel, in der Hoffnung Stella zu sehen oder vielleicht auch, angehört zu werden.
Die Zeit bis zum Urteilsspruch versetzten sie mich in Stasis. Jeder wusste, wie sehr ich das hasse. Erst kurz vor der Verhandlung weckten sie mich. Ich war im Militärgefängnis auf Andor, dem berüchtigtsten Kerker der Galaxie. Mehrere Soldaten eskortierten mich aus der Zelle in den Gerichtssaal. Meine Augen waren blind vor unterdrückten Tränen. Die Angst saß mir im Nacken, ich spüre sie noch heute ganz deutlich, obwohl mir wahrscheinlich noch Schlimmeres bevorsteht.
Im Gerichtssaal wurde ich in den Käfig für die gefährlichsten Verbrecher gesperrt, an Händen und Füssen gefesselt und am Gitter festgezurrt.
Auf der Anklagebank saß mein sogenannter Pflichtverteidiger, der sich nicht mal die Mühe machte, mit mir zu sprechen, geschweige denn mich anzusehen. Als ich ihn sah, wusste ich, dass die ganze Verhandlung eine Farce war, eine Zurschaustellung der Macht. Auf der Seite der Regierung, also der Ankläger, sah ich einen alten Bekannten, Leutnant Lop’art und einen Admiral, auch eine Frau saß dort, die kannte ich nicht.
Dann begann der Richter mit der Verlesung der Anklage. Mein Hirn wurde leer, als ich meine angeblichen Taten hörte: „Anstiftung zur Meuterei, Befehlsverweigerung, Beihilfe zur Flucht, Gründung einer terroristischen Vereinigung, Spionage und Volksverrat.“
Danach fragte der Richter, ob ich mich schuldig bekennen würde. Mein Verteidiger antwortete: „Schuldig in allen Punkten, Euer Ehren.“
Aber ich rief dazwischen: „Nicht schuldig! Ich habe nichts getan! Ich bin kein Terrorist und kein Spion! Ich habe unser Volk nicht verraten! Bitte, glauben Sie mir, Euer Ehren!“
„Schweig still, Angeklagter!“, brüllte er in meine Richtung und ich wusste, dass das Urteil unumstößlich war. Es gab keine Chance auf eine weitere Anhörung. Ich war schuldig gesprochen ohne Möglichkeit zur Verteidigung. Das ließ mich nicht mehr an der Richtigkeit meiner Gedanken zweifeln. Diese Regierung und dieses Militär tun nur nach außen hin, als würden sie sich für die Bevölkerung einsetzen und allen das gleiche Recht gewähren.
Nach der Verlesung der Anklage und des Schuldeingeständnisses meines Verteidigers, machten sie eine Stunde Pause, während dieser ich im Käfig stehen musste. Nach der Zeit in der Stasiskammer waren meine Muskeln geschrumpft. Schon bald merkte ich, wie die Beine unter mir nachzugeben drohten. Nur mit Mühe gelang es mir, stehen zu bleiben. Ich lehnte mich an das Gitter und hoffte, dass es bald vorbei sein würde. Die Kameras der Übertragungseinheiten hatten mich immer im Blick, ebenso die Schaulustigen, die zum Scheinprozess gekommen waren. Sie bespuckten und beschimpften mich als Verräter. Ich verstand nicht, womit ich diese Behandlung verdient hatte.
In einiger Entfernung stand der Admiral und beobachtete mich ebenfalls. Sein Blick war steinhart und mitleidlos. Die Uniform schien mich mit ihrem Glanz zu verhöhnen. Es kam mir vor, als wollte sie sagen: „Siehst du Sevin, auch du hättest das tragen können. Auch du hättest es so weit bringen können, wenn du dich an die Spielregeln gehalten hättest.“ Aber das hatte ich nicht. Ich hatte meinen eigenen Kopf benutzt und eigene Entscheidungen getroffen.
Dann kamen endlich die Richter zurück und verkündeten das Strafausmaß: Lobotomie und anschließend Strafarbeit in den Minen von Lysan.
Das war schlimmer als der Tod.
Ich fiel in mich zusammen.
„Ich bin kein Spion! Da liegt ein Fehler vor!“, rief ich verzweifelt, während mich Soldaten wegzerrten. „Admiral, ich bin kein Verräter! Warum glaubt mir denn keiner?!“
Er wandte mir nur den Rücken zu und ging. Lop’art hingegen grinste mir unverhohlen ins Gesicht und ich erkannte, dass er die ganze Sache eingefädelt hatte.
Wenn ich daran denke, werde ich immer noch zornig. Ich hasse diesen Kerl!
Lobotomie, eine Hirnoperation, seit mehr als 100 Jahren eigentlich verboten, wird bei Verrat oder Spionage immer noch angewendet.
Bei mir hat sie versagt.

Ich bin so in meinen Erinnerungen, Selbstzweifeln und Fragen gefangen, dass ich nicht merke, wie jemand die Zelle betritt.
„Mitkommen!“, brüllt die Person.
Ich fahre hoch. Zittere vor Schreck. Zwei Männer packen mich an den Oberarmen und schleifen mich ins Büro des Colonells.
„Na, willst du deine Einstellung nicht ändern?“, fragt er, als ich vor ihm stehe. Ich starre weiter gerade aus, will ihn nicht ansehen. Er kommt hinter seinem Schreibtisch vor. Ein Soldat zwingt mich, dem Offizier ins Gesicht zu sehen. Dieser streicht seine Uniformjacke glatt und lächelt mich wissend an.
„Hast du es dir nicht überlegt? Eigentlich will ich dir ja nichts Böses, du tust es dir selbst an, indem du falschen Lehren folgst. Noch ist es nicht wirklich zu spät. Du könntest zurück kommen.“
Das Angebot ist verlockend. Die Einzelhaft zehrt an mir. Ich fühle meinen Willen schwanken. Dann denke ich daran, dass diese Regierung sich nichts dabei denkt, einen ganzen Planeten zu entvölkern, alle zu töten, die sie für unwert hält. Ich straffe die Schultern und sage schlicht: „Nein. Ich bleibe dabei.“
Der Colonell nickt. „Das habe ich befürchtet.“
Er dreht den Kopf zu Seite und mich durchbohrt ein Stich. Der Schock der Erkenntnis lässt mich zusammen sacken. Ich merke, wie mir die Farbe aus dem ohnehin bleichen Gesicht rinnt. Alles Blut läuft in die Beine, diese sind schwer wie Blei. Im Kopf summt es wie ein Bienenschwarm, mich schwindelt.
Ich flüstere: „Lukas? Du bist dafür verantwortlich?“
„Schweig!“, herrscht er mich an. „Du hast hier ungefragt nichts zu sagen!“ Ein Schlagstock saust auf mich nieder. Ich krümme mich vor Schmerzen. Aber er geht tiefer, nicht nur vom Schlag, sondern von der Erkenntnis fühle ich mich getroffen. Die Beine geben endlich nach und ich lande auf dem Boden. Brutal ziehen mich die Soldaten wieder hoch. Jemand packt mich an den nachwachsenden Haaren und zieht daran, bis mein Kopf tief im Nacken liegt. Dann drücken sie mich auf einen Stuhl und fesseln mich. Einer hält mich noch immer an den Haaren, zieht immer fester nach hinten. Der Hals spannt, meine Augen brennen. Ich röchle und versuche wieder in eine normale Position zu kommen. Endlich lässt er los. Lukas schaut mich an. Ich kann nicht erkennen, was er denkt oder fühlt.
Brüder waren wir einst, heute bin ich sein Feind. Ich bin traurig darüber, und habe Angst.
Lukas stellt einen Hologramm-Projektor auf den Tisch. Ein Soldat fixiert meinen Kopf, sodass ich ihn nicht mehr bewegen kann.
„Schlussendlich haben wir deine Hure ja gefunden. Du willst sicher wissen, wie es ihr geht. Jetzt kannst du miterleben, was die so treibt, wenn du nicht da bist. Sieh nur genau zu – das passiert jetzt gerade.“
Er grinst mich gemein an und schaltet das Holo ein. Die Angst schnürt meine Kehle zu.
Stella! Ich sehe, wie sie in ein Verhörzimmer gebracht wird – und mein Herzschlag setzt aus. Diese Drecksäcke reißen ihr das Kleid runter, fesseln und schlagen sie. Dann vergehen sie sich einer nach dem anderen an ihr. Sie gibt keinen Laut von sich, lässt es scheinbar reglos über sich ergehen. Aber an ihrem Gesicht kann ich das Leid sehen, den Schmerz und die Demütigung.
„Nein!“, rufe ich. „Stella! Tecihila! Tecihila! Tecihila! Warum tut ihr, Schweine, das? Sie hat euch nichts getan! Lasst sie gehen! Mitawin, tecihilia!“
Die Fesseln schneiden tief in die Haut, als ich versuche aufzuspringen. Am liebsten hätte ich die Kerle umgebracht, die Stella so quälen, und nicht nur die!
Immer wieder rufe ich in ihrer Sprache. Ich weiß nicht, ob sie mich sehen oder hören kann. Sie blickt in meine Richtung, zumindest bilde ich es mir ein.
„Tecihila! Ich liebe dich!“
Eine Faust trifft mich am Kinn und der Colonell sagt: „Du wirst nur mehr in einer zivilisierten Sprache reden.“
„Huka, ich fürchte mich nicht.“ Es ist eine Lüge, die Angst ist riesengroß.
Ich bekomme noch mehr Schläge und werde dann wieder gezwungen auf das Holobild zu sehen.
Lange quälen sie Stella und ich muss zusehen, ohne ihr beistehen zu können. Welche Art von Menschen sind das, die einem anderen so etwas antun?
Meine Schöne! Warum tun die dir das an?
Du hast in deinem ganzen Leben keiner Seele ein Leid getan. Ich weine mit dir mit und schreie immerzu: „Hört endlich auf! Lasst sie in Ruhe!“
„Du heulst wie ein Baby“, höhnt Lukas. „Jetzt weiß deine Schlampe einmal, wie es ist, von einem richtigen Mann genommen zu werden. Bei der heißen Braut würde auch gerne mal ran.“ Tobias lacht laut und schallend und tritt mir dann in die Eier. Das lässt mich abermals aufschreien.
Endlich ist es vorbei. Stella wird fortgebracht. Sie hängt nur noch zwischen den Soldaten, kann nicht stehen und gehen. Mitleidlos schleifen sie die Wachen fort
„Tecihila“, sage ich noch einmal leise.
Ich möchte wieder aufspringen, die Fesseln halten mich erbarmungslos fest. Der Soldat hinter mir zieht mich wieder an den Haaren bis mein Kopf ganz weit im Nacken liegt.
Lukas baut sich vor mir auf und zischt mich an: „Na, das war doch mal ein Augenöffner, oder? Was ist? Steht deine Entscheidung, oder willst du noch einmal etwas ändern?“
„Du hundsgemeines Arschloch“, bringe ich mühsam zwischen den Zähnen hervor. Der Griff am Kopf lockert sich und ich muss geradeaus sehen, genau in Lukas Gesicht. Ich nutze die Gelegenheit und spucke ihn an. Der schlägt mir daraufhin die Faust auf die Nase.
„Gut, wenn das deine Antwort ist, dann trag auch die Konsequenzen.“
Dann gibt er einen Befehl, den ich nicht verstehe. Sie machen mich los und bringen mich in einen anderen Raum. Dort werde ich an einen Deckenhaken festgebunden. Die Beine an den Knien und Sprunggelenken gefesselt. Ich kann gerade noch den Boden berühren.
‚Nein’, denke ich und beiße die Zähne fest aufeinander. Zu oft wurde ich in der Mine ausgepeitscht.
Warum lebe ich überhaupt noch? Das ist eine Frage, die mich immer wieder plagt und nicht zur Ruhe kommen lässt. Zu gerne wäre ich schon gestorben und hätte meinen Frieden gefunden. Während der ersten Schläge denke ich an Stella. Ich versuche nicht zu schreien. Aber als ich wie ein Pendel hin und her schwinge und von den Peitschenhieben getroffen werde, fange ich an zu brüllen.
„Tötet mich doch endlich!“, schreie ich, weil ich es nicht mehr aushalten kann.
Dann weiß ich nichts mehr.
Ich kann nicht mehr.

Irgendwann klatscht mir Eiswasser ins Gesicht. Es sticht wie tausend Nadeln in die Haut.
Ich schnappe nach Luft und schreie.
Noch immer hänge ich von der Decke und fühle das Blut über den Rücken laufen.
Lukas steht vor mir. Der Hass in seinen Augen lässt mich schaudern.
Warum hasst er mich so? Ich habe ihm doch nie etwas Schlechtes getan. Oder etwa doch? Habe ich es vergessen?
„Warum?“, keuche ich und schaffe es trotz der Erschöpfung den Kopf zu heben und in sein Gesicht zu schauen.

Ich fühle mich schuldig und elend, weil ich Stella nicht helfen konnte. Mit jedem Hieb hat sich die Schuld tiefer in mich gefressen.
„Warum?“, frage ich nochmals.
Ganz nah kommt er nun an mich ran. Ich fühle seinen warmen Atem auf der Wange. Dann flüstert ihr mir ins Ohr: „Damit die Familie von dir rein gewaschen ist, du elender Verräter. Du hast uns alle hintergangen: die Familie, den Planeten, die Armee – alle. Du und deine verdammten Ideen. An dir werde ich ein Exempel statuieren. Alle sollen sehen, dass sich umstürzlerisches Gerede nicht lohnt. – Seit du Stück Dreck auf der Welt bist, bist du mir im Weg.“
„Warum?“
„Du hättest entsorgt werden sollen, nur Vater wollte wissen, wie du dich entwickelst! Besser wäre es gewesen, wenn sie dich gleich auf den Müll geworfen hätten“, faucht er mir seinen Atem ins Gesicht. Ich kann ihn nur anstarren, habe alles vergessen. Nie hätte ich gedacht, dass sein Hass so tief geht und schon so lange andauert. Immer wieder genährt durch meine Anwesenheit und jetzt hat er dafür ein Ventil gefunden. Er darf mich nach Herzenslust quälen.
„Sie haben dich Mutter nur gelassen, weil die Ärzte herausfanden, dass du angeblich ein Super-Gen hast. Und ich schwöre dir, ich werde es aus dir rausprügeln, du Missgeburt!“
Wie von Sinnen schlägt er mit den Fäusten auf mich ein und nimmt dann die Peitsche. Immer wieder schlägt er damit auf mein Gesicht und meinen Oberkörper. Ich habe keine Kraft mehr, kann nicht einmal mehr schreien.
Endlich scheint seine Wut verraucht. Schwer atmend steht er vor mir. Ich kann nichts erkennen. Meine Augen sind zugeschwollen, Blut läuft mir übers Gesicht.
Ich fühle, wie er mein Kinn anhebt, mir ins Gesicht spuckt und schließlich sagt: „Für deine Tat wird jemand anders mit dem Leben bezahlen. Ich werde nicht zulassen, dass du mein Leben zerstörst!“
Er klingt verächtlich und seine Worte schneiden mir das Herz heraus. Sie dringen tiefer in die Haut, als die Peitschen es vermögen. Lukas dreht mir den Rücken zu und redet mit den Soldaten.
„Schafft mir das stinkende Stück Dreck aus den Augen.“ Seine Stimme ist eiskalt, als er sich noch einmal an mich wendet: „152.370 du hast keine Familie. Bald bist du ganz alleine auf der Welt.“
Es dauert etwas bis ich begreife, was er damit sagen will.
„Nein! Nicht Stella! Nicht sie! Nehmt mich und lasst sie gehen“, rufe ich, als sie mich zurück in die Zelle schleifen.

Mit einem harten Ton fällt die Tür ins Schloss. Ich werfe mich dagegen. „Nicht Stella!“
Dort breche ich zusammen und bleibe liegen. Ein nasser, blutiger Haufen Mensch, oder weniger als das. Sie werden Stella töten und ich muss weiter leben.

Schluchzend liege ich da, gekrümmt, geschunden – kein Mensch mehr.
Keine Zukunft, keine Vergangenheit.
Keine Familie – kein Leben.
Alles was bleibt sind Verzweiflung und ein abgrundtiefes Schuldgefühl. Ich merke wie sich Hass in mir breit macht. Seine Flamme wird noch durch Scham genährt, weil durch mich Stella leiden muss.

Mein Leben zieht an mir vorüber. Alle meine Taten als junger Pilot.
Ich war ein richtiger Draufgänger, mutig, gehorsam und zum Teil auch grausam. Die Fliegerei war mein Leben, Alles was ich mir erträumte, war ein Kommando, mit einem Raumschiff durchs All zu fliegen, die Galaxie zu erforschen. Aber ich war auch Soldat, das hemmte den Forscherdrang in mir. Ich war ein ausgesprochen guter Taktiker und hatte eine Nase für den richtigen Zeitpunkt. Außerdem waren bei Verhandlungen mit dem Gegner meine Sprachkenntnisse von Vorteil. Es ist immer besser mit den Leuten in ihrer Sprache zu sprechen, weil sie sich dann ernst genommen fühlen und leichter auf Forderungen eingehen.

Nach einem spektakulären Angriff, den ich geleitet hatte, wurde ich schließlich befördert. Ich war der jüngste Kapitän der Flotte und ich bildete mir viel darauf ein, obwohl ich dahinter kam, dass Vater maßgeblich an der Beförderung beteiligt gewesen war. Trotzdem behielt ich das Patent.
Vater war damals sehr stolz auf mich gewesen. Ich war sein ein und alles. Er lobte mich in den Himmel. Wenn ich mich jetzt daran erinnere, erkenne ich, wie unfair das Lukas gegenüber war, der sich immer alle erdenkliche Mühe gab und nie an meine Leistungen heran kam. Schon damals hatte er gegen mich intrigiert und versucht, mich bei Vater schlecht zu machen. Mutter hatte er bereits so weit, dass sie mich für ein Ungeheuer hielt. Wir hatten von Anfang an kein gutes Verhältnis zu einander, was wohl an den vielen Untersuchungen lag, die ich ständig über mich ergehen lassen musste. Auch sie wurde immer wieder befragt und untersucht, weil man sich meine Existenz nicht erklären konnte.

Ein Jahr lang kommandierte ich einen Angriffskreuzer. Ich führte alle Befehle bedenkenlos und kalt aus, bis ich Stella kennen lernte. Von da an dachte ich immer häufiger über die Sinnhaftigkeit so mancher Order nach. Ich legte nun einige nach meinem Willen aus und modifizierte die Durchführung. So konnte ich doch das eine oder andere Gemetzel verhindern oder weniger blutig ausgehen lassen.
Jetzt denke ich, dass sie damals begannen mich zu überwachen.
Ich hätte ganz auf die Karriere verzichten sollen, aber die Raumfahrt war meine Leidenschaft. Stella hatte sich nie wegen meiner häufigen Abwesenheiten beklagt. Die Zeit, die wir zusammen verbrachten, waren wir glücklich. Das war die Hauptsache.
Jetzt hat uns mein Egoismus ins Gefängnis gebracht.

Die Weite des Alls, die Sterne, das Gefühl der Freiheit. Ich werde es nie wieder erleben, nie wieder die Sterne sehen, Stella!
Nun bin ich hier, gefangen in der Gräue und den Gräueln dieser Welt.
Es wird kein Entkommen geben, weder für sie noch für mich.
Folter und Tod – etwas anderes dürfen wir nicht erwarten.

Ich beginne zu träumen, sehe Stella vor mir. Sie wirkt so real. Ich greife nach ihr, fasse ihre Hand. Sie lächelt mich an. Dann sagte sie: „Endlich, konnte ich zu dir kommen, Sevin. Sei nicht traurig, wenn ich gehe. Die Saat des Lichts ist gelegt, auch wenn wir die Ernte nicht mehr erleben werden.“ Sie lacht.
„Mein lieber Schatz, es tut mir alles so Leid“, sage ich und drücke sie fest an mich.
„Das braucht es nicht. Es ist nicht deine Schuld.“
„Wenn ich nicht gewesen wäre, hätten sie dich in Ruhe gelassen. Niemals hätten sie …“ Ich kann nicht weiterreden, könnte es nicht ertragen, wenn diese Sadisten Stella wieder weh getan hätten.
„Sie können mir nichts mehr tun. Sie haben mir nur dieses eine Mal Gewalt angetan. Ansonsten hatte ich nichts anderes als Einsamkeit zu ertragen.“
Sie lacht ihr glockenhelles Lachen.
„Ich werde versuchen so gelassen und ruhig zu sein wie du.“ Meine Stimme klingt heiser vor unterdrückten Tränen. Dann lasse ich sie laufen. Bei Stella fühle ich mich immer so frei und geborgen.
„Schau auf dich, Sevin. Ich werde versuchen, noch einmal zu dir zu kommen, bevor …“
Schnell verschließe ich ihren Mund mit einem Kuss. Ich will nicht, dass sie weiterredet, kann den Gedanken nicht ertragen, sie nicht mehr am Leben zu wissen. Die Qual ist auch in ihr Gesicht geschrieben.
„Tecihila“, flüstert sie, dann ist sie weg.
Ein lautes Geräusch lässt mich hochfahren.
Es ist mein Schrei.
„Stella!“

Tage, Wochen, ich weiß es nicht genau, verstreichen. In der Welt dort draußen vergeht die Zeit, hier steht sie still. Ich bin in einer Zeitblase gefangen. Ständiges Licht und die nervige Stille höhlen mich aus. Ich merke, wie mein Wille zu schwanken beginnt. Dann denke ich an Stella und fasse neuen Mut.

Wahnsinn! Es ist der pure Wahnsinn, was hier geschieht.
Oder bin ich wahnsinnig?
Ich bin in der Hölle.
Mein verdammtes Hirn – Gedanken formen eine Hölle.
Gedanken, die sich nicht denken lassen. Niemand ist da. Ich bin ganz alleine. Fühle mich aufgelöst. Einzig Schmerzen lassen mich spüren, dass ich bin.
Ich denke viel. Denke an Stella. O Stella, meine Blume.
Dann fühle ich eine eisige Faust im Magen als ich an jemand anders denken muss.
Vater! Der Gedanke daran lässt mich schaudern. Ich habe Angst, wenn ich dieses Wort denke.
Admiral. Vater und Admiral, das gehört zusammen. Ich zittere. Vater?
„Vater!“, rufe ich.
„Ist das dein Werk?“ Er hat mich schon vor Jahren verstoßen.
Ich weiß wieder wer Vater ist, sehe ihn vor mir. Mein Vater, der mich hochgehoben hat und dann fallen ließ.
Vater war es, der mir im Gerichtssaal gegenüber saß.
Vater, der mir kalt ins Gesicht sah und dann wortlos ging, als das Urteil gesprochen war.
Das Urteil – die Operation! Ich erinnere mich daran.
Ich will mich nicht daran erinnern! Nein! Geht wieder weg, Erinnerungen!
Doch ich sehe es ganz deutlich:
Ich wurde aus dem Gerichtssaal gezerrt. Fünf Soldaten waren nötig, um mich in den vorbereiteten Operationsbereich zu bringen. Trotz der Muskelschwäche wehrte ich mich nach Leibeskräften, schrie wie ein Wilder immer wieder meine Unschuld in die Welt hinaus.
Sie drückten mich auf eine Liege und fixierten mich darauf. Ich brüllte, als die Nummer in die Haut gebrannt wurde. Panisch war ich. Der Tod wäre mir lieber gewesen als diese Erniedrigung. Jemand gab mir eine Beruhigungsspritze und dann weiß ich nichts mehr, bis ich als Nummer 152.370 in einem schwülkalten Stollen zu mir kam.
Von da an war ich ein Sklave.
Pickel in den Fels schlagen.
Das hatte ich schon immer gemacht.
Erz aus dem Fels hämmern.
Trümmer wegkarren.
Peitschenhiebe.
Stumpfsinn.

Endlich verfliegt die Erinnerung. Schweißgebadet liege ich da, zittere am ganzen Körper. Die nicht verheilten Wunden machen mich verrückt. Es juckt und brennt. Ich kann nicht liegen, kann mich nicht richtig bewegen. Mein Gesicht ist völlig zerschlagen, die Augen sind zugeschwollen, sodass ich kaum sehen kann. Alles tut weh und am meisten die Seele.
Ich hoffe, nie wieder ausgepeitscht zu werden.
Sie benutzen Methoden aus der Zeit der Dunkelheit. Alle haben sie wiederentdeckt oder waren sie nie verloren?
Vater! Warum hasst du mich so? Stimmt es, was Lukas gesagt hat?
Bin ich nur das Abfallprodukt eines Experiments?
„Vater! Mutter! Ich bin doch euer Sohn!“
Die folgende Stille trieft vor Verzweiflung. Sie staut sich an der Decke und strömt auf mich zurück bis ich darin ertrinke.

„Was ist heute für ein Tag?“, frage ich mich.
Was ist Tag? Ist überhaupt Tag? Gibt es noch Tage?
Habt ihr mich vergessen? Ich bin so alleine. Verzweifelt.
Wo ist Stella? Liebe Stella.
Ich kann keinen Gedanken fassen, springe von einem zum nächsten.
Alles schwirrt im Kopf herum.
„Ich bin Sevin Libertas. Erster Offizier der Alpha-Star. Das bin ich. Sevin Libertas!“, rufe ich und trommle gegen die Metalltür, solange bis jemand kommt und mich mit einem Kübel Eiswasser übergießt. Der Schock lässt mich verstummen.
Ich zittere in der nassen Kleidung, rolle mich nackt auf der Pritsche zusammen und gebe mich der Verzweiflung hin.

Ich träume von Stella. Sie steht vor mir.
„Bald ist es soweit“, sagt sie sanft. Ich streiche ihr das Haar aus dem Gesicht. Sie wirkt so real, verletzlich, zart.
„Ich möchte nicht, dass du gehst“, sage ich.
„Das weiß ich, Sevin. Ich möchte es auch nicht.“
Sie weint. Ich nehme sie in den Arm, halte sie fest. Zusammen weinen wir.
Dann ist sie weg.

Einsam und verzweifelt erwache ich. Stella wird bald von mir gehen. Sie weiß es. Solche Sachen hat sie immer gewusst. Darum war sie auch Priesterin, oder weise Frau, bei ihrem, unserem, Volk. Ich habe Angst, ohne Stella weiter leben zu müssen.

Es ist alles gleich. Graue Wände, schwarze Handschuhe, die das Essen bringen.
Dann gibt es eine Veränderung. Es gibt neue Wachen.
Sie machen sich einen Spaß daraus, mich zu demütigen. Ich weiß nicht warum. In unregelmäßigen Abständen holen sie mich, ziehen mich aus und ich muss nackt auf Händen und Knien kriechen, durch den langen Gang zur Nasszelle, wo sie mich mit einem kalten Wasserstrahl abspritzen. Dann die gleiche Prozedur, nur nass, zurück. Dabei schlagen sie auf mich ein, treten mich, lachen mich aus, beschimpfen und bespucken mich.
Was ist mit diesen Leuten los?
Was habe ich Ihnen getan?
Ich bin unschuldig.
Bin ich es wirklich?
Ich weiß es nicht mehr.
Sie sollen mich endlich in Ruhe lassen, diese verdammten Wächter.
Sind hier nur Sadisten?
Dann bin ich wieder lange Zeit alleine. Sehe Stella vor mir und die Weite des Alls mit seiner gefährlichen Schönheit.
Stella! Sie lässt mich diese Demütigungen ertragen. Ihr Bild habe ich vor Augen, wenn sich mich durch die Gänge treiben oder Schlimmeres mit mir anstellen, an das ich nicht denken mag.
Stella lässt mich weiter den Kopf hoch tragen.

Ich versuche in dem allgemeinen Wahnsinn den Verstand zu behalten. Deshalb habe ich mir ein Programm verordnet. Weil sie in meiner Zelle das Licht nie ausmachen, kann ich nicht sagen, ob Tag oder Nacht ist. Aber ich teile den Zyklus, ich nenne es weiter so, in Abschnitte ein. Den Abschnitt vor der Essensausgabe verbringe ich mit Kräftigungs- und Dehnungsübungen. Nach dem Essen zwinge ich mich zu ruhen, dabei zähle ich in allen mir bekannten Sprachen bis hundert, dabei schlafe ich dann meistens ein.
Diesen Übungen machen mir bewusst, wie viele Sprachen ich beherrsche. Ich komme auf zehn Sprachen und einige Dialekte. Wenn ich erwache, mache ich wieder meine sportlichen Übungen. Ich darf mich nicht gehen lassen, sonst drehe ich durch.
Am Anfang war es hart. Ich dachte, die verheilenden Wunden und die dicken Narben brechen wieder auf. Es tat weh – aber noch mehr schmerzen die Gedanken an Stella, dass ich sie nicht trösten kann, nicht beschützen.
„Du hast auf ganzer Linie versagt“, sage ich immer wieder, in jeder mir bekannten Sprache.

Ich habe panische Angst als mich Soldaten abholen. Ich denke, sie werden mich wieder zur Schau stellen, mich weiter demütigen. Sie zerren mich in die Nasszelle und verwenden die gleichen Methoden zur Reinigung wie die Wächter.
Teilnahmslos lasse ich die Entlausung mit anschließender Desinfektion über mich ergehen. Das andorische Volk ist paranoid was Krankheitserreger angeht.

Mit kahlem Kopf und frischer Kleidung werde ich abgeführt. Eskortiert von fünf Soldaten.
Die Welt außerhalb des Gefängnisses erschreckt mich.
Es ist so laut und grell und kalt.
Die Menschen sind kalt, aber das war mir schon früher aufgefallen.
Sie stellen mich in einen Transporter. Rechts und links von mir Soldaten. Dann geht alles schnell. In wenigen Sekunden befinde ich mich an einem anderen Ort.
Ich brauche Zeit, um mich zu orientieren. Molekulartransporter verursachen Orientierungsstörungen und Schwindel.
Warum ist hier alles so grau?
Ich frage mich, wo die Wärme hin ist.
Das Licht? Die Farben? Die Liebe?
Ist diese Welt in grau und Angst verschwunden?
Überdeckt der Gehorsam die Freiheit?
Der Hass die Liebe?
Hat es das hier einst gegeben?

Dann habe ich keine Zeit mehr für Gedanken. Sie packen mich und zerren mich weg. In einem großen kalten Verhörraum werde ich in eine Vorrichtung geschnallt, die es mir nicht erlaubt, mit den Füßen den Boden zu berühren. Dann lassen sie mich alleine. Ich merke, wie die Angst wieder hochkommt. Gänsehaut bedeckt mich, die Kopfhaut prickelt, eisige Schauer jagen über den kaputten Rücken. Ich kann ein Stöhnen nicht unterdrücken.

Es vergeht einige Zeit in der ich mich immer wieder frage was geschehen wird, ob sie mich wieder foltern oder endlich doch töten werden.
Plötzlich treten mehrere Soldaten ein, sie bilden so etwas wie eine Ehrenwache.
‚Es muss ein hochrangiger Militär kommen’, folgere ich. Um mich von der Angst abzulenken betrachte ich ihre Uniformen und ihre unbeteiligten starren Gesichter. Alles junge hochgewachsene Andorier, sehr hellhäutig. Einer sieht aus wie der andere.
Dann tritt ein Admiral ein. Leider kenne ich den zu gut, um Hoffnung auf einen raschen Tod zu haben. Bedrohlich baut er sich vor mir auf.
Mir kommen die Tränen, als ich an meine Kinderzeit denke. Er war nicht oft zuhause, aber wenn er da war, hat er immer Geschichten erzählt. Ich war einmal sein jüngeres Spiegelbild, sein ganzer Stolz.
Jetzt bin ich seine Schande.
„Vater“, flüstere ich, schlucke und kann ein Schluchzen nicht zurück halten. Wegen dieses einen Worts werde ich mit dem Stock geschlagen.
„Schweig! 152.370, du kennst alle Anklagepunkte. Wegen deiner Tat in den Minen hat das Gericht beschlossen, deine Anklage neu zu verhandeln und dir die Möglichkeit zu geben zu revidieren. Wie ist deine Antwort?“
„Wenn ich mich schuldig bekenne, lasst ihr dann Stella frei?“
„Nein, ihr Urteil steht fest“, antwortet er hart.
Ich schlucke die Tränen runter und sage mit belegter Stimme: „Nicht schuldig.“
Er schlägt mir hart ins Gesicht.
„Dann werden wir dich weiter befragen müssen.“
„Ich bin Sevin, dein Sohn“, sage ich stur. Wieder werde ich mit dem Stock geschlagen.
„Ich habe keinen Sohn mit diesem Namen!“
Er wendet sich an die Soldaten und sagt: „Bringt das da zum Exekutionsplatz.“
Einen Moment habe ich die irre Hoffnung, sie würden mich nun endlich töten. Doch Vater hat mit mir noch nie Gnade gekannt oder gar Verständnis. Sie bringen mich auf eine Tribüne. Fixieren mich erneut. Ich kann viele Leute auf dem Platz sehen. Einige sind wahrscheinlich freiwillig hier, andere wurden hergetrieben. So läuft es immer, die Veranstaltung muss ausverkauft sein – selbst mit Drohungen.

Dann tritt der Admiral vor, an seiner Seite ein Magistrat. Ich weiß nicht welcher es ist. Es interessiert mich auch nicht. Die Sonne blendet mich, als Stella herausgeführt wird. Sie sieht verzweifelt schön aus. Kurz blickt sie zur Tribüne. Sie erkennt mich, weil sie lächelt.
„Huka! Tecihila!“, ruft sie.
Ich erwidere den Ruf. „Auch ich habe keine Angst! Tecihila, Stella!“
Sie führen sie an die Tötungsmaschine.
Ihre letzten Worte sind: „Freiheit! Sevin! Es lohnt sich, der Preis ist nicht zu hoch!“
„Warum tötet ihr mich nicht auch!“, brülle ich. „Bringt mich doch endlich um! Das könnt ihr doch am Besten, Unschuldige töten!“
Der Admiral wendet sich mir zu: „Du wirst weiterleben und vergessen werden.“
Als Stella zusammen bricht, fallen zahlreiche weiße Blätter vom Himmel. Einer fällt direkt auf mich. Ich kann erkennen, was darauf steht: „Freiheit“
Unser Name! Stella Libertas!
Ich rufe: „Freiheit!“ Immer wieder.
Ich will nicht daran denken, dass dort unten gerade Stella von mir gegangen ist.
Vater! Mörder!
Nur mühsam gelingt es mir, die Haltung zu bewahren. Am liebsten hätte ich jetzt laut losgeheult, stattdessen rufe ich weiter: „Freiheit! Stella Libertas!“
In Gedanken fliege ich mit ihr zu den Sternen.
Ich möchte sterben, bei ihr sein.
„Schweig!“, ruft ein Soldat und schlägt mit dem Stock auf mich ein. Ich bin augenblicklich still, schnappe nach Luft. Der Admiral zischt mich an: „Du wirst vergessen werden, genauso wie eure Bewegung.“
„Nein, Vater“, sage ich, als ich wieder Luft zum Reden habe. „Wir werden nicht vergessen werden. Auch wenn du uns tötest oder wegsperrst, wird der Gedanke an Freiheit weiter leben. Er wird nie vergessen. Huka!“
Vater lässt seine Wut über diese Worte und die offene Provokation durch die Flugblätter an den Zuschauern aus. Die Soldaten haben Befehl die Menge aufzulösen. Was das bedeutet weiß ich, und ich bedaure etwas gesagt zu haben. Jetzt werden wieder Unschuldige wegen mir leiden müssen.
Sie führen mich ab und stellen mich an den Pranger, wo sie mich neuerlich auspeitschen. Vater überwacht die Ausführung höchst persönlich und zählt die Hiebe. Irgendwann bei zweihundert bekomme ich nichts mehr mit.

Ich verstehe nicht, warum ich das immer wieder überlebe. Entweder sie hören jedes Mal zur richtigen Zeit auf, oder ich habe einen stärkeren Lebenswillen, als mir bewusst ist.


Ich habe keine Ahnung, wie lange ich schon weggesperrt bin. Es ist immer gleich. Das gleiche Licht, das gleiche Grau, die gleiche Zeit.
Meine Übungen vernachlässige ich.
Es hat keinen Zweck.
Mit Stellas Tod ist auch mein Lebenswille gestorben.

Der Kummer übermannt mich. Ich liege nur noch zusammen gerollt auf der Pritsche und weine.
Sie haben mich doch gebrochen.
Aber wo führt mich das hin?

Ich vegetiere weiterhin in Einzelhaft, werde weder verhört noch sonst etwas. Keine Menschenseele lässt sich blicken, ich sehe nur die schwarzen Handschuhe, die die Tagesration in die Zelle schieben.
Trauer und Zorn sind übermächtig in mir. Ich nehme ein Tablett und knalle es gegen die Tür. Es bildet hässliche grüne Streifen auf dem grauen Metall.
Ich schreie so laut, dass ich würgen muss und mich übergebe.

In der Zelle stinkt es erbärmlich von den Essensresten an der Tür und dem Erbrochenem.
Schließlich verweigere ich die Nahrung. Ich liege nur mehr auf der Pritsche und starre vor mich hin, denke nichts und versuche zu sterben.

Sie lassen mich nicht!
Sie zwingen mich zu leben!

Nun liege ich festgeschnallt auf der Liege und werde mittels Nasensonde ernährt.
Still weine ich vor mich hin.
„Ich will zu dir, Stella“, flüstere ich resigniert.
Er hat mir alles genommen: mein Leben, meine Liebe, meine Identität, meine Selbstbestimmung, dieser Mörder!
„Vater!“
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
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Visionen
Ich lasse euch mein "Baby" jetzt ganz da *zwinker*

Die Sprache im Folgenden ist zum Teil Lakota und zum Teil meiner Fantasie entsprungen - aber einfach zu verstehen *g*

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Visionen?



Sie achten darauf, dass ich am Leben bleibe.
Es ist die größte Strafe überhaupt, zu leben, wenn man sich nichts anderes als den Tod wünscht und ihn herbeisehnt.

Von allen Seiten beobachten Kameras, wie ich festgezurrt auf der harten Pritsche liege und die Nahrung durch den Schlauch in meinen Magen läuft.
Dreimal am Tag öffnen sie die Klammern, die mich an jeglicher Bewegung hindern. Dann lassen sie mich unter strenger Bewachung aufstehen und treiben mich nackt durch den Gang zur Toilette, ab und zu darf ich mich waschen.
Es ist entwürdigend! Ich hasse das!
Ich bin nur mehr ein Ding, weniger als das.
Keiner spricht mit mir.

Vom Admiral habe ich nichts als Qualen erwartet und genauso ist es gekommen. Irgendwann kam er zu mir. Er hatte mich nur kurz angeschaut, den Kopf geschüttelt und gesagt: „Siehst du, du bist nichts, lebst nur, weil wir es so wollen.“
„Vater, ich bin nicht dein Feind“, erwiderte ich leise. „Lass mich endlich sterben.“
„Morgen fliegen wir nach Trebis, du kommst mit und wir werden herausfinden, was mit dir los ist“, sagte er kalt und ging wieder.
Seine Worte verunsicherten mich, ich grübelte lang Zeit darüber nach, kam aber nicht dahinter, was er gemeint haben könnte.

Ich kann ihnen nichts sagen. Wenn sie wissen wollen, was mit meinen Genen nicht stimmt, sollen sie mich doch töten und dann obduzieren. Aber wahrscheinlich führt das nicht zu ihrem Ziel.
Was haben sie vor mit mir?
Was wollen sie auf Trebis?

Scheinbar ist jetzt morgen. Ich werde transportfertig gemacht.
Warum schleppen sie mich weg? Sie sollen mich endlich in Ruhe lassen! Ich mag nicht mehr! Er kennt kein Mitleid, keine Gnade – nichts!
Ich schreie als sie die Sonde aus der Nase entfernen. Sie beginnt sofort zu bluten.

Was wollen sie auf Trebis? Verängstig und verwirrt kann ich mir darauf keinen Reim machen.
Trebis hat ihnen überhaupt nichts zu bieten. Keine großartige Landwirtschaft, die Bodenschätze sind schon lange ausgebeutet und der Planet liegt auch nicht gerade strategisch günstig. Er ist einfach nur da.
Warum muss ich mitkommen? Ich habe keine Informationen, die nicht auch der Geheimdienst hat – eher weniger.

Jetzt stehe ich gefesselt und angeleint auf der Brücke des großen Raumschiffs. Vor mir, auf einem breiten Bildschirm, der Planet. Ein schöner Anblick: grün, blau, weiß. Ich denke an Stella und kann die Trauer nicht unterdrücken. Noch immer habe ich ihren Tod nicht verwunden. Monate sind seither vergangen. Irgendein Soldat sagte mir, dass ich schon mehr als ein Jahr in Haft bin, das heißt im Militärgefängnis, wie lange ich vorher in den Minen war, das weiß ich nicht.
Warum muss ich hier warten?
Den Flug hatte ich im Arrest verbracht, wie gewohnt ans Bett geschnallt.
Ich halte das Stehen nicht mehr lange durch, zu sehr bin ich durch die lange Bewegungslosigkeit geschwächt, dazu die leichten Schwankungen des Bodens. Die Trägheitsdämpfer absorbieren nicht jede Bewegung des Schiffs. Ich kann gerade noch das Gleichgewicht halten.

„So, heute gibt es ein Schlachtfest, wir haben Befehl die Terroristen hier auszuräuchern“, sagt der Admiral, als er die Brücke betritt. Er bedeutet dem Waffenoffizier die Geschütze zu laden und reibt sich die Hände. Ich schlucke. Das kann er doch nicht ernst meinen? Einfach so aufs Geratewohl eine Bevölkerung auslöschen, über fünf Millionen Menschen leben dort unten, wenn nicht mehr!
Das ist Völkermord!
Kurze Zeit später landet der erste Treffer auf der Oberfläche. Ich sehe am Bildschirm, dass nur die große Wüste getroffen wurde, dennoch – es ist heiliges Land!
„Vater, hör auf“, flehe ich. „Admiral, bitte!“
„Du hast mir nichts zu sagen! – Oder etwa doch? Hier sind Widerstandsnester. Sag mir wo sie sind und dann ziehen wir ab.“
Ich traue ihm nicht, nicht so weit, wie ich spucken kann. Nein, weniger.
Was kann ich tun?
Es ist das erste Mal seit langem, dass ich nicht festgezurrt liege. Ich fühle mich so elend und schwach und dann kommt der mit diesen Drohungen daher.
„Ich kann es dir nicht sagen, Vater“, sage ich und ernte eine Ohrfeige. Ich weiß doch nichts! Woher sollte ich etwas wissen, wo ich doch weggesperrt bin und das unter ständiger Beobachtung?
„Kannst du, oder willst du nicht, Verräter!“
„Ich weiß es nicht, Admiral.“ Ich bin verzweifelt. Er glaubt mir nicht. „Ich weiß es nicht. Soviel ich weiß, gibt es keine Widerstandsbewegung. Ich dachte, es geht hier um meine Taten, auch wenn sie erfunden sind.“
Wieder ein Schlag ins Gesicht.
„Wo hat deine Schlampe gewohnt? Welches Dorf? Welches Haus? Dort ist der Brennpunkt.“
„Sie ist keine Schlampe. Sie war die Napewastewin, die mit den guten Händen, eine Pangeca und die Wakanhca. Stella war eine große Priesterin. Sie wusste die Stunde ihres Todes, noch bevor ihr das Urteil unterschrieben habt. Und weißt du was, ich liebe sie noch immer! Sie ist mein Licht in dieser verdammten Dunkelheit!“, schreie ich ihm ins Gesicht und werde niedergeknüppelt.

„Wenn das deine Antwort ist, dann habe ich keine andere Wahl, als zu tun, was zu tun ist“, entgegnet der Admiral und lässt mich wegbringen. Sie sperren mich in eine Stasiskapsel und gehen, ohne das verdammte Ding zu aktivieren. Ich bekomme in der engen Kammer einen klaustrophobischen Anfall. Niemand hört mein Schreien.

Endlich, es kommt mir vor als hätte ich Tage darin verbracht, lassen sie mich raus. Ich zittere, bin schweißgebadet und ringe um jeden Atemzug, als sie mich vor sich her in den Shuttlehangar treiben und in ein Shuttle setzen. Die Angst setzt mir so zu, dass ich alles schluchzend und bebend über mich ergehen lasse. Die Soldaten lachen mich aus.
Warum bringen sie mich weg? Was wollen sie? Nichts anderes als das kann ich denken. Dann die Erkenntnis: Wir fliegen auf den Planeten, es ist ein Landetrupp. Nur, warum muss ich mit?

Am Rand eines Dorfes landen wir. Dorf, ist vielleicht der falsche Ausdruck, es ist eher eine Stadt. Ich werde aus der Wärme des Shuttles getrieben, vorwärts Richtung Stadtmitte. Die Kälte schneidet in die Haut. Ich bin noch immer barfuss und trage die dünne Häftlingskleidung.
Diese Siedlung wirkt nicht mehr wie ein Trebis-Dorf. Es sieht eher nach einer andorischen Kolonie aus. Ich frage mich, was hier geschehen ist.
Warum ist es so kalt?
Wurde der Planet verändert, um Siedlungsraum zu schaffen?
Ich schneide den Gedanken daran ab, das ist zu schrecklich und ich will es meinem Volk nicht zutrauen.

Schließlich bleibe ich stehen. Ich kann nicht mehr, bin nur müde, verängstigt und fühle die Unterkühlung. Selbst Schläge bringen mich nicht mehr dazu, noch einen Schritt zu tun.
Was soll ich hier? Stella ist nicht mehr. Was aus den Verwandten geworden ist, weiß ich nicht. Ich fürchte aber, dass alle verhaftet und exekutiert worden sind.

Plötzlich erfasst mich ein Sturmwind – eine Windhose. In ihrem Auge erkenne ich das Gesicht von Tunkasila, den Großvater. Er lächelt mich an. Winkt mich zu sich. Ich gehe weiter, direkt in das Auge des Sturms. Es erstaunt mich, dass ich weder Kälte noch Wind spüre. Tunkasila sagt: „Mihunka, du bist ein guter Mensch. Du wirst deinen Toka besiegen. Geh – ihamblecin.“ Dann ist er weg.
Ich soll mich also auf die Suche nach Visionen machen? Ich weiß ja gar nicht wie das gehen soll. Trotzdem fühle ich mich sonderbar getröstet und gestärkt. Großvater war ein weiser Mensch. Er war der Erste, Tokahe, fast so etwas wie der Sprecher der Nation. Stella wäre seine Nachfolgerin geworden, wenn ich mich nicht geweigert hätte, die Befehle auszuführen oder wenn ich den Dienst quittiert hätte.
Stella! Ich beginne wieder zu weinen, fühle mich an ihrem Tod schuldig und nicht nur an ihrem.
Wieso muss ich immerzu weinen?
Und welchen Feind soll ich besiegen?
Wie soll ich jemanden besiegen, wenn ich gefangen bin?
Was meint Großvater nur?
Oder war das ein Trugbild?

Ich stehe mitten auf einem leergefegten Platz. Die Wachen liegen bewusstlos auf dem Boden. Also muss etwas davon wahr gewesen sein. Aber ich weiß, dass ich nicht fliehen kann. Der Admiral würde auf der Suche nach mir den ganzen Planeten zerstören. Also setze ich mich auf den kalten Boden und warte.
Darin bin ich Meister.
Warten. Worauf?
Visionen?
Den Tod? – Das ist wahrscheinlicher.

Der erste Soldat kommt zu sich, er sieht verwirrt aus.
„Du da, was machst du da!“, herrscht er mich an.
Ich zwinge mich zu lächeln und sage: „Nichts. Ich warte.“
Der Soldat richtet seine Waffe auf mich. Ich habe langsam das Gefühl zu erfrieren. Nach und nach kommen die anderen zu sich. Einer spricht über Interkom mit dem Schiff. Wahrscheinlich berichtet er von seltsamen Vorkommnissen oder er lügt.
Wieder frage ich mich, was ich hier soll.
Was bezweckt der Admiral damit?
Ich bin doch nichts – das wird mir immer gesagt.
Ich bin ein Nichts, ein Niemand, eine Nummer, ein Gendefekt – und dann das.
Tunkasila hat gesagt, ich soll mich auf die Suche machen. Aber wie geht das? Ich war noch nie spirituell veranlagt, habe auch kein Interesse an irgendwelchen Religionen. Diese sind mir immer schon suspekt gewesen. Fremd. Ich bin mir selber fremd geworden. Kenne mich nicht mehr. Wer bin ich? Was bin ich?

Jetzt kommen die Soldaten und zerren mich hoch. Sie bringen mich zum Hauptplatz. Hier künden nur noch der Totem- und der Zeremonienpfahl, von der alten Kultur der Trebis. Die Tiere grinsen mich feindselig an. Ich schaudere, und es liegt nicht nur an der Kälte. Die Häuserreihen beginnen mich einzuschließen. Menschen strömen auf den Platz. Ich sehe viele Andorier und nur wenige Trebis. Was war hier nur geschehen?
Ich zittere in der Kälte. Fühle weder Füße noch Hände. Alles ist eingefroren, sogar die Gedanken.

Langsam geht die Sonne auf. Ich sehe, wie sie ihre Strahlen über den Horizont schickt. „Anpetuwi, willkommen Sonne“, rufe ich, als sie mich an den Zeremonienpfahl binden. Ich klappere mit den Zähnen. Noch immer frage ich mich, was das ganze Schauspiel hier soll. Der Admiral landet mit einem Shuttle direkt auf dem Platz. Soldaten strömen von allen Seiten heran.

Eine alte Trebis scheint mich noch zu kennen, denn sie zeigt auf mich und ruft: „Tokahe! Da steht er. Seht ihr? Sie haben ihn heim gebracht! Tokahe! Der letzte Libertas!“
Ich bin fassungslos. Sie haben uns nicht vergessen. Die Familie Libertas, lebt noch in der Erinnerung. Aber warum nennen sie mich Tokahe? Der Titel ist nicht erblich!
Ich will das nicht.
Sie soll ihren Mund halten.
Nicht weiter rufen.
Ich ahne Böses und sehe es an den Gesichtern der Soldaten. Die aufgehende Sonne taucht den Platz und die Gesichter der umstehenden Menschen in blutrotes Licht.
„Ne! Nicht!“
Viele Stimmen nehmen ihren Ruf auf und bald hallt es auf dem Platz von Tokahe-Rufen.
„Ich bin Namenlos – Nichts!“, versuche ich sie zu beruhigen. Tokahe! Tokahe, geht es immer weiter. Dann mischt sich ein anderer Ruf mit ein: „Libertas! Tokahe!“
Während sich die Sonne weiter über den Horizont erhebt und mit ihren Strahlen über die Häuser wandert, beginnt auf dem Platz ein Blutbad.
Das Schlachtfest meines Vaters!
Alle laufen wild durcheinander um den Schüssen zu entgehen. Chaos herrscht.

Immer wieder versuche ich mich bemerkbar zu machen. Nur werde ich nicht gehört.
„Hört auf! Vater, lass die Leute in Ruhe! Das sind Alte und Kinder! Ihr könnt sie doch nicht einfach so hinmetzeln. Trebis, ich bin Niemand! Hört ihr? Ne Tokahe! Ne! Ne! Ne!“ Verzweifelt rüttle und zerre ich an den Fesseln, bis sie tief in die Haut schneiden. Warmes Blut gefriert auf blauer Haut. Der Anblick des Gemetzels reißt mir das Herz heraus.
„Tötet mich!“
Die Rufe der Trebis werden weniger und leiser.
„Nicht ich bin es! Ihr sterbt nicht für mich! Nicht wegen mir! Nicht für mich!“
Heiße Tränen laufen über meine kalten Wangen.
Ich bin verzweifelt und fühle mich wieder schuldig. Abermals schlucke ich Schuld und Scham hinunter.

Dann tritt der Admiral vor mich. Er wischt sich die Hände an einem Tuch ab, das er seinem Adjutanten reicht und sagt: „Das war nur wegen dir, verräterischer Abschaum. Sie sind wegen dir gestorben.“ Er weist auf den leergefegten Platz. Dutzende Tote liegen in der Kälte. Die Soldaten beginnen sie wegzukarren.
Innerlich gefroren, fühle ich die Kälte nicht mehr die meinen Körper umschließt, ihn einschließt und mit Reif bedeckt. Ein Leichentuch aus Eis, das mich hart macht gegen Vater, den verhassten Admiral.
Ich schaue ihm ins Gesicht und sage leise: „Ne Akte, nicht wegen mir. Sie sind durch dich gestorben. Und weißt du was, sie haben Stella nicht vergessen und mich auch nicht. Freiheit stirbt nicht, kann nicht weggesperrt werden. Niemals! Du kannst uns alle töten, und es werden andere kommen, immer mehr …“
Bevor ich weiterreden kann, saust ein Schlagstock auf mich nieder. Das ist die einzige Sprache, die sie verstehen – Gewalt!
Vater schlägt mich noch mit der Gerte – mitten ins Gesicht. Es brennt. Ich stöhne, schaue ihn aber weiterhin mit unbewegter Miene an. Er soll nicht merken, wie groß meine Mutlosigkeit und mein Schuldgefühl wirklich sind.
Als er weggeht, stimme ich leise das Totenlied an. Das bin ich diesen Menschen hier schuldig. Zumindest das kann ich ihnen geben.
Ich singe für Stella, für Tunkasila und die vielen Ermordeten, die ich nicht kenne.
Ich singe für meinen Vater, meine Mutter, meinen Bruder, mein Geburtsvolk, deren Seelen schon lange tot sind – und werde wieder geschlagen.

Langsam erhebt sich die Sonne über den Häusern. Ich erkenne die typische Skyline einer andorischen Stadt. Die Sonnenstrahlen brechen sich in den Glasfassaden. Ihr Licht blendet mich. Trotzdem scheint die Kälte nicht abzunehmen.
Am Pfahl festgebunden muss ich warten, bis der Admiral mit seinem Auftrag fertig ist.
Meine Gedanken drehen sich nur mehr um Wärme. Die Toten sind mir jetzt völlig egal. Ich habe das Gefühl am Boden festgefroren zu sein. Am liebsten würde ich mich hinlegen und schlafen. Ich schließe die Augen und sehe einen warmen Kamin vor mir, das Feuer knistert, davor ein dichtes Fell, Stella und ich liegen darauf und trinken heißen Tee. Eng aneinander geschmiegt lassen wir uns vom Feuer des Kamins und unserer Leidenschaft wärmen. Oh Stella!
Ein lauter Schrei wirft mich aus dem Traum heraus, zurück in die brutale Wirklichkeit.
„Stella!“

Als alle Toten weg geschafft sind, füllt sich der Platz wieder mit Leuten. Alles Andorier. Viele werden von den Soldaten hergetrieben. Manche sind einfach nur sensationslüstern. Auf so einem abgelegenen Planeten tut sich ja sonst nicht viel. Lauter hoch gewachsene, blasse Menschen. Dunkels Haar auf heller Haut. Die Trebis sind dunkler, der ursprünglichen Umwelt perfekt angepasst. Kleiner, drahtiger. Ich frage mich wieder, ob die Andorie-Allianz diesen Planeten umformt. Es wäre eine nicht ganz untypische Verhaltensweise.
‚Was nicht passt, wird passend gemacht’, denke ich zynisch und wünsche mir wenigstens Strümpfe an den Füßen.

Ich klappere mit den Zähnen, versuche zu stampfen, aber ich spüre die Füße nicht mehr. Dabei sehe ich mir die Menschen an. Einige wirken unbeteiligt, bei anderen lässt sich Abscheu erkennen und wieder andere blicken mitleidig oder verschüchtert zu Boden.

Der Admiral stellt sich in die Mitte des Platzes, sein Adjutant daneben. Dann beginnt er mit einer Ansprache: „Andorier. Ihr habt selbst gesehen, dass auf die Trebis kein Verlass ist. Sie versuchen ständig, sich gegen unsere Kolonialherrschaft aufzulehnen. Gerade eben bei unserer Ankunft wurde ein perfider Plan, ein Angriff auf unsere Vormachtstellung hier, vereitelt. Sie sind selbst unfähig Handel zu betreiben und haben keinerlei Kultur, deshalb immer wieder diese hinterhältigen Attacken auf uns. Diese Wilden wollen unseren Wohlstand rauben.“
Ich bin schockiert über diese Lügen. Es gab keinen Angriff! Aber so musste er es wohl auslegen. Es ist am einfachsten so – für die Regierung. Es hat sich noch nie ein Trebis gewaltsam gegen einen anderen Menschen gewendet! Zumindest habe ich in den Geschichtsaufzeichnungen des Planeten von keinen Kriegen gelesen. Ich höre seinen Lügen nicht mehr zu, sondern versuche der Kälte Herr zu werden. Es hilft nicht viel. Einiges bekomme ich doch mit.
„Ich verpflichte jeden Andorier, sofort Meldung zu machen, wenn sich ein Trebis verdächtig verhält. Diese Leute sind allesamt Terroristen. Hinter jedem freundlichen Gesicht mag sich ein Mörder verstecken. Seien Sie auf der Hut!“, beendet der Admiral seine flammende Rede.
Ungläubiges Murmeln hebt an. Doch dann siegt der Fremdenhass, wo doch gerade sie hier die Fremden sind, die mit offenen Armen und freundlichen Herzen empfangen wurden. Meine Empörung bricht sich in einem lauten Schrei Bahn.
„Du elender Lügner, du!“ Ich kann mich nicht mehr beherrschen. Seine Worte haben mich die Kälte vergessen lassen und brennen wie ein Leuchtfeuer des Hasses in mir.
Darauf scheint er gewartet zu haben. Er winkt meinen Bewachern. Diese drehen mich am Pfahl um, entfernen das Hemd und …

Ich fühle den eisigen Wind über die Haut streichen. Die Sinne gaukeln mir vor, mich in einer anderen Landschaft zu befinden.
Die Stadt ist weg. Es gibt nur wenige Hütten aus Stein und Lehm. Kinder und Hunde laufen herum. Es wird gelacht.

… mich trifft der erste Schlag. Ich höre mich schreien, als kalte Haut bricht.
„Ah!“ Der zweite Schlag. Die Menge ist still. Ich höre nur das Knallen der Peitsche und meinen Schrei.

Eisiger Wind streicht über die Striemen, wie eine sanfte Liebkosung. In der Ferne höre ich leises Kinderlachen. Die Sonne steht gelb leuchtend an einem freundlichen Firmament. Frauen und Männer unterhalten sich. Ein Mann sieht mich an. Er ist in weiße Felle gehüllt. Ich kann sein Gesicht nicht sehen …

„Ah!“ Der nächste Hieb. „Ihr Mörder!“, rufe ich und kämpfe um Luft.

… jetzt streicht er sich das Haar aus der Stirn. Ich sehe in seine Augen. Sie leuchten blau wie der Himmel im Hochsommer. Er reicht mir eine Schriftrolle. Ich nehme sie und blicke verwirrt darauf. Die alte Schrift der Trebis kann ich nicht lesen. Ich hebe den Blick und …


Der nächste Schlag. „Ah!“
Ringsum herrscht absolute Stille.
Der Soldat stöhnt, ebenso ich.
Der nächste Knall, wieder trifft das Leder sein Ziel.
„Ah!“
Mit der Präzision eines Uhrwerks geht es Schlag auf Schlag weiter.
„Ah!“

… der Mann ist weg. Stella steht vor mir. Sie nimmt mich an der Hand und geht mit mir zum Fluss. Dort setzt sie sich auf einen Stein. Sie bedeutet mir, mich neben sie zu setzen.
Jetzt merke ich, dass ich der Mann im weißen Fell bin.
„Tokahe“, sagt sie und nimmt mir die Rolle aus der Hand. Sie zeigt auf das Symbol der Sonne. „Wakan.“ Dann auf das Symbol der Seele, „Cante“, auf die große Schlange: „Toka“ und schließlich zeigt sie auf das rote Auge, „Wacanhca – Weisheit.“ …

Wieder ein Treffer. Ich schreie, bis ich keine Luft mehr habe. Nur die Fesselung hält mich aufrecht. Ich fühle, wie die Beine unter mir nachgeben. Die Fesseln scheuern die Handgelenke auf. Weiße Haut, rotes Blut. Ich weiß nicht, wie viele Schläge ich schon abbekommen habe.

… Stella ist weg. Stattdessen sitzt ein Eisbär neben mir. Ich erschrecke. Er lacht mich nur aus. „Nimm mein Fell und sei so stark wie ich“, sagt er und übergibt mir seinen dichten Pelz. „Er wird dich außerdem in der Kälte wärmen“, fügt er lachend hinzu.
Ich lege mir das Fell um die Schultern und fühle die Wärme und Kraft des Bären.
Er geht weg. …


„Ah!“
Warum höre ich nichts außer dem Knallen der Peitsche und meine Schreie?
Was ist hier los? Ich versuche den Kopf zu heben, um etwas zu erkennen.
„Ah!“ Da landet der nächste Schlag, genau im Gesicht.

… und ein Fuchs tritt zu mir.
„Sei gegrüßt, Tokahe“, sagt er. Als ich widersprechen will, bellt er belustigt. „Du bist was du bist. Nimm von meiner Schlauheit und Gerissenheit.“ Er gibt mir ein Auge. Als ich neuerlich widersprechen will, bellt er wieder und sagt: „Ich sehe auch mit einem Auge ausgezeichnet. Du brauchst es mehr als ich.“
Also nehme ich das Auge und sehe …


Die Menschen schauen nur. Stehen da und starren mich an. Blut läuft mir in die Augen, über das Gesicht. Alles riecht danach. Mir ist speiübel.
Wieder ein Peitschenknall, ein Schrei – es geht Hieb auf Hieb. Er schlägt immer fester zu, meine Schreie werden leiser. Ich merke, wie ich zusammenbreche, werde nur von der Bondage gehalten.

… wie sich ein Otter neben mich setzt. „Ich werde dir von meiner Schnelligkeit geben. Du kannst sie auch an Land nutzen. Hier, nimm eine Pfote.“ Wieder will ich mich weigern, aber der Otter drückt mir sein Geschenk energisch in die Hand, lacht vergnügt und springt in den Fluss.
Ich weiß nicht, was ich von diesen sonderbaren Dingen halten soll.
Ein Eisbärenfell, ein Fuchsauge und eine Otterpfote.
Sehr eigenartig.


Endlich hören sie auf. Ich kann den schweren Atem des Mannes mit der Peitsche hören. Ich werde vom Pfahl genommen und fortgebracht. Benommen blicke ich mich auf dem Platz um. Die Menschen starren. Es ist noch immer kein Laut zu hören. Nur das Scharren der Füße über den Boden, der schwere Atem des Soldaten und mein Stöhnen. Ich weiß nicht, wo sie mich hinbringen.
Auf dem Weg verliere ich das Bewusstsein.

Ich sitze noch immer auf dem Stein neben dem Fluss. Eine Eule landet. Sie blinzelt mich aus gelben Augen an. „Schuhu. Nimm eine meiner Federn, steck sie dir ins Haar und ich gebe dir von meiner Weisheit.“
Ich mache wie mir geheißen. Das Ganze wird immer sonderbarer.
Dann sagt die Eule: „Siehe, du bist Tokahe! Der Erste!“
Ohne eine Antwort abzuwarten erhebt sich Hunhan in die Lüfte und Stella nimmt neben mir Platz.
„Glaubst du es nun, Sevin?“, fragt sie mild.
Ich blicke sie erstaunt an, sage: „Tecihila, mitawin. Oh Stella!“
Ich nehme sie in den Arm und küsse sie. Es tut so gut, sie wieder zu spüren. Ich weine an ihrer Brust. Sie hält mich wie eine Mutter ihr Kind.
Vielleicht ist sie die Mutter? – Magie, Wakan?
Ich weiß es nicht.
Wie sonst sollte sie hier sein, wo sie doch tot ist?
„Du bist Tokahe, Sevin Libertas.“
Sie geht weg, verblasst in der Ferne.
Ich höre wieder Kinder lachen. Auch sie entfernen sich.
Das Dorf verschwindet und ich …

öffne die Augen.

Ich befinde mich auf der Arreststation des Sternenkreuzers. Ans Bett geschnallt, Sonde in der Nase. Habe ich das alles nur geträumt? Bin ich jetzt komplett wahnsinnig geworden?
„Stella“, rufe ich laut.
Ich liege auf dem Bauch – warum?
Ich schreie. Immer lauter.
Menschen sind heute gestorben.
Und der Admiral hat gesagt, dass es erst der Anfang war.
Ich bin verzweifelt. Niemand soll wegen mir sterben. Warum lässt er MICH nicht endlich sterben? Was habe ich von diesem Leben? Festgeschnallt und künstlich ernährt. Alles voller Zwang und Unfreiheit.
„Lasst mich endlich gehen!“, rufe ich.
Der Schlauch in der Speiseröhre schmerzt. Er muss dicker sein, als die im Militärgefängnis. Er drückt mir fast die Luftröhre ab und ich muss die ganze Zeit über würgen.
Vielleicht lassen sie mich ja ersticken.
Ich liege da. Zwielicht herrscht. Absolute Stille, bis sie mein Stöhnen unterbricht. Ich versuche leise zu sein, weil ich jedes Mal erschrecke, wenn ich mich höre.
Was ist los mit mir?
Was ist auf Trebis passiert?
Warum bin ich hierher gebracht worden?
Will der Admiral, dass ich zusehe, wenn er das Volk ermordet?
Will er auf diesem Weg meinen Willen brechen?
Sie haben mich doch schon gebrochen, zumindest fühle ich mich so. Diese Ungewissheit ist fast nicht zum Aushalten.
Was will er?
„Vater! Mörder!“, rufe ich, würge wieder, weil der Schlauch drückt.
Ich will nicht künstlich ernährt werden.
Stella, hol mich doch endlich zu dir. Ich will mit dir zu den Sternen fliegen. Stella, Liebes. Ich weine. Niemand hört mich.
Niemand kommt zu mir.
Niemand lindert meinen Schmerz.
„Tunkasila, war alles nur ein Traum?“


Ich habe das Gefühl, den Verstand nun komplett zu verlieren. An der Wand vor mir sehe ich die Augen des alten Mannes. Sie strahlen mich an, in ihrer Blindheit. Tunkasila war die letzten Jahre seines Lebens blind, hat aber mehr gesehen als jemand mit intaktem Augenlicht. Er konnte hinter die Dinge blicken – er war der wahre Tokahe. Er war der Erste, ein Seher.
Nun blicken mich diese blinden, weißen Augen so wissend und sehend an, dass mir ganz anders wird. Ich versuche nicht hinzusehen, es gelingt mir nicht. Diese Augen ziehen mich magisch an. Immer tiefer fühle ich mich hineingezogen in dieses milchige Weiß.
„Tunkasila, ne me Tokahe“, flüstere ich. „Io ne Tokahe. Io toka – ich bringe nur den Tod.“
Eine einzelne Träne steht in seinen Augen.
Ich bin verrückt. Nur Verrückte sehen Dinge die nicht da sind.
Dann höre ich eine Stimme, aber es ist niemand da. Der Wahnsinn muss mich gepackt haben, wie sonst könnte ich das hören? Ich will es nicht hören! Nein. Dann fühle ich noch eine Berührung. Jemand streicht mir über das nachwachsende Haar. Ich merke, wie ich zu weinen beginne und meine Ohren den Worten öffne.
Ganz leise flüstert die Stimme: „Du bist kein Feind. Tu dir das nicht an. Es ist nicht deine Schuld was passiert ist und noch passieren wird.“
Diese Worte, diese Worte – einfach furchtbar – was noch passieren wird! Was noch passieren wird! Es werden noch viele Menschen sterben.
„Es ist mir egal was du sagst, wer immer du auch bist. Es ist meine Schuld! Ich bin der Toka! Euer Ende! Ihr hättet mich nie in eure Gemeinschaft aufnehmen sollen! Niemals! Jetzt bringen sie euch um!“
Ich bekomme keine Antwort auch die Augen verschwinden.
Das überzeugt mich mehr als alles andere, dass ich verrückt bin. Anders kann ich mir das nicht erklären.

Wieder frage ich mich: „Wer bin ich? Bin ich wirklich oder nur mehr der Eindruck von Gewesenem? – Ich bin ein Unglück.“
Die einzigen Realitäten, die ich kenne, sind Angst und Hass. Die Angst nagt an mir. Sie ist mein ständiger Begleiter, seit ich im Bergwerk zu denken angefangen habe. Ich fühle sie als eisiges Bohren, fast schon als Teil von mir, implantiert. Der Hass schnürt mich ein, nimmt die restliche Selbstbeherrschung und raubt mir die Luft.
Ich weine bis mich die Erschöpfung einholt – und Vergessen bringt.

Die Zeit hält wieder an. Ich liege hier und habe keine Ahnung, was um mich herum geschieht. Sie lassen mich nicht aufstehen. Ich liege da in meinen eigenen Ausscheidungen, stinke, blute und habe das Gefühl mich jetzt endgültig vom Menschsein zu verabschieden.
Was war auf Trebis?
Warum habe ich nur mich gehört?
Was hatte diese Stille zu bedeuten? Diese sonderbaren Bilder, was war das? Was habe ich da gesehen? Habe ich geträumt? Ich kann nicht geträumt haben! Waren das die Visionen? Was war es? Ich bin so verunsichert, so alleine, verzweifelt in meiner Einsamkeit.
Auch hier ist es still.
Ich kann es nicht mehr aushalten, kann nicht mehr liegen, schreie und schreie immer wieder. „Tötet mich doch endlich! Ich will nicht mehr!“

Wer bin ich?
Was bin ich?
Bin ich noch ein Mensch?
War ich jemals ein Mensch?
Gibt es noch Menschen?
Warum kommt niemand?
Die lassen mich hier ganz allein.
Vor Verzweiflung fühle ich mich winzigklein, ein Staubkorn – weniger als das.

Von der Decke hängt ein Beutel und lässt die Nahrung tropfenweise in meinen Magen laufen. Ich würge, versuche zu spucken. Einzig die Kraft fehlt mir, die Nahrung auszukotzen.
Wo sind alle?
Haben sie mich hier eingesperrt und vergessen?
Wie lange bin ich schon hier?
Wo ist „hier“ eigentlich?
Bin ich noch am Leben?
Ist das die Hölle, von der ein alter Andorier-Priester in meiner Kinderzeit erzählte? Er hat gesagt, dass alle Ungläubigen, nicht Obrigkeitstreuen in die Hölle kommen. Es muss die Hölle sein! Ich bin tot und in der Hölle gefangen. Ja, so muss es sein. Etwas anderes kommt nicht in Frage. Kein Mensch würde einem anderen so etwas antun. Wirklich nicht?
Ich frage mich, was wirklich ist. Die grauen Wände strahlen Kälte ab.
Ist es die Kälte eines Grabes?
Ich möchte mich umdrehen.
Die Bauchlage lässt mir keinen oder nur wenig Raum zum Atmen. Die Klammern drücken mich unbarmherzig nieder.
Ich fühle mich davon fließen.
Überall, wo keine Gurte sind, löse ich mich auf, werde Wasser, und tropfe über die Kante zu Boden! Ich spüre es ganz genau, höre fast die Tropfen fallen.
Was ist hier los?
Was geschieht da?
Ich werde panisch.
Rufe laut, in allen mir bekannten Sprachen, um Hilfe.

Endlich höre ich Schritte. „Ich löse mich auf! Helft mir doch! Siehst du es nicht?“
Zwei Sicherheitsleute stehen neben mir. Ich kann sie nur undeutlich erkennen. Ich merke, wie ein Dritter den Raum betritt, fühle einen Stich im Arm, rufe noch einmal um Hilfe und dann umhüllt mich Schwärze.

Zitternd stehe ich auf einem hohen Berg. Ich kenne ihn nicht und frage mich, wie ich dorthin gekommen bin. Ein Adler kreist über mir. Sein Schrei jagt mir Schauer über den Rücken.
Was mache ich da?
Dann steht Tunkasila vor mir. Er breitet die Arme aus und wendet den Blick der weiten Ebene zu. Jetzt erkenne ich, dass der Berg für sich alleine steht. Er ist über und über mit Schnee bedeckt.
„Der weiße Berg, Tokahe. Der Eine“, sagt Großvater. Er klingt sanft, nimmt mich an den Schultern und dreht mich in jede Himmelsrichtung.
„Osten, hier beginnt der Tag“, sagt er, dann dreht er mich nach Süden. „Die Mittagssonne, die das Land wärmt.“ Weiter geht es nach Westen. „Hier geht die Sonne in den nächsten Zyklus.“ Im Norden hält er inne und sagt: „Hier liegt die Hoffnung auf den Neubeginn. Zuerst muss etwas gehen, um etwas Neuem platz zu machen, verstehst du? Du bist unser Winter.“ Dann schaut er mich lächelnd an.
„Jetzt bist du Tokahe, auch wenn du kein direkter Nachfahre bist.“
„Tunkasila, ich weiß doch nichts. Ich bin nichts – habe keinen Namen und keine Zukunft. Du hast gesehen, was passiert ist und weißt, dass es wieder geschehen wird. Ich will nicht der Tod sein! Ich will nicht für euren Untergang verantwortlich sein!“
Tunkasila gibt keine Antwort. Er lächelt mild, verneigt sich vor dem Land und verschwindet. Allein gelassen drehe ich mich nochmals in alle Richtungen.
Warum muss ich das Unheil bringen?
„Warum, Großvater, warum nur kann ich nicht so sein wie die anderen?“
Ich bekomme keine Antwort. Nur der Wind braust um den Gipfel und der Adler über mir kreischt sein Lied.
Ich drehe mich aus dem Sturm und wende mich der Sonne zu. Ich schaue genau in sie und …


höre Vater brüllen: „Verdammt, ihr sollt ihn doch nicht sedieren, oder sonst wie behandeln!“
Verwirrt öffne ich die Augen. Ich befinde mich noch immer im Arrest, festgeschnallt, nur jetzt auf dem Rücken liegend. Irgendjemand hat sich meiner erbarmt, mir etwas gegen die Schmerzen gegeben und die Wunden versorgt.
„Dreht ihn wieder um!“
„Admiral“, sagt ein Mann in hellgrauer Uniform. „Ich kann das nicht mehr verantworten. Er bleibt wie er ist.“
„Sie verweigern einen Befehl! Fangen Sie bloß nicht damit an, Sie sehen, wo das hinführt.“
„Das ist keine Befehlsverweigerung, Admiral. Als höchstrangiger Mediziner an Bord, habe ich in medizinischen Belangen das Sagen und das betrifft auch die Behandlung von Kriegsgefangenen.“
Ich starre an die Decke, kann kaum glauben, dass hier jemand ist, der nicht einfach blind gehorcht.
„In einer Stunde gehen wir runter. Da muss er im Shuttle sein.“ Der Admiral klingt mürrisch, aber er hat sich dem Arzt gefügt. Es ist fast wie ein zweites Wunder.
Dennoch habe ich Angst. Wenn Vater jetzt zornig ist und sich nicht abreagieren kann, wird er sich woanders sein Ventil suchen. Schlimme Vorahnungen beginnen mich zu quälen.
Als Vater weg ist, sage ich: „Bitte, machen Sie mich los. Ich mache keinen Ärger, lassen Sie mich nur aufstehen und mich waschen.“
Gespannt warte ich auf die Reaktion des Arztes. Er schaut mich einige Zeit an, dann neigt er den Kopf zustimmend, sagt aber kein Wort. Er löst die Gurte und ich versuche aufzustehen. „Bitte, ich brauche Hilfe“, sage ich und strecke den Arm nach ihm aus.
An das Redeverbot hält er sich, aber er hilft mir von der Pritsche runter. Der Schlauch drückt noch immer in der Nase. Am liebsten hätte ich ihn jetzt raus gezogen, aber ich habe versprochen, keinen Ärger zu machen. Ich will diese unerwartete Menschlichkeit nicht überstrapazieren. Als ich endlich stehe, kippe ich zur Seite, die Beine können mich nicht halten. Ein Soldat, den ich vorher nicht bemerkt habe, eilt herbei, zieht mich hoch und zusammen schaffen sie es, mich in die Ultraschalldusche zu bringen. Viel Zeit habe ich nicht, aber es ist ein gutes Gefühl, wieder sauber zu sein. Ich lehne an der Duschwand, schließe die Augen und genieße den Augenblick.
Es ist wirklich nicht mehr als ein Moment, dann holen sie mich wieder raus. Der Mediziner reicht mir frische Häftlingskleidung.
„Er wird Sie dafür bestrafen“, sage ich, während ich mich anziehe. Er zieht nur gleichgültig die Schultern hoch, so als wäre es ihm nicht wichtig. Dann entfernt er vorsichtig die Magensonde und ich werde abgeführt.

Vaters Gesicht wird rot vor unterdrücktem Zorn, als er mich sieht: gewaschen, und angezogen. Mühsam beherrscht er sich. Ich fürchte, dass der Arzt mächtig Ärger bekommen wird. Vater wird seinen Zorn nicht abkühlen lassen, dafür kenne ich ihn viel zu gut.

Wir landen in der Nähe eines Dorfes. Ich werde rausgezerrt und frage mich, warum es hier so kalt ist. Noch nie in der Geschichte des Planeten hat es so einen Winter gegeben. Alles scheint gefroren zu sein. Nun bin ich mir sicher, dass sie das Klima verändert haben.

Soldaten schwärmen aus. Fünf bleiben bei mir. Sie ziehen mich wieder aus und fesseln mich. „Lasst mir wenigstens das Hemd. Es ist so verdammt kalt“, bettle ich. Es hilft nichts. Befehle sind dazu da um ausgeführt zu werden.
Jetzt treiben sie mich in die Mitte des Dorfes. Vater wartet dort bereits. Er kommandiert mit lauter Stimme: „Wir haben ein weiteres Widerstandsnest gefunden! Treibt die Leute ins Freie und zeichnet alles auf. Wir werden eines nach dem anderen diese Terroristencamps auflösen, sie ausräuchern, von der Landkarte radieren!“
Ich weiß nicht, warum die Soldaten diese Lügen glauben. Aber sie beginnen damit, die Leute aus ihren Häusern zu jagen.
Meine Bewacher binden mich unterdessen an den Zeremonienpfahl.
Angst ist in den Gesichtern der Leute zu erkennen, Kinder weinen, ansonsten ist es still.
Der Admiral dreht sich zu mir und grinst gemein.
„Ihr Haufen, das soll der Tokahe sein?“, ruft er, weist auf mich und lacht. „Er wird euch nicht helfen. Das da ist ein Niemand!“ Die Leute starren, keiner sagt ein Wort. Nur leises Kinderweinen ist zu hören. Ich zittere in der Kälte. In meinem Gedächtnis regt sich eine Erinnerung. Die Wärme eines Eisbärenfells legt sich um mich. Das Zittern lässt langsam nach. Ich fühle wie die Stärke des mächtigen Tieres in mich dringt.
Es ist ein sonderbares Gefühl, sehr eigenartig.
„Du wirst ihnen nichts tun! Sie haben euch nichts getan!“, schreie ich von meinem Platz aus.
„Und was willst du dagegen tun? Du kannst nichts machen, rein gar nichts!“ Er tritt jetzt ganz nah an mich ran und schaut mir direkt in die Augen.
„Es sind einfache Bauern, Kinder, Babys! Warum willst du glauben, dass es Terroristen sind? Sie haben deinem Volk nichts getan. Deren Sorgen sind andere – oder denkst du, dass es leicht ist, dieses gefrorene Land hier zu bestellen? Lass sie in Ruhe.“
„Woher weißt du, dass diese Leute keine Terroristen sind, hm? Du bist ihr Anführer, deshalb ist es für mich logisch, dass du sie schützen willst, Sevin“, kontert Vater. Seine Stimme ist so leise, dass nur ich sie hören kann.
„Seit wann bin ich wieder Sevin für dich?“
„Ich werde tun was notwendig ist, das hier ist nur ein Nebenschauplatz.“ Er weist auf die umstehenden, frierenden Leute.
„Lebe ich deshalb noch? Du kannst mich nicht einfach so töten, nicht wahr? Lässt du deshalb andere ermorden, stellvertretend für mich? Wie armselig!“ Meine Stimme trieft vor Verachtung. Vater ist jetzt kalkweiß im Gesicht. Dann lässt er mich auspeitschen.
Ich lache.
Warum lache ich, wenn mich Peitschenhiebe treffen?
Bin ich jetzt komplett ausgeklinkt, übergeschnappt, loco?
Gibt es für mich nichts Wirkliches mehr?
Nicht einmal mehr Schmerzen?
„Das ist die Sprache, die ihr versteht, Vater. Gewalt – du kannst nur mit Gewalt antworten, wenn dir Worte fehlen!“
Die Dorfbewohner stehen noch immer stumm am Platz. Ich sehe die Soldaten Aufstellung nehmen. Dann gibt der Admiral den Feuerbefehl. Alles wird aufgezeichnet.
„Freiheit!“, rufe ich. „Du kannst sie nicht aufhalten!“
Ich sehe wie Blut den Schnee rot färbt.
Dann … ich kann es nicht ertragen, schreie ich meine Wut, Ohnmacht und den ganzen Schmerz über diese Tat in den beginnenden Tag hinaus.

Das Dorf wird anschließend niedergebrannt. Während das Feuer alles auslöscht, singe ich wieder das Totenlied. Das waren einfache Leute, die für nichts gestorben sind, ganz normale Menschen, die in Frieden ihre Felder bestellen wollten.
Hier waren keine Terroristen. Er hat die Ermordung von hundertfünfzig Menschen, darunter viele Kinder, auf Holo-Band, das jetzt dem Oberkommando übermittelt wird. Er wird lügen um seine Tat zu rechtfertigen. Wie kann er sich noch im Spiegel betrachten?

Ich singe noch immer, als sie mich ins Shuttle bringen.
Das Lied wird länger. Je mehr Leute Vater ermorden lässt, desto länger werde ich singen.
Ich singe bis ich zusammen geschlagen werde.

Lärm und stechendes Licht wecken mich. Ich höre Stimmen, lautes Geschrei. Vater und der Arzt brüllen sich gegenseitig an. Was mir jetzt auffällt, ich bin nicht in einer Zelle, sondern auf der Krankenstation. Ein straffer Verband erschwert mir das Atmen. Jeder Atemzug sticht und brennt wie Feuer. Die Rippen sind gebrochen worden. Ich schmecke Blut und taste mit der Zunge die Lippen ab, alles aufgeplatzt. Es fehlt wieder ein Zahn. Aber das ist mir schon egal.
‚Tokahe’, denke ich angewidert. ‚Wenn ich nichts tun kann. Was für ein Irrtum. Ich bin niemand anders als Sevin, ohne Familie. Nein, nicht einmal mehr Sevin. Ich bin 152.370!’
Ich merke, wie mich ein dunkler Gedankenstrudel umfasst und mitreißt.
Einsamkeit. Schuld!
Ich weiß, dass ich Schuld auf mich geladen habe. Allein durch meine Existenz sind diese Leute bedroht. Wie viele Menschen werden noch sterben müssen wegen etwas das ich nicht ändern kann?
Ich weiß es nicht. Werde es wohl nie erfahren.
Was geht im Universum vor?
Herrscht noch Krieg?
Was ist los?
Sind wir noch im Orbit?

Der Arzt stürmt jetzt zornig aus dem Büro. Er schnauzt einen Helfer an, dass sie mich verlegen sollen. Dann schiebt er mir die Sonde in die Nase. Ich würge und wehre mich.
„Hört auf! Ich bekomme so schon zu wenig Luft und jetzt noch das“, bettle ich. Aber die Sonde kommt in den Magen – unerbittlich. Mit mir spricht keiner. Noch immer nicht!
Der Arzt schüttelt nur den Kopf.
Wachmänner betreten den Raum. Sie zerren mich von der Liege und schleifen mich in die Zelle zurück. Als sie mich auf die Pritsche legen durchfährt mich ein irrer Schmerz. Was ist mit meinem Rücken geschehen? Ich kann mich nicht erinnern, ausgepeitscht worden zu sein. Ich weiß nur, dass sie das kleine Dörfchen ausradiert haben und mich anschließend zusammen schlugen. Ich schreie und trete, als die Klammern um mich geschlungen werden.
Dass ich chancenlos bin, weiß ich, aber ich kämpfe gegen sie, schreie, trete und spucke.
Mir geht die Luft aus.
Die Lungen brennen und stechen.
Die Sonde behindert mich zusätzlich.
„Vater! Holt diesen elenden Mörder, den Admiral!“, rufe ich nach Atem ringend, als sich die Tür mit einem Zischen schließt. Ein metallisches Kratzen ist noch zu hören, als ein Riegel vorgeschoben wird. Warum sichern sie die Zelle so gut ab? Ich kann ja nicht einmal eine Hand heben! Wie sollte ich da wohl an Flucht denken?

Allein! Wieder lassen sie mich hier liegen. Von der Decke hängt der Beutel mit der Sondennahrung. Ich wäre jetzt gerne den Geschmack und den Geruch nach Blut losgeworden. Er sticht in der Nase. Ich rieche verbranntes Fleisch.
Mein eigenes? Oder ist es die Erinnerung an etwas anderes?

Grau. Alles ist grau. Ich werde grau.
Geistiger Verfall. Ich muss verrückt sein.
Vielleicht lässt er mich gehen, wenn er merkt, dass ich wahnsinnig bin?
Bin ich es wirklich?
Wieso denke ich immer, dass ich verrückt bin?
Schon wieder diese Augen an der Wand!
Mich schaudert.
Was sollen diese Gaukelbilder?
Stella? Bist du das? Nein, du bist tot.
Ich beginne mit mir selbst zu reden, spreche mit der Vergangenheit, als mich Vater noch geliebt hat. Hat er mich je geliebt? Warum hasst er mich dann jetzt so? Hat es etwas mit dem Befehl zu tun? Es muss mehr gewesen sein. Wegen einem Befehl quält man niemanden über einen so langen Zeitraum. Vielleicht denkt er wirklich, dass ich ein Verräter oder Spion bin und die Strafe verdient habe. Oder irre ich mich? Was weiß ich noch von meinem Volk, den Eltern, den Geschwistern? Irgendwie hat sich über vieles der Nebel des Vergessens gelegt.

Ich weiß nicht, wie lange ich hier liege.
Im eigenen Dreck, mit höllischen Schmerzen und allein.
Mutter.
Warum denke ich an Mutter?
Ich kann ihr Gesicht nicht mehr sehen.
Stella. Auch ihr Gesicht ist weg. Nicht einmal mehr ihren Schatten kann ich erkennen. Alle Erinnerungen an die Menschen, die ich geliebt habe sind verschwunden.
Mutter! Warum vergesse ich dich?
Warum hast du dich von mir losgesagt? Du hast doch immer den freien Willen gepredigt und dann stößt du mich fort, nur weil ich meinem Herzen folge. Ich verstehe es nicht. Damals nicht und heute noch weniger.
Weißt du überhaupt, was sie mit mir machen?
Hast du eine Ahnung davon, was dieses Militär den Leuten in der Galaxie antut?
Kümmern dich die vielen Millionen Toten?
Denkst du an mich? Oder bin ich für dich schon tot?
Mutter! Ich sehe dich nicht mehr! Du bist nur mehr ein Schatten.
Nicht mal deine Stimme habe ich im Ohr. Ich weiß, du hast mir als Kind immer Schlaflieder vorgesungen. Aber ich kann dich nicht mehr hören.
Mutter, sing ein Lied für mich, dass ich schlafen kann.
Ich weine lautlos.

Plötzlich höre ich leises Singen. „Wakan Tanka heyana-a“
Über dem Lied des Großen Geistes schlafe ich ein. Im Traum erscheint Großvater. Warum ist es immer Tunkasila und nie mein Blutsverwandter?
Tunkasila sitzt auf dem Boden, eine rituelle Rassel in der Hand. Er wiegt den Oberkörper vor und zurück, während er von der Entstehung allen Seins singt. Wie alles miteinander verbunden ist, in einer ewigen Spirale. Alle Gedanken, die wir denken, wirken sich auf alles aus. Er singt von der Liebe zum Land, den Geschöpfen. Dann singt er, wie seine Vorfahren das Weltall entdeckten. Viele flogen zu den Sternen und kehrten verändert zurück. Er singt vom Heilen dieser Seelen und wie sie wieder ein Volk wurden. Viele Seelen waren aber im All geblieben, hatten sich mit anderen Stämmen verbrüdert und waren dort sesshaft geworden. Tunkasila singt davon, dass diese Menschen eines Tages zurückkommen werden. Sie werden ihre Herkunft vergessen haben. Er besingt den Tokahe, der die Stämme wieder miteinander bekannt macht. „Wakan Tanka, der Große Geist, ist in allem Sein, Sevin. Alles, was du tust, oder unterlässt, kommt zu dir zurück“, sagt er zum Abschied.
.„Großvater!“, rufe ich im Schlaf. „Bleib hier, erzähle mir vom Volk! Sind wir ein Stamm?“ Stille antwortet mir – er ist weg. Ich schrecke hoch.
Wenn sich alles auf alles auswirkt – was habe ich nur getan?!
Was habe ich getan, um diese Misshandlungen zu verdienen?
Ich brülle mein Schuldgefühl, meine Angst und meinen Hass in den leeren, stillen Raum. Der Schall bohrt sich in mich, zertrümmert das Herz, vernichtet den letzten Rest Selbstachtung und lässt mich schonungslos mich selbst erkennen. Noch nie im Leben habe ich mich so nackt gesehen – so offen und ich schreie wieder, weil mir nicht gefällt was ich sehe.
Unerwartet fühle ich eine Hand über den Kopf streichen. Es ist eine liebkosende, zärtliche, fast väterliche Berührung. Ich merke Tränen über die Wangen laufen. Sie scheinen etwas von der Scham wegzuspülen. Aber es ist soviel vorhanden! Zu viel.
„Quäl dich nicht so. Du bist was du bist, was das Leben aus dir gemacht hat. Lass es gut sein, mein Junge“, sagt eine sanfte männliche Stimme. Ich schlucke, will etwas sagen, aber es geht nicht.
Kein Wort kommt aus meiner trockenen Kehle.
Kein Wort bildet sich in meinem Kopf.
Kein Wort, um mich bei all den Leuten zu entschuldigen, denen ich im Laufe meines Lebens schweres Unrecht zugefügt habe.
Kein Wort der Liebe kann mir entschlüpfen.
Wie kann ich lieben, wenn ich mich selbst nur verachte?
„Du bist von unserem Blut, mein Junge, unser Sohn, der Sohn unseres Kindes, der Sohn unseres Kindeskindes. Ich bin dein Ahne. Nimm den Trost von Tunkasila an, lass Wakan Tanka in deinen Geist. Beruhige dich.“
Wieder diese Stimme und die sanfte Berührung.
Ich versuche dem Inhalt zu folgen, tun was die Stimme sagt, auch wenn ich es nicht verstehe.
„Wakan Tanka, heyana-a“, höre ich Großvater singen. Ganz leise – ich schlafe wieder ein.

Nie werde ich diese Worte und Großvaters Lied vergessen. Wakan Tanka, der Große Geist, ist in Gestalt von ihm zu mir gekommen. Wir sind von einem Stamm.
Sind wir es wirklich oder bilde ich es mir nur ein?

Während ich versuche die Schmerzen zu ignorieren, denke ich an Stellas Haus, das auch meine Heimat war. Es war ein schönes Haus, direkt am Fluss. Stella hatte im Garten eine Schwitzhütte bauen lassen. Das Schwitzen war immer eine aufwändige Zeremonie und konnte stundenlang dauern. Anfangs hat sie mich ausgelacht, weil ich so schnell wieder draußen war. Aber wir Andorier sind Kälte liebend. Deshalb siedeln wir hauptsächlich auf Planeten, die ein kühles Klima aufweisen. Stella. In Erinnerung an ihren Gesichtsausdruck muss ich lachen. Sie und Tunkasila sind mir nachgelaufen. Sie wussten nicht, dass mir die Hitze so zu schaffen machen würde. Ich dachte, ich würde in der Hitze verglühen, also rannte ich schnell wie der Wind hinaus und sprang in den Fluss, um mich abzukühlen. Es war das beste Bad meines Lebens. Auch ich musste danach lachen. Stella schwamm zu mir und zusammen lachten wir, bis uns die Tränen kamen und sie sich mit dem Wasser des Flusses vermischten. Großvater ließ uns taktvollerweise alleine und wimmelte alle neugierigen Verwandten ab.
Die nächste Zeremonie hielten sie dann für mich ab. Den Verwandten war es nicht heiß genug und ich war wieder Mittelpunkt ihres Spotts. Wer in dieser Gesellschaft keinen Humor hat, nicht über sich selbst lachen kann, tut sich echt schwer mit diesen Leuten.

Tief in Gedanken versunken vergesse ich wo ich bin. Ich lasse mich von den heiteren Erinnerungen tragen, mich wärmen und einhüllen.
Ein lautes Knacken reißt mich in die Gegenwart zurück. Über der Tür ist der Lautsprecher angegangen. Ich zittere vor Schreck. Das Herz schlägt laut und heftig gegen die bandagierte Brust und in den Lungen höre ich es rasseln.

Ein Nachrichtensprecher der Andorie-Allianz gibt die neuesten Meldungen bekannt. Seit wann darf ich Nachrichten hören?
„Gerade eben haben wir Meldung erhalten, dass auf Trebis ein gefährliches Terroristen-Camp aufgebrochen wurde. Es handelte sich um die Zelle „Trappers“. Es waren hauptsächlich Brandstifter und Bombenleger. Erst vor einer Woche haben diese in der Hauptstadt von Trebis, Annokis, die Botschaft von Andor mit einer Bombendrohung bedacht. Daraufhin hat unser Zentralkommando beschlossen, den berühmten Admiral Sevon Lan’dan nach Trebis zu entsenden. Durch das entschlossene Eingreifen des Admirals und seiner Leute, konnte das Schlimmste verhindert werden. Der Admiral wird demnächst eine Ehrung des Zentralkommandos erhalten. Auch die geplante Befreiung eines gefährlichen Terroristenführers konnte so vereitelt werden, er befindet sich wieder in sicherem Gewahrsam und wird verhört. Wir danken dem Zentralkommando für seine Weitsicht und Umsicht zum Schutz der andorischen Bevölkerung.
Das Wetter. Heute ist es auf dem Zentralkontinent wieder angenehm mild. Gegen Mittag wird etwas Regen erwartet. Machen Sie sich einen schönen Tag und danken Sie dem Zentralkommando und Admiral Lan’dan für die gute Arbeit, die unser Leben sicher und komfortabel macht.“

Mit einem lauten Knacken endet die Übertragung. Ich bin erschüttert.
„Lauter Lügen. Sie schüren Angst und Hass“, murmle ich.
Bald wird kein Lebewesen mehr sicher sein. Jeder wird jeden belauern, belauschen und ausspionieren.

Die Stille ist jetzt noch tiefer. Meine Worte scheinen im Raum nachzuhallen, an den Wänden ein Echo zu bilden und dann hart auf mich einzuschlagen, wie der Knüppel, der eben auf meine Füße trifft. Ich schreie laut auf.
„Du hältst die Klappe!“, brüllt der Wachmann. „Die Nachrichtenagentur würde niemals Lügen verbreiten!“
Ich stöhne, habe keine Luft zu einer Antwort. Ich habe den Eindruck, dass ein Knochen gebrochen ist. Dann steht der Admiral vor mir.
Wann sind die beiden in die Zelle gekommen?
Lan’dan – das war einmal mein Name: Sevin Lan’dan, auf den in der Armee eine große Zukunft gewartet hatte.
„So, dieses war das erste Terroristennest, das wir ausgeräuchert haben. Soll es weitergehen?“, fragt er scheinheilig.
Ich kann nicht sprechen. Zu sehr quälen mich Schmerzen, Angst und Selbstzweifel.
Was, wenn das alles hier wirklich meine Schuld ist?
Was, wenn ich dem ein Ende bereiten könnte?
Es ist einen Versuch wert.
„Vater“, flüstere ich. „Hör bitte auf damit.“
Ich muss eine Pause machen. Schließe die Augen und höre die Luft in den Lungen rasseln. Ich versuche es erneut. Meine Stimme wird immer leiser, bis sie kaum hörbar ist.
„Ich bekenne mich aller Taten schuldig. – Bist du zufrieden? Hörst du auf damit, Unschuldige zu töten?“ Ich schäme mich der Tränen und der Schwäche wegen.
Der Admiral stellt sich an meine Seite.
„Ich hab dich nicht gehört. Aber damit du Bescheid weißt: ich werde die Befehle des Zentralkommandos ausführen. Jedes Nest auf dem Planeten wird ausgelöscht und dann haben wir neuen Lebensraum für unsere Bürger.“
Wahnsinn!
Vater kann diesen Mist doch nicht glauben. Ich schüttle den Kopf. Das kann nicht wahr sein.
„Warum quälst du mich dann damit, dass es in meiner Hand liegt, etwas zu ändern?“, frage ich unter Tränen.
Der Admiral schickt die Wachen raus, dann wendet er sich ganz mir zu.
„Was willst du uns allen beweisen? Sag doch einfach, wo die anderen Verräter stecken. Wo hatten sie ihre Rattenlöcher? Wer sind sie?“
„Du glaubst wirklich, was über mich gesagt wird, nicht wahr?“
„Natürlich – ich habe die Beweise gesehen. Ich möchte wissen, was mit dir los ist. Du benimmst dich nicht normal. Jeder andere hätte schon längst alles gestanden, nur du nicht. Warum nur, habe ich damals zugestimmt …?“ Er unterbricht sich und sieht mich an als wäre ich ein Monster.
Ich schlucke, weiß ich doch, was er meint – Mutter hätte mich noch vor der Geburt töten lassen sollen.
„Vater, ich bin unschuldig. Lass mich frei oder töte mich. Es liegt doch in deiner Macht. An meinen Genen wird sich durch die Folter nichts ändern.“
„Da irrst du dich, Sevin. Das liegt schon lange nicht mehr in meiner Macht, oder warum denkst du, bin ich hier statt in meinem Büro auf Andor? Deine Tat hat weitreichende Folgen getragen. Denk daran, wenn du das nächste Mal befragt wirst.“
„Ich bin unschuldig. Warum glaubst du mir nicht? Ich habe dich nie belogen.“
„Das nicht, aber du hast auch nie gehorcht.“
Damit dreht er sich um, strafft die hängenden Schultern und ruft die Wachmänner, damit sie ihn rauslassen.
Ich bin tief erschüttert, fassungslos, verwirrt.
Vater wird, um die Familie zu schützen alles tun – er wird mich opfern – es müssen!
Ich hasse ihn, weil er mir das antut, nur damit er nicht die Wahrheit sehen muss.
Ich hasse mich, weil ich ihm diese Entscheidung aufgezwungen habe. Meine Familie hält mich für einen verräterischen Spion, der um des Profits willen ihre Leben zerstört. Sie halten mich für einen Umstürzler, einen Terroristen, dabei ist meiner Meinung nach das Militär für die meisten Terroranschläge verantwortlich. Es gibt auf Trebis nichts anderes als arme Bauern, die jetzt noch ärmer werden.
„Vater! Ich wollte nicht, dass dein Leben zerstört wird! Mutter, verzeih mir! Warum nur hast du mich nicht getötet!“ Doch die Zelle ist leer. Die grauen Wände scheinen mich auszulachen. Der Nahrungsbeutel verhöhnt mich mit seinem steten Tropfen. Die Klammern um mich versichern mir, dass ich schuldig bin.
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
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Themenersteller 
Gebrochen?
Der Große Geist soll angeblich alles mit seinem Atem umhüllen. Diesen Eindruck habe ich nicht. Es ist eher so, dass ich mir einbilde, der Atem geht ihm aus. Die Andorie-Allianz ist mächtig. Wahrscheinlich noch mächtiger als zu der Zeit, als ich ein Teil davon war.

Hass gegen meinen Vater und andere Andorier macht sich breit.
Selbsthass. Ich verabscheue mich! Meine Entscheidungen, mein Leben – alles!
Was habe ich mir nur dabei gedacht, gegen die Regierung zu handeln?
Ich hätte wissen müssen, dass es so enden würde.
Jetzt werden noch mehr Menschen sterben, nur weil ich eine Entscheidung getroffen habe. Silvo hatte Recht Selbstmord zu begehen.
Warum habe ich es nicht getan?
Habe ich vielleicht gedacht, dass Vater mir helfen würde?
Nein. Das bestimmt nicht. Er hat mich doch vorher schon aufgegeben, fallen gelassen.

Ich zwinge mich, an die Vergangenheit zu denken. Stellas Tod zieht an mir vorbei, mit all der Qual, die er in mir ausgelöst hat, den Zweifeln, der Schuld.
Ja, ich bin schuldig!
Da sind wieder diese Augen, die mich wissend und zugleich mitleidig ansehen. Ich verschließe mich davor. Will sie nicht sehen. Ich bin tatsächlich verrückt.
Halluzinationen! Delirium.
Schmerzen. Atemnot.
Wahnsinn.
Einsamkeit.
Dunkelheit.
Stille.
Das ist meine Welt.
Ich bestrafe mich, indem ich wieder an Stellas Tod denke. Die Schuld lastet wie ein großer Berg auf mir. Dennoch will ich mich nicht von ihm befreien. Er ist das Gewicht, das mich daran erinnert noch am Leben zu sein.

„Stella! Es tut mir Leid. Ich hätte dich genau so gut eigenhändig töten können. Er hat recht, du und alle, ihr seid wegen mir gestorben“, sage ich leise.
Ein tiefer, schwarzer Sumpf umfasst mich, zieht mich runter in die tiefsten Tiefen meines persönlichen Unvermögens, meines Versagens. Es raubt mir den Atem, zieht mich noch weiter weg vom Land der Lebenden, hinein in den Wahnsinn.
Ich ertrinke in einem weichen Polster aus Schwarz.
Pausenlos muss ich an Stelle denken. Ich würde so gern ihr Gesicht sehen. Ihr Haar berühren, ihren zarten Duft riechen. Was ist riechen überhaupt? Wann habe ich das letzte Mal etwas Angenehmes gerochen?
Gibt es noch gute Gerüche?
Gibt es überhaupt noch etwas Gutes in der Welt, der Galaxie?
Wohin ist es verschwunden?
Wo ist das Gute in mir?
Wo ist mein Licht? Es ist verschwunden – weg in all der Kälte und dem Dunkel das mich umgibt, das aus mir strömt.

Ich merke, wie ich mich aufzulösen beginne. Gerade eben spüre ich, wie sich die Zehen verflüssigen, dann die Finger, die Waden, die Schenkel, die Schultern, der Kopf. Mein lauter Schrei bringt eine Wache in die Zelle. Er stopft mir einen Knebel in den Mund und geht wieder. Verzweifelt rolle ich mit den Augen, ringe um jeden Atemzug. Ich verliere den Kampf um das Bewusstsein und falle in tiefe Dunkelheit.
Hoffentlich kommt der Tod.

Als ich die Augen öffne, weiß ich nicht wo ich bin. Ich bin verwirrt, denke, dass ich auf der Alpha-Star bin und verwundet auf der Krankenstation liege. Ein Kissen stützt mich im Rücken und verhindert, dass ich nach hinten falle.
Eine Krankenstation ist es definitiv. Ich schaue mich interessiert um, weiß noch immer nicht genau, wo ich bin. Irgendetwas muss passiert sein.
Wo ist dieses Hier?
Ich bin ans Bett gefesselt. Versuchsweise rüttle ich daran. Die Gurte halten. Gleichzeitig beginnt etwas zu piepen und zu summen. Erschrocken halte ich inne, sehe mich um, soweit es die Lagerung erlaubt. Durch den Lärm werden Leute angelockt. Eine Frau in dunkelblauer Uniform mit dem Emblem des medizinischen Dienstes und ein Wachoffizier treten zu mir.
„Schon gut“, sagt die Frau zum Wachmann. „Sie können gehen. Er kann mir nichts tun.“
„Ich stehe gleich an der Tür, wenn was ist. Diesen Terroristen kann man nicht trauen“, brummt er zurück.
Ich sehe mich im Raum um, ob da noch jemand ist. Nein, mit dem Terroristen muss der Kerl mich gemeint haben. Mein Entsetzen wächst, als die Erinnerungen auf mich einströmen.
Die Frau kommt jetzt ganz nah zu mir, lächelt mich schüchtern an und flüstert: „Bleib ganz ruhig. Ich kann dir Erleichterung verschaffen. Hast du Schmerzen?“
Ich schüttle den Kopf, frage aber: „Wo bin ich?“
„Auf der Omega-Star, dem Flaggschiff der Flotte, auf der medizinischen Abteilung. Das hier ist die Isolierkammer.“
„Warum bin ich hier?“
Jetzt dreht sie sich vorsichtig um, und sagt dann schnell und leise: „Der Chef hat sich endlich durchgesetzt, sonst wärst du schon tot. Du hattest eine lebensbedrohliche Infektion. Aber wir haben das im Griff. Du wirst leben.“ Ihre Augen hängen an mir als sie das sagt. Sie sieht so jung aus, so verdammt jung. War ich das auch einmal?
„Ich muss dich jetzt auf die andere Seite drehen und die Sondennahrung wechseln. Ich hole den Wachoffizier rein. Du bleibst still.“
Ich nicke.
Es ist eine sonderbare Situation. Die Pflegerin verhält sich eigenartig. Will sie etwas von mir? Warum ist sie so freundlich?
Was haben die mit mir vor?
Diese Freundlichkeit macht mir Angst.

Der Soldat hält mir eine Waffe an den Kopf und beobachtet jede meiner Regungen. Die junge Frau bindet mich los, dreht mich um und wechselt den Behälter mit der Nährlösung. Dann fixiert sie mich wieder und verlässt die Isolierkammer, alles schweigend. Der Soldat bleibt an der Tür stehen. Er scheint mich zu bewachen und das Ganze zu genießen. Ich versuche nicht daran zu denken, warum ich hier bin, will alle Erinnerungen verscheuchen.

Die Seitenlage ist eine angenehme Abwechslung. Das Atmen fällt mir leichter und die Schmerzen sind erträglich. Wahrscheinlich bin ich vollgepumpt mit Schmerzmitteln.
Ich fühle mich in einen Dämmerschlaf abgleiten, als plötzlich die fürchterliche Hymne der Andorie-Allianz aus dem Interkom-Lautsprecher schallt. Dann beginnen die stündlichen Nachrichten.
Propaganda, allerfeinste Lügenmärchen, als Wahrheit verpackt und teuer verkauft. Ich will nicht zuhören, achte dann aber doch auf alles, was der Sprecher sagt.
„Bürger der Andorie-Allianz, wie wir soeben erfahren haben, hat sich eine weitere Terroristenzelle zu geplanten Anschlägen bekannt. Einer davon sollte sogar auf unserem geliebten Heimatplaneten durchgeführt werden. Die meisten hätten aber die Metropolen auf Trebis betroffen. Durch diese hinterhältigen Terroristen ist unsere innere Sicherheit gefährdet. Das „Komitee für Volkssicherheit und gegen fremde Einflüsse“ hat verlautbaren lassen, das bis auf Weiteres eine verbindliche Ausgangssperre ab Dunkelwerden besteht. Vermeiden Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit jede Versammlung von mehr als zwei Personen. Achten Sie auf Ihre Nachbarn, besonders, wenn sie einer fremden Kultur entstammen sollten. Haben Sie ein Auge auf Ihren Nachwuchs. Gerade auf die Kleinen müssen wir am meisten aufpassen, sie sind unsere Zukunft. Die Terroristen haben es auf die Kinder abgesehen, diese entführen sie und zwingen sie dann in ihren Zellen zu arbeiten.
Gehen Sie nicht aus, wenn es nicht sein muss. Die „Agentur für Nachrichten und Wahrheit“ wird Sie über die weiteren Schritte zu jeder Zeit auf dem Laufenden halten. Das Interkom ist zu diesem Zweck ständig frei zu halten. Sie dürfen es nur in Notfällen benutzen. Das Oberkommando hat vorerst den Notstand und das Kriegsrecht ausgerufen. Halten Sie sich an die Weisungen und wir werden bald wieder alle in Frieden und Wohlstand leben können. Wir sind uns sicher, dass dieser Zustand nur eine kurze Zeit anhalten wird.
Danken wir dem Zentralkomitee für seine Umsicht und Fürsorge, und dem tapferen Admiral Lan’dan sowie der Besatzung der Omega-Star, dem berühmten Flagg-Schiff der Allianz.
Jetzt hören Sie noch die neuesten Nachrichten aus Sport und Unterhaltung …“
Ich höre nicht mehr zu. ‚Agentur für Nachrichten und Wahrheit’, denke ich angewidert. War das schon immer so? Seit wann wird die Bevölkerung derartig belogen und manipuliert?
„Alles Lügen!“, mache ich mir empört Luft, ich kann mich nicht mehr zurückhalten. Der Wachmann wirft mir einen finsteren Blick zu. Wieder spielen sie die Hymne der Allianz, das so genannte „Hohelied der Herren“.
Ich will aufspringen, habe vergessen, dass ich gefesselt bin. Schon steht der Wachmann neben mir und drückt mir den Stromstab aufs Brustbein.
Er grinst als er den Auslöser betätigt. Mit einem lauten Schrei und heftig zitternd falle ich zurück. Ich liege in Krämpfen, schwitze und ich brabble unzusammenhängendes Zeug.
Das war nicht nötig gewesen!
Irgendjemand stürmt die Kammer. Wie durch Watte höre ich Leute reden. Es wird hastig herumgelaufen, jemand nestelt an mir. Ich versuche mich zu wehren, bin aber durch das heftige Schütteln gehandicapt.
Endlich lässt der Krampf nach und ich bekomme wieder mit, was rund um mich geschieht.

„Verdammt. Ich brauche den heute für die Aufnahmen. Seht zu, dass er mittags fit ist – und zwar halbwegs ansehnlich!“, höre ich die Stimme des Admirals. Er klingt zornig. Ein Arzt steht am Bett und redet ins Interkom. Gerade beschwichtigt er den Admiral: „Er wird bereit sein, Admiral, da können Sie sicher sein. Es ist kein Schaden entstanden.“
Dann scheucht er den Wachmann hinaus, der nur widerwillig die Isolierzelle verlässt. Immer wieder dreht er sich zu mir um. Innerlich schaudere ich vor dem hasserfüllten Blick.
„So, dann sehen wir mal zu, dass wir dich so hinbekommen, dass du auf dem Holo nicht wie deine eigene Leiche aussiehst“, sagt der Arzt und klatscht in die Hände. „Der Idiot wird erst wieder kommen, wenn wir ihn holen.“ Er dreht sich zu der Frau um und fährt ohne Unterbrechung fort: „Ana’ka, jetzt mach ihn mal los und dann werden wir sehen, was wir tun können.“
Vorsichtig bindet sie mich los und hilft mir, mich aufzusetzen. Mir wird fast sofort schwindlig und schlecht. Ich kotze dem Arzt auf die Schuhe. „Entschuldigung“, sage ich, als ich wieder Luft zum Reden habe.
„Nicht so wild, da hab ich schon Schlimmeres erlebt“, sagt er und grinst mich an. „Du erkennst mich nicht, oder? Ich bin Helwin Mar’yl.“
„Herr Libertas“, beginnt Ana’ka zu reden, doch ich unterbreche sie wütend.
„Ich bin kein Herr, nicht einmal mehr ein Mensch!“ Plötzlich überrollen mich die Verzweiflung, die Absurdität der Situation – vorhin hatte sie mich noch geduzt, mein eigenes Unvermögen etwas zu ändern oder zu bewegen.
Ich schreie: „Kein Mensch, nur mehr lebendes, atmendes Fleisch! Kein Mensch!“
Wildes Schluchzen schüttelt mich, hält mich fest und treibt die Tränen aus den Augen bis sie brennen. So liege ich und lasse die Trauer raus, die Angst, die Mutlosigkeit, den Hass, bis ich nur noch würge.
Langsam werde ich ruhiger, wische das Gesicht trocken und starre den Mann an meiner Seite an. Er guckt mir fasziniert zu. Die Frau sehe ich draußen vor der Tür stehen und mit dem Wächter reden.
„Geht’s wieder?“
Ich schlucke den letzten Schluchzer hinunter und nicke.
„Na dann – auf geht’s. Sehr viel Zeit haben wir nicht.“
Ich starre ihn weiter an und krame in meinem Gedächtnis. Es gab früher mal einen Mann mit dem Namen des Doktors, aber war ich ihm auch begegnet? Hatten wir je zusammen zu tun, miteinander gearbeitet? Er muss mir die Verwirrung ansehen, denn sein Grinsen erscheint wieder.
„Wir sind uns nur einmal begegnet, als Silvo mich auf der Akademie besuchte und da auch nur ganz kurz. Sonderbar, warum ich dich nicht vergessen konnte. Ist ja jetzt auch egal. Ich war vor deiner Zeit auf der Alpha-Star, bin dann hierher abkommandiert worden. Silvo mochte ich wirklich immer gern, schon während der Ausbildung auf der Akademie der Unwissenschaften, waren wir befreundet. Jammerschade um ihn.“ Er seufzt einmal auf, dann klärt sich sein Blick wieder und ein Lächeln tritt in seine braunen Augen.
„Was passiert hier? Ich kann nicht glauben, dass diese Attacken nur wegen mir ausgeführt werden.“
„Sie sind von langer Hand geplant und die Bewegung, auch wenn es nicht wirklich eine gibt, ist jetzt ein guter Vorwand noch härter zuzuschlagen.“
„Warum hilfst du mir?“
„Ich helfe dir nicht, ich führe nur Befehle aus. Glaub nur nicht, dass ich auf irgendeiner Seite stehe. Ich bin nicht so blöd, um die Fehler des Systems nicht zu sehen, aber ich bin auch dem Aufstand gegenüber nicht blind. Auch die machen mehr als genug Mist und sie nehmen dich als Galionsfigur.“
„Aber du bist freundlich zu mir, freundlicher als ich es verdiene.“
„Das bin ich nicht. Probier mal, ob du aufstehen kannst, dann lass ich dich duschen. Warte, zuerst kommt die Sonde aus der Nase.“
Ich lege mich wieder auf den Rücken und Helwin nestelt leise fluchend am Schlauch herum. „Jetzt tut’s gleich weh“, sagt er und mit einem schmerzhaften Ruck ist der Schlauch weg. Ich schreie wie am Spieß.
„Irgendwie muss der Schlauch mit dem Epithelgewebe in deiner Nase verwachsen sein. Es ging nicht anders, als ihn mit einem Ruck rauszureißen. Normalerweise geht das ganz leicht und schmerzlos.“ Er hält mir ein blutstillendes Aerosol unter die Nase. Kurze Zeit später kann ich wieder halbwegs frei atmen.
„Eigentlich dürfte ich dir bei dieser lädierten Schleimhaut nichts mehr durch die Nase schieben, aber es ist sicher besser so, als eine perkutane endoskopische Gastrostomie durchzuführen. Versuch jetzt einmal aufzustehen.“
Ich verstehe nicht viel von dem was er sagt, aber ich muss es nehmen wie es ist. Mir bleibt keine Wahl.
Er reicht mir die Hand und hilft mir in eine sitzende Position. Vorsichtig gleite ich vom Bett und sogleich knicken die Knie weg. Der gebrochene Knöchel schmerzt wie die Hölle. Den haben sie bei der Behandlung vergessen. Die Rippenbrüche wurden aber gut versorgt, da spüre ich nur mehr ein leichtes Ziehen, wenn ich tief einatme.
„Holla, da haben wir etwas übersehen“, sagt Helwin und schubst mich wieder ins Bett. Er spritzt mir etwas in die Venenkanüle und die Schmerzen lassen nach. Dann untersucht er den Fuß. „Gut, scheint nicht viel zu sein. Gebrochen ist er nicht, angeknackst, aber das reicht schon für höllische Schmerzen. Versuche noch einmal aufzustehen.“
Zusammen schaffen wir es, dass ich vom Bett runter auf die Beine komme. Ich muss lange Zeit gelegen haben, denn ich habe das Gefühl Brei statt Muskeln zu haben. Helwin bringt mich in die Dusche.

Nur derjenige, der sich selber wochenlang nicht waschen konnte, kann sich vorstellen, was das für ein gutes Gefühl ist, wieder sauber zu sein. Am liebsten möchte ich gar nicht mehr aus der Dusche raus. Es ist zwar kein echtes Wasser, nur Ultraschallvernebelung, aber es ist das Beste, das ich seit langem erlebe. Es ist sonderbar, aber auch in so einer Situation, wo man nicht weiß, wie es weitergeht, die Angst übermächtig ist und keine Aussicht auf ein Entkommen besteht, kann man schöne Gefühle empfinden. Hoffentlich gibt es mir Kraft für, was auch immer heute noch auf mich zukommen wird. Angenehm wird es nicht werden.
Ich betrachte mich im Spiegel. Was ich sehe erschreckt mich, ich erkenne mich nicht wieder. Wer ist dieser fremde Mann, der mir da entgegensieht?
Mein einstmals dunkelbraunes Haar ist von Silberfäden durchzogen. Die blauen Augen sind stumpf und leer. Am Erschreckendsten ist aber nicht mein Gesicht, sondern der zerschlagene, geschundene Körper. Überall sind die Spuren der Misshandlungen zu erkennen – dicke, schlecht verheilte Narben überziehen Brust und Rücken. Beide Oberarme sind von der eingebrannten Nummer verunstaltet. Ich wusste nicht, dass ich doppelt gezeichnet wurde.
Erschauernd wende ich den Blick vom Spiegel – ich will mich nicht betrachten.
„Wie lange war ich weggetreten“, frage ich um mich abzulenken.
„Etwa zwei Wochen habe ich dich im Koma gehalten. Jetzt sind deine Wunden fast alle verheilt.“
Zwei Wochen! Das ist eine lange Zeit.
„Bevor du fragst, es hat in der Zeit zwei Angriffe von unserer Seite gegeben. Wir befinden uns immer noch im Orbit. Es kann sein, dass eine weitere Säuberungsaktion stattfindet.“
Darauf weiß ich nichts zu sagen. Es macht mich innerlich fertig, dass das alles geschieht, weil mich beide Seiten für ihren sinnlosen Krieg missbrauchen. Meine angeblichen Taten benutzen sie als Rechtfertigung für ihren Eroberungsfeldzug um Lebensraum zu gewinnen. Es ist entsetzlich, unglaublich – und doch geschieht so etwas, und nicht einmal so selten, wie ich aus meiner Armeezeit noch weiß.

Ich bekomme einen orangefarbenen Overall mit der Häftlingsnummer auf Brust und Rücken. Wie ich diese Nummer hasse. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas, derartige Gefühle in mir auslösen kann.
„Irgendwann, musst du mir sagen, warum du gelacht hast, als sie dich auspeitschten.“
Ich schaue ihn verwirrt an.
„Ich habe nicht gelacht, wenn dann habe ich geschrien“, antworte ich.
„Doch, du hast gelacht. Und weißt du was, du hast damit eine Lawine losgetreten. Die Aufnahme ist durch die halbe Galaxie gegangen und wird jetzt unter der Hand weiter gereicht. Sie gehört zu den verbotenen Filmen. Viele wollen sehen, wie du ihnen ins Gesicht lachst während sie dich foltern.“
Ich bin bestürzt, habe das Gefühl, dass ein widerlicher Bürgerkrieg in Anmarsch ist.
Das Hochgefühl, das ich beim Duschen empfunden habe, ist dahin. Resigniert über die Angriffe lege ich mich wieder ins Bett und warte – darin bin ich Meister. Aber ich nutze die Zeit in der Helwin hier ist und frage ihn aus. Endlich redet einmal jemand mit mir.

„Weißt du, warum sie Trebis umformen? Der Planet ist jetzt auch für Landwirtschaft verdorben.“
„Soviel ich mitbekommen habe, formen sie den südlichen Kontinent um. Unsere Wissenschaftler experimentieren mit punktuellem Terraforming. Nun, damit kenne ich mich nicht sonderlich gut aus. Aber bisher sieht es so aus, dass der nördliche Kontinent noch das ursprüngliche Klima aufweist.“
Ich verstehe was er meint, finde es nur widerlich. Doch dann ist schon die nächste Frage in meinem Kopf: „Ich habe den Wächter in der Mine angegriffen, damit sie mich töten und jetzt vegetiere ich zwischen Leben und Tod dahin. Warum?“
„O Sevin, Mann. Als du dein „Ich“ wiederentdecktest konnten sie nicht anders. Sie müssen herausfinden, warum es nicht funktioniert hat. Ich habe deine Akten gesehen, du bist wahrscheinlich der am besten ausgebildete Mann der Flotte. Diese verdammte Konditionierung können sie nicht aus dir rausprügeln. Deine Hirnströme sind anders als die der meisten Soldaten. Sie weichen zwar nicht viel ab, aber doch so deutlich, dass es sogar ein Laie sehen kann.“
Ich verstehe das nicht ganz aber ich erinnere mich an die verschiedenen Prüfungen während der Ausbildung. ‚Dazu noch meine Gen-Anomalie’, denke ich und schließe einen Moment resigniert die Augen.
„Wenn ich so gut konditioniert bin, warum habe ich dann das Zyanid nicht genommen?“, überlege ich laut.
„Weil du zu gut trainiert bist. Dein Unterbewusstsein hat dir gesagt, dass es falsch wäre, nehme ich mal ganz unprofessionell an. Ich muss jetzt nach ein paar anderen Leuten sehen.“
Damit lässt er mich alleine und ich erinnere mich an die Ausbildung. Was für eine Tortur: Schlafentzug im Übungsmodus über einen undefiniert langen Zeitraum, ständig auf dem Posten sein, fingierte Gefangennahmen, Prügel … nein, ich will mich nicht mehr erinnern.
Es ist vorbei.
Die Übung hat der Realität Platz gemacht.

Nun kommen die Soldaten und holen mich.
Ich werde in schweres Eisen gelegt, noch immer nennt man die Ketten so die einmal um die Hüfte geschlungen werden und die Hand- und Fußfesseln miteinander verbinden. Die Fesseln sind schwer und ihre Verbindungsteile sehr kurz. Ich kann kaum gehen, ihr Gewicht lässt mich nach vorne kippen.
Sie treiben mich zum Lift. Wir fahren in den Bereich der Konferenzräume. In den Imposantesten, mit der schönsten Aussicht ins All, werde ich hinein gezerrt. Die Ketten klirren und klimpern bei jeder Bewegung.

Vater – nein – der Admiral sitzt an einer Seite des Raumes und blickt mich finster an. Vor ihm steht ein altertümlicher Schreibtisch. Ihm gegenüber entdecke ich den Adjutanten und eine Frau. Sie scheint die ganze Aktion, die hier laufen soll, zu leiten, denn sie blickt den Admiral an und sagt: „Admiral Lan’dan, die erste Aufnahme mit Ihnen ist ausgezeichnet geworden. Die Leute werden Ihnen auf ewig für Ihre Mühen dankbar sein. Mit Ihrer Erlaubnis, werde ich dann mit der nächsten Aufnahme beginnen. Ich möchte, dass Sie vorher noch einige Sätze sagen, dann soll der da die vorbereitete Proklamation verlesen. Für die restlichen Aufnahmen brauchen wir ihn nicht mehr. Das schafft der Aufnahmeleiter dann auch so. Ich hoffe, das alles hier so schnell wie möglich abhandeln zu können, weil mich diese Sache anekelt.“ Dabei streift mich ihr Blick.
Sie redet von mir, als wäre ich nicht im selben Raum, oder schwachsinnig. Dann sehe ich in ihren Augen, dass ich für sie nur eine Nummer bin, ein Ding, ein Punkt auf ihrer To-do-Liste.
Die Nummer auf dem orangefarbenen Overall. Die Nummer auf den Oberarmen.
152.370.

Der Admiral bekundet sein Einverständnis. Jetzt schaut er mich von oben bis unten prüfend an. Die schlimmsten Spuren der Misshandlungen sind beseitigt. Nur noch einige feine Linien sind auf den Wangen zu erkennen, der restliche Körper ist verdeckt. Die Sonde ist nicht mehr in der Nase und ich sehe sauber und halbwegs manierlich aus. Niemand sieht den wirklich großen Schaden, den die Gefangenschaft angerichtet hat.
Es soll keiner wissen, was sie tatsächlich mit ihren Gefangenen machen.
Die Frau kommt zu mir. Sie hält ein Datenpad in der Hand, das reicht sie mir.
„Du wirst genau das sagen, was da steht. Das Zentralkomitee will es so, und so wird es gemacht – verstanden?“ Ihre Stimme klingt militärisch schroff. Langsam hebe ich die Hände, nehme die Platte und lese, was da geschrieben steht. Es treibt mir die Zornesröte ins Gesicht. Lauter Lügen. Sie wollen mich für ihre Propaganda missbrauchen!
„Solltest du nicht genau das lesen, Wort für Wort, wirst du es bereuen – und nicht nur du“, fügt der Admiral hinzu. Ich fühle, wie ich schwanke und zu Boden gehe. Die Soldaten stellen mich wieder auf die Füße.
Dann beginnt die Show.
Nichts anderes ist es, eine Veranstaltung zur Unterhaltung der Andorier. Sie sollen sich sicher fühlen.
Die Frau gibt ein Signal und die Aufnahme beginnt mit dem Admiral: „Andorier, heute werden wir Ihnen den Kopf der Terrorzellen präsentieren. Er wird sich in allen Punkten schuldig bekennen und Sie um Verzeihung bitten, auch für die Lügen, die über das Zentralkomitee, das Militär und die Regierung verbreitet wurden. Hören Sie nun, Häftling Nummer 152.370.“
Ich beiße die Zähne fest aufeinander während der Admiral spricht. Dann unterdrücke ich die Tränen des Zorns, schluck heftig und beginne zu lesen.
„Ich gebe zu, der Anführer aller bekannten …“
Ich kann nicht!
Ich kann das nicht lesen. Nein!
Heftig blinzle ich die Tränen weg, schlucke und fange noch mal von vorne an.
„Ich gebe zu, einen Befehl verweigert zu haben, der die Bevölkerung eines unterentwickelten Planeten ausgelöscht hätte. Ich gebe zu, mich daraufhin nicht selbst exekutiert zu haben. Ich gebe zu, mit einer Ausländerin verheiratet gewesen zu sein. Ich gebe zu, für Freiheit und Liebe ein zu stehen. Ich gebe zu, Wahrheit und Gerechtigkeit höher zu stellen als mein Leben. Hören Sie gut zu: Niemand hat das Recht, Sie mit …“
Ein Schlag in den Nacken schickt mich zu Boden. Ich fühle Tränen über die Wangen laufen. Jetzt habe ich mein Schicksal besiegelt – hoffentlich nicht auch das von Trebis.

Auch hier auf dem Flagg-Schiff gibt es so genannte Verhörzimmer. In so eines werde ich gebracht. Das Inventar lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.
Ich beginne an den Fesseln zu zerren, will mich losreißen. Unerbittlich drängen sie mich weiter, ziehen mich aus, zwingen mich auf die Knie und stecken mir einen Jutesack über den Kopf. Ich merke, wie ich zu zittern beginne. Ich fühle die Angst das Rückgrat hoch und runter kriechen, in die Haut eindringen, das Herz anhalten, eisige Nägel in den Kopf hämmern, die Flüssigkeit aus mir ziehen und mich ausgedörrt in diesem furchtbaren Raum zurücklassen.
Es gibt nichts, was ich tun kann.
Ich knie auf einem Stück Metall. Sie lassen mich warten – kosten die Zeit bis zum Beginn der Folter aus.
Unter dem Sack beginne ich zu weinen, lautlos, ängstlich.
Warum fangen sie nicht endlich an?
Das Metallstück unter den Knien drückt. Ich kann mich nicht bewegen, werde links und rechts festgehalten.
Worauf warten sie?
Es ist fast eine Erlösung, als sie endlich auf mich einprügeln.
Das Warten hat ein Ende.
Nach kurzer Zeit hören sie auf.
Zerren mich wieder auf die Knie.
„Du hast jetzt deine letzte Chance auf Milde vertan!“, brüllt der Admiral. „Nun ernte deine Saat!“
„Ich werde nicht lügen“, bringe ich mühsam unter dem Jutesack hervor. Blut läuft mir aus der Nase, ich kann es schmecken. „Und ich lasse mich nicht von euch benutzen!“
Ich schluchze und fühle, wie sich alles in mir verkrampft. Mein ganzer Körper wird vor Angst geschüttelt.
„Du hast einen Krieg heraufbeschworen. Er wird unerbittlich sein, wenn du nicht endlich aufhörst, gegen die Regierung zu reden.“
„Du musst mich töten, sonst werde ich nicht aufhören. Andere werden nach mir kommen. Es werden immer mehr werden.“ Trotz der Angst bleibe ich stur.
„Du willst es nicht anders.“
„Weißt du nicht, dass die Folter bei mir nichts bringt? Ihr habt mich zu gut konditioniert. Oder bringt es dir irgendein, mir unbekanntes, Vergnügen, wenn du mich quälst?“
„Mit deiner Frechheit kommst du hier nicht weiter und ja, du warst der Beste unter den Studenten, du hast die härtesten Torturen klaglos ausgehalten und nicht nur das. Aus dir hätte was werden können.“
„Admiral, Vater …“
Noch bevor ich weiter reden kann, werde ich am Kopf gepackt, nach vorne gedrückt und habe kaum Zeit die Luft anzuhalten. Dann bin ich schon unter Wasser. Hoch – schnell Luft holen. Ich bekomme fast keine. Der verdammte Sack hindert mich am Atmen.
Rein – Panik. Es wird schlimmer.
Raus – rein – raus – rein – raus – rein …
Luft!
Luft!
Ich brauche Luft!
Ich zapple, versuche mich zu befreien und werde nur unerbittlicher fest gehalten.
Mein Kopf – tief im Bottich – jetzt werde ich dazu noch geschlagen.
Ich kann nicht mehr – aus, lasst mich endlich gehen!
Ich fühle die Lungen platzen, stelle mir vor, wie Wasser in die Bronchien dringt, das Gewebe zum Bersten füllt …
Alles in mir brennt und schreit nach Sauerstoff. Ich rutsche weg und werde noch fester hinein gepresst.
Ich sehe die Sterne, ganz weit weg eine Gestalt in weiß. Sie winkt. Ich will dort hin. Dann wird das Licht heller. Es kommt auf mich zu. Ich will die Wärme des Lichts.
Mir ist so kalt. Hier draußen im All ist es immer eisig.
Kälte – sie dringt tief ein, lähmt.
Ich brauche keine Luft mehr. Die Kälte und das Vakuum des Alls töten mich.
Es stört mich nicht.
Hier bei den Sternen will ich sein.
Stella!

Jemand schlägt mir ins Gesicht. Ich erwache, bin noch immer im Verhörraum. Der Admiral steht breitbeinig vor mir. Zwei rohe Kerle ziehen mich in die Höhe. Ich muss wieder knien.
„Du wirst jetzt alles widerrufen, was du vorhin gesagt hast“, knurrt er drohend.
Nein! Das kann ich nicht, das werde ich nicht. Ich kann es nicht sagen, bringe kein Wort heraus, weil ich so zittere und nach Atem ringe. Aber ich schüttle stur den Kopf und bringe damit den Admiral zur Weißglut.
Er winkt einen Soldaten herbei. Dann beginne ich zu schreien.
„Nein! Nein! Nicht das! Nein! Ich mache was ihr wollt, nehmt das Ding weg!“
Es hilft nichts mehr. Mit einem leisen Klick schließt sich das Band um meinen Hals. Es ist mit einem Stock aus nichtleitendem Material verbunden.
Ich versuche nicht mit dem Wasserbehälter in Berührung zu kommen, spüre ich doch, dass die Halskrause unter Strom steht.
„Nein, Admiral, ich mache was ihr wollt“, flehe ich.
Es hilft nichts.
Mit großer Wucht werde ich nach vor gedrückt. All mein Schreien und Flehen hilft nichts.
Die Berührung mit dem Wasser ist nur kurz, dennoch durchfährt mich ein Stromstoß von einer Wucht, der mir einen Krampfanfall beschert. Noch nie im Leben bin ich so gequält worden. Ich fühle, wie ich innerlich geröstet werde und schreie und schreie und schreie.
Es dauert eine Ewigkeit, bis der Krampf verebbt und mich atemlos von seinen Klauen lässt.
„Dasss – w-a-r – n-n-ich-t nö-ö-tig“, stottere ich.
„Dann gehen wir jetzt wieder“, ist das einzige, was der Admiral dazu sagt.
„N-neh-mt d-d-das D-ding wie-der weg“, flehe ich noch immer zitternd und weinend.
„Es bleibt da wo es ist. Solange, bis du tust, was man dir sagt.“
„I-ich g-g-ehor-che, v-v-er-sp-prochen“, versuche ich es noch einmal.
Es bringt nichts.

So wie ich bin, zerren sie mich zurück in den Konferenzraum. Die Frau ist noch da. Gelangweilt sitzt sie am Tisch und feilt ihre Nägel.
Ohne den Kopf zu heben sagt sie: „Na, ich hoffe, das wird heute noch etwas. Wenn das wieder so ein Verhau wird, werde ich was zusammen basteln lassen müssen. Also, ich hoffe in seinem Sinn, er weiß was er zu sagen hat, sonst werde ICH ungemütlich.“
Scharf blickt sie in meine Richtung und grinst. Von dieser Frau fühle ich mich mehr bedroht als von der gesamten Mannschaft der Omega-Star.
Wieder hält sie mir ein Datenpad hin. Ich schüttle den Kopf.
Wie denkt sie, dass ich jetzt reden kann? Ich bin nass, nackt, außer Atem und fühle die Angst im Nacken sitzen. Mir schlottern die Knie und ich kann nur stehen, weil mich die zwei Kerle neben mir aufrecht halten. Jemand drückt mir noch einen E-Schocker in den Rücken, als ob das Elektroband nicht genug wäre.
Die Frau beugt sich ganz nahe zu mir und flüstert: „Wenn du nicht sagst, was da steht, dann werde ich veranlassen, dass der Planet dort unten gesprengt wird, verstanden?“ Ihre Augen sind schmal, sie lächelt gefährlich.
Jetzt fühle ich noch mehr Panik aufkommen. Ich glaube ihr. Was soll ich tun? Soll ich die Wahrheit sagen und die Menschen dort ihrem Untergang entgegen gehen lassen, oder soll ich mich verleugnen? Sagt sie die Wahrheit oder ist alles eine Lüge? Wenn ich doch nur wüsste, was ich machen soll? Ich bin verzweifelt, in die Enge getrieben, ein Tier in der Falle. Es gibt keinen Ausweg, keine Fluchtmöglichkeit.
Der Druck im Rücken wird verstärkt. Wenn er jetzt abdrückt, habe ich ein Loch in der Brust. Will ich das? Will ich wirklich sterben, oder ist noch ein Fünkchen Lebenswillen in mir? Ich schlucke ein paar Mal und blinzle die aufkommenden Tränen weg.
Dann nehme ich das Pad.
„So ist es brav“, sagt sie und ritzt mit der Feile meine Haut am Bauch auf. Ich sehe nach, ein roter Faden schlängelt sich runter.
Diese Frau ist gefährlich, sie handelt bevor sie redet.
Ich schaue wieder hoch, direkt in ihr lächelndes Gesicht.
„Sie lassen das Volk hier leben, wenn ich mache, was Sie verlangen?“, frage ich leise. Immer noch werde ich von Schluchzen geschüttelt, was das Reden erschwert.
„Das hängt nicht von mir ab“, weicht sie aus und spielt mit dem Auslöser der das Halsband unter Strom setzt.
Was soll ich nur tun? Verdammt noch mal! Am liebsten hätte ich mich jetzt aufgelöst, wäre verschwunden oder tot. So eine Entscheidung soll man keinem aufbürden. Das ist eine Last, die ich nicht tragen will, nicht tragen kann. Die Verzweiflung muss mir ins Gesicht geschrieben stehen, denn sie lacht mich aus.
„Ich kann dich scheibchenweise fertig machen und den Planeten dort unten auch. Was willst du?“
Was soll ich nur sagen? Jetzt fühle ich tatsächlich Tränen aufsteigen. Ich kann sie nicht mehr zurück halten. Sie lacht.
„Ich wusste doch, dass du ein verdammtes Weichei bist. Sei brav und lies das vor, dann wird nicht viel passieren.“

Ich schaue direkt in die Cam. Die Spuren der letzten Folter stehen mir noch ins Gesicht geschrieben, die Halskrause glänzt dämonisch, ich sehe sie im Spiegelbild des Panoramafensters, dennoch sage ich mit fester Stimme: „Ich werde nicht zu dieser Aussage gezwungen, ich mache sie freiwillig, und es sind keine weiteren Menschen bedroht worden.“ Ich hole tief Luft, versuche mich zu sammeln. Die Frau sieht mich die ganze Zeit über scharf an und spielt mit der Nagelfeile.
„Ich gebe zu, der Kopf einer Terroristenvereinigung zu sein. Ich habe das Militär diffamiert und Befehle nicht ausgeführt. Ich habe mich mit dem Feind verbrüdert.“ Ich blinzle Tränen weg. Die aufgeplatzten Lippen beginnen wieder zu bluten. Das Wasser läuft mir noch immer aus den Haaren ins Gesicht.
„Die Regierung hat auch keine Repressalien gegen das Volk der Trebis geplant. Es soll niemand vernichtet werden. Lang existiere die Andorie-Allianz“, schließe ich matt.
Ich blicke die Frau direkt an. Sie ist zornig, obwohl ich alles vom Blatt abgelesen habe. Unvermittelt schlägt sie mir ins Gesicht. Ich keuche erschrocken auf.
„Du Weichei. Aber das wird dir nichts bringen.“
Sie tritt mir in den Unterleib und ich klappe zusammen.
„Ihr Lügner“, keuche ich, als mich die Bewacher wieder in die Höhe ziehen.
Sie verpasst mir noch einen Tritt. Wieder lande ich am Boden und dort tritt sie noch ein paar Mal auf mich ein.
„Schafft mir das Weichei aus den Augen. Wir brauchen den nicht mehr. Werft ihn in die Minen oder sperrt ihn weg und lasst den Schlüssel verschwinden. Es ist mir gleich.“
Verächtlich spuckt sie mir ins Gesicht, dann geht sie zum Admiral und spricht mit ihm, der mir die ganze Zeit über den Rücken gekehrt hat.
Zwei Soldaten zerren mich hoch. Die Hoden schmerzen höllisch. Hat mir dieses gemeine Luder alles weggetreten?

Sie bringen mich zurück in die Arrestzelle. Einzelhaft. Dr. Mar’yl wartet schon. Er hat das Sondenzeug dabei, entfernt aber zu meiner Erleichterung die Halskrause.
Ich beginne mich dagegen zu wehren mit dem Schlauch verbunden zu werden. Werde aber nur niedergeschlagen, ans Bett geschnallt und fertig. Er tut sein bestes, mir nicht über Gebühr weh zu tun, aber die Nase ist so kaputt, dass der Schlauch fast nicht durchgeht. Ich bekomme wieder Nasenbluten.
Hört auf, verdammt noch mal. Ich hab euer Scheißspiel mitgespielt, jetzt lasst mich in Ruhe, würde ich am liebsten rufen, doch ich habe ein Klebeband über dem Mund. Dann verbinden sie mir noch die Augen.

Ich liege hier, blind, stumm und bewegungslos. Einzig hören kann ich noch. Doch was ich höre, würde ich am liebsten ausblenden.
Nein! Ihr habt es versprochen! Ihr habt es versprochen!
Ich fühle Tränen vorquellen. Sie sprudeln, bis ich keine mehr habe.
Was soll ich noch tun?
Soll ich mich vor denen in den Staub werfen?
Noch weiter nach unten als ich schon bin, kann ich nicht.
Tunkasila, hilf mir! Was soll ich tun? Haben mich die Träume jetzt auch verlassen?

Diese Schreie! Diese ewigen Schreie! Ich halte das nicht mehr aus, möchte mit schreien, mich losreißen, etwas tun!
Ich werde wieder verrückt, ich spüre es. Der Verstand geht krumme Wege und erst die Sinne. Die können einen narren, wenn man ihrer beraubt ist. Ich sehe nichts, kann mich nicht bewegen, schmecken kann ich auch nicht, nichts riechen und nicht fühlen. Das einzige das ich kann, ist hören, und das will ich nicht.

Ich sehe wieder Sterne, aber keine gewöhnlichen. Sie sehen aus, wie die Sterne, die Kinder gerne malen. Es gibt Fünfzackige und Sechszackige, sie sind gelb und strahlen von einem dunkelblauen Himmel. Ich stehe auf einem Stern. Er beginnt zu rotieren. Ich muss laufen, um nicht zu fallen. Dann bewegen sie sich aufeinander zu. Sie greifen ineinander wie Zahnräder in einem altertümlichen Uhrwerk. Ich laufe und laufe und laufe, merke, wie ich müde werde und zu fallen drohe. Ich falle in das Zahnrad und werde zermalmt.
Ich möchte schreien, reiße die Augen auf und sehe nur Schwärze.
Bewegen möchte ich mich, aufspringen, schreien!
Luft, atmen, leben – oder wenigstens in Frieden sterben.

Wieder Schreie. Ist das Einbildung oder ist es wirklich? Gaukelt mir der Wahnsinn etwas vor? Tunkasila, wo bist du? Stella? Ich rufe in Gedanken nach ihnen. Sehe aber nur das Schwarze Loch in das ich zu fallen drohe, das mich unerbittlich mit seiner Schwerkraft anzieht. Ich werde in die Länge gezogen, gezerrt, verzerrt bis zur Unkenntlichkeit getrieben, zerrieben, zerrissen. Zerfleischt von der Unendlichkeit des Wahnsinns. Ist es das? Gibt es Wahnsinn? Ich bin gefangen in einem Schwarzen Loch. Es schließt sich an den Enden. Ich fühle, wie meine Arme und Beine abgetrennt werden, sehe sie in den weiten des Alls davon treiben, mir zuwinken. Ich möchte schreien, aber die Lungen sind im Vakuum implodiert.

Wieder öffne ich die Augen und sehe Schwärze. Diesmal ist es die Schwärze der Nacht. Finstere Nacht, in einer finsteren Höhle, mit einem schwarzen Drachen, der schwarzes Feuer speit. Ich fühle die Hitze. Sie versengt meine Haut, das Haar brennt. Ich rieche mich brennen in einem kalten Feuer, werde zu Asche. In Panik versuche ich davon zu laufen, doch ich bin fest gebunden.

Die Fesselung drückt mich unerbittlich nieder. Ich rüttle und zerre daran. Die Pritsche wackelt und kippt zur Seite. Ich rolle auf den Bauch und werde fast von dem Gewicht auf mir erdrückt. Die Nasensonde bin ich jetzt los, dafür schießt das Blut aus der Nase.
Die heftig einsetzenden Schmerzen durchbrechen die Halluzinationen. Ich weiß wieder wo ich bin, will nach Hilfe rufen. Das Gefühl zu ersticken wird übermächtig. Mir ist so übel. Ich möchte das Blut ausspucken – ich kann nicht, mein Mund ist verklebt.
Warum hilft mir keiner? Wo sind denn alle? Hilfe!

„Mein Freund, ich denke an dich“, flüstert eine Stimme. „Ich lasse dich nicht alleine, Mihunka. Wir werden für dich den Tanz des Bären tanzen. Lass dich von deinen Führern leiten. Mein Freund, ich bin bei dir. Auch, wenn wir unser Leben nicht mehr in alter Weise leben, wird das Volk als Ganzes überleben.“

Ich erwache, schmecke Blut und liege nach wie vor auf dem Bauch. Zunächst will ich um Hilfe rufen, bis mir bewusst wird, dass ich geknebelt bin. Keiner kann mir helfen, es wird mir keiner helfen. Ich drehe und wende mich mit dem schweren Teil auf dem Rücken, bis ich in Seitenlage komme. Vor Anstrengung muss ich so schwitzen, dass ich bald ganz nass bin. Die feuchte Haut lässt mich zittern. Aber ich vergesse alles um mich herum, die Schreie, die Blindheit – alles. Ich will nur wieder atmen können. Blut verklebt die Nasenlöcher. Ich komme nicht ran, kann die Krusten nicht wegmachen. Verzweifelt versuche ich durch die Nase zu atmen.
Luft ist alles, was ich denken kann. Luft!
Lasst mich nicht jämmerlich ersticken!

„Wakan Tanka – der Große Geist wird dich nicht verlassen“, höre ich bevor sich mein Bewusstsein wieder verabschiedet.
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
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Das letzte Urteil
Ich erwache, stelle fest, dass ich nicht mehr auf dem Boden liege. Jemand hat mich aus dieser misslichen Lage befreit. Die Fesseln sind gelöst worden, die Augenbinde und der Knebel sind auch weg. Ich kann es kaum fassen.

Die Zelle ist anders. Wo bin ich hingebracht worden?
Was ist das für ein Spiel?
Die Freude über die Bewegungsfreiheit schlägt wieder in Furcht um. Mit Bestürzung stelle ich fest, dass diese Zelle ein vergittertes Fenster hat.
Wo zur Hölle bin ich?
Warum karren die mich im Universum herum?

Ich versuche aufzustehen. Die Rippen, der Rücken – eigentlich jeder Teil des Körpers, fühlt sich gepeinigt an. Schwankend bleibe ich sitzen, halte mich fest und versuche einen Anker in der Geraden zu finden.
Es scheint ewig zu dauern, doch irgendwann geht es und ich kann aufstehen. Auf wackeligen Beinen bewege ich mich vorwärts. Die Arme zur Seite gestreckt, wie ein Kind, das Laufen lernt. Jetzt erst merke ich, dass kein Schlauch in mir steckt. Vor Erleichterung hätte ich beinahe geheult. Als ich die Kameras entdecke schlucke ich die Tränen runter. Ich habe mich vor denen schon genug entblößt. Sie sollen mich endlich in Frieden lassen.

Langsam taste ich mich an der Wand entlang. Hinter einer niedrigen Mauer finde ich was ich gesucht habe. Nachdem ich fertig bin, wanke ich an der gegenüberliegenden Seite zurück und lasse mich wieder auf der Pritsche nieder. Dieser kurze Gang hat mich mehr erschöpft als ich gedacht hatte. Die lange Bewegungslosigkeit hat meine Kraft hinweggespült, aus mir einen tattrigen Greis gemacht.
Gebrochen?
Ich weiß es nicht.
Wo haben sie mich hingebracht?

„Gefangener 152.370 halte dich ruhig, bleib liegen, lass die Hände dort, wo wir sie sehen können – du bekommst Besuch“, tönt es blechern aus dem Lautsprecher. Erschrocken halte ich mich an die Anweisungen.
Nach einigen Minuten geht die Tür auf. Sechs Wachen treten ein, dann erst folgt jemand anders. Es ist die Frau, die die Aufzeichnung geleitet hat. Was will sie hier? Was will sie von mir? Sie hat doch gesagt, dass man mich vergessen soll. Ich bin verwirrt.
„Na, du Weichei“, sagt sie und lächelt herablassend.
Ich kann sie nur verdutzt anschauen.
„Hat es dir jetzt die Sprache verschlagen? Du bist sicher neugierig, wo du bist und was das Zentralkommando mit dir vor hat.“ Ihr Grinsen wird breiter. Ich rieche Gefahr. Ich reagiere noch immer nicht.
Sie tritt ganz nah zu mir, beugt ihren Oberkörper so über mich, dass ich genau in ihren Ausschnitts schauen muss, ich kann ihren Brustansatz sehen. Dann flüstert sie mir zu: „Ich habe gestern dein endgültiges Urteil unterschrieben, Verräter.“
Ich rieche ihren aufreizenden Duft, schlucke, starre weiter in den Ausschnitt.
„Trebis?“, frage ich schließlich ganz leise.
„Vergiss den dämlichen Planeten. Dein Urteil – willst du nicht wissen, wie es lautet?“
„Nein – es würde nichts ändern“, entgegne ich heiser. Glotze weiter auf ihren Ausschnitt, der sich eben wie zufällig um einige Zentimeter verschoben hat. Ich kann die feine Spitzenwäsche erkennen. Dieses verdammte Miststück! Sie bückt sich noch weiter über mich. Ihre Haare berühren mein Gesicht. Es ist betörend und abstoßend gleichzeitig – und es treibt mir die Tränen ins Gesicht.
Ich denke an die vielen Toten, die sinnlos Ermordeten, meine Folter, die vielen Namenlosen, die in den Minen und in anderen Gefängnissen gequält werden – Stella.
Ganz leise beginne ich zu singen, sehe dabei in ihr glattes, hübsches Gesicht mit den eiskalten Augen.

Mihunka, ich denke an euch
tanze für euch
singe für euch
Mihunka, nun seid ihr fort
ich denke an euch
betrachte die Sterne
die Sonne den Mond
Mihunka nicht umsonst
ist euer Tod
Verwandte der Seelen
Wakan Tanka nimmt euch
mit in die Ewigkeit
Verwandte der Sonne
Wakan Tanka nimmt euch
mit in die Ewigkeit
Verwandte des Mondes
Wakan Tanka nimmt euch
mit in die Ewigkeit
Verwandte des Lichts
Wakan Tanka lässt euch
nicht im Dunkeln
Verwandte meines Lebens
ich denke an euch
ich grüße das Licht
die Liebe die Hoffnung
das Leben

Erbarmungslos schlägt sie auf mich ein. Zertrümmert mein Nasenbein, Blut schießt hervor, Lippen platzen. Ich versuche das Gesicht vor ihren Schlägen zu schützen, doch die Wachen halten mich eisern fest. Diese Frau hat Fäuste aus Stahl, und die Kraft eines Bulldozers in den Armen. Irgendwann umfängt mich Dunkelheit und Vergessen.

Ich erwache wieder an einem anderen Ort. Wieso verlegen die mich andauernd? Das verstehe ich nicht. Aber den Ort kenne ich und mir schwant nichts Gutes. Es ist das Militärgefängnis auf Andor. Meine Angst ist mehr als berechtigt. Hierher habe ich in meinen Anfangsjahren in der Flotte die Kriegsgefangenen gebracht. Schon damals habe ich gedacht, dass so keine Menschen behandelt werden sollen.

Aber warum bin ich wieder hier?
Wird es eine neuerliche Verhandlung geben?
Was haben sie davon außer, mich zur Schau zu stellen?
Sie laufen nur Gefahr, dass ich wieder nicht das tue, was sie von mir erwarten. Ich denke, grüble hin und her und habe keine Idee, was mich hier erwartet, außer neuerliche Grausamkeiten. Das Urteil steht schon fest, wie die Frau sagte.

Der berüchtigte Kerker von Andor. Mich schüttelt es. Hier wurden und werden Kriegsgefangene gefoltert, bis sie entweder ein fingiertes Geständnis unterschreiben oder sterben – meistens beides. Ich bin mir gewiss, dass auf mich ein ähnliches Schicksal wartet.
Die Wachen hier sind allesamt Sadisten der übelsten Sorte. Ich habe sie bereits kennen gelernt.

Ich warte. Immer warten.
Worauf?
Das Ende. Welches Ende?
Oder wird es ein Beginn?
Ich werde es nicht erleben. Wenn ich schlafe, träume ich immer öfter von Stella – wir laufen gemeinsam über grüne Wiesen. Sie lacht glücklich. Mit Tränen in den Augen erwache ich.
Liebe Stella. Endlich kann ich sie wieder sehen. Ihr Gesicht, mir so vertraut wie mein eigenes. Ich kenne jedes Fältchen um ihre Augen.
Bald, hat sie gesagt.
Ich glaube ihr und erinnere mich an unsere gemeinsamen Nächte. Ihre Wildheit, ihre Zärtlichkeit haben mich fast um den Verstand gebracht. Oh Stella! Unsere Leidenschaft nach einem Dampfbad. Ich muss lachen, als ich daran denke. Wir konnten nicht mal in der Schwitzhütte die Hände von einander lassen. Oft haben uns die anderen hinaus gejagt und gesagt, dass wir unsere Leidenschaft am besten unter freiem Himmel ausleben sollen. Die frische Luft würde uns schon kühlen. Wir taten dann jedes Mal so als ob wir sie nicht gehört hätten. Aber ich spürte Stellas lächelndes Verlangen. Mir ging es ebenso. Dann sprangen wir in den Fluss und führten fort, was wir in der Hütte begannen.
Oder unser Platz vor dem Kamin. Die Felle waren schon ganz schön mitgenommen.
„Ich vermisse dich“, sage ich der leeren Wand. Sie antwortet nicht, scheint mich mit ihrer Kühle zu verhöhnen und ich fühle wieder Einsamkeit.

Ich warte auf den Tag, wo ich wieder mit ihr vereint sein werde – wo auch immer das sein mag.

Die Zeit zieht sich in die Länge. Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier bin. Die Zeitblase hat mich wieder erfasst. Ist Tag oder Nacht? Eigentlich ist es gleichgültig. Alles ist irgendwie stumpf geworden.
Täglich kommen Wächter und jagen mich durch den Gang. Das hatten wir doch alles schon. Ich bin dieser Demütigungen müde. Es funktioniert auch nicht mehr. Ich spiele mit, weil sie mich sonst schlagen – ich will nicht mehr geschlagen werden.

„Verräter wie du, sollte man nicht so einfach davon kommen lassen! Ihr gehört alle auf einen Haufen geworfen und dann angezündet! Hast du das gehört, verfluchte Nummer! Wir müssen noch für euren Unterhalt hier aufkommen!“, brüllt ein Wachmann. Seine Stimme ist so voller Hass und Abscheu, dass ich es kaum fassen kann.
„Ich bin kein Verräter und ich habe nicht darum gebeten, hier eingesperrt zu werden!“, brülle ich zurück. Woher nehme ich den Mut zu protestieren? Ich weiß doch, dass ich nur wieder verprügelt werde.
„Dir werde ich zeigen wo dein Platz ist!“
Er fasst mich an den Armen und dreht sie auf den Rücken, dann drückt er mich mit dem Oberkörper ganz weit nach vorne und vergewaltigt mich mit dem Schlagstock. Immer wieder rammt er das große Gummiteil in mich. Ich schreie und versuche irgendwie zu entkommen. Schweißgebadet und blutend lässt er mich schließlich wieder aufrichten. Trotzig schaue ich ihm ins Gesicht und sage leise schluchzend: „Ich hoffe, du kannst morgen früh noch in den Spiegel schauen, du Drecksack.“ Der dreht sich einfach um und geht. Lässt mich stehen wo ich bin. Zwei weitere Wachmänner haben zugesehen, die führen mich stumm in die Zelle zurück.

Ich habe das Gefühl gespalten worden zu sein. Aber als ich einen Arzt verlange grinsen die Typen nur und einer sagt: „Sei froh, dass er nur den Knüppel genommen hat.“
Dann schließen sie die Tür und lassen mich mit meinen Schmerzen und der Scham alleine.
Warum schäme ich mich?
Dieser Drecksack hat mich vor den Augen aller vergewaltigt – direkt vor einer Cam, das wird mir jetzt wieder bewusst. Es treibt mir erneut die Tränen ins Gesicht. Ich vergrabe mich auf der Pritsche, versuche mit der Unterlage eins zu werden – unsichtbar zu sein, zu vergessen.

Ich muss etwas für mich tun, sage ich mir. Es ist zuwenig nur zu denken und das bisschen Bewegung, das die Zelle bietet, ist einfach nicht genug. Ich erstelle wieder einen Plan.
Mühsam sind die ersten Liegestütze, nach fünf falle ich auf den Bauch und kann mich nicht mehr hochstemmen. Ich lache über meine Schwäche. Es ist besser zu lachen als zu heulen, dann muss ich nicht denken, dass mein Hintern höllisch wehtut.

Seltsamerweise fühle ich mich nicht mehr einsam. In den Träumen treffe ich Stella und gelegentlich Tunkasila. Offenbar warten beide irgendwie auf mich. Sollte es tatsächlich ein Leben nach dem Tod geben, werde ich mich darauf freuen. Etwas anderes bleibt mir nicht übrig – die Hoffnung auf Freiheit im Tod.

Irgendwann ist es so weit und die schwere Metalltür schwingt auf. Der Admiral tritt ein. Er schaut mich kurz von oben bis unten an, nickt und sagt: „Ich habe noch einen letzten ehrenwerten Weg für dich.“ Er hält mir eine kleine rosa Pille hin. Die Situation kommt mir bekannt vor. Ich habe diese Pille schon einmal verweigert. Stumm schüttle ich den Kopf. Ich will nicht mit ihm reden. Alles ist vergebens. Er will nicht hören. Zu oft habe ich es versucht. Vielleicht bei meiner Aburteilung. Die wird hoffentlich öffentlich sein. Da müssen sie mir die letzte Gelegenheit einer Rechtfertigung geben. So verlangt es das Gesetz. Man kann gegen die Armee sagen was man will und auch gegen die Gerichte, an die Vorschriften halten sie sich penibel.
„Dann sei es so.“ Er winkt den Wachen und verlässt die Zelle.
Das Gefühl des Déjà-vu lässt mich schwindeln.
Kehrt die Vergangenheit wieder? Ich lasse mich erneut auf das Lager fallen und brüte vor mich hin.
Hunhan hat mir die Feder gegeben, ich habe das Unausweichliche endlich akzeptiert, erkannt, was mir Tunkasila sagen wollte, damals im Wirbelsturm. Ich denke, ich haben den Toka besiegt – den Feind in mir. Hass und Angst, sie sind verschwunden.

Schließlich kommen die Wachen und bringen mich in den Gerichtssaal. Ich sehe alles ganz klar und deutlich. Die kahlen Wände der Gänge, unzählige Türen, die in andere Gefängniszellen führen, dann die vergitterte Tür in den Gerichtssaal, die vielen Menschen. Ich werde in den Käfig gesperrt und wieder am Gitter festgebunden. Sie müssen mich für einen Schwerverbrecher halten. Ein Raunen geht durch die Menge, als ich vorgeführt werde.
Der Richter verlangt lautstark nach Ruhe.
Auf Seiten der Ankläger: die Frau und der Admiral.
Auf Seiten des Verteidigers, wie zu erwarten niemand und dann die Gerichtsbank. Ich sehe drei so genannte Richter in ihren purpurroten Roben. Der Gerichtssaal ist mit Zuschauern überfüllt. Sogar eine Übertragungseinheit ist aufgebaut worden.
Der Richter beginnt mit der Verlesung der Anklage. Ich höre was er spricht, aber ich verstehe es nicht, will es nicht verstehen.
Die Anklage lautet: Verschwörung, Anstiftung zum bewaffneten Aufstand, Spionage, Volksverrat.
„Angeklagter“, beginnt der oberste Richter mit der weißen Perücke. „Deine Schuld steht unbestreitbar fest. Du hast auf eine Verteidigung verzichtet.“
„Ich möchte dazu noch etwas sagen, Euer Ehren“, werfe ich ein.
Der Richter nickt. Er kennt das Gesetz.
„Euer Ehren und Bürger von Andor, ich habe mich vielerlei Dingen schuldig gemacht. Darunter ist auch diese Schuld, dass ich Befehle nicht befolgt habe. Durch meine Schuld, wurde meine Frau hingerichtet. Durch meine Schuld sind unzählige Menschen auf Trebis ihrem Untergang entgegen gegangen. Es ist meine Schuld, dass ich den Weg der Gewaltfreiheit gehen wollte. Es ist genauso meine Schuld, dass ich auf dieser verdammten Welt und in dieser verdammten Galaxie nach Liebe suchte. Ich bin schuldig, eine Ausländerin geheiratet zu haben. Ich bin schuldig, Euer Ehren, nach meinem Gewissen gehandelt zu haben. Euer Ehren, ich wollte nie, dass jemand anders als ich für mein Verhalten zur Rechenschaft gezogen wird. Ich wollte nur Frieden und Freiheit. Dazu stehe ich nach wie vor. Ich hasse niemanden. Jedes Lebewesen, ganz gleich von welchem Planeten es kommt, muss die gleichen Rechte und Pflichten haben. Es darf doch keine Unterschiede geben. Wir sind alle miteinander verwandt. Machen Sie doch endlich die erforderlichen DNA-Tests. Oder haben Sie das schon gemacht und die Ergebnisse werden uns vorenthalten? Euer Ehren, ich bin schuldig, nach Wahrheit und Liebe zu suchen. Ich bin Sevin Libertas, degradierter Flottenkapitän Sevin Lan’dan, jetzt Kriegsgefangener, Heimat- und Namenloser.“ Ich atme tief ein und aus und sage abschließend und kaum hörbar, mehr an den Admiral gewandt: „Ich habe es mir nicht ausgesucht zu sein, was ich bin.“
Alle sind einen Moment lang sprachlos. Mein Vater schaut mich erstaunt an, so etwas wie Anerkennung sehe ich in seinen Augen aufblitzen, dann ist sein Gesicht wieder verschlossen und starr.
„Du wirst in Zukunft den Mund halten!“, brüllt der Richter, als er sich erholt hat.
„Ich habe nur die Wahrheit gesagt“, rede ich dazwischen.
Der Richter zur linken des Obersten winkt einem Aufseher. Er kommt in den Käfig, ich werde geknebelt.
Im Gerichtssaal herrscht Unruhe. Der Richter klopft energisch mit dem Hammer auf den Tisch. Als endlich Ruhe einkehrt, spricht er das Urteil, das schon lange feststeht, wie ich weiß: „Gefangener, du hast jegliches Recht auf Verteidigung verwirkt. Die Schwere deiner Vergehen lassen nur ein Urteil zu – nämlich Tod in den Minen von Lysan. Du wirst für das Volk der Andorier nach Erz graben, bis zu deinem unseligen Ableben.“

Ich fühle mich schwanken, sehe die Frau gehässig grinsen und den Admiral resigniert die Augen schließen. Als er am Käfig vorbei kommt, sagt er kurz: „Ich hätte dir den anderen Weg geboten, das wäre schneller gegangen. Aber du warst schon immer ein Dickkopf – diese unselige Veranlagung in dir.“
Ich hätte ihm gerne geantwortet, nur der Knebel hindert mich daran. Er liest scheinbar die Antwort von meinem Blick ab, denn er fährt flüsternd fort: „Ich bin nicht der herzlose Mensch, für den du mich hältst. Du hast Mut, das hier bis zum Ende durch zu ziehen, Sevin.“ So etwas wie Respekt schwingt in seiner Stimme mit. Er schaut mir noch einmal ins Gesicht, dann dreht er sich um und geht mit raschen Schritten fort. Ich sehe nur mehr seinen sehr geraden Rücken, das weiße kurz geschnittene Haar und den militärischen Gang. Vater! Meine kurze Rede muss ihn mehr berührt haben, als ich zu hoffen wagte.
Vater! Vater! Du hast dich doch nicht von mir losgesagt! Ich bin nicht alleine auf der Welt!
Als der Gerichtssaal beinahe leer ist, entfernt ein Wächter den Knebel und ich rufe der Menge hinterher: „Trotz allem lohnt es sich für die Freiheit zu kämpfen! Freiheit!“

Die Übertragungseinheit schwenkt zu mir. Ganz genau dokumentieren sie, wie ich abgeführt und auf den Weg nach Lysan gebracht werde. Ich wehre mich nicht dagegen. Diesen Triumph, mich wimmernd auf allen Kanälen zu zeigen, gönne ich ihnen nicht.
„Freiheit für das Volk!“, rufe ich, bevor ich wieder einen Knebel zwischen die Zähne bekomme.


Welchen Zyklus haben wir?
Wie viele sind vergangen, seit ich wieder hier bin?
Was ist Zeit schon? – Ein dehnbarer Begriff, der die Einheiten des Lebens unterteilt, in ein Vorher und Nachher. Es gab ein Vorher, ein Nachher wird es nicht mehr geben.
Warum denke ich so viel?
Ich weiß wer ich bin. Alle anderen hier kennen nur ihre Häftlingsnummer.
Ich bin Sevin und das lasse ich mir nicht nehmen.
Sevin Libertas, nicht die Nummer auf den Oberarmen.
Das darf ich nicht vergessen, hier in der ewigen Düsternis und Schwüle. Die Luft ist heiß und kalt gleichzeitig, sie steht still und ist manchmal so dicht, dass man sie schneiden könnte. Giftgeschwängert bringt sie uns langsam um, sie dörrt uns aus, macht uns blind und taub. Aber das stört einen Sklaven nicht.
Ein Sklave denkt nicht.
Ein Sklave sieht nicht.
Ein Sklave stirbt nicht.
Ein Sklave existiert nicht.

Wie viele hier in den Minen ihr Dasein fristen müssen, kann ich nicht sagen. Jeder Stollen hat seine eigenen Arbeiter.
Sklaven.
Sklaverei – das scheußlichste, das man einem Menschen antun kann, ihm seine Identität rauben und zum Gegenstand zu machen, zu einem Ding, nein weniger als ein Ding, denn ein Ding hat einen Wert. Ein Sklave in den Minen hat keinen. Hier sind nur Kriegsgefangene und Regimegegner. Wir müssen für das Volk der Andorie-Allianz nach diesem verdammten Erz graben, das niemand wirklich braucht, aber doch alle Welt haben will.

Ein Peitschenhieb trifft mich am Rücken. Ich bin wieder einmal zu langsam. Das Denken hält mich von der Arbeit ab. Ich sollte mehr arbeiten, dann würde ich nicht so oft geschlagen werden. Irgendwann werden sie mich zu Tode prügeln. Ich werde froh sein darüber und ihnen ins maskierte Gesicht lachen.

Heute – was ist heute? – ist der Arbeitszyklus früher beendet. Was hat das zu bedeuten?
„Du da!“, brüllt ein Wächter. Er zeigt auf mich. Mühsam richte ich mich auf, streiche das Haar aus dem Gesicht und sehe ihm in die Augen. Ich weiß, dass das verboten ist, dennoch mache ich es.
Das ist meine Freiheit!
Die Freiheit der Gedanken und die Freiheit jemandem ins Gesicht zu sehen, wenn ich will.
Erkennen spiegelt sich in den Augen des Mannes.
Er sagt kein Wort, sondern bringt mich zum Grubenaufzug.

Die Sonne blendet mich und ich erkenne nicht, wer am Stollenausgang steht. Der Wächter geht so schnell, dass ich ihm kaum folgen kann. Es kommt mir so vor, als möchte er eine unangenehme Pflicht möglichst schnell hinter sich bringen. Ich schnaufe hinter ihm drein.
Nach und nach gewöhne ich mich an die Helligkeit. Die Luft ist frisch und angenehm. Ich sauge sie tief ein und erfreue mich daran. Was auch immer hier auf mich wartet, das ist es wert!
Es ist die Freiheit des Augenblicks, das Licht zu sehen, auch wenn der Weg nur Dunkelheit verheißt. So sagt man doch, dass man zum Licht nur durch Finsternis gelangen kann. Ich glaube nicht wirklich daran, weil das Licht in jedem von uns ist. Manchmal ist es nur ein Fünkchen, kaum mehr als ein Glimmen, und ein andermal brennt es wie das hellste Leuchtfeuer. Gerade eben fühle ich wie sich die Flamme in mir erneut entfacht.

„Freiheit“, sage ich, als ich vor dem Exekutionskommando stehe. „Ich bin Sevin Freiheit! Ihr könnt mir die Knochen brechen, die Identität rauben, mein Leben nehmen – aber nie werdet ihr die Freiheit besiegen.“
Im Hintergrund sehe ich Vater stehen, in seiner Galauniform.
Er salutiert vor mir.
Ich habe Tränen in den Augen.
Vater! Du glaubst mir also doch!

Zum letzten Mal singe ich das Totenlied, es ist meines und dann werde ich endlich zu Stella gehen.

Zu viel Leid
Menschen gebrochen
zu viel Blut
hab ich gerochen
zu viel Elend
hat Hoffnung zerstört
zu viele Gedanken
werden niemals gehört
zu viele Tränen
kann sie nicht mehr weinen
zu viele Tränen
Augen leer und blind erscheinen

Ich habe keine Tränen mehr.
Liebe wünschte ich so sehr
Freiheit, Hoffnung auf ein Leben
ich kann sie mir selber nicht mehr geben.

Ich grüße das Licht
die Liebe, die Hoffnung
das Leben!


(c) Herta 2009/2010
**********Engel Frau
25.831 Beiträge
Gruppen-Mod 
Ja, bist du denn des Wahnsinns??!!!
Herta, wann schreibst Du das alles? Irre...

Ich habe im Moment leider nur den Anfang gelesen, die ersten paar Zeilen und es reizt mich sehr, alles zu lesen. Aber ich glaube, dazu muss ich Urlaub nehmen *zwinker*
Ich versuche mal, mich über Tage verteilt durchzulesen, denn es klingt wirklich wahnsinnig gut!

LG Gabi
*heul*
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Warum weinst du Olaf? *troest*


@ Gabi: das habe ich schon im Oktober begonnen und jetzt ist es für mich endlich fertig - abgesehen von den Fehlern, die ich nicht mehr finde.
sprachlose Rührung, Trauer, Freude......
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
@ Olove
Du hast sie wirklich ganz gelesen?

Jetzt heule ich vor Rührung *heul*

*danke*
Profilbild
****ia Frau
22.263 Beiträge
Bin jetzt endlich auch damit durch.
Und weiß nicht, was ich noch sagen soll...

Danke für diese Geschichte, Herta!
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
*heul* Danke!
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