Das siebte Türchen
Nun, eine täuschende Tarnmethode, schon von Edgar Allen Poe in "Der Brief" grandios gezeichnet, ist, sich nicht zu tarnen und einfach so rumzuliegen (oder rumzustehen). Das hat heute auch
@******ace getan, ich hab nur die Geschichte hochgeladen
. Wer also auf ihn gesetzt hat, der kann sich über einen Punkteregen freuen, wer nicht, der hat eben Glück in der Liebe. (Wegen Pech im Spiel und so
)
Heute lesen wir von einer Entscheidung, einer besonderen, einer, die aus einem Film stammen könnte....
Die Entscheidung
Und es geschah zu jener Zeit, dass Gott, der Allmächtige, beschloss, Max den letzten seiner alten Schulfreunde zu nehmen. Die Nachricht erreichte ihn in der Mittagspause und informierte ihn knapp und sachlich darüber, dass sein Freund Helmut „nach kurzer, schwerer Krankheit“ verstorben war. Von Beileidsbekundungen bitte man abzusehen und die Beerdigung fände in stiller Trauer im engsten Familienkreis statt.
Einst waren sie drei Freunde gewesen, Helmut, Till und Max, unzertrennlich im Eliteinternat und später Kommilitonen im Studium. In den letzten Jahren hatten sie sich mehr und mehr aus den Augen verloren, abgesehen von den jährlichen, kurzen Glückwünschen zum Geburtstag war der Kontakt zueinander im Sande verlaufen. Max starrte in den eisgrau pastösen Himmel über der Stadt und hing Erinnerungen nach. Es würde bald schneien, soviel war sicher. Sein Riecher für die Wetterlage und die Börse war legendär. Doch nichts und niemand und kein Geld der Welt würde ihm seinen Freund Helmut zurückbringen. Er war tot, unwiderruflich. Verpasste Gelegenheiten kehrten nicht mehr zurück.
Die Sonne brach durch die graue Wolkendecke und schien ihm direkt ins Gesicht. Er schirmte das Licht mit einer Hand ab und sah aus dem Fenster seines Büros. Geblendet schloss er die Augen und lehnte sich zurück. Bleierne Müdigkeit überwältigte ihn. Sekundenlang flackerte gleißendes Rot hinter seinen Lidern auf. Rot wie Blut. Rot wie eine Wunde, die sich nicht schließt.
Rot wie die Sünde. Rot wie die seidenen Dessous, die Maren für ihn getragen hatte, als sie sich das letzte Mal im Hotel getroffen hatten.
„Was schenkt man eigentlich jemandem zu Weihnachten, der schon alles hat?“
Marens Frage verfolgte ihn, ebenso wie ihr spöttischer Blick aus dunkelgrünen Augen.
Ja, er war tatsächlich jemand, der alles hatte, was sich andere wünschten: mehrere teure Wagen in der Garage, ein Haus in der besten Gegend und eine attraktive Ehefrau. Und natürlich mehr als genug Geld, um seine Geliebte in die teuersten Hotels der Stadt einladen zu können, auf eine Stunde oder zwei.
Als sie sich geliebt hatten an jenem Nachmittag, war etwas anders gewesen als sonst. Max konnte es nicht richtig greifen. Es war, als ob seine Haut dünner gewesen sei, sein Herz offener als sonst und sehr viel durchlässiger. Die Atmosphäre zwischen ihnen war dichter gewesen. Ihre anfängliche Leidenschaft wurde ergänzt mit einer innigen Vertrautheit, die er so lange vermisst hatte. Es schmerzte ihn fast körperlich, sie gehen zu lassen an diesem Tag.
Maren stieg aus dem Bett und sammelte ihre Kleidungsstücke ein. Sie stand nackt im Gegenlicht und sah aus wie einem impressionistischen Gemälde entsprungen. Max setzte sich im Bett auf und betrachtete die weichen Linien ihres Körpers. Mit wenigen Griffen straffte sie die Strümpfe, klickte sie fest und stieg eilig in ihre Stiefel. Als sie sich vorbeugte, um das rote Strickkleid aufzuheben, war Max mit zwei Schritten bei ihr. Er zog sie an sich und umfasste ihre Hüften, ließ die Hände über ihre weiche Haut gleiten und vergrub die Nase in ihrem Haar.
„Ist dir denn Weihnachten so wichtig? Ich würde den Tag am liebsten für immer vergessen.“
Ihr Kinn bebte ein wenig und die schwarzen Wimpern flatterten wie gefangene Vögel. Sie sah ihn nicht an, verharrte regungslos in seinen Armen. Er hob ihr Kinn an. „Komm, sprich mit mir, Maren.“ Verstockt war sie, stumm und steif. Als sie ihn endlich ansah, erschreckte ihn die Intensität und Entschlossenheit in ihrem Blick.
„Keine Ahnung, sehr wahrscheinlich werde ich arbeiten. Warum fragst du eigentlich?“
Sie wand sich aus seiner Umarmung, streifte das Kleid über ihren nackten Körper und strich es sorgfältig über den Hüften glatt. Mit jeder ihrer Handbewegungen vergrößert sie die Distanz zu ihm.
Ihr Abschied war kurz. Max konnte nicht sagen, wann sie sich wiedersehen würden. Weihnachten war für ihn Familienzeit, über die allein seine Frau bestimmte. Ein durchorganisiertes Programm voller Feierlichkeiten, die sich meist bis ins Neue Jahr hineinziehen würden.
Die Dämmerung senkte sich über die Stadt. Max schaltete den Computer aus und blieb einige Minuten im Halbdunkel sitzen. Er, der alles hatte, fühlte sich so leer wie nie zuvor in seinem Leben. Maren hatte ein Feuer in ihm entzündet, das ihn und alles, was ihm bisher wichtig war, zu verbrennen drohte. Sie war ihm so nahe gekommen, wie schon lange niemand mehr. Wenn er sie nicht sehen konnte, fiel er zurück in die unerträgliche Leere und Sinnlosigkeit seiner Existenz.
Abrupt stand er auf, nahm seine Jacke und verließ das Büro. Er sah sich nach einem Taxi um, überlegte es sich dann anders und beschleunigte seine Schritte. Die Innenstadt war voller Menschen auf der Suche nach Last-Minute-Geschenken. Max lief weiter und weiter, ohne darüber nachzudenken, wohin. Als er vor Marens Haustür stand, kam er wieder zu sich.
Sie trafen sich selten spontan, sein durchgeplantes Leben ließ das kaum zu. Bisher lief ihre Beziehung nach seinen Regeln, er machte die Ansagen. Was, wenn er diese jetzt brechen würde? Was, wenn er ihr sagen würde, dass er so nicht mehr weiter leben mochte? Dass er viel mehr von ihr wollte als ein zweistündiges Intermezzo, dann und wann in einem Luxushotel?
Max wechselte die Straßenseite und fing an, auf und ab zu gehen. Es schien ihm plötzlich sehr wichtig, diese Fragen für sich zu klären. An der nächsten Straßenecke betrat er eine Bar, bestellte einen Cognac und versank in seinen Gedanken. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals bei der Vorstellung, mit einem Eingeständnis und den entsprechenden Konsequenzen, die er ziehen müsste, alles zu verlieren, was ihm je etwas bedeutet hatte. Dennoch, es ging kein Weg mehr daran vorbei: Er musste Maren jetzt sehen und mit ihr sprechen.
Als er nur noch wenige Meter von ihrer Wohnung entfernt war, erkannte er Maren auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ihr schwarzes, lockiges Haar umgab ihren Kopf wie eine Wolke und ihr roter Mantel wehte im Wind, als sie mit schnellen Schritten auf die Kreuzung zusteuerte. „Maren!“ Max winkte und rief, doch sie schien ihn nicht zu hören. Sie eilte weiter und hielt direkt auf die Straße zu. Die Fußgängerampel sprang um auf Rot. Motoren wurden gestartet, Autos fuhren an. Es wurde gehupt, jemand schrie etwas aus dem Autofenster. Max rannte und rief immer wieder ihren Namen. Dann war er endlich bei ihr, griff nach ihrem Arm und riss sie zurück, fast wären sie beide gestürzt. Sie schnappte nach Luft und endlich drehte sie sich zu ihm um.
Und Max sah in das Gesicht einer völlig Fremden, die Maren sehr ähnlich war. Wie ferngesteuert half er ihr auf, und schüttelte nur abwehrend den Kopf, als sich die Frau überschwänglich bei ihm bedanken wollte. Er war wie betäubt, als ob er gerade aus einem Alptraum erwachen würde. Der Schock, Maren womöglich ganz zu verlieren, saß tief. Er spürte einen heftigen Schmerz in seiner Brust, als habe er soeben das Kostbarste in seinem Leben verloren. Plötzlich wusste er mit überwältigender Klarheit, was er zu tun hatte.
Die Fenster von Marens Wohnung waren hell erleuchtet, als Max vor ihrer Haustür stand und klingelte. Die Überraschung in ihrem Gesicht wich purer, tiefer Freude, je länger sie in das blasse Gesicht ihres Geliebten sah. Die Liebe in seinem Blick war die Antwort auf all ihre Fragen, die sie ihm nie gestellt hatte. Sie war das schönste Geschenk für sie beide.