Das achtzehnte Türchen
Der siebzehnt Tag Geschicht
@*******Dom verdanken wir
das war nicht einfach und nicht schlicht
manch Punkte fehlen manchem hier.
Heute lesen wir eine Geschichte von Jesus in einem Taxi
(Es geschah zu jener Zeit)
„Maldito! Dieser verdammte Wichser hat mich wieder abgezockt!“
Maria knallte die Tür hinter sich zu und stolperte ins Freie. Sie war außer sich, wütend und verzweifelt zugleich. Ihr Noch-Chef Charlie war nicht in der Lage oder nicht willens, ihr das Geld zu geben, das er ihr noch schuldete. Das würde sie diesem Sklavenhändler nicht durchgehen lassen! Sie war so aufgebracht, dass sie sich einmal im Kreis drehte und mit dem Fuß aufstampfte. Aus der Ferne sah sie die bunten Lichter des Weihnachtsmarktes, der süßliche Duft von Zuckerwatte und Bratäpfeln stieg ihr in die Nase, vermischte sich mit dem ranzigen Fettgeruch der Wurstbraterei. Marias Magen begann zu rebellieren. Sie blieb stehen, legte eine Hand auf den gewölbten Bauch und atmete tief durch. Ab und zu hatte sie immer noch einen Hieper auf Zigaretten, doch in den letzten Wochen ließ ihr schwangerer Körper ihr nur noch wenige Sünden durchgehen.
Ihr Körper gehörte ihr nicht mehr, er war ihr fremd geworden in den letzten Monaten. Einst kurvig und sexy, war er jetzt nur noch eine Brutstätte für das Ungeborene, das bald alles in ihrem Leben einnehmen würde. Ihre Brüste waren zu schweren Eutern angewachsen und ihre dick geschwollenen Beine sorgten dafür, dass sie zur watschelnden Schildkröte mutiert war. An Schlaf war schon jetzt nicht mehr zu denken: Das Kind war offensichtlich eine Nachteule und tanzte des Nächtens Sidestep und Samba in seiner Mamahöhle.
Und überhaupt konnte sie sich aktuell kaum vorstellen, je wieder Lust auf Sex zu haben. Das letzte Mal war ohnehin schon viel zu lange her. Die Nummer mit dem Engel zählte nicht, das war viel zu abgefahren gewesen, um als Sex durchzugehen, wie sie ihn gekannt hatte. Aber das war sowieso eine völlig andere Geschichte, die sie niemandem erzählen konnte.
Maria stützte sich an der Hauswand ab und atmete tief durch. Ihr war schlecht und schwindlig, als sie ihr Handy aus der Tasche zog und Josés Nummer wählte. Er hatte sie schon so oft gerettet und nun war es mal wieder so weit. „José, bist du zu Hause? Ich komme gerade von der Bar und ich dreh hier gleich durch! Charlie hat mich wieder vertröstet, ich hab mein Geld immer noch nicht! Außerdem ist mir ist kotzübel. Kannst du mich bitte abholen?“
„Okay, wo bist du? Ich komme dir entgegen, halte durch!“
Sie war schon fast am Marktplatz, auf dem die riesige, geschmückte Weihnachtstanne thronte. Der Glühweingeruch intensivierte sich und sie fühlte sich sehr unsicher auf den Beinen. Am Eingang zum Weihnachtsmarkt lümmelte eine Clique Jugendlicher auf der einzigen Bank weit und breit. Sie prosteten sich zu, laut grölend und lachend. Das blonde Mädchen in ihrer Mitte sah schon reichlich mitgenommen aus. Maria tippte auf mehrere Glühweine mit Schuss, die stiegen einem immer besonders schnell in den Kopf.
Sie schleppte sich weiter, doch lange würde sie sich nicht mehr auf den Beinen halten können. Sie ging auf die Bank zu und sprach einen der Jungs an: „Entschuldigt, mir geht’s nicht gut. Kann ich mich ein paar Minuten setzen, bis mein Freund mich abholen kommt?“ Die Unterhaltung erstarb schlagartig. Das Mädchen starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Der junge Mann, der den Arm um Blondie gelegt hatte, zischte: „Schau mal, die Braut hat einen Braten in der Röhre!“ Die anderen brachen in wieherndes Gelächter aus.
Einer von ihnen stand auf und baute sich vor Maria auf. „Naaaaaa, Mutter, haste ohne Gummi geknattert?“ Er machte eine obszöne Handbewegung und blies ihr seinen Zigarettenrauch ins Gesicht. Seine Kumpels auf der Bank bogen sich vor Lachen. Maria wurde noch blasser und spürte, wie sich ihr Magen heftigst hob und senkte. Sie hatte keine Chance mehr, sich noch länger zu kontrollieren. Mit einem heftigen Schwall erbrach sie sich direkt vor die Füße des Typen. „Verflucht, du verdammte Bitch!“ Mit einem Satz sprang dieser zurück und verzog angeekelt das Gesicht. Seine Kumpels waren aufgestanden und kamen drohend näher.
Vier Monate zuvor
„José!“ Maria fiel ihren Freund um den Hals und umarmte ihn fest.
„Ah, Maria, endlich! Ich dachte, ich komme nie hier an!“
Maria lehnte ihren Kopf an Josés breite Brust. Sie spürte, wie ihr die Kehle eng wurde von all den nicht geweinten Tränen der letzten Monate.
Lachend erwiderte José ihre Umarmung. „Der Flug war die Hölle, sag ich dir! Der Kretin neben mir schüttete einen Martini nach dem anderen in sich hinein und war schon nach einer Stunde total besoffen ... und dann fiel auch noch eins der Triebwerke aus, als wir gerade über die Alpen flogen ... Aber was ist denn mit dir, Liebes? Was ist denn passiert?“
Maria schluchzte so sehr, dass ihre Schultern bebten. Sie wischte sich über die Augen und sah hoch in Josés besorgtes Gesicht. Sie lachte und weinte gleichzeitig.
„Komm erstmal rein, José, dann erzähle ich dir alles in Ruhe.“
Als sie sich mit einer Tasse Tee gegenüber saßen, sagte José schließlich: „Du hast mir verschwiegen, Maria, dass du in Hoffnung bist, mi Amor.“
Maria seufzte und nickte. „Jetzt ist es ja auch nicht mehr zu übersehen. Ich war mir keineswegs sicher, ob ich das Kind behalten will. Es hat mich bereits meinen Job gekostet, José.“
„Das ist nicht dein Ernst, Maria!“ José umarmte sie erneut. „Und wer ist der glückliche Vater?“
„Es gibt keinen, José. Da muss ich jetzt alleine durch.“
José setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern.
„Erzähl´s mir, mi Amor. Jetzt bin ich für dich da. Und ich bin so froh, dass ich hergekommen bin. Mein Herz wurde auch gebrochen, das weißt du, aber der Hundesohn ist es nicht wert, dass ich länger um ihn weine.“
José rollte mit den Augen und zwinkerte ihr schelmisch zu.
Maria schmiegte sich an seine Schulter und seufzte erleichtert. „Du bist mir mein liebster Bruder, José, und die einzige Familie, die ich noch habe. Danke, dass du gekommen bist.“
Sie löste sich aus Josés Armen und schnäuzte sich geräuschvoll.
„Vielleicht wäre das alles nie passiert, wenn ich nicht angefangen hätte, in dieser Tabledance-Bar zu arbeiten ...“
Acht Monate zuvor
„Es war an einem Montag, ich weiß es noch genau. In der Bar war bis 22 Uhr war nicht viel los, nur einige Kabinen waren besetzt. Ich hatte Charlie versprochen, für Jasmin einzuspringen, die an diesem Montag ausfiel. Kurz nach halb 11 strömte eine ganze Busladung voll Amerikaner in die Bar. Sie waren schon reichlich angeschickert und bestellten gleich mehrere Runden Bier und Schnäpse. Wir kamen kaum hinterher mit den Bestellungen. Charlie war natürlich scharf auf ihre Kohle und meinte, ich solle für sie tanzen. Er konnte einfach nie den Hals voll kriegen! Ich hatte noch nicht mal richtig angefangen mit der Show, als das Gegröle und Gegrabsche losging. José, ich sag dir, es gibt nix Schlimmeres als besoffene Amis auf Erlebnistour! Einer der Typen ging dann mit der Bierflasche auf einen anderen los, bis die Stühle flogen und Charlie die Polizei rief.
Und plötzlich, mitten im Handgemenge, tauchte dieser blondgelockte Mann auf. Er stand mitten auf der Tanzfläche und starrte mich an. Typ Neohippie mit Flowerpower-Hemd, Parka und Boots. José, du kennst mich, ich steh eigentlich nicht auf diese alternaiven Typen. Aber er war wie eine Erscheinung, als ob er gerade vom Himmel herabgestiegen sei, nur um mich zu retten. Er reichte mir die Hand, legte mir seine Jacke über die Schultern und brachte mich nachhause. Die ganze Zeit über sprach er kein einziges Wort! Irgendwie hatte er so eine Aura um sich ... wirklich, es ist schwer, das zu erklären. Diese unglaubliche Ruhe, die er ausstrahlte, zog mich magisch in den Bann. Keine Ahnung, warum, aber ich benahm mich wie ein hypnotisiertes Kaninchen.“
Maria grinste, machte eine Pause und trank einen Schluck Tee.
„Dabei wollte er nicht mal bleiben, ich hab musste ihn mit Engelszungen dazu überreden. Als wir dann nebeneinander im Bett lagen, fühlte ich mich wie auf Droge. Alles in mir floss über, hin zu ihm. Ich hab sowas noch nie erlebt, José. Es fühlte sich an wie auf Trip, wie auf rosalila Wolken ... ich war völlig weggeschossen. Klar, hatten wir Sex. Aber das ist nur eine schwache Umschreibung dessen, was wirklich passiert ist. Ich kann mich nicht erinnern, je etwas Ähnliches erlebt zu haben. Und du kennst mich, ich hab einiges durch!“
Maria lachte laut auf und strich ihre Mähne zurück, bevor sie leise weiter sprach.
„In dem Moment, als es dann passierte, im Augenblick der größten Ekstase, war mir plötzlich sternenklar, dass ich gerade ein Kind empfangen hatte. Glaub es oder glaub es nicht, José, doch genau so war es. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war mein Engel verschwunden. Ich hab ihn seit dieser Nacht nicht wieder gesehen. Manchmal denke ich immer noch, dass das alles nur ein verrückter Traum war.“
In der Nacht zum 24. Dezember, am Weihnachtsmarkt
Das Letzte, was Maria noch verschwommen wahrnahm, waren die finster verzerrten Mienen der Youngsters und der Geruch nach Alkohol. Der Boden unter ihr schwankte, sie stolperte und fiel und verlor das Bewusstsein. Das blonde Mädchen schrie auf, die Meute fluchte und schimpfte.
Im selben Moment hielt ein Taxi mit quietschenden Bremsen und José riss die Autotür auf. „Maria! Lasst mich zu ihr, sofort! Und macht, dass ihr wegkommt, ihr Assis, verdammt!“
Er kniete sich neben seine Freundin, die wieder zu sich gekommen war und ihn mit schmerzverzerrtem Gesicht ansah. „Liebes, ist es etwa schon so weit?“ Sie nickte nur und drückte seine Hand. José wandte den Kopf und winkte hektisch dem Taxifahrer: „Helfen Sie mir, schnell! Wir müssen sie ins Krankenhaus bringen!“
Und so geschah es zu jener Zeit, dass Raphael Jesus Gonzalez als Sohn von José und Maria in der Nacht zum 24. Dezember um 20 Uhr 37 auf dem Rücksitz eines Taxis das Licht der Welt erblickte.