Das neunzehnte Türchen
Hinterm achtzehnten Türchen
erzählt' uns
@*********ld63 (Zahl für den Reim nicht mitaussprechen)
nicht von Erbsen und Mührchen
sondern von nem andern Jesus-Child.
Evangelium
Alle Jahre wieder freute sich Opa Wilfried darauf, seinen Enkeln Adam und Eva, mittlerweile sechs und acht Jahre alt, die Weihnachtsgeschichte aus dem Evangelium vorzulesen. So auch dieses Jahr. Er machte es sich in seinem alten, abgewetzten Ohrensessel bequem, während sich die Kinder auf den Schafsfellen zu seinen Füßen räkelten. Mit seiner sonoren Stimme begann er langsam zu lesen:
„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war ...“
„Opa?“, unterbrach Eva den Lesefluss, „in Syrien ist doch Krieg. War das Jesuskind damals auch auf der Flucht?“
„Weiß ich nicht, kleine Eva.“ Opa Wilfried zuckte mit den rheumatischen Schultern.
„Kriege gab und gibt es leider schon immer, weil die Menschen so dumm sind. Aber in der Geschichte handelt es sich eher um so was wie eine Volkszählung.“
„Ach so“, meldete sich der kleine Adam ganz gescheit, „so wie neulich einer hier war und so'n Quatsch gefragt hat und Papa meinte, alles sei Quatsch?“
„Ja genau, Adam. So ähnlich. Und nun lese ich weiter!“ Zufrieden und geduldig setzte der alte Herr seine Lesestunde fort, bis er zu folgender Stelle kam:
„Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger ...“
„Von wem war die Maria eigentlich schwanger?“, wollte Eva wissen.
Wilfried fühlte sich leicht peinlich berührt. Wie weit war Eva schon aufgeklärt? Gab es in der Schule schon den Sexualkundeunterricht?
„Nun, die Kirche sagt, Jesus ist Gottes Sohn.“ Er hoffte, mit dieser Antwort geschmeidig aus der Nummer heraus zu kommen.
„Josef war doch nicht Gott“, rief Adam dazwischen.
„Genau“, ergötze sich Eva in mädchenhaftem Selbstbewusstsein, „dann war Jesus ja ein uneheliches Kind!“
„Alle Menschen sind Gottes Kinder, auch die unehelichen ...“, versuchte Wilfried zu beruhigen.
„Wie? Ich bin auch Gottes Sohn? Dann ist Jesus mein Bruder?“ Adam schaute Eva an, als hätte er sich schon immer einen Bruder gewünscht, anstatt einer Schwester, die manchmal ganz schön nerven konnte.
„Nein, verdammt!“ Opa Wilfried wurde ungeduldig: „Ihr seid Kinder eurer Eltern, weil eure Eltern mal geknattert hatten.“
„Was ist kanattern?“, fragte Adam neugierig.
„Ich glaube, dass ist, wenn der Mann der Frau seinen Pillermann zeigt, und die Frau ihn sich ganz genau ganz nahe anguckt“, nickte Eva schlau: „Ich habe das mal durch den Türspalt vom Schlafzimmer beobachtet. Die Mama hat dann immer so mit dem Kopf genickt!“
Wilfried wurde rot. So viel wollte er vom Sexualleben seiner Tochter nebst Schwiegersohn gar nicht wissen.
„Wie kann dann Gott mit Maria kanattern, wenn der doch im Himmel ist, aber Maria in Süürüen?“, bohrte Adam weiter im Thema nach.
„Gott hat nicht geknattert!“, gab Wilfried leicht gereizt zurück.
„Aber Opa, so geht das doch nicht. Ich weiß schon von Bienen und Blumen, von Blüten und Stempeln, von Staub und Samen. Ich bin ja nicht blöd!“ Eva stemmte ihre kleinen Ärmchen trotzig in die Hüften.
„Flugsamen!“ Adam schnippte mit den Fingern. „Das ist die Lösung. So wie ich Heuschnupfen von der Pollenfliegerei hab, wurde Maria schwanger vom Flugsamen!“ Stolz blickte er in die Runde.
Opa Wilfried wollte gar nicht das Wort „unbefleckte Empfängnis“ einbringen, denn Eva traute er mittlerweile alles zu. Darum versuchte er, mit einfachen Mitteln das Thema zu beenden: „Einigen wir uns darauf, dass es ein Wunder war?“
„Wunder“, wiederholte Adam nickend.
„Mmmh, na ja“, brummelte Eva mürrisch.
Endlich konnte Wilfried weiterlesen. Die Kinder gaben Ruhe, weil sie sich jetzt wieder voll auf die Geschichte konzentrieren und die Stimme des Vorlesers auf sie eine beruhigende Wirkung hatte.
„...und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.“
„Da kommen aber viele vorbei, um den Jesus anzugucken“, entfuhr es Eva. „Als der Papa neulich im Krankenhaus war, durften wir alle nicht hin.“
„Das war wegen Corona“, seufzte Wilfried.
„Das war damals sicher kein Krankenhaus, sondern eine Tankstelle“, gab Adam seinen pfiffigen Senf dazu.
„Dummerchen“, wollte Eva ihren kleinen Bruder ärgern, „wie kommst du auf Tankstelle?“
„Wegen der Engel“, wehrte sich Adam. „Als Papas Auto an der Tankstelle nicht mehr ging, hat er teflenoniert und gesagt: Jetzt müssen uns die gelben Engel retten.“
Wilfried musste lachen. Eine gewisse Situationskomik, erschaffen aus Kindermund, war der heutigen Vorlesestunde nicht abzusprechen. Aber weitere peinliche Momente ersparte sich der Vorleser, indem er den Satz mit der Beschneidung des Kindes, einfach verschwinden ließ. Er konnte sich auch noch daran erinnern, wie sehr Adam unter der Phimose-Operation gelitten hatte.
Schließlich gelangte er zum Schluss der biblischen Geschichte:
„Als sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.“
„Mama sagt, wir dürfen nicht zum Stern gehen, obwohl der sooo schön glitzert.“ Adam klang leicht beleidigt.
„Da gehen nur Männer hin, keine Kinder, sagt Mama“, ergänzte Eva.
„Na hoffentlich!“, rutschte es Wilfried heraus. Er wusste sofort, was mit dem Stern gemeint war. Ein etwas anderes Etablissement, unweit der Wohnung der Familie. Er war selbst schon dort, wo die leichten Mädchen ein und aus gingen. Wo er schon wahre Göttinnen der Lust erleben durfte. Wo er im Höhepunkt so manche Engel hatte singen hören.
„Männer geben da viel Geld aus, meint Mama“, sagte Eva.
„Sind die dann alle Könige, die da rein gehen?“, fragte Adam stutzig, „aber wen beten die dann an, wenn da kein Jesuskind in der Krippe liegt?“
Wilfried versuchte zu erklären: „Da gehen Männer hin, die auf der Suche nach etwas sind. Sie bringen kein Gold, Weihrauch und Myrrhe mit, diese Zahlungsmittel sind aus der Mode gekommen. Heute zählt nur Bargeld.“
„Wenn man etwas sucht, geht man ins Fundbüro“, wusste die schlaue Eva.
„Die Männer haben etwas verloren?“, wollte der wissbegierige Adam wissen.
'Ja, haben sie', dachte sich Wilfried, 'nämlich ihre Würde und ihren Stolz', doch den Gedanken konnte er kaum mit den Kindern teilen. Stattdessen versuchte er sich in einer weiteren Antwort: „Die Männer suchen nach Liebe.“
„Und Liebe gibt’s nicht im Findebüro, oder?“ beantwortete sich Adam die Frage selbst.
„Nein, Adam“, entgegnete Eva grinsend, „die Kerle wollen nur knattern!“
Die Kinder kicherten, frech, ironisch, verschämt. Wilfried schloss die Bibel und kündigte leicht verunsichert an:
„Und morgen lese ich euch die Herbergssuche vor, aber nur, wenn ihr schön brav seid, jetzt ins Bett geht und ihr Mama und Papa nicht verratet, was wir heute alles gesprochen haben. Versprochen?“
Die beiden antwortet im Chor: „Versprochen! Gute Nacht, Opa Wilfried.“
„Frohe Weihnachten, Kinder!“, umarmte Wilfried seine beiden Enkel.
„Frohe Weihnachten, Opa!“