Das sechste Türchen
Hat jemand
@*****e_M geraten? Dier war dann richtig mit seinem Tipp.
Heute, am Nikolaus, geht es nach Japan.
Es geschah zu jener Zeit…
Oder
Der Götterwind
Sakamoto Oda, oder, wie man in Japan schreibt: Oda, Sakamoto saß missgelaunt in der Teestube seines Freundes Kotai. Auffällig unauffällig kratzte er sich zwischen den Beinen. Das letzte Bad reichte Tage zurück. Das Los der einfachen Krieger war eben, dass die Scheffel nicht reichten. Niemals reichten, egal wie berühmt oder berüchtigt man war. Man muss dazu wissen, dass die Krieger, oder „Samurai“, nicht in Geld und Gold bezahlt wurden, sondern in Scheffeln Reis. Reis war das Hauptzahlungsmittel in jener Zeit. Je höher die Zahl der Scheffel, desto wohlhabender der Samurai. Obschon das so nicht wirklich stimmte. Jeder Samurai hatte eine erkleckliche Zahl Bediensteter und diese mussten auch bezahlt werden. Und zwar mit Reis-Scheffeln! Hier gründete sich bereits im sechzehnten Jahrhundert das kapitalistische System, in dem der Gewinn eines Potentaten sich aus Einnahme und der Weigerung, diese an seine Untergebenen weiterzugeben, gründet.
Und bei Buddha, er war keines von beiden. Sakamoto war ein einfacher Mann. Geradlinig, ehrlich und bescheiden. Die berühmten Krieger seiner Zeit wie Shingen Takeda, Ueshugi Kenshin oder Ryoma Sakamoto waren eher Legende und er dachte, sie wären erfunden. Er kannte niemanden, der einen davon jemals lebendig gesehen hätte. Odas Welt bestand aus Kotais Teestube, dem Bad der Dame Nyujo, der breiten Hauptstraße und den Höfen rund um den Hakozaki Schrein. Die Tatsache, dass Fukuoka direkt am Meer war, half enorm bei der Ernährung. Fisch war, neben Reis, das Hauptnahrungsmittel. Es war halt nicht so gut, wenn man weder als Schwertkämpfer, noch als Fischer erhebliche Talente aufwies. Ergo lebte Oda als eine Art Tagelöhner mehr Recht als Schlecht vor sich hin. Übrigens war er in guter Gesellschaft in jenen Tagen. Und es ging ihm am Meer relativ gut. Zahllose Geschichten kursierten während der Kamakura Periode, in denen verarmte Samurai, nur um sich die nächste Mahlzeit leisten zu können, ihr Schwert verkauften oder verpfändeten. Eine Todsünde, aber immer noch besser, als zu verhungern. Damit es nicht auffiel, drapierten die so betrügerischen Samurai Holzattrappen in ihre Schwerthüllen. Sie mussten dann halt nur aufpassen, in keinerlei Konflikte zu geraten, denn zögen sie ihr Schwert, wäre der Betrug offenbar und sie wären zum Harakiri verpflichtet. Und zwar mit ebendieser Holzklinge, was allerschwerste Qualen nach sich zog. Und es gab weiß Buddha viele dieser verarmten Samurai, denn die mächtige Hōjō Familie regierte und es waren eher friedliche Zeiten; somit lag das kriegerische Potenzial der mächtigen Samurai brach. Doch Oda war keiner dieser erbarmenswerten Kreaturen. Er lebte still und bescheiden in seiner eigenen, kleinen Welt am Rande von Fukuoka auf der Halbinsel Kyūshū. Die Halbinsel lag strategisch günstig. Korea war nicht weit, China nicht und selbst das russische Reich war nur zwei Tagesreisen entfernt.
„Kotai san, bitte noch einen Sake!“
Odas Stimme war weich und bittend. Bei Kotai kam man mit Härte nicht weit. Kotai war arm aber ungemein stolz. Er hätte auch gut Samurai sein können, im Gegensatz zu vielen der echten Krieger, die voller Hinterlist und schrägen Machenschaften waren. Aus dieser Zeit gründeten sich übrigens auch die Komplimente. In Japan denkt man eben anders. Vielleicht heißt: Nein, Ja heißt: Niemals und „Ich denke darüber nach“ bedeutet: Lass mich in Ruhe. Sagt man aber in Japan: „Du bist Samurai!“ ist das Ausdruck höchsten Lobes. Das gilt bis heute. Daher das alte, japanische Sprichwort:
Die edelste der Blumen ist der Lotus. Der edelste der Menschen ist der Samurai.
„Oda san…“ eröffnete Kotai seine Ansprache.
„Ich weiß Kotai san, ich weiß. Nur noch dieser Eine. Ich würde Tee trinken, aber das ist zu teuer. Morgen früh laufe ich mit Sakadais Boot aus, um mit ihm zu fischen. Danach kann ich dich bezahlen. Ist das okay, Kotai san? Ich bitte dich! Denk bitte daran: Das Glück kommt zu denen, die lachen!“
Oda legte seine linke Hand auf die geballte Rechte Faust. Das chinesische Zeichen für Frieden. Unter den Samurai verpönt, aber hier unter sich, an der Westküste Japans in der Präfektur Fukuoka mit seiner Nähe zum chinesisch-koreanischen Festland, durchaus erlaubt.
„Oda… keine Straße ist lang mit einem Freund an seiner Seite“, sagte Kotai und schenkte nach.
„Aber der entwischte Fisch ist immer der Größte, Oda!“
„Ein Mensch lernt wenig von einem Sieg, aber viel aus einer Niederlage, Kotai san“
„Ein freundliches Lächeln und ein guter Sake kann dich drei Monate warmhalten, Oda. Und nun geh Fische fangen!“ lachte Kotai.
Oda stürzte den Sake in einem Schwall seine durstige Kehle hinunter, raffte seinen Hakama, der schon bessere Tage gesehen hatte, und ging lächelnd aus Kotais Teestube. Auf dem Heimweg fragte er sich, wie sein Leben wohl aussehen würde, hätte er Nyujos Bad nicht, (und Harada san, Nyujos Badefrau im Besonderen), Kotais Teestube, die Bauern Tadashi, Masahiro und Oyama, Schuster Kimura und Frau Yoshidas Nähstube. Oda sagte sich immer, dass er keine Frau an seiner Seite bräuchte, weil ja alles im Dorf irgendwie geregelt wäre… und doch. So manches Mal, wenn er abends wach auf seiner Bettstatt lag, wünschte er sich die Wärme einer Frau herbei. Samtene Haut, liebevolle Augen, tastende Finger und den zarten Flaum vor ihrem Allerheiligsten. Sie könnte alles tun, was die Dorfbewohner nicht auch könnten und er würde alles, wirklich alles für sie tun. Nur würde das eine Fantasie bleiben. Was könnte er einer Frau bieten? Das unstete Leben eines Kriegers? Gut, während der Gempei- Kriege war genug zu tun. Aber dann? Zu einem Fischer würde er nicht werden, zu einem Bauern auch nicht. Etwas anderes hatte er nie gelernt. Also musste er sich verdingen. Mal hier, mal dort. Wenn es nicht irgendwo Gefechte zu schlagen galt, war er mal Fischer, mal Erntehelfer, mal Wächter. Es galt, sich durchs Leben zu schlagen. Aber war das eine Leben für eine Frau an seiner Seite? Oda war zutiefst verunsichert. Und das sah man ihm immer an. Außer, es kam zu einem Gefecht. Dann schien sich Oda auf wundersame Weise zu verwandeln. Oda hatte noch nie einen Kampf verloren. Aber… Oda hatte auch keinerlei Interesse daran, Trophäen zu sammeln wie die berühmten Samurai dieser Zeit. Bescheidenheit war ihm nicht angeboren. Als er vor vielen Jahren einmal im Schrein war und Räucherstäbchen zum Jahreswechsel entzündete, sah ein Mönch ihn lange an und murmelte:
„… so wird der Krieger am Ende immer allein sterben. Keine Gefährtin sei ihm frei, kein Ruhm und keine Ehre zieren sein Banner, keine Lieder werden gesungen und keine Getreuen werden seine Grabstatt besuchen…“
Selbst, wenn er Mönch ihn nicht meinte, dieser Satz steckte Oda wie ein Stachel im Fleisch und seine Gedanken wandten sich nach Innen. Bei den „berühmten“ Samurai dieser Tage war es an der Tagesordnung, Trophäen zu sammeln und mit ihnen anzugeben: Viele der oberen Kasten parfümierten Helme und Chonmage (die aufgesteckte Frisur der Rüstungsträger), damit sie im Falle ihres plötzlichen Ablebens eine lohnenswerte Beute wären und so die Schmach ihrer Niederlage halbwegs in ein ehrenvolles Gedenken abgewandelt würde. Aber all das interessierte Oda wenig. Er war sich seiner gesellschaftlichen Stellung wohl bewusst. Und jetzt, im Jahre 1274, war ihm sehr wohl bewusst, dass er bei seinem Ableben eine unbedeutende bis gar keine Rolle spielen würde. Und wie Konfuzius, der immer mehr als Lehre angenommen wurde, immer schrieb:
Der höhere Mensch ist nicht verzagt, wenn er nicht beachtet wird.
Und doch kam jetzt Odas Zeit. Er wusste es nicht, wie auch? Woher sollte er ahnen, dass ein gewisser Kublai Khan sich anschickte, eine Streitmacht mit sage und schreibe eintausend Schiffen loszuschicken? Vierzigtausend Mann unter Waffen, alle darauf aus, Japan zu unterjochen. So etwas kann man weder vorhersehen noch ahnen. Und so begab es sich zu dieser Zeit, dass ein vollkommen unbedeutender Samurai namens Oda auf dem Fischerboot von Sakadai Jinsuke mitfuhr, um seine Schulden bei seinem Lieblingswirt Kotai zu bezahlen.
Sie waren bereits mehr als eine Stunde unterwegs in der Hakata Bucht und holten Netz um Netz ein, als Sakadai beschloss, eine Pause zu machen. Sie nahmen Reisbällchen und Sake zu sich, starrten in die wenigen Wellen und schwiegen.
„Es wird Sturm geben!“ sagte Sakadai.
„Woher willst du das wissen, Sakadai san?“ fragte Oda.
„Wahrheit benötigt nur wenige Worte, Oda. Schau auf die Wellen. Sie sind noch klein, aber dennoch haben sie eine winzige Schaumkrone. Wenn du Fischer oder Seemann werden willst, musst du lernen, das Wasser zu lesen.“
„Das vermag ich nicht, Sakadai. Wahrlich, meine Talente liegen woanders.“
Sakadai, der alte Fischer mit seiner von Wind und Wellen gegerbten Haut, sah ihn lange an.
„Die Lebensspanne ist dieselbe, egal ob man sie lachend oder weinend, an Land oder auf dem Wasser verbringt“ sagte Sakadai. Und fügte hinzu:
„Auf dem Haupte der Ehrlichkeit hausen die Götter. Du, Oda san, bist eine ehrliche Haut und ich ahne, nein ich weiß, dass gerade du…“
„Was, Sakadai?“
Hier muss man wissen, dass die Samurai, egal in welcher gesellschaftlichen Position waren, immer als Adel bezeichnet und als höhere Art galten. Daher galt der Zusatz „san“ als Ausdruck des Respektes, für die Samurai nicht, es sei denn, sie sprachen mit Daimyo, Shogun oder Tenno. Alle anderen waren im Stande gesellschaftlich darunter. Und doch verirrte sich so manches Mal „san“ in Odas Sprache.
„… ich ahne, dass du für Höheres berufen bist. Es wird sich zeigen, Oda san.“
Oda war sehr nachdenklich geworden. Des Fischers Worte hallten in ihm nach, jedoch zweifelte er am Sinn des gehörten. Er, Oda, nichtssagender Samurai von niederem Stande und ohne Frau, sollte für Höheres berufen sein? Nein. Das war bestimmt nur wohlwollendes Geplänkel des Fischers, um sein Salär zu kürzen! Oda sah auf das Wasser. Lesen? Lächerlich, wie denn? Eine schmutzig braune Brühe, die am Horizont in eine graubraune Formation aufging. Irgendwie magisch, dennoch mehr als seltsam. Die Trennlinie zwischen Wasser und Himmel ging ineinander über und er hatte eine leise Ahnung, was Sakadai san meinte, denn es war irgendwie unwirklich.
„Sakadai san…. Was ist das da?“ fragte Oda und kniff die Augen zusammen. Winzige, schwarze Punkte waren an der vermeintlichen Trennlinie erschienen und sie waren so weit weg, dass es wie eine Fieberphantasie erschien.
„Ich weiß es nicht, Oda. Es ist seltsam. Und viel, schau, der ganze Horizont ist erfüllt damit. Es sind Hunderte…“
„Tausende, Sakadai, Tausende. Was ist das?!?“ Sie starrten, ihre Netze vergessend, auf den Horizont. Und die undeutlichen, schwarzen Punkte kristallisierten sich als Segel heraus. Schwarze Segel. Schwarze Segel auf schwarzen Schiffen, Dschunken gleich, wie man sie aus China kannte.
„Das ist eine Invasion, Sakadai! Vertrau mir, das ist eine Invasion! Wieviel Leute Besatzung hat ein Schiff dieser Größe? Sprich!“
„Mindestens 30. Wenn du Recht hast und sie transportieren eine Armee und es sind wirklich tausend Schiffe, kommen dort 40 000 oder 50 000 Krieger an!“ Oda wandte sich Sakadai zu.
„Sakadai san…. Ich flehe dich an, wende dein Boot. Wir müssen sofort unsere Leute warnen. Sie ahnen nichts, sie sind unvorbereitet, sie sind Bauern, Fischer, Wirtsleute. Sie sind unsere Freunde! Alle Krieger sind in der Schlacht bei Nara! Bitte, dreh um!“
Sakadai war nicht dumm. Oda war Krieger, er kannte sein Metier und wenn es ums Fischen ging, war Sakadai der Boss. Aber jetzt vertraute er seinem Freund Oda. Er kappte die Netze, wendete das Boot und fuhr, so schnell Wind und Wellen ihn trugen, zurück zum Dorf.
Nur vier Stunden später waren alle auf dem Dorfplatz vertreten. Bürgermeister, Geschäftsinhaber, Wirtsleute, Bauern und sogar zwei Vertreter der Glaubensgemeinschaften. Der Shinto - Priester und der Zen- Priester waren da, fett und behäbig wie immer. Alle hörten sich den Bericht der beiden an und man sah bereits, dass sich zwei Lager bildeten. Diejenigen, die ihnen glaubten und die, die das für Sake-Phantasien hielten. Nur in der letzten Reihe, ganz unscheinbar, saß eine Dame, den niemand wirklich einordnen konnte. Sie ward auch noch nie gesehen im Dorf. Als die beiden Lager sich aufschaukelten… die einen unter Oda wollten umgehend den Daimyo alarmieren, die anderen unter dem Shinto - Priester wollten erst an den Strand und schauen, meldete sich die unscheinbare Frau zu Wort.
„Ich, Yoshiko, Tochter des Takeda, habe einen Vorschlag!“
Umgehend waren alle Augen auf ihr.
„Wenn wir Alarm schlagen beim Daimyo und vielleicht sogar beim Shogun, haben wir zwei Möglichkeiten. Entweder es gibt eine Invasion oder eben nicht. Gibt es sie, haben wir eine gute Chance, sie aufzuhalten, gibt es sie nicht, sind wir die Narren. Was wollt ihr lieber sein, tote Narren oder lebendige Helden? Ein Mensch wird in hundert Jahren nicht vollkommen, aber verdorben wird er in weniger als einem Tag.“
Es war beschlossen. Der schnellste Reiter auf dem besten Pferd sollte nach Edo reiten. Die zweitschnellsten ritten nach Kyoto und Osaka zu den Shogunen und alle anderen, die im Besitz eines Pferdes waren, ritten zu den Kriegsherren, den Daimyo.
„Oda… du als Samurai, was denkst du, wann wird die schwarze Flotte hier sein?“
„Sie sind schon da. Die Frage ist, wann greifen sie an? Ich würde sagen, es dauert. Keine Armee von dieser Größe landet an und ist sofort bereit. Es gilt, die Logistik vorzubereiten. Pferde ans Land gewöhnen, sich akklimatisieren, ordnen, strukturieren. Sie werden, so sie gut sind, morgen Mittag bereit sein.“
Betretenes Schweigen. Die Lage schien aussichtslos. Eine heftige Diskussion brandete auf. Evakuieren, fliehen, sich stellen, Stellungen ausbauen, wehrhafte Türme errichten… all das war nutzlos, denn es blieb keine Zeit. Man diskutierte, sich den Truppen entgegenzustellen, sich zu wehren bis die Samurai eintrafen… aber die Dorfbewohner waren Wirtsleute, Bauern und Händler? Der einzige Mann vom Fach war Oda. Er war der Mann der Stunde. Er wurde vom Bürgermeister Takahashi Narada gefragt.
„Ihr wisst, ich bin von niedrigem Stande. Ich bin kein großer Kriegsherr…“
„… aber der Einzige, den wir haben, Oda. Unser Schicksal, das Schicksal ALLER… liegt in deiner Hand!“
„Es ist so gut wie unmöglich, dass Daimyo oder Shogun rechtzeitig imstande sind, sofort eine Armee in entsprechender Stärke zu entsenden. Die schwarzen Schiffe sind eindeutig im Vorteil. Wir… wie wir hier stehen und murren, können denen nicht die Stirn bieten. Wenn dort 40 000 Mann unter Waffen stehen, sind wir verloren. Die einzige Möglichkeit, die wir haben, ist die List.“
„Was sollen wir tun, Oda?“
„Sägt, Männer. Sägt, was das Zeug hält. Lauft in die anderen Dörfer. Die, die nur eine oder zwei Stunden entfernt sind. Lauft und holt alles zusammen, was Beine hat!“
Im Morgengrauen. Die schwarze Flotte ankerte knapp 4 Chō (ca. 400 m) vor der Küste. Nichts war zu sehen. Oda kauerte knapp unter der Sichtlinie einer Düne und bedeutete mittels eines Fächers, dass alle vortreten sollten. Sieben Dörfer waren dem Ruf gefolgt. Männer, Frauen, Diener, Kinder und Esel und Pferde waren gekommen. Die Männer mit den scharfen Sägen hatten kreisrunde Scheiben aus den gefällten Bäumen geschnitten und aus dem Ästen hölzerne Behelfsschwerter geschnitten. Gut, aus der Nähe sah es aus wie ein Scherz, jedoch aus 400 Metern sah es aus, als warteten dort knapp zweitausend Mann unter Harnisch und Waffen in einer endlosen Reihe auf die Invasionsarmee. Dass alle, einschließlich Oda, die Hosen gestrichen voll hatten, konnte niemand ahnen. Und doch… keine Armee, die mit diesem Aufwand den Ozean überquert hat, würde kneifen. Sie würden angreifen. So, oder so.
Yoshiko, Tochter des Takeda, war lautlos hinter Oda und den Dorfältesten getreten.
„Meine Herren,…“ begann sie ihre Rede.
„… es gibt da eine Überlieferung aus alter Zeit. Eine Beschwörung. Magie der alten Schule. Vergebt ihr euch etwas, wenn wir sie anwenden?“
Alle stimmten zu. Was hatten sie zu verlieren? Also liefen sie wie ein Wirbelwind die lange Reihe der Männer entlang. Schon nach wenigen Minuten erschallte der Strand vom immer lauter werdenden Gesang der Menschen.
„Kaminokaze, watashi wa anata o yobimasu. Kaminokaze, watashi wa anata o yobimasu. Kaminokaze, watashi wa anata o yobimasu.“
Lauter und lauter wurden die Menschen und steigerten sich beständig. Wie in Trance spien die Menschen die Worte der schwarzen Flotte entgegen. Hinter der schwarzen Flotte dräuten sich Wolken zusammen. Beständig wurden sie dunkler und dunkler, einhergehend mit der Beschwörung der Dorfbewohner. Wind kam auf und trug die Stimmen der Dorfbewohner den Kriegern der schwarzen Flotte entgegen. Verunsicherung machte sich unter den Mongolischen Kriegern breit. Der entstehende Sturm ließ die Schaumkronen auf den Wellen tanzen. Höher und höher. Stärker und stärker; die Stimmen wurden lauter und lauter und schienen sich mit dem Winde messen zu wollen… die mongolischen Krieger, bis dahin ungeschlagen und daran gewöhnt, zu siegen, starrten sich unsicher an. Die Blicke wechselten zwischen dem schwarzen Himmel und der Küstenlinie hin und her. Die Dorfbewohner wurden abermals lauter. Doch der Wind, der Staub und die Wellen versperrten ihnen die Sicht auf die schwarze Flotte. Doch Oda trat vor. Er schritt die Reihen ab. „Bleibt standhaft! Weicht nicht! Seid Samurai!“
Wieder und wieder sprach er die Worte, bis seine Stimme versagte. Er trat zurück bis in die Mitte und stemmte seinen Körper gegen den Sturm. Niemand wich, niemand gab auf. Alle waren durchnässt bis auf die Knochen, froren und waren erschöpft, aber der Wille war ungebrochen. Die ganze Nacht harrten sie aus. Trotzend dem Wind, dem Sturm, den Elementen; stets bereit, der wütenden Kriegerschar entgegenzutreten. Doch nichts geschah. Gar nichts.
Der Morgen erhellte zögerlich den Horizont, während der Sturm urplötzlich nachließ. Beinahe friedlich schien der Sonnenaufgang. Die erschöpften Dorfbewohner genossen das. Die Sonne erhob sich zaghaft über das Firmament und wärmte mit jeder Sekunde die frierende Schar Mutiger. Doch als die Sicht klar wurde und der Horizont sich überdeutlich abzeichnete, waren die tausend schwarzen Schiffe fort. Einfach verschwunden. Oda, immer noch in vorderster Reihe stehend, der Erschöpfung nahe, trat an den Wellenrand und hob ein herangeschwemmtes Stück auf. Es war ein hölzerner Schild. Dem folgte ein Stück Segel in pechschwarzer Farbe. Ein Balken, ein Wams. Es gab keinen Zweifel, der Sturm hatte die eintausend Schiffe zunichte gemacht.
Yoshiko trat neben Oda. Sie war nachdenklich geworden.
„Frau Yoshiko, was war das nur? Wie kann ein Spruch so viele Krieger zunichtemachen?“
„Das Gedicht heißt: Harakiri, der Wind der Götter, Oda san. Und er wird nur von reinen und furchtlosen Seelen entfesselt. Doch sei gewiss, diese Armee wird zurückkehren. Gang gewiss. Unsere Aufgabe wird es sein, Vorbereitungen zu treffen. Auf der Hut sein müssen wir. Wir bauen einen Wall, befestigen den Strand und unterrichten alle, die wehrfähig sind, sich darauf vorzubereiten, dass die schwarzen Krieger zurückkehren. Merke dir alles, was du sahst, und berichte Daimyo, Shogun und Tenno. Wir haben sieben Jahre, dann kehren sie zurück. Sie kommen, zu töten, zu erobern, zu plündern und zu rauben. Machen wir unsere Sache gut.“
„Wir, Frau Yoshiko?“
„Magst du mich etwa nicht?“
So geschah es damals im Jahre 1274. Sieben Jahre später kam die schwarze Flotte in der tat erneut an die Gestade der Halbinsel. Doch diesmal waren die Bewohner vorbereitet. Das eigentliche Wunder dieser Jahre bestand nicht darin, dass eine Flotte von eintausend Schiffen durch einen Kamikaze vernichtet worden ist, sondern das dies im Jahre 1281 noch einmal geschah. Und zwar ganz genau so wie im Jahre 1274.