Alles Zufall ?
Alles Zufall?Johnny erwacht wieder mal allein in einer fremden Wohnung. Schon das dritte mal in vier Tagen. Er fragte sich wozu er überhaupt noch Miete zahlte, schließlich war er höchstens ein oder zwei Nächte in der Woche Zuhause. Er langte nach den Zigaretten auf dem Nachtisch und zündete sich eine an. Dabei fiel sein Blick auf die blassrosa Lippenstiftspuren an einigen Filtern im Aschenbecher. Johnny lächelte matt und ließ seinen Blick durch das große Schlafzimmer schweifen. Modern, edel, geschmackvoll, also vermutlich das Werk eines sauteuren Innenarchitekten. Nur das Bild der Hausherrin auf der Unterwäschenkommode vermittelte etwas persönliches. Gelangweilt warf er die halb gerauchte Kippe in den silbernen Sektkühler, zog lautlos seine Sachen an und verschwand mit einem leisen Klirren der Buntglasverzierten Haustüre. Dann stolperte er über einen Hund und schlug lang hin.
„Es ist einsam an der Spitze“, diesen Satz hätte sich Mona nach einer wilden Weihnachtsparty vor vielen Jahren beinahe in die Haut tätowieren lassen. Heute käme es ihr wie Hohn vor, den diese Wahrheit hatte sie eingeholt und seither schmerzte sie jeden Tag auf`s neue. Sie hatte es dank ihrer Intelligenz und ihrer Kaltblütigkeit ganz nach oben geschafft. Nun stand sie an der Spitze eines Weltweiten Unternehmens mit einem Büro im obersten Stock eines Wolkenkratzers und war nur noch Gott allein Rechenschaft schuldig. Aber der Preis dafür war hoch gewesen. Zwei gescheiterte, kinderlose Ehen. Keine echten Freunde, niemand mit dem sie über ihre Gefühle reden konnte, der ihr bei einem Glas Wein zuhörte oder sie an seinem Leben teilhaben lies. Diese alltägliche Leere füllte sie mit Arbeit, Alkohol und Drogen. Wenn Mona Appetit auf Sex verspürte, ging sie einfach in eine der angesagten Bars oder Clubs und suchte sich einen aus. So wie gestern. Sie lächelte kurz bei der Erinnerung an letzte Nacht. Dieser Junge war verdammt gut gewesen. Schönheit konnte man sich heutzutage kaufen und da Geld für sie schon lange keine Rolle mehr spielte, sah man ihr die Zweiundfünfzig Jahre beileibe nicht an. Sie seufzte kurz, strich ihr mahagonirot gefärbtes Haar zurück, legte den Telefonhörer auf und nahm an ihrem Schreibtisch Platz. Sieben Minuten später fiel ein Mensch an ihrem Fenster vorbei in die Tiefe.
Der Wachmann in seiner Glaskabine hatte ihm schon seltsame Blicke zugeworfen , deshalb beschleunigte Björn seine Schritte durch die große Vorhalle um die Aufzüge zu erreichen. Mit seinem prallen Rucksack und dem drei Tage Bart, hatte er vermutlich mehr von einem Terroristen, als von dem Studenten für den er sich gerne ausgab. Als er die Arkade der Lifte für den Südflügel erreichte, huschte er blitzschnell zwischen den sich schließenden Kabinentüren von Aufzug Nummer eins hindurch. Ein sanftes Klingeln kündigte den Beginn der Fahrt an und er entspannte sich ein wenig. Björn warf einen kurzen Blick auf die einzige Mitfahrerin. Schlank und gutaussehend, wenn auch etwas an ihr einen leicht gekünstelten Eindruck erweckte. Vermutlich der Natur ein wenig nachgeholfen, dachte er sich. Sie trug ein teures Designerkostüm und erteilte Anweisungen über ihr Handy. Vermutlich hatte sie ihn noch gar nicht bemerkt. Am Bedienpaneel der Kabine leuchtete der Knopf für das oberste Stockwerk, besser hätte es für Björn gar nicht laufen können. Der Südflügel war der höchste Teil des Gebäudes und die oberen Etagen waren meist nur mit einem Schlüssel oder Nummerncode zugänglich. Offenbar eine ganz Wichtige, dachte sich Björn und begann den Inhalt seines Rucksackes zu kontrollieren.
Herr St. Anders verschloss sorgfältig seine Wohnungstür und gab seinem Westhighland Terrier „Jack“ mit einem kurzen Ruck an der Leine das Startsignal. Sie begannen ihre übliche morgendliche Runde durch das elegante Wohnviertel und Jack erneuerte seine Revieransprüche mit einer stinkenden Pfütze. Herr St. Anders lächelte dabei wohlwollend, vor allem wenn er die missbilligenden Blicke der Passanten sah, grinste er regelrecht. Er mochte die Menschen nicht und das hatten nicht wenige bereits am eigenen Leib erfahren. Herr St. Anders war ein Mörder. Genauer gesagt ein Auftragskiller, allerdings im Ruhestand. Sein Beruf war seine Passion gewesen und nun gab es nichts mehr was ihm echte Freude bereitete, abgesehen von Jack. Allerdings gelang es auch diesem kleinen Hund nicht wirklich, denn Hunger seines Herrchens zu stillen. Einzig die akribische Pflege seines Handwerkszeuges und die brechenden Augen seiner Opfer hatten Herr St. Anders je glücklich gemacht und die Leere in seinem Innern gefüllt, doch diese Zeiten waren vorbei. So sehr er es sich auch wünschte, niemand gab ihm einen Anlass sich zu rächen und so wuchs seine innere Leere und gleichzeitig sein Zorn auf die Menschen. Sie hatten den Zenit ihrer Runde erreicht und Jack schnüffelte wie gewöhnlich an der Eingangstür einer Jugendstilvilla herum, als diese aufgerissen wurde und ein junger Mann erst auf den quickenden Jack trat und dann der Länge nach hinschlug. Herr St. Anders Augen begannen zu leuchten.
Als Björn sich beim ersten Klingeln durch die halboffene Aufzugstür zwängte, stieß er mit seinem Rucksack gegen die Schulter der Dame mit dem Handy, welches ihr da durch aus der Hand fiel. Er murmelte eine kurze Entschuldigung und rannte durch den dezent beleuchteten Flur über flüsterweichen Teppich davon. Die lautstarken Verwünschungen der rothaarigen Dame verfolgten ihn noch um zwei Ecken, dann vernahm Björn das Schlagen einer schweren Tür und es herrschte Ruhe. Erleichtert machte er sich auf die Suche nach dem Treppenaufgang, der auf das Dach führte. Nach drei Minuten fand er ihn, elegant in einer Nische zwischen zwei Kopiergeräten versteckt, öffnete den simplen Vierkantverschluss und erklomm eilig die rohe Stahltreppe.
In Monas Büro leuchtete die Anzeige der hausinternen Telefonleitung. Noch etwas genervt von dem jungen Rüpel im Aufzug nahm sie den Hörer ab. Der Wachmann aus der Empfangshalle war dran. Er entschuldigte sich tausend mal für die Störung und fragte, ob zufällig ein junger Mann mit ihr im Aufzug gewesen wäre und ob sie sich erinnern könne auf welcher Etage dieser ausgestiegen sei. Mona, die den jungen Kerl für irgendeinen Handwerker gehalten hatte, nutzte die Gelegenheit sich ausgiebig zu beschweren und bestätigte damit die Befürchtungen des Wachmannes, der noch während er dem Genörgel dieser elitären, rotgefärbten Kuh lauschte, seine Kollegen im zehnten Stock über Funk darüber informierte, dass sie einen Basejumper auf dem südlichen Dach hatten.
Johnny rappelte sich wutschnaubend auf und fluchte lautstark auf den bescheuerten Köter und sein hirnloses Herrchen. Herr St. Anders lächelte still und blickte rasch in alle Richtungen um sich zu vergewissern das niemand in der Nähe war. Jack nutze diesen Augenblick um sich in Johnnys Wade zu verbeißen und als dieser sich bückte um den knurrenden Hund zu packen, fuhr eine Klinge leicht und sauber in seinen Bauch und schlitzte ihn bis zur Kehle auf.
Herr St. Anger packte den schreckensbleichen Johnny an der Kehle und zerrte ihn wie einen alten Wäschesack um die Ecke in den Garten. Dort, geschützt durch Müllcontainer und dichtes Buschwerk, machte er sich freudestrahlend ans Werk. Jack saß zu Füßen seines Herrchens und wedelte mit dem Schwanz. Freudig erregt tänzelte er gelegentlich auf den Hinterbeinen, wenn Herr St. Anger ihm wieder mal ein Stück von Johnnys Innereien zuwarf.
Herr St. Anger war auf das äußerste befriedigt, als er den Garten verließ, Jack wieder an die Leine legte und seinen Weg fortsetzte. Weil er so gute Laune hatte beschloss er seinen Spaziergang etwas aus zu dehnen.
Björn war fast mit dem Anlegen seiner Ausrüstung fertig, als die Wachmänner die blockierte Tür zum Dach eintraten und auf ihn zu gestürmt kamen. Hastig zerrte er die Schlaufe seines Beingurtes fest und spurtete los, auf die Kante des Daches zu. Aus den Augenwinkeln sah er noch wie einer der Wachmänner über einen Teil seiner Ausrüstung stolperte, doch es war zu spät um zu bremsen.
Mit schreckensweiten Augen wurde er von seinem eigenen Schwung über die Dachkante gerissen und stürzte an den Fenstern des Wolkenkratzers vorbei in die Tiefe. Einer der Wachmänner hielt den Gegenstand hoch über den er gestolpert war. Es handelte sich um Björns Lenkfallschirm.
Der Wachmann aus der Empfanghalle hatte seine Kollegen über den Basejumper informiert und sich dann auf den Heimweg gemacht. Überstunden wurden nicht bezahlt und es war nicht seine Schuld, wenn die Tagschicht sich verspätete. Außerdem hatte er noch was vor.
Obwohl das Haus der rothaarigen Vorstandsvorsitzenden nicht direkt auf seinem Weg lag, machte er gerne diesen Umweg. Manchmal konnte er einige Teile ihrer Unterwäsche ergattern, die sie nach dem Waschen zum trocknen auf der Terrasse aufhängte. Die Vorfreude versetzte ihn in prächtige Laune, so grüßte er sogar diesen komischen Kauz mit seiner Töle, der ihm auf dem Fußweg vor seinem Arbeitplatz entgegen kam. Als er allerdings an der Villa angekommen um die Ecke in den Garten schlich, bot sich ihm ein Bild des Grauens.
Ein junger Mann hing ausgeweidet und blutverschmiert in den Büschen zwischen Mülltonen und Terrasse. Nachdem der Wachmann sich ausgiebig übergeben hatte, zückte er sein Handy und rief die Polizei.
Herr St. Anger pfiff vergnügt vor sich hin, als er das Villenviertel verlies und auf die Hauptgeschäftsstraße einbog, die zu beiden Seiten von gewaltigen Hochhäusern flankiert wurde. Selbst als ihn so ein Versager vom Wachdienst freundlich Grüßte, verzichtete er auf seinen üblichen hasserfüllten Blick. Er bewunderte sich gerade in der spiegelnden Fassade des Hochhauses, aus dem dieser Verlierer gekommen war, als Jack wie verrückt zu kläffen anfing und an seiner Leine zerrte. Blitzschnell wirbelte der ehemalige Auftragskiller um die eigene Achse, konnte aber nichts Bedrohliches entdecken und wollte Jack schon mit einem Tritt zum Verstummen bringen, als er von oben ein seltsames Geräusch vernahm. Eine Sekunde später explodierten Herr, St. Anger und sein Hund Jack in einer Wolke aus Fleisch, Knochen und Blut auf dem Gehweg.
Björn wusste das Schreien nicht wirklich half. Aber als ihm in dem Moment als er über die Brüstung fiel klar wurde, dass er sein lebenswichtigstes Stück Ausrüstung auf dem Dach vergessen hatte, hielt er es trotzdem für eine gute Idee. Er sah den Wachmann das Gebäude verlassen und er bemerkte auch den Passanten mit seinem Hund, der sich gerade über die Straße direkt in seine Landezone bewegte.
Als dieser Idiot auch noch direkt unter ihm verharrte um sein Spiegelbild zu bewundern, schrie Björn noch etwas lauter.
Es folgte ein geräuschvoller Aufschlag, dann war es still.
Mona öffnete zitternd die oberste Schublade ihres gewaltigen Schreibtisches und fummelte mit fahrigen Fingern ein Plastiktütchen mit weisem Pulver heraus. Sie hatte eben gesehen wie sich ein junger Mensch einfach so in den Tod gestürzt hatte und das setzte ihr arg zu. So sehr, das sie dieses mal auf die gewohnte, vorsichtige Kontrolle des Stoffs verzichtete.
Die Polizisten, die sie eigentlich zu dem bestialisch ermordeten jungen Mann in Ihrem Garten befragen wollten, fanden Mona bereits mit beginnender Leichenstarre. Die Obduktion würde eine Überdosis sehr unreinen Kokains ergeben, welches mit hochgiftigen Stoffen gestreckt worden war.
In der Zeitung des folgenden Tages waren auf drei verschiedenen Seiten drei verschiedene Berichte zu lesen, zwischen denen niemand einen Zusammenhang vermutete. Warum auch?.
„Erfolgreiche Geschäftsfrau begeht Selbstmord“ titelte die eine. „Basejumper reißt unschuldigen Passanten mit in den Tod“, war auf Seite sechs zu lesen. „Bekannter Gigolo und Strichjunge von Freier brutal ermordet ?“, stand unter „Lokales“.
Alles Zufall?
© 1.2010 by Biker_696