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Vergangene Zukunft

nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Lieber Antaghar,
du hast natürlich recht damit, dass der Verstand nur begrenzt schützt, das sieht man ja an der Geschichte und ich habe es ja schlussendlich noch geschafft eine Verbindung mit dem Herzen herzustellen.

*rotwerd* ich freue mich über dein Kompliment. *freu*

In einigen Tagen werde ich mich an die Überarbeitung des Textes machen (da sind so viele Fehler drinnen, dass ich ihn jetzt nicht mehr lesen mag) und vielleicht stelle ich ihn dann noch einmal herein, natürlich nur, wenn Interesse daran besteht. *g*


Liebe Grüße
Herta
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Und wie!

Es ist immer wieder faszinierend, wie sich Texte verändern, wenn sie nochmal liebevoll und sorgfältig überarbeitet und all die kleinen Fehler korrigiert werden.

Und diese Geschichte hat es ja nun wahrlich verdient! Sie ist in meinen Augen auf dem besten Weg zu einer kleinen Kostbarkeit ...

(Der Antaghar)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Du beflügelst mich mit deinen Worten. Danke. *rotwerd**rotwerd*

Ich werde mir alle Mühe geben ... und mir Zeit lassen. *g*


*sonne*Herta
Profilbild
****ia Frau
22.263 Beiträge
Danke, Herta!
Jetzt hat die Geschichte einen Schluß, mit dem ich leben kann.
Er macht Hoffnung.
*g*
Danke liebe Herta!!!
Oh, da war ich jetzt eine Weile sprachlos... und gut, dass schon vor mir und auch von dir, liebe Herta, Reaktionen auf das Ende der Geschichte hier standen. Da hab ich gut von einem zum anderen pendeln können.

Momentan neige ich eher dazu, mich Oloves Verstehen (von gestern) anzuschließen.

Ist es denn nicht so, dass Alex sowieso etwas eingebracht hat durch sein Dortsein? Vom ersten Tag an hat er durch sein Sosein winzige Eindrücke bei den Menschen dort hinterlassen. Und je länger er blieb hat sein Verhalten sie zum Nachdenken angeregt, zum Auseinandersetzten mit seiner Andersartigkeit, mit Vergleichen zwischen ihm und sich. Mae war eine weise Frau und eine, die die Geschicke ihrer Gruppe lenkt - sie hat am tiefsten Einblick genommen und Erkenntnisse gewonnen. Das Baden, das Bartschneiden, die Gestik, die fremden Laute... Sie werden ihr Handeln in Zukunft beeinflusst haben, auf welche Weise auch immer. Und das ist nicht mehr rückgängig zu machen.

Da bedarf es keiner Nadel mehr, um die Zukunft zu ändern. Es ist bereits geschehen.

Es ist ein wenig so, wie in dem Ausspruch: Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Indien kann einen Wirbelsturm auf der anderen Seite der Erde auslösen (Chaostheorie). Alles ist mit allem verbunden... Und Alex war ja über viele Wochen bei der Gruppe, da ist auf jeden Fall etwas hängengeblieben. Viele haben ihm z.B. beim Schnitzen beobachtet - und vielleicht etwas gelernt, das sie dann anwendeten, dass dann dazu führte, dass sie vielleicht eher die Nadel erfunden haben, als ohne Alex. Und dieses »eher« hat wieder Einfluss auf andere Dinge und Geschehnisse und so weiter und so fort... Faszinierend.

Es ist eine ethisch-moralische Frage, ob er bewusst etwas hinterlässt, wie z.B. eine von ihm handgeschnitzte Nadel.

Und wenn er sowieso nicht verhindern kann durch seine pure Anwesenheit die Dinge zu verändern, dann wäre auch die Überlegung, bewusst etwas zu verändern zulässig und nicht mehr verwerflich. Dann geht es nur noch darum, ob es Nutzen oder Schaden bringt. Und diese beiden Kategorien wieder sind so abhängig davon, wer und wem was nutzt und wem was schadet oder wer Schaden anrichtet, dass darüber wohl niemand befinden kann.

Ui - und ich sehe, während ich das hier schrieb, ist die Diskussion noch viel weiter gegangen, sogar ein neuer Schluss ist dazugekommen. Ha, da hat mich die Vergangenheit einfach überholt... Muss sie erst mal schnell noch lesen...

Noch ganz anders - ich habe gerade gemerkt, dass ich aus Versehen einfach eine Seite überschlagen hatte... und schon an euer Zukunft vorbeigeschrieben hatte...

So, jetzt hab ich auch das Letzte noch gelesen und bin so froh und so berührt. Das ist ein Ende der Geschichte, mit dem ich mich verbunden fühle. Wie schön, liebe Herta, dass du dahin gefunden hast... Danke!

Die Nordfrau
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Liebe Nordfrau,
gut, dass du an der Zukunft vorbeigeschrieben hast. *g*

Du hast da wirklich noch einige interessante Aspekte eingebracht, an die ich gar nicht so bewusst gedacht habe. Ich denke, da wird das eine oder andere beim Überarbeiten noch einfliessen. *ja*

Vielen Dank *blume*

Herta
Herbst 2018
***to Mann
4.270 Beiträge
Danke, liebe Herta.
Du hast eines meiner zentralen Lebensthemen wunderbar unter die Lupe genommen: Das „Dazugehören“, das Aufgehobensein, Angenommen- und Gewolltsein.

Du hast das so differenziert, warmherzig und auch fundiert erzählt, dass ich mein Thema auch mal anders sehen durfte.

Sehr schön finde ich dabei die unbewusste Wirkung eines Menschen in der Gruppe beschrieben. Die Wirkung, die er selbst nicht wahrnimmt, die ihn aber dazugehörig macht, ohne dass er es spürt: Ich merke gar nicht, dass ich schon längst dazugehöre, weil mein Denken es nicht zulässt: Ich schliesse mich selber aus.

Und sehr schön deine Hinwendung zum Leben…

Und zum Thema „Einmischen“: Könnte es nicht eben auch „Fügung“ sein, dass Alex in die Vergangenheit „geschickt“ wird, um etwas zu korrigieren?

Ich, für mich, gebe deiner Geschichte das Prädikat „Wertvoll“.

Heinrich
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Ich danke
dir Heinrich und allen, die bisher die Geschichte gelesen haben. *blumenschenk*

Ich bin gerade mit einer Überarbeitung beschäftigt, die ihr sicher noch zu lesen bekommt. Das Thema Fremdheit kommt dann hoffentlich noch besser durch, auch das Leben in der Steinzeit (ja das Mesolithikum war und ist ein Hobby von mir, auch SciFi - nona bei meinen Geschichten, ich hab ja einen Techniker und Militär zuhause sitzen, der mich instruiert, wenn ich fachlich nicht weiter weiß.)


Nur soviel sei gesagt, den letzten Abschnitt habe ich komplett neu geschrieben. Das wird eiszeitlicher *fiesgrins*

Liebe Grüße und *sonne* schick
Herta
Profilbild
****ia Frau
22.263 Beiträge
Herta, das wirkt schon alles recht authentisch, was du da schreibst...
OK, mit der Zukunft kenne ich mich nicht so recht aus *zwinker*
aber die Eiszeit bringst du gut rüber.
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Ich war fleissig - oder zuviel Freizeit :-)
Vergangene Zukunft

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem ich meine Unschuld verlor, an dem mein Glaube an die Menschen gebrochen wurde.
Das Ereignis hat mich hart gemacht, steinhart – außen.
Innen drinnen – nein, da wage ich noch keinen Blick hinein.

Jetzt stehe ich inmitten einer menschenleeren Steppe, betrachte die Nacht und lausche den Tieren, die mich irgendwann einmal überwältigen und fressen werden. Präriehunde bellen in der Ferne und Hyänen lachen, dass es mir kalt den Rücken runter läuft.

Ich verstehe die Welt nicht mehr. Was sind das für Leute, die mich wegen meiner Herkunft so behandeln?

Niemand konnte im Lauf der Geschichte die Zäune in den Köpfen der Menschen einreißen. Ich habe es gesehen, bin in der Zeit gereist, immer weiter zurück musste ich gehen, bis ich hier anlangte und bleiben musste.

„Warum?“, frage ich die Leere in mir.


„Fähnrich“, knackte es aus dem Funkgerät. „Fähnrich! Melden Sie sich, sofort!“
Der so Angesprochene überhörte den Ruf. Er war viel zu sehr in die Szenerie vor ihm vertieft. „Wenn Sie nicht sofort zurückkommen, verschwinde ich ohne Sie, verstanden. Meldung!“
Etwas ließ den jungen Mann aufhorchen. Mühsam wandte er den Blick und senkte ihn auf das Kommunikationsgerät.
„Ey, bin auf dem Rückweg. Das hätten Sie sehen sollen, Leutnant.“ Seine Stimme klang begeistert, dennoch zog er sich vorsichtig zurück, lautlos. Er wollte die majestätischen Tiere vor ihm nicht stören und aufschrecken schon gar nicht. Wenn eine Herde Mammuts zum Losrennen anfängt, dann ist das mit Sicherheit nicht lustig.
Atemlos war er beim Transporter angekommen. Die Tür glitt auf und eine Hand, die zu einem mehr als ärgerlichen Leutnant gehörte, zerrte ihn rein.
„Meldung! Sie Vollidiot!“ Dieser Ausbruch war durchaus typisch für den Leutnant. Er war sauer. Wenn der Fähnrich wissenschaftlichen Studien machte, vergaß er, dass er ein Angehöriger des Militärs war und ignorierte manche Anordnung. Es war nicht das erste Mal, dass er lautstark an Befehle erinnert wurde.
„Ey! Ich habe eine Herde Mammuts beobachtet. In etwa fünf Kilometer Entfernung konnte ich so etwas wie Höhlen erkennen. Um Genaueres zu sagen, müssten wir wohl näher ran. Irgendetwas hat scheinbar die Sensoren der Infrarotkamera gestört. Leider kann ich Ihnen darüber keine Details nennen. Die Vegetation besteht aus Süßgräsern, niedrigen Birkengehölzen, natürlich auch einigen Kräutern, zum Beispiel. …“
„Das wollte ich nicht so genau wissen, Smirnov. Menschliche Aktivitäten?“
„Äh, nein, Leutnant, bis auf die Höhlenformation, die ich bereits erwähnte.“
„Gut, machen Sie Ihren Bericht später, wir kehren zurück.“
„Wollen Sie nicht wissen, ob in den Höhlen Menschen wohnen?“
„Nein – wir hatten Befehl an diesen Koordinaten zu landen und uns hier umzusehen. Die maximale Aufenthaltsdauer ist bereits überschritten. Jetzt geht’s zurück, wir sind schon zu lange hier.“
Der junge Fähnrich, Experte auf dem Gebiet der menschlichen Geschichte, musste sich fügen und setzte sich nur widerwillig an seinen Platz.

Mit einem leichten Glühen verschwand das mobile Forschungsfahrzeug und landete in einer anderen Zeit.

Es war verwirrend, erschütternd und eine massive körperliche Belastung für einen Menschen, deshalb wurden bei Zeitreisen die Anzahl der Teilnehmer auf zwei beschränkt. Am besten man schickte jemand Entbehrlichen, Historiker gehörten dieser Gruppe an.

„Leutnant Thomson, melden Sie sich umgehend auf der Brücke“, tönte es aus den Kommunikatoren, kaum dass sie zurück waren. Der ältere Offizier starrte den jüngeren feindselig an. Der Blick sagte: „Wenn ich wegen dir Schwierigkeiten bekomme, dann kannst du was erleben, Bürschchen.“
Smirnov senkte ergeben den Blick. Er gehörte zu den Entbehrlichen. Ebenso Thomson, aber dieser konnte wieder auf der Leiter rauf kommen. Für Smirnov war der Zug in dieser Hinsicht abgefahren, oder besser, es hatte nie einen gegeben.
„Alex, warum hast du nichts Ordentliches gelernt, dann müsstest du dich nicht mit diesem Unsinn hier plagen?“, fragte er sich, als er sich an ein Terminal setzte und sein Gehirn mit dem Computer verband. Jetzt musste er aufpassen was er dachte und vor allem wie er es dachte. Der Einsatzbereicht, zumindest der wissenschaftliche Teil, sofern man es als wissenschaftliche Analyse werten konnte, war seine Aufgabe. Es entrüstete ihn, wie schlampig hier mit den Tatsachen umgegangen wurde. Seine Berichte wurden oft gekürzt, korrigiert oder gar verworfen. Als Historiker hatte man es nicht leicht, wenn man gezwungen war, die Wahrheit zu verschleiern. Alex hatte resigniert wie schon viele vor ihm. Und wie seine Vorgänger würde auch seine Zukunft in diesem Bereich nur von kurzer Dauer sein, nur solange die jeweilige Administration die Ergebnisse billigte.

An das Aufzeichnungssystem hatte er sich nur langsam gewöhnt. Die Gedanken wurden mittels eines Sensors direkt aus dem Gedächtnis geholt und in interne Speichermodule transferiert. Auf diese Weise konnte sich jeder selber ein Bild der Landschaft oder von was auch immer machen. Dort wurde dann an den Aufzeichnungen korrigiert, bis alles passte.

Jetzt gab Alex eine kurze Beschreibung der Landschaft, die er vor nicht einmal einer Stunde Erdstandardzeit verlassen hatte.
‚Ich konnte insgesamt zehn verschiedene Pflanzenarten unterscheiden, wahrscheinlich gibt es noch unzählige Unterarten, die ich in der Kürze der Zeit nicht ausmachen konnte. Hauptsächlich besteht die Vegetation aus Süß- und Sauergräsern, je nach Bodenbeschaffenheit. Dazwischen befinden sich noch Mohngewächse, Schachtelhalme, niedrig wachsende Birken- und Weidengewächse …’ Er erging sich in einer detaillierten Beschreibung der Flora. Dann wandte er sich der Tierwelt zu.
‚Ich konnte viele Gattungen ausmachen, mehr als bei diesem Klima zu erwarten war. Wie wir aus alten Geschichtsaufzeichnungen wissen, ist die dominierende Art das Wollmammut. Es lebt in Herden und zieht durch die Tundra bis in die südlichen Steppengebiete, leider konnte ich aus Zeitmangel keine genaueren Daten erheben. In diesem Gebiet erkannte ich noch Moschusochsen, Taigaantilopen und Rentiere, die ebenfalls in Herden leben und den Mammuts folgen. Natürlich ziehen solche Herden auch Räuber an. Ich habe aber nur eine Fuchsfamilie bemerkt. Sie haben den zahlreichen Lemmingen und Hasen nachgestellt.’ Er holte tief Luft, strich sich durchs Haar und stand auf. Der Clip an der Schläfe löste sich mit einem schmatzenden Geräusch und er war nicht mehr mit den internen Speichermodulen verbunden. Erleichterung durchströmte ihn wie ein warmer Fluss. Er holte sich ein aufputschendes Getränk, verharrte einige Minuten in Gedanken versunken, bevor er sich seufzend wieder an die Arbeit machte. ‚Es hat ja alles keinen Sinn, verflucht. Niet, keinen Sinn. Wenn sie schon wollen, dass ich die Vergangenheit vor Ort studiere, dann sollen sie mir auch die nötige Zeit geben. Es ist jedes Mal dasselbe Theater. Kaum glaube ich etwas Interessantes entdeckt zu haben, pfeifen mich diese Hirnis zurück.’ Erschrocken schnitt er jeden Gedanken an seine Vorgesetzten ab, schluckte eine Koffeinpille und trank noch ein Glas Wasser. Dann drückte er den Stirnlappensensor wieder an die Schläfe und setzte den Bericht fort. Jetzt kam er zu den, für ihn interessanten Teil der Beobachtung, die er leider nicht fortsetzen konnte.
‚Von meinem Standort, er ist den genauen Logbuchaufzeichnungen zu entnehmen, etwa fünf bis sieben Kilometer entfernt, auf einer Anhöhe, konnte ich eine Höhle ausmachen. Es dürfte sich nach meiner Einschätzung um eine menschliche Ansiedlung handeln. Ganz schwach lag der Geruch nach Rauch in der Luft.’ Er entfernte abermals den Gedankensensor und dachte für sich: ‚Ich würde diese Höhlen gerne näher in Augenschein nehmen oder auch die Ansiedlungen die ich beim Überflug auf dem südlichen Kontinent gesehen habe.’
Er gähnte und streckte sich. Diese Zeitreisen ermüdeten und erschöpften ihn. Immer wurde nach der Rückkehr ein sofortiger Bericht verlangt, was keine Erholungs- oder Wiederanpassungszeit erlaubte. Er hatte nicht einmal Zeit gehabt sich zu waschen. Resigniert drückte er den Sensor wieder an die richtige Stelle und berichtete weiter. Je schneller er fertig wurde, desto früher konnte er sich ausruhen.

„Thomson“, brüllte der Kapitän. „Was hat da solange gedauert?“
Der Leutnant stand stocksteif vor seinem Kommandeur. Wut kochte in ihm, Wut auf den verdammten Wissenschafter, der nie auf die Zeit oder Befehle achtete und ihn damit immer wieder in Schwierigkeiten brachte.
Stramm salutierte er, bevor er knapp berichtete: „Ma’m, wir sind wie befohlen bei den Koordinaten gelandet. Dort hat dann Smirnov seine Beobachtungen gemacht. Die Detailbeschreibungen zur Umgebung bekommen Sie vom Fähnrich, Ma’m.“
‚Dieser kleine Scheißkerl hat wieder mal gebummelt’, setzte er in Gedanken dazu. Der Kapitän grinste. Wieder hatte Thomson vergessen, dass sie eine starke Telepathin war.
‚Wenn Sie meine Gedanken lesen, warum dann der Rapport?’, dachte er, nicht zum ersten Mal. Schon öfter hatten sie darüber gesprochen.
„Weil wir die Form wahren müssen, Leutnant Thomson. Wo kämen wir da hin, wenn jeder Telepath in den Gedanken der anderen Leute schnüffeln würde? Sehen Sie zu, dass Sie diesen Fähnrich auf Vordermann bringen, bevor ihm noch ein Unglück zustößt. Sie können wieder an Ihre Arbeit gehen. Ich erwarte morgen nullsiebenhundert Standardzeit Ihren Bericht.“
„Ey, Ma’m!“ Erleichtert hob er die Hand zum Gruß, machte auf dem Absatz kehrt und stieß erst die Luft aus, als er die Brücke verlassen hatte.
Seinen Zorn auf den Wissenschafter musste er irgendwie Luft machen. Ganz genau wusste er, dass der Kapitän jetzt auf der Brücke stand und grinste. Er war Telepath genug um das zu spüren, sonst hätte er keine Kommandofunktion. Sie sandte ihre Freude über seinen Zorn direkt in sein Gehirn, das stachelte seine Wut noch mehr an.
„Verdammter Smirnov“, sagte er leise und fluchte als er zu den Gedächtnisterminals ging. Wie zu erwarten fand er dort den jungen Mann. Der Fähnrich war so in seinen Bericht vertieft, dass er den vorgesetzten Offizier erst bemerkte als es zu spät war.
„Fähnrich!“
Alex zuckte zusammen und sprang auf. Warum er immer wieder so angebrüllt wurde verstand er nicht, schließlich war er Offizier und Wissenschafter – noch dazu ein Fachmann auf seinem Gebiet. Das einzige, das ihm zu einer höheren Laufbahn fehlte, war etwas, das er aufgrund seiner Geburt nie erlangen würde. Er war kein Telepath und er stammte aus der falschen Region.
Er nahm Haltung an, stand als ob er einen Stock verschluckt hätte und hielt die Hand korrekt an die Stirn. Thomson ließ ihn nicht rühren, während er auf ihn einbrüllte: „Wenn der Bericht fertig ist, melden Sie sich bei mir! Umgehend!“
Der Fähnrich stand wie angewachsen und bekam einen gewaltigen Schreck. Der Zorn des Vorgesetzten war sogar für ihn spürbar.
„Rühren und an die Arbeit!“
Angst und Wut kämpften um die Vorherrschaft. Alex versuchte krampfhaft beides zu unterdrücken, die anwesenden Telepathen blickten schon feindselig zu ihm. Es galt als nicht gerade höflich, wenn man seine Gedanken so in die Gegend schleuderte.
Er schluckte ein paar Mal heftig, sammelte sich und drückte dann den Sensor wieder an die Schläfe. Der Bericht war fast fertig.
‚Wenn wir etwas länger Zeit gehabt hätten, hätten wir unter Umständen eine der ersten menschlichen Ansiedlungen vorfinden können. Vielleicht gibt es noch eine Gelegenheit, damit ich sie studieren kann, oder besser noch die Siedlungen auf dem südlichen Kontinent. Die Menschen dort schienen mir den Sensoraufzeichnungen zu urteilen, weiter entwickelt zu sein. Aber das lässt sich so einfach nicht feststellen, dazu müsste ich nochmals in der Zeit reisen und sie eingehender studieren: ihr Sozialverhalten, die Verwendung von Werkzeugen und die Umweltbedingungen spielen bei diesen Studien eine große Rolle.’ Alex verlor sich in Details. Er wusste, dass er die Begegnung mit Thomson hinauszögerte. Als ihm nichts Nennenswertes mehr einfiel, raffte er sich auf, unterdrückte die Angst und den aufkommenden Zorn. Zumindest versuchte er es. Er hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was ihn nun erwartete.

Nicht aus den richtigen Kreisen zu stammen war seit vielen Jahrtausenden ein Problem für ganze Bevölkerungsschichten. Alex fand es noch immer sonderbar, dass die Menschheit sich so weit entwickelt, aber die Vorurteile anderen gegenüber nicht aufgegeben hatte. Noch immer war in den Köpfen der Menschen die Angst vor dem Fremden fest verankert. Was einerseits zu einer technischen Weiterentwicklung, gerade im militärischen Bereich geführt hatte, andererseits aber die sozialen Bedürfnisse und Bindungen unter den Menschen sehr stark behinderte. Es gab Rassentrennung – er hatte es am eigenen Leib erfahren, immer wieder. Die Eumerier hielten ihre Kultur für die einzig wahre und wollten sie der ganzen Welt aufdrücken. Dadurch dass dort seit einigen Generationen immer mehr Telepathen auftauchten, hatten sie noch mehr Grund sich für etwas Besseres zu halten. Sie schotteten fast den gesamten Kontinent ab und beuteten den Rest der Welt einfach aus.
Alex fand das ungerecht. Aber noch hielt sein Glaube an das Gute im Menschen. Während seiner zahlreichen Studien war er zu der Erkenntnis gekommen, dass hinter dem Machtgehabe sehr viel Unsicherheit verborgen lag. Dennoch, was half es, das zu wissen, wenn man auf der falschen Seite der Grenze zur Welt gekommen war, den Wohlstand nur von außen betrachten konnte und als Mensch zweiter Klasse galt, wenn nicht sogar dritter?
Alex entstammte dem Volk der Samek, die sich im Laufe der Zeit immer mehr nach Osten zurückzogen und nun nur mehr aus ein paar hundert, vielleicht tausend Leuten bestand. Um nicht vollends unterzugehen hatten sie sich mit den Bewohnern Sibiriens zusammen getan. Bald würde es auch dieses Volk nicht mehr geben. Sie würden ebenso wie die anderen Völker vom Einheitsglauben der vorherrschenden Rasse assimiliert werden.

Die Samek galten als ganz und gar unterentwickelt, minderbemittelt. So war es für Alex fast ein Wunder gewesen, als er zur Universität zugelassen worden war und anschließend auf die Militärakademie geholt wurde. Normalerweise wurde ein Samek bestenfalls ignoriert.
„Ich lasse mich nicht assimilieren. In der Vielfalt liegt die Kraft der Menschheit, wenn das doch nur endlich jemand kapieren würde“, murmelte er, als er zum Leutnant ging.
„Komm rein, du Schlaumeier“, hörte er Thomson noch bevor er den Türsummer berührt hatte. Er straffte die hagere Gestalt, trat festen Schritts in das Büro und salutierte zackig. Wieder ließ Thomson ihn so stehen, schien ihn zu ignorieren.
„So, du willst dich also nicht in die Gemeinschaft einfügen? Was machst du dann noch hier, du verdammte Sumpfratte?“
Alex schluckte, bewegte sich ansonsten nicht. Er ließ auch keine Gedanken zu, starrte nur auf einen Punkt an der Wand.
„Ich habe dich was gefragt! Und nimm verdammt noch mal die Pfote runter!“
Alex gehorchte. „Leutnant, Sir, ich habe gedacht …“
„Du sollst nicht denken, Sumpfratte, sondern Befehle ausführen, dazu bist du hier! Wenn du glaubst, hier dein eigenes Ding durchziehen zu müssen, dann bist du fehl am Platz und kannst mit den Konsequenzen leben! Dein Militärdienst dauert das ganze Leben, also hoffe nur nicht darauf, dass du wieder auf die Erde kommst!“
„Sir …“, begann Alex wieder, unterbrach sich aber, als er die Sinnlosigkeit seiner Argumente sah. Die Leute hier waren von einem anderen Schlag. Er hatte das schon während der Ausbildung bemerkt. Das Militär hatte die Macht. Sie hatten ihn einfach aus seiner Sippe gerissen. Nur weil er Urgeschichte studiert hatte, hatten sie ihn geholt und jetzt war er hier gefangen und musste sich mit den verdammten Maschinen, den Gedankengeneratoren und den arroganten Eumerien herumschlagen.
„Melde dich beim Recyclingdienst. Du bist dorthin abkommandiert worden.“
„Ey, Sir!“
„Du kannst gehen.“
Alex grüßte, drehte sich um und ging stocksteif, mit unterdrückter Wut hinaus. Auf dem Gang ließ er seinem Zorn freien Lauf und er schlug auf die Wandvertäfelung ein. Er wusste, dass alle Telepathen seine Gedanken hören konnten, zu heftig waren sie. Nur mühsam gelang es ihm, die Wut zu unterdrücken, die Ungerechtigkeit zu schlucken. Sein Weltbild begann immer mehr zu wanken.
Das waren nicht die fortschrittlichen Menschen, die ihm bei der Ausbildung vorgelobt worden waren. Es hieß immer, die Leute von Eumeria, dem Hauptkontinent, seien so gebildet und fortschrittlich; weiter entwickelt als die Menschen aus anderen Gebieten, dabei waren sie nichts anderes als eingebildete Egoisten, die die Wahrheit verschleierten und zu ihren Gunsten drehten..

Trostlos fühlte er sich, als er in den Eingeweiden der Raumstation ankam. Noch nie war er hier gewesen. Die Gänge und Schächte waren nur spärlich erleuchtet. Alles wirkte dunkel und eng und es stank.

Der Kommandobereich der unteren Bereiche war etwas heller und deshalb schnell zu finden.
„Ah, du bist mir angekündigt worden“, dröhnte ein großer Mann in grüner Uniform.
‚Warum sind plötzlich alle per du mit mir?’, fragte sich Alex. Er fühlte sich sonderbar, so als hätte man ihn endgültig abgeschrieben.
‚Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan’, fiel ihm ein altes Sprichwort ein. Das ließ ihn schaudern und nichts Gutes für die Zukunft erahnen.
„Salutier gefälligst, auch hier gilt das Gesetz des Militärs!“, herrschte der Mann ihn an.
Erschrocken fuhr Alex’ Hand in die Höhe und er stand wieder stramm.
„So erwarte ich mir das und zwar jedes Mal, wenn ich an dir vorbei gehe, verstanden, ansonsten bekommst du den Stock zu spüren!“
Alex erstarrte innerlich. Davon hatte er einmal erzählen hören, es aber für dumme Geschichten oder Einbildung gehalten. Während der Ausbildung hatten die älteren Kadetten von drakonischen Strafen berichtet. Jede Befehlsverweigerung, dazu zählte auch Unpünktlichkeit, wurde hart bestraft. Er hatte es wirklich für dummes Geschwätz gehalten, um den Jüngeren Angst zu machen, sie auf Spur zu bringen. Nun wusste er, dass es stimmte. Sein Glaube an das Gute im Menschen erlosch immer mehr.

Gehorsam begab er sich an seinen neuen Arbeitsplatz und versah seinen Dienst. Es war schwierig, sich einerseits auf die Aufgabe zu konzentrieren und andererseits den Leutnant nicht aus den Augen zu verlieren. Immer wieder ging er an ihm vorbei, wobei es Alex in die Höhe riss und er stramm stand. Gegen Ende der Schicht wurde er unaufmerksamer. Er übersah den Vorgesetzten und sofort landete der Stock auf seinem Rücken. Mit einem Schmerzenslaut richtete er sich sofort auf und stand stramm, was aber nichts mehr nutzte. Der Stock sauste auf ihn nieder. Insgesamt zehnmal. Alex versuchte dabei gerade stehen zu bleiben und die Hand an der Stirn zu lassen. Fest biss er die Zähne aufeinander. Er war ein Samek, darauf war er stolz. Das redete er sich in diesen Minuten ein.
„Geh zum Quartiermeister, du wirst in Zukunft in den unteren Bereichen leben. Und wenn du wieder unaufmerksam bist, gibt’s die doppelte Anzahl, verstanden?“
„Ey, Sir!“, schrie er, wie auf dem Kasernenhof, nachdem ihm der Ausbilder zum hundertsten Mal in den Dreck springen ließ und ihn danach wegen der schmutzigen Kleidung bestrafte und beschimpfte.

Das neue Quartier war ein Gemeinschaftsraum. Er teilte ihn mit acht anderen Soldaten.
Seine persönliche Habe war schon hergeschafft worden. Außer ein paar Bücher, Papier und Stifte, hatte er nicht viel. Seine Sachen wurden von den anderen im Quartier interessiert beäugt, aber niemand konnte etwas damit anfangen. Bücher und Schreibzeug waren schon lange nicht mehr in Verwendung. Durch die Verwendung von Standardsymbolen war es nicht notwendig, dass jeder Mensch lesen oder gar schreiben lernte.
„Willkommen im Dreckloch, Sumpfratte“, begrüßte man ihn herzlich. „Ich bin Derek, das da sind Suzie, Erich, Ismail, Franklin, Tessa, Dominic und Gottfried.“ Alle hoben kurz die Hand zum Gruß, nachdem ihr Name genannt wurde.
„Ich bin Alex“, stellte er sich vor.
„Bist wohl auch auf der falschen Seite des Zauns zur Welt gekommen“, stellte Derek düster fest.
„Siehst so aus“, antwortete er und räumte seine Habseligkeiten in einen schmalen Spind.
„Du stinkst uns hier die Bude voll, Alex, geh dich waschen“, maulte Suzie und zog die Nase kraus.
„Wenn du mir sagst, wo ich das kann, mach ich es gerne. Oder denkst du, dass es mir Spaß macht zu stinken wie ein Iltis in der Brunft?“
Das brachte alle zum Lachen.
„Du bist schon in Ordnung, Alter. Suzie, wenn es dich so stört, dann zeig ihm hier alles“, meinte Derek heiter.

Alex lebte sich relativ rasch in diese Gruppe ein. Sie schienen alle auf dem Abstellgleis gelandet zu sein. Hier war der Bodensatz der Hierarchie. Sie dümpelten am Rand der Gesellschaft. Der Wissenschafter in ihm machte sich eifrig Notizen und verglich die Gegenwart mit der Vergangenheit, in die er so oft hatte reisen müssen. Jetzt waren die Studien offensichtlich abgeschlossen und er wurde nicht mehr gebraucht. Altertumsforscher waren entbehrlich, wenn sie nicht zum richtigen Ergebnis gekommen waren. Er hatte offensichtlich nicht die richtigen Worte gefunden, um die Tatsachen zu verschleiern.

Abends las er in seinen Büchern, die er rasch auswendig kannte und er langweilte sich. Die Arbeit im Abfall ermüdete ihn und brachte ihn an den Rand des Zusammenbruchs. Der Leutnant dort war ein richtiger Leuteschinder. Er nutzte jede Möglichkeit um ihn zu schikanieren und zu drangsalieren. Unter den Arbeitern gab es in diesem Bereich keinerlei Zusammenhalt. Der Offizier und er waren die einzigen Militärangehörigen dort, die restlichen Arbeiter waren zwangsverpflichtete Zivilisten, verurteilte Verbrecher, die hier ihre Strafe abbüßten und dann wieder zur Erde zurückkehrten.
Einzig die Abende waren annehmbar. Wenn sie alle im Quartier zusammen saßen, erzählten oder Karten spielten, konnte er für einige Zeit seinen Zorn auf den Leutnant vergessen.

Alex wusste, dass er hierbleiben musste. Es war auch die Endstation des Leutnants. Das ließ er die Arbeiter umso mehr spüren, je länger sie hier waren.

Eines Tages platzte Alex der Kragen. Er war ein geduldiger Mensch, sonst wäre er schon viel früher explodiert. Wieder einmal hatte er den Vorgesetzten übersehen, und nicht gegrüßt. So landete der Stock abermals unbarmherzig auf seinen Armen. Da schrie er seine Wut einfach heraus. „Du verdammter Dreckskerl, du! Du Müllschlucker! Was bildest du dir eigentlich ein, immer auf mich einzuprügeln!?“ Dann ließ er sich auf ein Handgemenge mit dem viel größeren Offizier ein. Natürlich verlor er den Kampf und er erwachte mit schmerzenden Knochen und einem blauen Auge im Arrestbereich.

Die Strafe war unmenschlich, unnötig und sie zerstörte sein gesamtes Weltbild, die Unschuld des Glaubens, seines Glaubens an das Gute, das in jedem Menschen schlummert.

„Weil du so ein guter Altertumsforscher bist, darfst du jetzt deine Strafe in der Vergangenheit absitzen“, verkündete der Kapitän.
„Ma’m?“ Alex war verwirrt.
„Du wolltest doch weiter forschen, also wirst in die zuletzt gespeicherte Zeit transferiert und dort bleiben. Was glaubst du eigentlich, mit wem du es hier zu tun hast? Du benimmst dich der Herrscherrasse gegenüber ungehörig! Hast du nicht gelernt, wie du dich einem Eumerier gegenüber verhalten musst. Der Angriff auf einen eumerischen Bürger wird mit schweren Strafen geahndet! Ich brauch so ein Gewürm wie dich nicht auf der Station! – Vielleicht sollte ich dir zum Abschied noch sagen, dass die Samek nicht mehr lange existieren werden. Wir haben sie mittels Geburtenkontrolle ausgerottet, oder zumindest wird es keine Jungen mehr geben. Also, freu dich, du gehörst einer aussterbenden Rasse an.“
Das war zuviel für ihn. Diese Arroganz der Eumerier! Diese Selbstzufriedenheit! Mit einem lauten Schrei stürzte er sich auf den Kapitän und wollte sie erwürgen. Alle anerzogenen Hemmungen waren bei ihren Worten von ihm gefallen und er schlug nach Allen, die um ihn standen und ihn zu fassen kriegen wollten. Mit der Wut der Verzweiflung drosch er auf den Kapitän ein, was dieser aber nur ein Lachen entlockte. Sie lachte ihn aus, obwohl sie einige heftige Schläge einstecken musste.

„Warum?“, frage ich die sternklare Nacht, „warum hat die Menschheit aus der Geschichte nichts gelernt?“
Ich stehe an meinem persönlichen Abgrund und weiß nicht ob und wie es weitergeht.

„Was bringt es, wenn man weiß, wie die Vergangenheit war, wenn sich die Gegenwart dadurch nicht bewältigen lässt? Ich weiß, dass ich im Pleistozän gestrandet bin, doch was nützt mir das?“


Tagelang wanderte er durch die fast baumlose Steppe, immer mit der Angst vor wilden Tieren. Wenn er vor der Dämmerung eine Baumgruppe erreichen konnte war er heilfroh, dann konnte er Schutz in den Baumkronen suchen. Sein Ziel war eine Bergkette im Osten, darauf hielt er zu. Dort hoffte er Wasser zu finden und in den Wäldern essbare Pflanzen, die er kannte. Aber ob er es schaffen würde, das bezweifelte er immer mehr. Er war ein leichtes Fressen für die Hyänen, ständig schlichen sie ihm nach. Sie schienen zu merken, dass er dem Ende nahe war. Einmal hatte ein Löwe in der Nähe gebrüllt, das hätte sein Herz fast zum Stehen gebracht. Minutenlang stand er wie eingefroren da und versuchte sich wieder unter Kontrolle zu bringen.

Diese ständige Angst hätte ihn beinahe eine wichtige Lektion aus seinen Kindertagen vergessen lassen, als er mit Urgroßvater tagelang in der Tundra gewandert war. Er hatte nur diese eine Tour mit ihm gemacht und dabei einiges gelernt. Nie hatte er gedacht, dieses Wissen einmal zu brauchen.

Nun erinnerte er sich daran. Er entledigte sich der Uniform und rollte sich splitterfasernackt in einem Mammutdunghaufen. Der Geruch war atemberaubend. Aber das war ihm gleichgültig. Er hielt die Hyänen etwas auf Abstand.
Alex hatte nur einen langen Ast als Waffe, was angesichts der großen Zahl an Raubtieren lächerlich wenig war. Einzig sein Verstand konnte ihn hier am Leben halten und das Wissen seines Urgroßvaters, so wenig davon noch vorhanden war.

Ihn fror und er hoffte, dass er bald eine menschliche Ansiedlung finden würde. Ständig hielt er nach Rauchsäulen Ausschau. Er war so müde, durstig und ausgehungert, dass er einfach auf den Höhleneingang zu marschierte. Es war ihm gleich, ob er die Leute erschreckte oder nicht. Er dachte nur an Wasser, Wärme und vielleicht Nahrung. Vor der Höhle brach er zusammen, einen Arm in einer flehenden Geste ausgestreckt.

Die Menschen starrten den Fremden erstaunt an. Ein Raunen erhob sich. Sie überlegten, ob sie ihm helfen sollten oder nicht, ob es nicht besser wäre, ihn den Aasfressern zu überlassen. Und am wichtigsten war die Frage, warum sah er so anders aus und warum hatte er keine schützende Kleidung an, es war kalt.

Die Clanmutter trat aus der Höhle, scheuchte die Gaffer weg und betrachtete den Fremden von allen Seiten. Mit einem Stock hob sie seine Gliedmaßen und ließ sie wieder runterplumpsen. Er gab nur ein leises Stöhnen von sich, sonst nichts. Also war noch Leben in ihm. Er sah aus wie ein Mensch, aber doch nicht ganz. Ein Tier konnte es nicht sein, denn diese hatten am ganzen Körper Haare.

Die Mutter ließ sich auf die Knie nieder und schnüffelte an dem Fremden, dann zog sie ihn an den kurzen Haaren, die ebenfalls voller Mammutdung waren. Das bewies ihr, dass er Verstand hatte und sich zumindest halbwegs schützen konnte. Aber dass er so gar keine Waffen besaß, nur den Stock auf den er sich gestützt hatte, fand sie schon absonderlich. ‚Vielleicht ist er ein Ausgestoßener?’, überlegte sie. Es kam immer wieder vor, dass ein Clanmitglied aufgrund verschiedener Verfehlungen aus der Höhle vertrieben wurde. Aber er sah nicht ganz aus wie ein Mensch, zumindest musste er sehr jung sein, den kurzen Haaren im Gesicht zu urteilen. Die Mutter überlegte was zu tun sei und was das für ein Wesen sein könnte. Eine Entscheidung zu treffen war schwierig.

Sie setzte sich auf die Fersen und begann zu singen. Es war ein monotoner Singsang, dem sich bald die ganze Sippe anschloss. Abrupt brach sie ab und schickte eine Frau in die Höhle. Sie sollte Wasser holen, damit benetzte sie die Lippen des Fremden. Er regte sich und fuhr mit der Zunge darüber. Das wiederholte die Frau so lange bis er die Augen aufschlug. Sie fuhr zurück – die Augen waren blau wie der Himmel über ihr!
„Danke“, flüsterte er und die ganze Sippe floh in die Höhle.

Alex drehte sich auf die Seite und griff nach der Wasserschale. Gierig trank er das restliche Wasser. Dann versuchte er sich aufzurichten aber es gelang ihm nicht. Er war zu sehr geschwächt und fiel wieder um.

Die Mutter kam zu dem Entschluss, dass das Wesen nicht gefährlich sein konnte. Sie verließ sich dabei auf ihre Intuition – damit hatte sie die Sippe bislang gut geführt. Jetzt beriet sie sich aber mit ihrem Partner.
„Grah“, sagte sie. „Mein Gefühl sagt mir, dass wir dem da helfen sollen. Ich denke, es wäre gut.“
Grah brummte in seinen Bart. Er musste nachdenken. Es war eine schwere Entscheidung, bislang hatte er nur überlegen müssen, welche Herde sie verfolgen sollen und welches Tier am leichtesten zu erlegen ist. Das waren leichte Fragen. Aber was seine Gefährtin jetzt von ihm verlangte, war schon etwas viel.

„Mae, ich weiß es nicht. Ich vertraue auf dein Urteil als Mutter der Sippe“, sagte er schließlich zögernd. „Sollte er sich als gefährlich erweisen, stirbt er.“
„So sei es, Grah. Hat die Sippe das vernommen? Habt ihr es alle verstanden? Die Mutter hat gesprochen – wir helfen dem Fremden.“

Alex lag halb benommen auf dem Rücken und hörte die Höhlenmenschen reden. Es war eine sonderbare Lautsprache und er fühlte sich ausgeschlossen. Er nahm an, dass sie über ihn redeten, ein Urteil fällten. Es gab nichts, das er tun konnte, also schloss er die Augen und hoffte, dass sie ihn nicht zerstückelten und aufaßen.

Als sich ein Schatten über ihn warf, öffnete er erschrocken die Augen und sog scharf die Luft ein. „Tut mir nichts“, flüsterte er, obwohl er wusste, dass ihn diese Menschen ebenso wenig verstanden, wie er sie.

Die Frau redete ihn an, deutete auf ihn und dann wieder auf die Höhle. Er nahm an, dass sie ihn in die Behausung einlud. Also versuchte er sich hochzustemmen und kam auch auf die Knie, dann griff er nach der Frau, weil er Halt suchte. Sofort umringten ihn die Männer und richteten Speere auf ihn. Alex hielt inne. Er wollte niemanden bedrohen – er fühlte sich keineswegs als Bedrohung. Die Frau sagte etwas und die Speerspitzen wurden gesenkt. Alex atmete erleichtert auf. Verängstigt klammerte er sich an die Frau und zog sich in die Höhe. Sie half ihm, sich auf die Beine zu stellen, dabei viel ihr auf, dass er ebenso aufrecht gehen konnte wie sie selbst. Ein zufriedenes Brummen entfuhr ihr. Alex blickte sie an und lächelte dankbar. Sie brachte ihn in die Höhle ans Feuer. Er hatte nicht gemerkt, wie kalt es war, bis er sich aufwärmen konnte. Die Mutter drapierte noch einige Felle um ihn und jagte dann alle anderen weg.

Er war froh, dass er nicht mehr so angestarrt wurde. Ergeben senkte er den Blick und betrachtete die nackten, dreckigen Füße.
„Mann, ich stinke wie ein Skunk und sehe wahrscheinlich zum Fürchten aus, aber was bin ich froh, diese Leute gefunden zu haben“, dachte er und übergab sich dem Schlaf.

Mae betrachtete den Schlafenden. Er warf sich unruhig hin und her und murmelte vor sich hin. Alles in allem wirkte er wie ein Mensch, aber doch nicht ganz. Arme, Beine, die Nase, das Gesicht – alles war gerader als bei ihrer Sippe. Das Haar war kurz, als hätte es jemand abgeschnitten und der kurze Bartwuchs wies ihn als relativ jung aus, wogegen wieder die Behaarung in der Körpermitte sprach. Die Mutter war verwirrt. Auch die Muskulatur war nicht sonderlich ausgeprägt, dafür war er groß, größer als Grah und der war in der Sippe der größte. Nachdem sie ihn eingehend betrachtet hatte, deckte sie ihn wieder zu und machte Wasser heiß. Dann wartete sie, dass er wach wurde.
‚Wahrscheinlich ist er als schwächliche Missgeburt ausgestoßen worden’, überlegte sie. ‚Wir werden sehen, was daraus entsteht.’

In der Höhle herrschte Aufregung über den Fund. Es kam nur selten vor, dass sie nach dem langen Winter andere Menschen sahen. Sie trafen sich nur im Sommer mit Nachbarsippen zur Mammutjagd und tauschten Neuigkeiten und Mitglieder aus. Die Nahrung war knapp geworden im langen Winter und wenn jetzt noch jemand da war, würde es schwieriger werden. Aber auch die Jagdsaison hatte wieder begonnen und Grah hatte schon einen erfolgreichen Beutezug hinter sich. Also war des Gemurre nur wenig und auf die scharfen Blicke der Clanmutter hörten die Beschwerden ganz auf.

Mit einem Ruck erwachte Alex. Im ersten Moment wusste er nicht wo er war. Dann erinnerte er sich wieder an die Höhle und die Frau. Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und setzte sich auf. Sie saß ihm gegenüber und beobachtete jede seiner Bewegungen. In einer demütigen Geste senkte er den Blick und streckte die Hände nach vor um zu zeigen, dass er keine Waffen hatte. Als nichts geschah, hob er vorsichtig den Blick. Die Frau saß noch in der gleichen abwartenden Haltung da.
‚Ob sie mich bemerkt hat?’, fragte er sich. ‚Ich werde wohl nur dann nicht übersehen, wenn ich etwas falsch mache. Hier werde ich wieder in jedes erdenkliche Fettnäpfchen treten’, dachte er resigniert. Er räusperte sich vernehmlich und blickte die Frau von unten an. Sie schien hier das Sagen zu haben. ‚So eine Art Clanmutter’, dachte er. Als er ihre Aufmerksamkeit hatte, deutete er auf sich uns sagte: „Alex.“ Dann zeigte er auf sie und hob fragend eine Augenbraue.
Die Frau verstand, denn sie antwortete prompt. „Mae.“ Alex verstand nicht viel mehr als „Mmm“. Er versuchte ihren Lauten zu folgen und wiederholte den Namen. Mae lachte. Er versuchte es noch einmal. „Maä“, sagte er schließlich. Sie nickte großzügig. Aber sein Name machte auch ihr Probleme. Sie brachte Aks zustande. Alex nickte eifrig, war er doch froh, dass sie ihn jetzt mit Namen anreden konnte.

Am nächsten Tag bekam er in der Höhle den kleinen Bereich am Eingang zugewiesen. Es war dort zwar sehr zugig, aber er war froh, einen trockenen Platz zu haben. Dann sah er zu, dass er den trockenen Mammutdung loswurde. In der ersten Zeit schlief er viel und bekam nur wenig mit, was in der Höhle geschah. Als es ihm besser ging schaute er sich interessiert um und beobachtete genau. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er hier gestrandet war, es brachte nichts, sich gedanklich Aufzeichnungen über die Lebensweise dieser Leute zu machen.

Je länger er hier war, desto fremder fühlte er sich. Nichts, das er in seinem bisherigen Leben gelernt hatte, war hier von Nutzen. Er war völlig hilflos. Wenn ihm nicht diese Menschen hier geholfen hätten, wäre er bereits tot.
Das wurde ihm so richtig klar, als er es nicht schaffte, ein Feuer zu entzünden. Selbst die kleinen Kinder lachten ihn aus. Tapfer versuchte er über seine Unkenntnisse zu lachen, aber irgendwann war es einfach zuviel und er kam nicht mehr unter den Fellen, die Mae ihm geschenkt hatte, hervor.
Er konnte nichts, nicht einmal seine Sprache war hier etwas wert, keiner verstand ihn – er war ganz alleine. Gestrandet in einer fernen Zeit an einem Ort, an dem er nicht sein wollte.

Was ist der Mensch wert? Nichts als die Summe seiner Fähigkeiten. Ich stehe am Rand des Abgrunds und überlege, ob ich nicht endgültig abrechne.

Mae beobachtete den Fremden. Er bemühte sich wirklich, war aber so sehr fremdartig, dass ihm sogar die einfachsten Handgriffe schwer fielen. Sie fragte sich, ob er nicht doch geistig etwas zurück geblieben war. Er konnte nicht einmal Feuer machen. Das einzige das er zusammen brachte, war Tiere häuten. Aber das war nun wirklich nicht sonderlich kompliziert, wenn man wusste, wo man den ersten Schnitt ansetzen musste. Wenn der richtig gesetzt war, zog sich der Balg fast von alleine ab. Man konnte ihn nur zum Holz sammeln und zum Wasser holen schicken, für alles andere war er zu unwissend.

Alex wurde immer zurückgezogener. Die Verständigung viel ihm schwer und er fürchtete diese freundlichen Leute zu beleidigen. Die Einzige, die sich mit ihm abgeben wollte, war Mae. Die Männer waren wieder auf Jagd, die jungen Frauen zogen täglich los um Kräuter, Samen, Wurzeln, Beeren oder ähnliches zu ernten. So war er viel alleine. Mae leistete ihm ab und zu Gesellschaft.

Oft saßen sie schweigend beisammen und Alex fühlte immer mehr den Stachel der Einsamkeit. Dann kletterte er den Abhang hinauf, stellte sich an die Klippe und schrie seine Frustration in den Wind.

Zusammengekrümmt lag er, nur einen Handbreit, vor der Schlucht. Er heulte sich die Augen aus. So fremdartig hatte er sich nicht einmal bei den Eumeriern gefühlt.
„Niet! Das kann doch alles nicht wahr sein. Das gibt es nicht. Niet! Niet!“ Er hämmerte mit den Fäusten auf den Felsen, schluchzte und schrie. So fand ihn schließlich Mae.

Sie nahm ihn in die Arme und wiegte ihn tröstend. Dabei murmelte sie fremdartige Worte, die beruhigend wirkten. Dann wurde ihr Tonfall schärfer. Sie wies ihn an, ihr zu folgen.
„Aks! Geh mit! Ich glaube nicht, dass du dumm bist, du bist nur anders“, sagte sie. Er verstand nur seinen Namen und ihr Handzeichen. Also stand er auf und folgte ihr den Weg hinab zur Höhle.

Von diesem Tag an hatte er weniger Zeit, sich über seine Andersartigkeit Gedanken zu machen. Mae lehrte ihn ihre Sprache.
„Es ist wirklich an der Zeit, zu lernen, wie diese Menschen reden“, sagte er sich. Jeden Tag lernte er mehr. Er hatte keine Wahl, er musste.

Er sehnte die Zeit herbei, die er mit Mae alleine verbrachte. Bald konnte er sich verständlich machen und sie redete viel mit ihm, damit er in Übung blieb.
Besonders wenn er mit ihr und den alten Leuten allein war, hatte er das Gefühl doch dazu zu gehören. Aber wenn die jungen Leute von ihrer Tagesarbeit zurückkamen, fürchtete er, nur im Weg zu sein. Noch verstand er von den subtilen Zeichen und abstrakten Worten zuwenig. Abends wenn alle zusammen saßen, verzog er sich in seinen Winkel und beobachtete nur. Manchmal war er erstaunt über den Ausdrucksreichtum ihrer Gesten und Mimik. Die Sprache schien vielmehr aus Gesten zu bestehen, als aus Worten. Aber er verstand davon zuwenig. Damit musste man aufgewachsen sein. Als Erwachsener war es fast unmöglich zu lernen, die subtilen Zeichen richtig zu deuten oder auch nur passend einzusetzen. So wurde er häufig missverstanden. Ein freundliches Lächeln konnte fast zu einer handfesten Auseinandersetzung führen. Einmal hatte er dafür Schläge kassiert, jetzt vermied er tunlichst jedes Lächeln und war sehr sparsam mit den Gesten. Diese Leute waren kräftiger als er. Sie waren von der Natur mit mehr Muskelmasse versehen worden. Menschen einer späteren Zeit brauchten das nicht mehr, sie hatten ein effektiveres Gehirn entwickelt und nutzten mehr und bessere Werkzeuge.

Mae ging häufig mit den anderen in den Wald zum Sammeln, sie suchte Kräuter für ihren Vorrat. Dann war ihm langweilig. Die Alten redeten nicht mit ihm oder doch nur sehr wenig. Er saß für sich alleine auf dem Felsen und schnitzte. Zuhause hatte er das gerne gemacht. Hier war das Material ungewohnt. Die Messer aus Flint lagen scharf und unpraktisch in der Hand. Langsam gewöhnte er sich daran und er bekam sein erstes Stück fertig. Die Hände bluteten, weil er mit dem Messer, den Sticheln, Schabern und Keilen nicht richtig umgehen konnte, aber er war zufrieden als er fertig war und das Ergebnis betrachtete.
Aus einer alten Wurzel hatte er das Abbild eines Mammuts geschnitzt. Sorgfältig hütete er die Figur, noch wollte er sie keinem zeigen, nur Mae wusste davon. Er hatte einige Messer verbraucht. Der Werkzeugmacher, er wurde Groch genannt, war darüber nicht sehr erfreut. Groch war einer der Ältesten in der Sippe. Er schaffte die langen Jagdzüge der Männer und jungen Frauen nicht mehr. Also blieb er in der Höhle und verbrachte seine Zeit damit, aus den Steinen Messer, Stichel, Speerspitzen, Äxte und andere nützliche Gegenstände zu schaffen. Es war eine mühselige Aufgabe und es dauerte lange aus einem Stück Stein eine gute Spitze zu schlagen oder ein brauchbares Messer.

Alex beobachtete ihn oft. Eines Tages kam ihm die Idee, selber etwas Nützliches zu machen. Sehr zum Missvergnügen von Mae ging er allein in den Wald. Die Blätter verfärbten sich schon und kündeten vom Wechsel der Jahreszeiten. Der Wind wurde eisiger und die Jäger wurden sehnsüchtig zurück erwartet.
„Mae, ich gebe acht“, versprach er in seiner holprigen Sprache. Er hatte wirklich nicht die Absicht, etwas Unüberlegtes zu tun. Er suchte nur eine Idee und er wollte alleine sein. Mehrere Stunden wanderte er, ließ die Gedanken ziehen, weit zurück in die Vergangenheit – oder in die Zukunft. Es war eine Sache der Perspektive. Als Zeitreisender in einer fernen Vergangenheit gefangen zu sein, das wünschte er nicht einmal seinem schlimmsten Feind. Es war mehr als furchterregend. Nein, es war unfassbar! Gegen Mittag ließ er sich an einem Bachlauf nieder, trank von dem kühlen Wasser und kaute auf einem Stück Trockenobst. Hunger verspürte er keinen, aber er hatte es Mae versprochen. Wie er so am Bach saß, dachte er an den Kapitän und ihre letzten Worte bevor ihn Thomson hier abgesetzt hatte. Wieder sah er sie vor sich, wie sie in ihrer überheblichen Art von seinem Volk gesprochen hatte. Alex war sicher, dass die Samek bald nicht mehr existieren würden. Er war der letzte seines Volkes und sie wussten nichts davon. Oder war er der Anfang? Es war alles so paradox. Eigentlich dürfte es solche Situationen gar nicht geben.
„Zeitreisen sind gegen die Natur und gegen jede Vernunft“, erklärte er den Vögeln, die in den Zweigen über ihm zwitscherten. „Sie schaffen nur unwirkliche Situationen, die ein normaler Mensch nicht fassen kann. Ach, Scheiße, was mache ich hier? Ich bin unnützer als ein Säugling.“ Wieder umfasste ihn der Strudel der Unzulänglichkeit. Verstandesmäßig wusste er was ein Kulturschock ist, aber so richtig erlebt hatte er ihn erst hier.
Mittlerweile war er mehrere Monate bei der Sippe, und er fühlte die Fremdartigkeit nach wie vor. „Es wird schwerer werden, wenn die Männer vom Jagdzug zurückkommen“, prophezeite er den Steinen auf denen er stand. „Grah tötet mich, wenn ich unnütz oder gefährlich bin – und wenn ich unnütz bin, bin ich eine Gefahr für die Gruppe. Es ist hart genug für alle den Winter zu überstehen und wenn sie noch mich mitfüttern müssen, wird es umso härter werden. Ich muss mir was überlegen. Irgendwas. Nur was?“ Stundenlang quälte er sich durch den Wald und das Dickicht seiner Gedanken. Es war schon weit nach Mittag als er sich auf den Rückweg machte. Mit Schrecken stellte er fest, dass er weiter gewandert war, als er wollte und es die Zeit bis zum Dunkelwerden zuließ. Er beschleunigte seinen Schritt und lief. Da stolperte er über eine Unebenheit. Der Länge nach fiel er und blieb liegen.
„Alles habe ich diesen Menschen zu verdanken und ich kann ihnen nichts geben“, brüllte er, als er so am Boden lag. Am liebsten hätte er sich jetzt in das weiche Erdreich vergraben. Nur der Gedanke an Mae, die sich Sorgen machen würde, heilt ihn davon ab. Da fand er rein zufällig Saponaria. Hocherfreut pflückte er einige Blüten. Dann ging er wieder am Bachlauf entlang. Als er an einer Stauung ankam, beschloss er ein Bad zu nehmen. Er zog sich aus, auch die Felle hatte ihm Mae geschenkt, und stieg ins Wasser. Jetzt gedachte er dieses Seifenkraut zu testen. Er zerrieb die Blüten zwischen zwei Steinen und gab etwas Wasser dazu. Als sich Schaum bildete begann er sich abzuschrubben. „Endlich geht der ganze Dreck runter. Ich hasse es zu stinken“, sagte er dem Wind und dem Wasser. Als er das Gefühl hatte, dass er nun wirklich sauber war, stieg er heraus und kramte in seinen Sachen nach einem flachen Messer. Er hatte es zu seinem Schutz mitgenommen. Obwohl es zweifelhaft war, dass dieses Stück Stein ihm Schutz gewähren konnte, hatte es ihm ein Gefühl der Sicherheit gegeben. Damit begann er nun im Blindflug den Bart abzuschaben. Es war mühsam und dauerte eine Ewigkeit. Glücklich fasste er sich an das haarlose Kinn. Tränen der Freude stiegen in ihm hoch. Dann genehmigte er sich noch ein Bad, jetzt rein aus Lust am Schwimmen.

Die ganze Zeit wähnte er sich unbeobachtet. Hier konnte er sein, wie er war. Ein Mann des fünften Jahrtausends. Er durfte er selbst sein, auch wenn er in einer fernen Vergangenheit einer fremden, furchterregenden Zukunft entgegensah. „Alex Smirnov“, sagte er dem Spiegelbild im Wasser. „Du bist Alex Smirnov. Vergiss dich nicht, Junge.“

Als es dämmerte machte er sich auf den Rückweg. Er hatte die Taschen voller Seifenkraut, war sauber und fühlte sich unerwartet gut. Unterwegs nahm er noch einige Äste für das abendliche Feuer mit, sodass er nicht mit gänzlich leeren Händen zurückkam.

Mae stand am Höhleneingang und starrte angestrengt in die zunehmende Finsternis. Die anderen fanden ihre Unruhe unbegründet und unnötig. Wenn sich der Fremde verirrte und starb, war das nicht ihr Problem – es löste eher eines. Bis jetzt hatte er sich als unbrauchbar erwiesen. Auch wenn er keine Gefahr für ihr unmittelbares Leben darstellte, wusste doch jeder, dass im Winter jeder zu Fütternde einer zuviel war. Und der Fremde war einer zuviel. Doch Mae hatte ihr Urteil gesprochen und so fügten sie sich. Mae war die Mutter, die Weise. Sie wusste, wo die Herden zogen, welche Kräuter bei welchem Leiden halfen.
Mae konnte mit den Geistern reden.

Endlich sah sie ihn. Und sie war schockiert. Er war kahl im Gesicht.
„Aks!“, schrie sie. „Aks, was ist mit deinem Gesicht?“
„Nichts, nichts, Mae. Ich mich gewaschen und Haar weg. Gefunden.“ Er zeigte seinen Vorrat an Seifenkraut.
Mae betrachtete ihn ungläubig. Sie fasste ihm ins Gesicht. Noch nie hatte sie einen erwachsenen Mann ohne Bart gesehen. Er wirkte noch fremdartiger, aber nicht abstoßend und wie sie fand nicht unattraktiv.

‚Aks scheint sich ohne Haare wohl zu fühlen. Es steht ihm’, dachte sie und schluckte ihre zornige Rede hinunter. Sie war neugierig, was er für Kräuter mitgebracht hatte. Manchmal war sie erstaunt, dass er von Dingen wusste, die nur eine Mutter oder ein Schamane wissen konnte und von den einfachen Dingen des Lebens hatte er keinen Schimmer. Er blieb ihr ein Rätsel.
„Nicht nützlich“, sagte sie, als er es ihr zeigte.
„Doch, machen sauber, gut riechen“, erwiderte er. Dann holte er eine Schüssel Wasser, zwei Steine und zeigte ihr, wie man Seifenkraut verwendet. Mae hatte das in der Form noch nie gesehen und schaute interessiert zu. Sein Gesicht wirkte seltsam konzentriert, fast abwesend und in seinen Augen war ein Strahlen, das sie bei ihm noch nie gesehen hatte, wie er ihr die Anwendung zeigte und teilweise in seiner fremden Sprache redete.
‚Ich hatte recht ihn aufzunehmen. Woher weiß er das nur?’, dachte sie.

Alex blieb abends lieber für sich, zu groß war die Angst vor Zurückweisung. Wenn alle mit Essen fertig waren stand er auf und bat Mae um seinen Anteil. Manchmal war es mehr, meistens weniger, das machte ihm nicht mehr viel aus. Mit der Schüssel begab er sich dann an sein zugiges Feuer und aß für sich alleine, tief in Gedanken versunken. Er ahnte, dass er unter Depressionen litt, nur hatte er noch kein Kraut dagegen gefunden. Vielleicht ließ sich sein Leiden auch erst heilen, wenn er sich hier heimischer fühlte.
Wenn am Abend die Sonne unter ging spürte er die Einsamkeit tiefer und je früher sie unter ging, desto tiefer stach sie ihn.

Schlimmer wurde es als die Männer und jungen Frauen vom letzten Jagdzug des Jahres zurückkamen. Mae hatte bereits einen Abend vorher ihre Ankunft prophezeit. Am Morgen wurde dann ein Kind auf den Felsen geschickt um Ausschau zu halten. Und tatsächlich gegen Abend kamen die Leute mit viel Fleisch in der Höhle an. Ein Teil davon war bereits getrocknet. Der Rest würde in den nächsten Tagen zum Dörren hergerichtet werden.

Grah war sehr zufrieden mit sich und den Jägern. Sie hatten reichlich Beute gemacht und es sah danach aus, als würden sie damit den Winter gut überstehen können. Dann fiel sein Blick auf Alex und sein Ausdruck wurde hart.
„Was? Der ist noch da?“, fragte er.
„Ja“, erwiderte Mae und sah ihrem Gefährten fest in die Augen. „Schön, dass du wieder da bist und ihr habt keine Verletzungen davon getragen und viel Beute gemacht. Ich freue mich für die ganze Sippe – du hast für unser Wohl gesorgt, Grah!“, sagte sie die Begrüßungsformel. Dann umarmte sie ihn und führte ihn an das große Feuer, wo schon ein Stück Fleisch briet.

Aber Alex verzog sich unter dem feindseligen Blick des Jagdführers in den letzten Winkel. Ganz nah an den Höhleneingang drückte er sich, raffte die Felle um sich und fühlte sich einsamer als je zuvor. Er wagte sich nicht ans Gemeinschaftsfeuer. Dort ging es lange lustig zu. Es wurde gefeiert, gelacht und gegessen. Alex wusste, dass er nach dem Gesetz des Clans hier keinerlei Rechte hatte. Wieder war er am Bodensatz der Gemeinschaft angelangt. Manchmal fühlte er den Blick der Mutter auf sich ruhen. Aber er tat als würde er schlafen. Er wollte sie nicht sehen. Das Mitleid in ihren Augen konnte er nicht ertragen. Sei schien ihm bis in die Seele zu blicken.

Gegen Morgen ertrug er die Fröhlichkeit nicht mehr. Alex dachte, sich unbemerkt aus der Höhe stehlen zu können. Aber Mae hatte ihn beobachtet.

Traurig schlich er hinaus und rannte dann hinauf auf den Felsen, der ihm Zuflucht geworden war, dort schrie er: „Warum nur hast du mich hierher geschickt? Was bringt es dir? Welche Befriedigung schafft es euch, verdammten Eumeriern, andere zu unterdrücken? Ich kann das nicht! Ich kann das nicht mehr aushalten! Niet, so nicht. So nicht.“ Weinend sank er zu Boden. So fand ihn wiederum Mae.
„Aks, komm. Aks! Alex“, sagte sie streng.
Er hob den Blick. Seine tränenverhangenen Augen zeigten ihm ein Bild der absoluten Schönheit. Mae. Seine Retterin.
„Alex, steh auf“, sagte sie wieder.
Er stand auf und wandte sich ihr zu, sah nur ihre ausgebreiteten Arme und warf sich in sie. Ganz fest drückte er sich an sie, küsste sie, immer heftiger. Dass sie seine Küsse erwiderte, bemerkte er nicht wirklich. Er küsste sie mit der Leidenschaft eines Ertrinkenden. Fühlte nur das Feuer der Einsamkeit, das er mit ihrer Gegenwart löschen konnte.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass sie einen Gefährten hatte und er ließ erschrocken von ihr. Wieder hatte er Angst gegen eines der Clangesetze verstoßen zu haben, wie schon öfter in den vergangenen Monaten. Als Kind hatte er gelernt, dass es schlecht war, was er jetzt getan hatte. Bei den Eumeriern war es sogar verboten den Partner eines anderen auch nur anzusehen.
Er rannte den Abhang weiter hinauf und ließ eine verwirrte Mae zurück. Doch diese verstand die Zeichen zu deuten. Nachdenklich ging sie den Weg zur Höhle zurück. Ihr Gefährte Grah war noch wach und unterhielt sich mit Groch über den vergangenen Jagdzug.
„Grah, wir müssen reden“, sagte sie einfach. Der bedeutete Groch sich zu entfernen und wandte seine Aufmerksamkeit der Gefährtin zu.
„In welcher Funktion willst du mit mir reden, Mae?“, fragte er.
„Ich weiß es nicht, Grah. Es ist wegen Alex. In den letzten Monaten habe ich ihn etwas kennen gelernt“, sagte sie einleitend.
„Willst du ihn in dein Bett einladen? Du weißt, dass du dir dein Vergnügen jederzeit holen kannst“, erwiderte er. „Ich halte es ja nicht anders.“
„Nein, das ist es nicht. Wenn es nur das wäre, gäbe es weniger Probleme.“ Sie machte eine nachdenkliche Pause. „Ich glaube, er ist so sehr fremd, dass er es nicht fassen kann. Er ist so voller Angst. Du weißt es nicht, aber ich hole ihn fast jeden Tag vom Felsen herunter. Dort oben kauert er und weiß nicht, ob er springen soll oder nicht. Dabei hätte er uns sicher vieles zu lehren. Er ist nicht dumm, nur glaube ich, haben ihm die Geister einen Streich gespielt.“ Dann holte sie das Mammut hervor, das er geschnitzt hatte. Grah war erstaunt. So ein schönes Schnitzwerk hatte er lange nicht gesehen. Es war so genau getroffen, dass man den Wind im Fell sehen konnte.
„Er hat das gemacht?“, fragte er, obwohl er die Antwort erahnte.
„Ja, Grah. Er hat das gemacht. Ich denke, er könnte mit den Geistern reden, nur ist er so voller Angst, dass er sich selbst nicht mehr sieht. Alex besteht aus Angst.“
„Ist das sein Name? Aks?“
„Ja, und ich möchte dich bitten, wenn du nicht zu erschöpft nach deiner langen Reise und der erfolgreichen Jagd bist, ob du nicht mit ihm reden kannst.“
„Warum? Ich sah ihn zuletzt am Höhleneingang. Er schien zu schlafen.“
„Nein, er ist hinausgelaufen, hinauf auf den Felsen.“
„Ich werde ihn für dich suchen, Gefährtin.“
„Ich danke dir, es liegt mir viel daran.“

Alex riss sich ernüchtert von Mae los. Er begehrte sie, mehr als jede Frau zuvor, aber sie hatte einen anderen Gefährten und in dieser Gesellschaft war er nichts. Deshalb entfernte er sich und lief den Weg weiter hinauf auf den Felsen. Tränen liefen seine Wangen hinab. Er hatte solche Angst wieder allein zu sein, abgeschnitten von ihr, jetzt wo ihr Gefährte wieder da war. Noch wusste er zuwenig über die Lebensweise des Clans. Unsicherheit und Angst vor Zurückweisung ließen ihn immer weiter laufen. Er lief und lief, bis ihm die Luft ausging. Sterne tanzten vor seinen Augen. Schwach fühlte er sich, schwach war er, hatte er doch seit dem Abend des vergangenen Abends nichts mehr zu sich genommen. Er wollte der Gemeinschaft so wenig wie möglich zur Last fallen, also hielt er sich zurück und das Hungergefühl wurde mit der Zeit weniger. Nur der Hunger nach Zuneigung nahm zu. Je weniger er aß, desto größer wurde sein Hunger nach Liebe, nach Anerkennung, nach Zuwendung, nach Zugehörigkeit.
„Ich möchte doch nur ...“, schluchzte er in die Flechten unter sich. “Du hättest mich besser töten sollen! Verdammt seien eure Gesetze, nachdem es euch nicht mehr freisteht ein Todesurteil zu unterzeichnen!“, rief er dem Morgenrot zu.

Grah fand ihn so, schreiend, schluchzend. Aber er tat als bemerkte er ihn nicht. Er setzte sich einfach ein Stück entfernt auf einen Stein und redete seinerseits mit der Morgensonne.
„Ich verstehe zwar kein Wort, das der Verwandte da spricht, aber ich bin auch zornig, wenn er es ist. Sonnenaufgang hörst du mich?“

Dann berichtete Grah von der Jagd. Wie erfolgreich sie gewesen waren und wie viel Fleisch sie hatten, dass es locker über den langen Winter reichen würde. Niemand müsste hungern, auch wenn die Sippe unerwartet gewachsen war. Er erzählte dem Morgen von dem sonderbaren Mann, der einfach vor ihre Höhle gefallen war und dem die Clanmutter sehr zugetan war, wie er von seinem Wissen teilte, ohne davon etwas zu ahnen, von der Rücksicht die er dem Clan gegenüber zeigte, indem er auf sein Essen verzichtete. Er erzählte von der Qual des Fremden, der sich hier nicht heimisch fühlen konnte, weil er so voller Angst und Zweifel war. Grah sagte viel, mehr als er wusste brachte er in dem Nichtgesagten unter.

Alex hörte stumm zu, konnte die Anerkennung in den Worten des Anführers nicht glauben, nicht fassen, dass er damit gemeint war. So weinte er umso mehr, weil er glaubte diese Worte nicht verdient zu haben. Zu oft in seinem Leben war ihm gesagt worden, dass er minderwertig war, unwert, ein Mensch zweiter oder dritter Klasse. Seit der Zeit auf der Universität war er als unwertes Lebewesen abgestempelt worden. Alles kam in den Worten Grah’s wieder hoch. Alex weinte um sein Leben, um die vergeudeten Momente, die nicht gesagten Worte. Wie gerne hätte er sich noch einmal von seinen Eltern verabschiedet.

Jetzt lag er hier im Pleistozän und wusste sich nicht zu helfen. Alle Schulbildung schien ihm unnütz, sein Leben war am Ende. So sah er sich – und der Abgrund lockte.

„Aber irgendwie Morgensonne, müssen wir den Mann davon überzeugen ein Mensch zu sein“, hörte er den Anführer weiterreden. „Mae glaubt er ist einer von uns, also glaube ich es auch. Mae ist die Mutter, sie weiß es.“

„Mutter! Mutter!“, rief nun Alex. „Mutter, komm doch zu mir! Hilf mir! O Mutter, hilf mir!“

Grah verstand nicht die Worte, aber den Sinn der dahinter stand. Rasch rannte er zur Höhle und holte Mae.
„Er braucht die Mutter oder eine Frau“, war alles was er sagte.

Mae fand den Verzweifelten am Abhang stehen. Noch immer rang er mit sich, wie beinahe jeden Tag.
„Alex, tu es nicht“, sagte sie. „Bleib bei uns. Sei einer von uns.“ Sanft berührte sie ihn an der Schulter. „Komm zu mir. Ich will dich.“
Alex stand still, wusste nicht, was er denken und glauben sollte, war doch sein Minderwertigkeitskomplex so tief verankert, dass er nicht so schnell daraus hervor konnte. Die wissenschaftliche Akribie mit der er stetes gehandelt hatte, war sein Schutz vor Verletzungen gewesen. Jetzt begann dieser Panzer zu bröckeln und darunter kam der ganze Schmerz zum Vorschein.
„Alex, dreh dich bitte um und schau mich an. Blick mir in die Augen.“
Langsam drehte er sich um und versank in die feuchten, braunen Augen der Frau, die ihn vom ersten Augenblick angenommen hatte.
„O Mae!“, rief er. „O Mae! Wenn du wüsstest! Aber du wirst es nie verstehen.“ Er sank an ihre Brust und hielt sich krampfhaft an ihr fest. In dem Moment war sie die Mutter für ihn, nicht mehr die Frau, in die er sich in den letzten Monaten verliebt hatte.
„Nein, ich werde es nie verstehen, Alex. Aber du kannst einer von uns werden.“ Bestimmt nahm sie sein Gesicht in die Hände, wischte die Tränen weg und blickte ihn fest an.
„Du kannst einer von uns sein, du musst es nur wollen.“
„Ja, Mae.“
Dann nahm sie ihn an der Hand und führte ihn in die Höhle.

Dort dachte Alex, er würde vor Schreck versteinern. Sein Platz am Höhleneingang war leer. Suchend blickte er sich um. Da sah er Grah winken.
„Dort ist es zu kalt“, sagte er einfach. „Und jetzt schlafen wir alle mal den Tag über und feiern am Abend. Heute gibt es frisches Fleisch. Es gibt einiges zu feiern, Leute. Schlaft wohl.“ Damit rollte sich der Anführer in die Felle und schnarchte.

Mae zog Alex lächelnd ans Feuer der Anführer. Er wusste nicht, wie ihm geschah, womit er diese Ehre verdient hatte, denn eine Ehre war es.
„Denk nicht an das was gewesen ist, Alex“, sagte sie und zog ihn zu sich heran. Doch Alex war noch so gefangen von sich widerstreitenden Gefühlen, dass er kaum denken konnte. „Alex, willst du mich nicht mehr?“
Das brachte ihn in die Gegenwart. Er sah Mae, die ihn erwartungsvoll anblickte, Grah, der zustimmend nickte und sich dann in seinen Fellen wieder umdrehte. Er verstand diese Kultur nicht. Hier war so vieles anders. Nur, daheim würde er sonst nirgends mehr sein. Das einzige Zuhause, das sich anbot war hier.

Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust und er nahm sie ganz fest in die Arme.
„Du weißt gar nicht, wie sehr ich dich will“, flüsterte er.

Seit diesem Tag bin ich wieder ein Mensch. Der Clan hat mich vieles gelehrt. Nun stehe ich auf dem Felsen, blicke ins Tal und frage mich, ob es nicht doch klüger gewesen wäre, mich von den wilden Tieren zerfleischen zu lassen.

Alex lebte sich etwas ein. Er war zwar nach wie vor wortkarg und hielt sich zurück. Einerseits hatte er soviel Wissen in sich, das er den Menschen hier geben könnte, andererseits nagte der Zweifel an ihm, ob es so gut wäre, es zu teilen. Er wusste, dass er durch seine Anwesenheit schon eine Veränderung in die Zukunft gebracht hatte. Deshalb ging er immer wieder in sich, erforschte sein Tun und wie es sich auswirken könnte. Dabei entging ihm die Gegenwart.

„Es ist ein Eingriff in die Vergangenheit. Ich kann ihnen nicht einfach so etwas von der Zukunft geben“, murmelte er. Oft redete er mit sich in seiner Sprache. Mae beobachtete es mit Besorgnis. Sie fürchtete, dass er wieder in diese sonderbare Schwermut zurückfiel. Nur zögernd hatte sie zugestimmt, als er sein Lager wieder am Höhleneingang aufschlagen wollte.
„Mae, mir geht’s gut. Aber ich brauche einen Platz für mich“, hatte er ihr glaubhaft versichert. Er war noch immer fremdartig, das würde sich wohl nie ändern. Schon allein sein Äußeres sprach Bände. Er war größer als die meisten und er entfernte sich täglich den Bart, darauf schien er großen Wert zu legen. Auch auf ein Bad im nahen Bach verzichtete er selten. Anfangs hatte sie das belustigt. Sie war ihm ein paar Mal heimlich gefolgt und hatte ihn beobachtet. Die anderen Clanmitglieder machten sich über diese Eigenart lustig. Sie fanden es erheiternd, dass ein erwachsener Mann ein Kindergesicht haben wollte. Aber Alex hatte es in seiner Sippe schon gestört, wenn er Bart tragen musste. Seit der Hochschulzeit war er auf eine tägliche Rasur gedrillt worden.

Alex suchte oft den kleinen Biberteich auf, schwamm dort einige Runden und verwendete dann das Seifenkraut. Hier fühlte er sich nicht unter Druck und ließ seinem Selbst freien Lauf. Er redete mit den Bäumen, schlanke Birken wuchsen hier, mit den Kräutern am Ufer und mit den Vögeln. „So viele Erkenntnisse habe ich gewonnen. Kein Mensch aus meiner Zeit wird das je erfahren – und ich wünsche es auch niemanden. Ich werde ihnen etwas geben, etwas, das die Zukunft nicht verändern kann, oder doch nicht so sehr, dass es gefährlich werden könnte“, sagte er und tauchte unter. Das Wasser war klar und kalt. Bis zum Grund tauchte er hinab und ahnte nicht, dass Mae vor Schreck aus ihrem Versteck gelaufen kam. Erst als er freudestrahlend wieder auftauchte und atemlos lachte, bemerkte er sie. Abrupt verstummte er. „Alex, du hast mir Angst gemacht“, war alles was sie sagte. Schon wollte sie umkehren, aber er rief sie zurück. „Warte. Warte. Ich wollte dir keine Angst einjagen. Sieh nur, was ich da unten Schönes gefunden habe“, sagte er und stieg aus dem Wasser. Er hielt seinen Fund in der ausgestreckten Hand und sie betrachtete den Stein bewundernd.
„Er gehört dir. Nimm ihn, Mae.“ Energisch drückte er ihr den Stein in die Hand und schloss die Finger darum. Dann wickelte er sich in die Felle und band sie mit einer Sehne, die um die Mitte geschlungen wurde, fest.
„Eine Nadel!“, schrie er. „Das ist es! Mae! Das kann ich euch geben!“ Er führte einen Freudentanz auf und Mae fragte sich, ob er jetzt komplett durchdrehte. Alex sprang zwischen den Birken herum, sang und redete in seiner Sprache – das verwirrte Mae noch mehr.
„Komm, lass uns zurück gehen. Ich muss mit Groch reden.“
„Was hast du?“
„Eine Idee, Mae, eine Idee, wie ich mich nützlich machen kann.“
Noch nie hatte sie ihn so glücklich gesehen. Die Freude sprang aus den blauen Augen und zuckte um den Mund.
Danach lachte er lange Zeit nicht mehr.

Bei der Höhle angekommen näherte er sich vorsichtig Groch. Er hockte an seinem Platz und bearbeitete gerade einen Stein. Alex fragte sich, ob ihn der Werkzeugmacher verstehen würde. Beiden fehlten die richtigen Worte um zu sagen was sie meinten.
Er ließ sich neben Groch nieder und wartete bis dieser seinen Schlag ausgeführt hatte, erst dann sprach er ihn an. Geduld war etwas, das er mühsam wieder lernen hatte müssen. Zeit spielte hier keine Rolle – sie hatten nicht einmal eine Bezeichnung dafür.
Pling – machte es und Groch brummte zufrieden.
„Schön“, sagte Alex bewundernd und er meinte es so. Es war eine perfekte Speerspitze geworden, schlank und tödlich. Nun hatte er die Aufmerksamkeit des anderen Mannes.
„Groch, ich weiß, du magst mich nicht besonders, weil ich so viele Messer verbrauche und auch sonst etwas ungeschickt bin. Aber ich möchte dich um noch ein Werkzeug bitten.“
„Was willst du damit machen? Sie stellen sich nicht von selbst her“, erwiderte er unwirsch.
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„Ich weiß, Groch. Nur noch eines, wenn dir nicht gefällt, was ich herstelle, dann werde ich dich nie wieder um Werkzeug bitten.“
Neugierig geworden gab er schließlich nach. Alex nahm unter vielen Verbeugungen und Danksagungen das Messer entgegen. Dann verzog er sich an sein kleines Herdfeuer und entfachte es erneut. Hier war es kälter als draußen in der Sonne. Die letzten Herbststrahlen fielen sanft vom Himmel. Alles erzählte bereits vom nahen Winter.

Alex wollte nicht an die kalte Jahreszeit denken. Dagegen war es in seiner Heimat warm gewesen. Er dachte daran, dass er dann hier eingesperrt sein würde, dass er auf sein Bad verzichten, seine Persönlichkeit noch mehr beschneiden musste um nicht noch mehr aufzufallen. Einzig Mae und wenn ihm der Sinn danach stand, auch Grah begegneten ihm freundschaftlich.

Das Bett hatte er noch einige Male mit Mae geteilt, aber er fühlte sich nicht gut dabei. Es war nicht, dass ihn alle beobachteten, es war eher so, dass sie ihn holte, wenn ihr danach war. Das bedrückte ihn und er hatte begonnen diese Begegnungen abzulehnen.

So schlug er jetzt die Beine unter und begutachtete die Knochen, die er aus einem Abfallhaufen mitgenommen hatte. Sorgfältig wählte er einen aus und begann zu schnitzen. Feine Späne flogen davon, landeten im Feuer oder auf seinen Schlaffellen. Er achtete nicht darauf, sondern senkte seine Konzentration in den Knochen und den Stein in der Hand. Blut tropfte zu Boden. Auch das ignorierte er. Während er das Messer über den Knochen wandern ließ, sang er leise vor sich hin. Es war ein Spottlied, dass die Kommilitonen in der Uni gesungen hatten, wenn er mal wieder das Wochenende alleine verbracht hatte: „Alex der Mönch … was kann er schon, was ist er schon, verschwend kein Ton, er ist ein Hohn – Smirnov, Smirnov, schnür dir lieber die Kehle zu, Sumpfratte du. Samek, Samek lass das …“ Erschrocken hielt er inne. Die Ungeheuerlichkeit dessen was er da gesungen hatte, kam ihm urplötzlich zu Bewusstsein. Und das Lied war viel länger und gemeiner. Er betrachtete das Messer, das wie zufällig an der Arteria radialis zu liegen gekommen war. Nur ein kleiner Schnitt um das Leben mit dem Tod zu verbinden. Gedankenlos saß er da und starrte auf das Messer. Das Blut, das von seinen Fingern tropfte, machte merkwürdige Muster auf dem Stein und dem Knochen. Wie hypnotisiert blickte er auf das Handgelenk. Er merkte nicht, wie ihn die Clanmitglieder anstarrten. Sie hatten seinem Lied gelauscht und aus seiner Haltung ihre Schlüsse über den Inhalt gezogen.
‚Er ist noch immer keiner von uns – ich glaube er wird es nie’, dachte Mae, wandte sich ab und bedeutete auch den anderen zu gehen.
‚Solange er an den Schnee des letzten Winters denkt, wird sich nichts ändern. Aber vielleicht kann er das nicht, vielleicht sind die Wurzeln zu tief. Ich weiß es nicht Ich habe nicht verstanden, wie fremd er wirklich ist. Er hat einmal versucht es mir zu sagen, aber dafür gibt es keine Worte.’

Entschlossen schluckte Alex die aufkommende Wut und Scham hinunter, legte das Messer zur Seite und betrachtete die blutige Ahle. Sie war noch nicht ganz fertig. Er wischte sie sauber und überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Sein Verstand arbeitete wieder wissenschaftlich. Es war leichter, so musste er sich nicht mit seinen Gefühlen beschäftigen. Aber die Arbeit ließ seine Gedanken wieder weiter wandern. In eine Vergangenheit, die eigentlich die Zukunft war.
Als er wusste, wie der nächste Schritt aussehen musste, ging er in die Dämmerung hinaus und zum Arbeitsplatz des Steinhauers hinüber. Der war ihm misstrauisch gefolgt. Aber Alex suchte nur in den Abfallsteinen herum, den unbrauchbaren mit Fremdgestein durchzogenen Bruchstücken. Er nahm zwei flache, runde Steine und ging wieder an seinen Platz. Mittlerweile war es dort fast zu dunkel um noch zu arbeiten. Er legte einen Ast auf das Feuer und es wurde etwas heller. Ganz in die Ahle versunken, legte er die Stirn in Falten und spitzte den Mund. Ein leiser Pfiff entfuhr ihm.

Am Gemeinschaftsfeuer wurde gelacht, erzählt und gegessen. Alex bemerkte es nicht. Er war in Gedanken gar nicht in der Höhle – weit weg war er, in einer anderen Zeit, einer anderen Umgebung, unter Leuten die ihn nicht mochten oder die ihre Sympathie nicht zu zeigen wagten. Während er an die vielen Menschen dachte, denen er nie wieder begegnen würde, feilte er an der Spitze. Dazu legte er einen Stein mit der rauen Seite nach oben auf den Boden, die Ahle darauf. Vorsichtig strich er langsam mit dem anderen Stein darüber. Er hielt die Luft an, als er glaubte fertig zu sein. Dann betrachtete er sie im Schein des Feuers und stieß den angehaltenen Atem mit einem Zischlaut aus.
„Gerade ist sie nicht geworden. Mal sehen, ob sie funktioniert“, murmelte er und entfernte die Fußlinge. Dann legte er sie auf einen flachen Stein und begann am Rand Löcher zu machen. Als das erledigt war nahm er die Sehne und schob sie mit der Rückseite der Ahle durch das erste Loch. Einmal oben durch, einmal unten durch, bis er einmal rundum war, dann probierte er den Fußling, ob er passte.
„Juhu! Alex ist kein Volltrottel, nein, nein, nein ihr verdammten Staubfresser!“ Er hopste um die Feuerstelle herum und schrie und sang immer wieder den gleichen Satz, bis ihn Grah zornig unterbrach.
„Aks! Was soll das? Hier versuchen Leute zu schlafen und du machst soviel Lärm!“
Erschrocken erstarrte Alex mitten in der Bewegung und senkte den Blick. Er hatte ganz vergessen, wo er sich befand und wie spät es geworden war, während er in seine Arbeit vertieft gewesen war.
„Entschuldige Grah. Ich bin leise“, sagte er und setzte sich. Grah brummte und begab sich wieder an seine Lagerstatt.
Jetzt erst merkte Alex, wie durstig er war. Er hatte vergessen, sich etwas zu holen und nun wagte er nicht ans Gemeinschaftsfeuer zu gehen, aus Angst jemanden zu wecken. Also schlich er hinaus.

Die Nachtluft war frostig und verkündete den nahenden Winter. Der Bachlauf hatte schon Eisränder, die wie lange Finger in die Mitte zeigten. Zitternd legte er sich auf den Boden und schöpfte mit der hohlen Hand Wasser. Das Eis warf ein verschwommenes Spiegelbild – und er erkannte seinen Fehler.

Mit heftig klopfendem Herzen richtete er sich auf, lehnte sich an den nächsten Baum und dachte nach. Er sah sich mit den Augen des knallharten, gefühllosen Wissenschafters.
„Ich darf nicht vergessen, wer ich bin“, sagte er sich wieder einmal. „Ich darf ihnen kein Geschenk machen, niet, niemals, darf ich ihnen von meinem Wissen schenken.“ Das Entsetzen dieser Erkenntnis trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Panisch sprang er auf und rannte zu seinem Lager. Dort riss er hektisch die Fußlinge runter und überlegte, wie er sie entsorgen konnte. Dann suchte er nach der Ahle und betrachtete sie lange. Tränen rannen ihm übers Gesicht, als er sie mit einem schweren Stein zerschlug. Mit den Fußlingen ging er wieder hinaus. Der Morgen nahte. Ganz ferne im Osten sah er einen blassen Schimmer. Bald würde die Sonne aufgehen und mit ihr die Höhle erwachen. Bis dahin musst er sich wieder beruhigt haben.

„Niemals darf ein Zeitreisender in die Entwicklung einer Kultur eingreifen, ganz gleich was es ihn selbst kosten mag“, zitierte er sich. Er hatte ein Buch über historische Zeitreisen verfasst, es war in bestimmten Kreisen zu einem Bestseller geworden.
„Ich darf ihnen nichts schenken und keine Kinder zeugen – niemals, sonst ändert sich alles. Das darf nicht geschehen, auch wenn ich es mir wünsche und ersehne. Ich muss der dumme Aks bleiben.“ Entschlossen vergrub er die Fußlinge.

Mae hatte seinem Treiben heimlich zugesehen und den fremden Worten gelauscht. Sie würde ihn so gerne verstehen, seine Gedanken teilen, aber er ließ es aus einem ihr unbekannten Grund nicht zu. Es hatte sie auch gekränkt, dass er nicht mehr die Felle mit ihr teilen wollte. Der Gedanke daran machte sie wütend. Wie konnte er nur so ein Geschenk zurückweisen? Und nun benahm er sich schon wieder so eigenartig.

Alex erhob sich, drehte sich um und wäre fast mit Mae zusammen gestoßen. Sie funkelte ihn zornig an.
„Was denkst du eigentlich, wer du bist? Wir helfen dir und du benimmst dich immer undankbarer! Ich bedaure schon, dich hier überhaupt willkommen geheißen zu haben. Sag mir, was mit dir ist!“
„Mae, ich – ich – ich kann es dir nicht erklären. Du hast keine Worte dafür.“ Seine Stimme klang angestrengt, so als würde er tiefe Gefühle zu verbergen suchen. Etwas das ganz tief ging, blankes Entsetzen, schwang darin.
„Versuch es!“ Ihre Stimme war schneidend. Er seufzte ergeben und begann mit dem Versuch einer Erklärung. „Ich komme aus … aus einer Zeit, die unzählige Winter nach dir liegt, verstehst du, nach dir. All mein Wissen könnt ihr hier nicht brauchen.“ Er verschwieg ihr, dass sein Wissen sie in der Entwicklung weit voran bringen könnte.
„Du lügst!“, spie sie ihm wieder vor die Füße. Ihre Wut sprang aus den Augen und bohrte sich tief in sein Herz. Verzweifelt versuchte er es noch einmal.
„Nein, Mae, es ist die Wahrheit. Und es ist mir verdammt schwer gefallen es dir zu sagen.“
„Du lügst!“, rief sie wieder.
Jetzt war es an Alex zornig zu werden. „Glaub doch was du willst, verdammt noch mal! Ich bin es leid – ich bin es so leid, immer der Letzte zu sein, das kannst du mir glauben.“ Fast hätte er sie gepackt und geschüttelt, doch dann drehte er sich um und stapfte zornig in den Wald. Dass er barfuss war und zuwenig Kleidung an hatte, war ihm egal. Er wollte nur weg – weg von Mae und ihren Anschuldigungen.

Rasch lief er den Bachlauf entlang, das Hirn leer, die Füße wund. Immer wieder stolperte er über Wurzeln und Steine, schlug sich die Knie auf und lief weiter.
Endlich holte er sich selbst ein. Es hatte keinen Zweck. Er konnte nicht weglaufen – und schon gar nicht vor sich. Laut schreiend sank er an einer geraden Birke herab und schlug den Kopf immer wieder dagegen, bis er blutete.
„Ich will nicht immer der Letzte sein! Ich will auf gleicher Höhe stehen, nicht auf die Gnade anderer angewiesen sein, ihre Hilfe erbetteln müssen und mich dafür dumm stellen. Niet! Dmitro Smirnov, dein Sohn ist nicht dumm, er ist Akademiker! Myra Smirnova dein Sohn lebt!“, rief er den kahlen Bäumen zu, so laut, dass die Krähen aufschreckten und kreischend davon flogen. „Nein, nicht tot und nicht dumm – aber beides ist er, für alle Zeit und alle Welt“, schloss er resigniert.

Blutverschmiert lehnte er am Baum und schöpfte Atem. Der Kopf tat ihm weh, die Knie und die zerschnittenen Hände. Die Einsamkeit hatte sich durch die wissenschaftliche Analyse der Situation noch vertieft. Er beschloss hart zu werden, sich nichts mehr anmerken zu lassen. Wenn er leben wollte, musste er es tun, er musste eine Mauer errichten, die dicker war als je zuvor. Ganz tief musste er sich zurück ziehen. Es genügte, wenn er funktionierte. Zumindest hoffte er es.

Fest entschlossen stand er auf. Atmete ein paar Mal tief durch, straffte sich und ging langsam zum Lager zurück. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, sie musste die Mittagsstunde bereits überschritten haben. Am Platz vor der Höhle sprudelte es vor Leben. Groch hämmerte an seinen Steinen. Eine Frau schimpfte ein Kind. Felle wurden ausgeschüttelt. Jemand hatte draußen den Feuerplatz gerichtet, darum hockten Leute, tranken Tee und unterhielten sich. Einige Frauen hatten eine Antilopenhaut zum Trocknen aufgespannt. Alex beobachtete das alles. Er roch das Feuer, die Leute, das Leder, das Fleisch.
Die Eumerier waren Vegetarier und so mussten alle, die für sie arbeiteten es auch sein. Er konnte die ersten Wochen hier kein Essen bei sich behalten. Nur langsam hatte sich sein Magen an das ungewohnte tierische Eiweiß gewöhnt und den Geruch des frischen Tierblutes konnte er immer noch schwer ertragen.
Dann sah er sie. Sie stand genau im Höhleneingang. Wie eine Göttin kam sie ihm vor, eine Rachegöttin. Als sie ihn sah drehte sie sich um und ging hinein.

Stumm ging er an den anderen vorbei in die Höhle, hin zu ihrem Feuer. Dort verharrte er in demütiger Haltung bis sie ihn ansah. „Es tut mir leid“, sagte er schließlich leise. „Ich habe gelogen. Du hast recht.“ Sie nickte nur und er ging müde zu seinem kleinen Lager. Dort rollte er sich zusammen und zwang sich zu schlafen.

Ich bin hart geworden – beinhart ist meine Schale. Nichts kann sie durchdringen. Nur so kann ich überleben. Mein Glaube an die Menschen ist versiegt. Ich glaube nichts mehr.
Irgendwann werden mich die wilden Tiere zerfleischen, wenn ich es nicht vorher selber mache. Ich habe gelernt mich selbst zu verleugnen, ich bin der letzte in der Reihe, der letzte meiner Ahnen – dabei wollte ich nur auf gleicher Höhe stehen.
Aber es gibt kein Zurück – die Zukunft muss ihren Lauf nehmen.

Ja, die Zukunft muss ihren Lauf nehmen. Laufen wird sie – so oder so, ganz gleich was ich mache oder nicht. Wieder stehe ich an der Klippe und lasse den Blick schweifen.


Er verschloss sich gänzlich und litt mehr darunter als er sich eingestehen wollte. Tunlichst vermied er eine Begegnung mit Mae. Er hatte noch immer ihre kalte Stimme im Ohr, als sie ihn der Lüge bezichtigte.

Der Winter war schon weit fortgeschritten und kalt wehte der Wind am Windschutz vorbei, wobei er immer wieder etwas Schnee mitbrachte. Alex saß an seinem Feuer, das er mittlerweile selbst entfachen konnte und probierte sich an der Steinbearbeitung. Nach dem Fiasko mit der Nadel, hatte ihm Groch kein Werkzeug mehr gegeben. So hatte er notgedrungen beschlossen, zu lernen es selbst herzustellen. Ob er darin jemals ein Meister werden würde, wusste er nicht. Es war ihm egal. Wichtig war die Beschäftigung mit etwas Sinnvollem. Der Winter war zu lang um untätig herum zu sitzen.

Wenn es das Wetter zuließ ging er raus, sammelte Brennholz, damit er auch für die Gemeinschaft etwas tat oder holte Wasser. Immer wieder schnitzte er kleine Tiere und verschenkte sie an die Kinder. Alex merkte, dass er Kinder mochte. Er spielte gerne mit ihnen, zeigte es aber nur selten. So mieden ihn auch die Kleinen, obwohl sie wussten, dass er sie mochte.

„Lass ihn. Er ist eben eigenartig“, sagte Mae eines Tages zu Grah, als dieser sich aufregte, weil Alex so selten an der Gemeinschaft teilnahm und immer so missmutig dreinblickte.
„Warum muss er sich auch im Winter den Bart abkratzen? Er ist schon voller Narben.“ Grah war in streitbarer Stimmung, das Wetter war schon zu lange schlecht gewesen und er musste sich irgendwie Luft verschaffen. Normalerweise schimpfte er mit den Kindern, wenn sie zu laut waren. Aber diesmal gab es noch jemanden, an dem er seine Wut auslassen konnte.

Noch bevor Mae ihn zurückhalten konnte, schritt er zu Alex Lager und starrte ihn zornfunkelnd an. Dieser schien ihn nicht zu bemerken. Er hatte seine Aufmerksamkeit auf den Stein gerichtet, den er gerade bearbeitete. Es schien eine gute Klinge zu werden. Er hatte das Gefühl langsam besser zu werden und hatte vor, diese Spitze Grah zu schenken. Ein Teil seiner Gedanken war wieder zuhause. Je länger der Winter dauerte, desto öfter dachte er an daheim, sein früheres Zuhause. Die Abende, die er im Kreis der Familie mit tanzen, lachen oder einfach nur faul beim Fernsehen verbracht hatte. Es war immer warm und niemand brauchte sich zu sorgen. Er dachte auch an die Raumstation, an die Freunde, die er dort gefunden hatte. Derek, der immer einen Scherz auf den Lippen hatte und Suzie, die oft mit ihm stritt und ihn dann leidenschaftlich küsste bevor sie beide allein zu Bett gingen. Das alles ging ihm durch den Kopf während er überlegte wo er den letzten Schlag setzen sollte, damit die Speerspitze gut wurde.
Er hob den Schlagstein und zielte, da holte ihn eine barsche Stimme aus der Konzentration. Der Schlag ging daneben und die Spitze war ruiniert. Ein Tag Arbeit war dahin. Aus alter Gewohnheit sprang Alex auf und stand stramm. Dann war er wieder in der Höhle und er sah das kaputte Stück. Hass flammte in ihm auf, eine schier unbändige Wut und er stürzte sich auf Grah, der zwar ein Stück kleiner aber um ein Vielfaches kräftiger war als er selbst.
„Warum hast du das getan?“, rief er immer wieder, während er auf ihn einschlug. Grah seinerseits nutzte die Gelegenheit um sich endlich abzureagieren. Sie schlugen aufeinander ein, rollten am Boden. Grah schnappte Alex und warf ihn aus der Höhle, dann sprang er ihm nach. Alex war schon wieder in der Höhe und benutzte rein instinktiv die Techniken, die er auf der Akademie gelernt hatte. Er konnte mit bloßen Händen töten, wenn es sein musste. Sein Zorn war so groß, dass er es getan hätte, wenn er nicht Mae aus den Augenwinkeln wahrgenommen hätte. Grah lag schwer atmend unter ihm und starrte ihn aus weit offenen Augen an. Ernüchtert ließ Alex von seinem Gegner und ging gesenkten Haupts zu seinem Platz.

Mae kümmerte sich um ihren Gefährten. Der lag im Schnee und konnte es kaum glauben, dass er von diesem schmalen Burschen eine Abreibung verpasst bekommen hatte.
„Ich habe dir doch gesagt, dass in dem mehr steckt als wir annehmen“, sagte sie, als sie wieder am Feuer saßen.
„Er hätte mich töten können.“ Grah’s Stimme war ungläubig.
„Ich fürchte, dass er das hätte tun können. Gut, dass er es nicht getan hat.“
„Morgen will ich mit allen reden. Er kann mich nicht einfach so angreifen.“ Grah war nicht geneigt, seinen Zorn abkühlen zu lassen. „Er muss gehen.“
„Grah, Lieber, schlaf erst einmal darüber und vergiss nicht, du hast seine Arbeit verdorben. Weißt du noch, wie Groch einmal mit dem Speer auf dich losging, weil du mit deiner unbedarften Art sein Meisterwerk ruiniert hast? Diese Werkzeugmacher sind ganz eigen, was ihre Sachen angeht. Alex hat den ganzen Tag daran gearbeitet und jetzt ist es kaputt. Sieh nur, wie er dort sitzt und auf die Trümmer starrt.“
Sie hatte eindringlich gesprochen und ihm dabei sanft den Rücken gekrault, sie wusste, dass er das mochte.
Grah brummte.
„Kratz etwas tiefer, Mae“, war alles, was er dazu noch sagte.

Man behandelte Alex jetzt mit noch mehr Zurückhaltung und dieser zog die Mauer um sich enger.

Trotzdem überwand er sich manchmal und ging zum Essen ans Gemeinschaftsfeuer. Er hatte sich mehrere Schalen geschnitzt und war froh, die geliehenen Stücke wieder zurück geben zu können. Es machte viel Arbeit, so etwas herzustellen. Wenn er mit den anderen aß, hielt er sich zurück, sprach noch weniger als sonst und hielt den Blick gesenkt, besonders nach der Rauferei mit Grah. Er fühlte sich schlecht, weil er sich nicht unter Kontrolle gehabt, sondern blindwütig zugeschlagen hatte.

Besonders hart kamen ihn die Nächte an. Mittlerweile hasste er die Geräusche der Nacht, weil er sich dann noch einsamer fühlte. Die Höhle war so voll von Menschen, dass er nie Ruhe verspürte. Nicht einmal nachts war es still. Er hörte neben den üblichen Schlafgeräuschen und Kinderweinen auch lustvolles Gestöhn. Das machte ihm seine eigenen Bedürfnisse qualvoll bewusst. Aber er hatte freiwillig darauf verzichtet und er wusste nicht, wie er sich Mae jetzt wieder nähern sollte, wo er sie doch so brüsk zurück gewiesen hatte.
Nacht für Nacht quälte er sich mit dem Schlaf, der oft erst kurz vor dem Morgen eintraf.

Endlich wurde das Wetter wieder besser, der Sturm ließ nach und die Leute in der Höhle atmeten auf. Es waren zu viele Menschen auf engem Raum über zu lange Zeit eingeschlossen gewesen. Es mangelte zwar nicht an Essbarem, aber an Bewegung, Luft und Licht – und Platz. Die Veränderung war bereits in der Nacht merkbar. Der ständige Lärm durch den Wind war angenehmer Stille gewichen und am Morgen stahl sich ein feiner Sonnenstrahl durch einen Riss im Leder, das am Höhleneingang hing.

Es gab ein allgemeines Aufatmen und noch bevor die Feuer wieder entfacht wurden, rannten alle hinaus und sogen die kalte Winterluft ein und stießen den Frust des Eingesperrtseins wieder aus. Auch Alex ging hinaus. Die Sonne schien schon kräftiger, was den kommenden Frühling erahnen ließ. Er beschloss in den Wald zu gehen und auf dem Rückweg Feuerholz zu sammeln, der Vorrat war in den letzten allzu kalten Tagen empfindlich geschrumpft.

Er ging wieder zu seinem Feuer, schnürte die Felle zusammen, nahm den Vorrat an Seifenkraut, den er im Herbst angelegt hatte, ein Messer, einen unhandlichen Speer und ging damit hinaus.
Auch wenn er oft dachte, dass er in der Gruppe unsichtbar war, so wurde sein Tun doch sehr genau wahrgenommen. Die Clanmitglieder hatten sich mit seinen Eigenheiten abgefunden, mit seiner Zurückhaltung und scheinbarer Humorlosigkeit.
Mae sah ihn mit dem großen Bündel in den Wald marschieren und folgte ihm in sicherem Abstand. Sie suchte eine Gelegenheit, um mit ihm zu reden. Es lag zuviel Unausgesprochenes in der Luft und ein weiterer Schneesturm konnte sie wieder alle tagelang in der Höhle festhalten. ‚Wir brauchen eine größere Behausung’, dachte sie. ‚Ich fürchte, im Frühling müssen wir weiterziehen. Vielleicht …’ Entschlossen schnitt sie diese Gedanken ab, darüber wollte sie sich am Abend mit Grah unterhalten. Beinahe hätte sie Alex aus den Augen verloren. Aber sie ahnte wo er hin wollte und fand ihn rasch wieder.

Je weiter sich Alex von der Höhle entfernte, desto gelöster fühlte er sich. Der Panzer um ihn schien zu schwinden. Er schmolz wie das Eis in der Sonne, das bereits kleine Rinnsale zu bilden begann.

Der Marsch war nicht weit. Unweit des Teichs legte er sein Bündel nieder und suchte einen dicken Stock. Er nahm auch noch einen schweren Stein. Beides legte er an den Rand des Teichs und entledigte sich der Felle. Dann nahm er den Stock und den Stein und ging aufs Eis hinaus. Er blickte zur Biberburg, die scheinbar erstarrt inmitten des Teichs lag und sagte: „Sei gegrüßt alter Nager. Ich hoffe, dein Schlaf ist angenehm.“
Mae freute sich, weil er in ihrer Sprache redete, und wunderte sich darüber, wie gut er sie beherrschte, nahezu fehlerfrei. Das war ihr nicht aufgefallen, weil er nie oder sehr selten sprach. „Ah ihr Birken, hat euch der Nager noch gar nicht probiert?“, redete er nun mit den Bäumen. Dann ging er in die Knie und schlug mit dem Stein auf das Eis ein, bis ein Loch entstand. Alex holte das Seifenkraut und zwei flache Steine.
Zu Mae’s Entsetzen sprang er in das eisige Wasser. Mit einem lauten Prusten und Keuchen tauchte er unter. Dann kam er lachend wieder hervor.
„Ah, das war gut. Ich mag das Wasser. Hast du gehört Wasser? Ich mag dich und du magst mich, nicht wahr? Du tust mir nichts und lässt mich sein wie ich bin.“
Er erzeugte den Schaum und wusch sich, wobei er leise pfiff. Dann tauchte er wieder unter und schob sich lachend aus dem Eisloch. Schnell lief er zu den Fellen und wickelte sich darin ein. Heftig zitterte er, aber er fühlte sich frei. Er breitete ein Fell aus und legte sich darauf, den Blick der Sonne zugewandt. „Endlich kann ich wieder ich sein“, murmelte er. Das ließ Mae aufhorchen. „Ein Mann des fünften Jahrtausends. Es ist absurd, einfach lächerlich. Ich habe soviel Bildung und kann nichts davon anwenden. Hier darf ich nur der Holzträger sein und vielleicht irgendwann ein Steinschläger, wenn mich Grah nicht vorher umbringt. Nach der Schlägerei würde ich ihm das nicht mal verdenken.“ Hier lachte er bis ihm die Tränen kamen. Mae lauschte noch immer diesem sonderbaren, für sie schwer verständlichen Selbstgespräch. Er verwendete manchmal Worte die sie nicht kannte.
Dann sagte er: „Ich bin wohl doch nicht so ganz der schwächliche Junge für den sie mich halten. Oh Mann, wenn die wüssten wie alt ich bin.“ Sein Lachen brach abrupt ab. Er hatte ein Rascheln vernommen. Mae trat aus dem Gebüsch hinter dem sie sich versteckt gehalten hatte.

Alex setzte sich auf und kam sich ertappt vor. Warum beobachtete sie ihn? Er verstand das nicht. Jetzt stand sie vor ihm. Er befürchtete schon wieder eine Standpauke, aber sie sagte nur: „Alex, wir müssen reden. Ich glaube, ich habe einiges nicht verstanden, was du mir vor dem Wechsel der Jahreszeiten gesagt hast.“
Sie stand da, und blickte fast ängstlich auf ihn nieder. Er rückte zur Seite und lud sie mit einer Handbewegung ein Platz zu nehmen. Als sie saß, schaute er sie einfach stumm an. Seine Augen waren blauer als sie sie in Erinnerung hatte und sein Gesicht wieder starr. Sie seufzte, dann stellte sie die Frage, die sie seit ihrem Streit quälte: „Alex, was hast du damals hergestellt? Du weißt schon, in der Nacht, in der wir so stritten.“
Er starrte sie an und überlegte krampfhaft was er sagen sollte. Qualvoll war er sich ihrer Nähe bewusst, mehr als er wahrhaben wollte. Doch bevor er etwas sagen konnte, redete sie weiter: „Ich habe dich in der Nacht gesehen. Du hast am Tag vorher gesagt, dass du uns was geben willst, dass wir noch nicht haben. Alex, du warst so voller Freude darüber. Dann hast du es gemacht und mit deiner Freude alle geweckt. Später in der Nacht hatte ich den Eindruck, du würdest dich selbst erschlagen, als du dein Werk kaputt gemacht hast.“
Alex fiel in sich zusammen. Hier konnte man nichts geheim halten. Mae wusste alles. Noch immer sagte er nichts. Er war erschüttert, weil sie so genau gesehen hatte, dass er seine Zukunft unter Steinen begraben hatte.
Mae fasste unter den Überwurf, zog die Fußlinge hervor und hielt sie Alex vor die Nase. Wie von der Tarantel gestochen sprang er auf und starrte.
„Wo hast du das her, Mae? Ich hatte sie vergraben.“
„Ich habe dich beobachtet. Als du in den Wald gelaufen bist, habe ich sie ausgegraben und nach einer Möglichkeit gesucht in Ruhe mit dir darüber zu reden. Wie hast du die Löcher da reingemacht? Ich kenne kein Messer und keinen Stichel, der fein genug dafür ist. Zeig mir, wie das geht.“ Sie blickte ihn aus wissbegierigen braunen Augen an. Alex ließ sich neben ihr nieder, nahm ihr die Fußlinge aus der Hand und legte sie weg. Lange schaute er Mae an. Dann berührte er ganz sanft ihre Wangen, strich das strähnige Haar aus ihrer Stirn und platzierte viele kleine Küsse auf ihrem Gesicht.
Er lächelte sie an und hoffte, nicht wieder missverstanden zu werden. Als sie das Lächeln erwiderte sagte er zu seiner Vergangenheit, die zwanzigtausend Jahre in der Zukunft lag: „Scheiß drauf Professor. Die Theorien haben sich überholt. Ich lebe hier und ich will leben.“ Dann wandte er sich wieder Mae zu und sagte in seiner neuen Sprache: „Ich denke, langsam werde ich doch hier ankommen. Irgendwann einmal werde ich dir von meiner absonderlichen Reise erzählen und warum ich manchmal so eigenartig bin. Für euch muss ich ja lustig und meistens unverständlich sein. Hilf mir, damit es leichter geht. Aber vorher mache ich dir eine Nadel, dann kannst du die Felle zusammenbinden. Ich zeige dir, wie man das macht.“

Er legte sich auf den Rücken und betrachtete die kahlen Äste über sich.
„Weißt du, ich muss mit Groch reden. Meine Messer sind nicht so gut wie seine, nur fürchte ich, wird er mir keines mehr geben wollen. Kannst du mir helfen ihn zu überreden?“

Ich bin noch immer der letzte in der Reihe aber jetzt stehen wir neben einander, auf gleicher Höhe.

Nun betrachte ich meine Vergangenheit, die gleichzeitig die Zukunft ist.
Diese Zukunft, die zwanzigtausend Jahre vor mir liegt, ist mir gleichgültig geworden.

Die Zeit geht wie sie will und schert sich keinen Deut darum was ich will oder mir erhoffe. Ich werde meine vergangene Zukunft nicht mehr erleben, aber sie auch nicht wesentlich verändert haben.


(c) Herta 1/2010

Über Verbesserungsvorschläge freue ich mich *sonne*
@anhera
Es könnte sein, dass das Programm nicht gestattet, Artikel von so beträchtlicher Länge in einen einzigen Beitrag zu stellen. Da wird dann das Ende abgeschnitten. eventuell musst du nun die Geschichte in Scheibchen einstellen....

Aber super, dass du so fleißig bist, liebe Herta!

Simone
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Es sind schon beide Teile drinnen ...
Mann, bist du schnell beim Anklicken *wow*
2 Stunden
habe ich gebraucht um ALLES zu lesen ...............

mir fehlen die Worte um auszudrücken was ich jetzt fühle ............

So fange ich nun an
die Fortsetzung aus der anderen Sicht zu lesen
(Zukünftige Vergangenheit) ........

Danke erst einmal hierfür.

dankendev
Herbst 2018
***to Mann
4.270 Beiträge
@Herta
Vielen Dank für diese wirklich runde und auch schlüssige Geschichte.

Es arbeitet imm er noch in mir und beschäftigt mich noch weiter.

Vo allem die Rolle der Mae.

Heinrich
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Danke
für's Lesen - huch, ihr quält euch ganz schön mit.

Leider habe ich auch hier einen Logikfehler übersehen, auf den ich erst heute Morgen in der Arbeit aufmerksam wurde.

Es soll nicht heißen "Vegetarier" sondern "Synthetiker" *aua*

Vielleicht kann das ein freundlicher Mod ändern, wenn nicht, geht die Welt auch nicht unter *g*


Liebe Grüße
Herta
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