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Vergangene Zukunft

nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Vergangene Zukunft
Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem ich meine Unschuld verlor, an dem mein Glaube an das Gute gebrochen wurde. Das Ereignis hat mich hart gemacht, steinhart – außen. Innen drinnen – nein, da wage ich keinen Blick hinein.
Jetzt stehe ich inmitten einer menschenleeren Steppe, betrachte die Nacht und lausche den Tieren, die mich irgendwann einmal überwältigen und fressen werden. Präriehunde bellen in der Ferne und Hyänen lachen, dass es mir kalt den Rücken runter läuft.
Ich verstehe die Welt nicht mehr. Was sind das für Leute, die mich wegen meiner Herkunft so bestrafen?
Niemand konnte im Lauf der Geschichte die Zäune in den Köpfen der Menschen einreißen. Ich habe es gesehen, bin in der Zeit gereist, immer weiter zurück musste ich gehen, bis ich hier anlangte und bleiben musste.
„Warum?“, frage ich die Leere in mir.



„Fähnrich“, knackte es aus dem Funkgerät. „Fähnrich! Melden Sie sich, sofort!“
Der so Angesprochene hörte nicht auf das Signal. Er war viel zu sehr in die Szenerie vor ihm vertieft. „Wenn Sie nicht sofort zurückkommen, fahre ich ohne Sie, verstanden. Meldung!“
Etwas ließ den jungen Mann aufhorchen. Mühsam wandte er den Blick und senkte ihn auf sein Kommunikationsgerät.
„Ey, bin auf dem Rückweg. Aber das hätten Sie sehen sollen, Leutnant.“ Der junge Mann zog sich vorsichtig zurück, lautlos. Er wollte die majestätischen Tiere vor ihm nicht stören und aufschrecken schon gar nicht. Wenn eine Herde Mammuts zum Losrennen anfängt, dann ist das mit Sicherheit nicht lustig.
Endlich war er beim Transporter angekommen. Die Tür glitt auf und eine Hand, die zu einem mehr als ärgerlichen Leutnant gehörte zerrte ihn rein.
„Meldung! Sie Vollidiot!“ Dieser Ausbruch war mehr als unüblich und brachte die ganze Anspannung unter der der Einsatzleiter stand zum Ausdruck.
„Ey! Ich habe eine Herde Mammuts beobachtet. In etwa fünf Kilometer Entfernung konnte ich so etwas wie Höhlen ausmachen. Aber dafür müssten wir wohl etwas näher ran. Irgendetwas hat meine Sensoren gestört. Leider kann ich Ihnen keine genaueren Details nennen. Die Vegetation besteht aus Süßgräsern, niedrigen Birkengehölzen, natürlich auch einige Kräutern, zum Beispiel. …“
„Das wollte ich nicht so genau wissen, Smirnov. Menschliche Aktivitäten?“
„Äh, nein, Leutnant, bis auf die Höhlenformation, die ich bereits erwähnte.“
„Gut, machen Sie Ihren Bericht später, wir kehren zurück.“
„Wollen Sie nicht wissen, ob in den Höhlen Menschen wohnen?“
„Nein – wir hatten unsere Koordinaten und die Aufenthaltsdauer, jetzt geht’s zurück, wir sind schon zu lange hier.“
Der junge Fähnrich, Experte auf dem Gebiet der menschlichen Geschichte, zumindest gab es zu seiner Zeit keine anderen Leute, die sich damit beschäftigten, gab nach und setzte sich auf seinen Platz.

Mit einem leichten Glühen verschwand das mobile Forschungsfahrzeug und landete in einer anderen Zeit.

Es war verwirrend, erschütternd und eine massive körperliche Belastung. Deshalb wurden zu solchen Zeitreisen die Teammitglieder auf maximal zwei beschränkt. Am besten man schickte jemand Entbehrlichen. Leider gab es immer weniger Menschen, die entbehrlich waren.

„Leutnant Thomson, melden Sie sich sofort auf der Brücke“, tönte es aus den Kommunikatoren, kaum dass sie gelandet waren. Der ältere Offizier starrte den jüngeren an. Der Blick sagte: „Wenn ich wegen dir Schwierigkeiten bekomme, dann kannst du was erleben, Bürschchen.“
Smirnov senkte ergeben den Blick. Er gehörte zu den Entbehrlichen. Ebenso Thomson, aber dieser wollte wieder auf der Leiter raufkommen. Für Smirnov war der Zug in dieser Hinsicht abgefahren.
„Alex, warum hast du nichts Ordentliches gelernt?“, fragte er sich, als er sich an ein Terminal setzte und sein Gehirn mit dem Computer verband. Jetzt musste er aufpassen was er dachte und vor allem wie er es dachte. Er gab eine kurze Beschreibung der Landschaft. ‚Ich konnte insgesamt zehn verschiedene Arten der Flora ausmachen, wahrscheinlich gibt es noch unzählige Unterarten, die ich in der Kürze der Zeit nicht ausmachen konnte. Hauptsächlich besteht die Vegetation aus Süß- und Sauergräsern, je nach Bodenbeschaffenheit. Dazwischen befinden sich noch Mohngewächse, Schachtelhalme, niedrig wachsende Birken- und Weidengewächse …’ Er erging sich in einer detaillierten Beschreibung der Flora. Dann wandte er sich der Fauna zu.
‚Tiere gibt es zahlreiche, mehr als bei diesem Klima zu erwarten war. Wie wir aus alten Geschichtsaufzeichnungen wissen, ist die dominierende Art das Wollmammut. Es lebt ihn Herden und zieht durch die Tundra bis in die südlichen Steppengebiete, leider konnte ich aus Zeitmangel keine genaueren Daten erheben. In diesem Gebiet erkannte ich noch Moschusochsen, Taigas und Rentiere, die ebenfalls in Herden leben und den Mammuts folgen. Natürlich ziehen solche Herden auch Räuber an. Ich habe aber nur eine Fuchsfamilie bemerkt. Sie haben den zahlreichen Lemmingen und Hasen nachgestellt.’ Er holte tief Luft, strich sich durchs Haar und stand auf. Der Clip an der Schläfe löste sich mit einem schmatzenden Geräusch und er war nicht mehr mit den internen Speichermodulen verbunden. Erleichterung durchströmte ihn wie ein warmer Fluss. Er holte sich ein aufputschendes Getränk, verharrte einige Minuten in Gedanken versunken, bevor er sich seufzend wieder an die Arbeit machte. ‚Es hat ja alles keinen Sinn, verflucht. Niet, keinen Sinn’, damit drückte er den Stirnlappensensor wieder an die Schläfe und setzte den Bericht fort. Jetzt kam er zu den, für ihn interessanteren Teil der Beobachtung, die er leider aus Zeitmangel abbrechen musste. ‚Von meinem Standort, er ist den genauen Logbuchaufzeichnungen zu entnehmen, etwa fünf bis sieben Kilometer entfernt auf einer Anhöhe konnte ich eine Höhle ausmachen. Es dürfte sich nach meiner Einschätzung nach um eine menschliche Ansiedlung handeln. Ganz schwach lag der Geruch nach Rauch in der Luft. Ich würde diese Höhlen gerne näher in Augenschein nehmen oder auch die Ansiedlungen die ich beim Überflug auf dem südlichen Kontinent bemerkt habe.’

„Thomson“, brüllte der Kapitän. „Was hat da solange gedauert?“
Der Leutnant stand stocksteif vor seinem Kommandeur. Wut kochte in ihm, Wut auf den verdammten Wissenschafter, der immer wieder die Zeit aus den Augen verlor und ihn damit zu den Entbehrlichen machte.
Stramm salutierte er, bevor er knapp berichtete: „Ma’m, wir sind wie befohlen zu den Koordinaten geflogen. Dort hat dann Smirnov seine Beobachtungen gemacht. Er hat wieder einmal nicht auf die Anordnungen geachtet, sodass ich beinahe ohne ihn zurück gekehrt wäre. Die Detailbeschreibungen zur Umgebung bekommen Sie vom Fähnrich, Ma’m.“
‚Dieser kleine Scheißkerl’, setzte er in Gedanken noch dazu. Der Kapitän grinste. Wieder hatte Thomson vergessen, dass sie eine starke Telepathin war.
‚Wenn sie meine Gedanken lesen kann, warum dann der Rapport?’, überlegte er nicht zum ersten Mal.
„Weil wir die Form wahren müssen, Leutnant Thomson. Wo kämen wir da hin, wenn jeder Telepath in den Gedanken der anderen Leute schnüffeln würde? Sehen Sie zu, dass Sie diesen Fähnrich auf Vordermann bringen, bevor ihm noch ein Unglück zustößt. Sie können wieder an Ihre Arbeit gehen. Ich erwarte morgen nullsiebenhundert Standardzeit Ihren Bericht.“
„Ey, Ma’m!“ Erleichtert hob er die Hand zum Gruß, machte auf dem Absatz kehrt und stieß erst die Luft aus, als er aus dem Büro trat. Er war mehr als ärgerlich. Seinen Zorn musste er irgendwie Luft machen. Ganz genau wusste er, dass der Kapitän jetzt im Büro saß und grinste. Auch Thomson war Telepath, sonst hätte er keine Kommandofunktion. Sie strahlte ihre Freude über seinen Zorn direkt auf ihn, was seine Wut noch mehr anstachelte.
„Verdammter Smirnov“, sagte er leise und fluchte als er zu den Terminals ging. Wie zu erwarten fand er dort den jungen Mann. Er war so in Gedanken vertieft, dass er den vorgesetzten Offizier erst bemerkte als es zu spät war.
„Fähnrich!“
Alex zuckte zusammen und sprang auf. Warum er immer wieder so gedrillt wurde verstand er nicht, schließlich war auch er Offizier und Wissenschafter noch dazu, ein Fachmann auf seinem Gebiet. Das einzige, das ihm zu einer höheren Laufbahn fehlte, war etwas, das er aufgrund seiner Geburt nie erlangen würde. Er war kein Telepath und stammte aus dem falschen Kontinent.
Er nahm Haltung an, stand als ob er einen Stock verschluckt hätte und hielt die Hand korrekt an die Stirn. Thomson ließ ihn nicht rühren, während er auf ihn einbrüllte: „Wenn der Bericht fertig ist, melden Sie sich bei mir! Jetzt ist Schluss mit Ihren Eigenmächtigkeiten!“
Thomson strahlte negative Energien ab, die sich als dunkle Wolke um ihn zeigte. Sogar Smirnov bemerkte das und es machte ihm Angst.
„Rühren und an die Arbeit!“
Vor lauter Angst konnte er sich kaum noch konzentrieren, dann siegte die eigene Wut. Der Zorn auf die Ungerechtigkeit in dieser Welt. Er wünschte sich weit, weit weg in die weiten der sibirischen Steppe – nachhause.
Er schluckte ein paar Mal heftig, sammelte sich und drückte dann den Sensor wieder an die Schläfe. Der Bericht war fast fertig.
‚Wenn wir etwas länger Zeit gehabt hätten, hätten wir unter Umständen eine der ersten menschlichen Ansiedlungen vorfinden können. Vielleicht gibt es noch eine Gelegenheit, damit ich sie studieren kann, oder besser noch die Siedlungen auf dem südlichen Kontinent. Die Menschen dort schienen mir den Sensoraufzeichnungen nach, weiter entwickelt zu sein. Aber das lässt sich so einfach nicht feststellen, dazu müsste ich nochmals in der Zeit reisen und sie eingehender studieren, ihr Sozialverhalten, die Verwendung von Werkzeugen und die Umweltbedingungen spielen bei diesen Studien eine große Rolle.’ Alex erging sich in Details. Er wusste, dass er die Begegnung mit Thomson hinauszögerte. Als ihm nichts Nennenswertes mehr einfiel, raffte er sich auf unterdrückte die Angst. Zumindest versuchte er es. Er hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was ihn nun erwartete.

Nicht aus den richtigen Kreisen zu stammen war seit vielen Jahrhunderten ein Problem für ganze Bevölkerungsschichten. Alex fand es noch immer sonderbar, dass die Menschheit sich so weit entwickelt hatte, aber die Ressentiments anderen gegenüber nicht aufgegeben hatte. Noch immer war in den Köpfen der Menschen die Angst vor dem Fremden fest verankert, was einerseits zu einer technischen Weiterentwicklung gerade im militärischen Bereich geführt hatte, andererseits aber die sozialen Bedürfnisse und Bindungen unter den Menschen sehr stark behinderte. Es gab Rassentrennung – er hatte es am eigenen Leib erfahren, immer wieder. Aber noch hielt sein Glaube an das Gute im Menschen. Krampfhaft hielt er daran fest. Es war der Glaube seiner Ahnen. Alex entstammte dem Volk der Samek, die sich im Laufe der Zeit immer mehr nach Osten zurückzogen und nun nur mehr aus ein paar hundert, vielleicht tausend Leuten bestand. Bald würde es auch dieses Volk nicht mehr geben. Sie würden ebenso wie die anderen Völker vom Einheitsglauben der vorherrschenden Rasse assimiliert werden.
„Ja, assimiliert. Das ist das richtige Wort dafür“, murmelte er. „Ich lasse mich nicht assimilieren. In der Vielfalt liegt die Kraft der Menschheit, wenn das doch nur endlich jemand kapieren würde.“
„Komm rein, du Schlaumeier“, hörte er Thomson noch bevor der den Türsummer berührt hatte. Er straffte seine kleine Gestalt, trat festen Schritts in das Büro seines Vorgesetzten und salutierte artig. Wieder ließ Thomson ihn so stehen, schien ihn zu ignorieren.
„So, du willst dich also nicht in die Gemeinschaft einfügen? Was machst du dann noch hier, du verdammte Sumpfratte?“
Alex schluckte, bewegte sich ansonsten nicht. Er ließ auch keine Gedanken zu, starrte nur auf einen Punkt an der Wand.
„Ich habe dich was gefragt! Und nimm verdammt noch mal die Hand runter!“
Alex gehorchte. „Leutnant, Sir, ich habe gedacht …“
„Du sollst nicht denken, Sumpfratte, sondern Befehle ausführen, dazu bist du hier! Wenn du glaubst, hier dein eigenes Ding durchziehen zu müssen, dann bist du fehl am Platz und kannst mit den Konsequenzen leben! Dein Militärdienst dauert das ganze Leben, also hoffe nur nicht darauf, dass du wieder auf die Erde kommst!“
„Sir …“, begann Alex wieder, unterbrach sich aber, als er die Sinnlosigkeit seiner Argumente sah. Die Leute hier waren von einem anderen Schlag. Er hatte das schon während der Ausbildung bemerkt. Das Militär hatte die Macht. Sie hatten ihn einfach aus seiner Sippe gerissen. Nur weil er Urgeschichte studiert hatte, hatten sie ihn geholt und jetzt war er hier gefangen und musste sich mit den verdammten Maschinen, den Gedankengeneratoren und den Zeitreisen herumschlagen. Diese Reisen machten ihn fertig.
„Melde dich beim Recyclingdienst. Du wirst die nächsten Jahre damit zubringen, in der Aufbereitungsanlage zu arbeiten, bis du gehorsam lernst.“
„Ey, Sir!“
„Du kannst gehen.“
Alex grüßte, drehte sich um und ging stocksteif mit unterdrückter Wut hinaus. Auf dem Gang ließ er seinem Zorn freien Lauf. Er wusste, dass alle Telepathen diese Gedanken hören konnten, zu heftig waren sie. Nur mühsam gelang es ihm, die Wut zu unterdrücken, die Ungerechtigkeit zu schlucken. Sein Weltbild begann immer mehr zu wanken.
Das waren nicht die fortschrittlichen Menschen, die ihm bei der Ausbildung vorgelobt worden waren. Es hieß immer, die Leute von Eumeria, dem Hauptkontinent, seien so gebildet, fortschrittlich und weiterentwickelt als die Menschen von anderen Gebieten, dabei waren sie nichts anderes als eingebildete Egoisten.

Trostlos fühlte sich Alex, als er in den Eingeweiden der Raumstation ankam. Noch nie war er hier gewesen. Es stank. Er war den Geruch von Ausscheidungen gewöhnt, aber zuhause, in der Tundra war der Geruch anders, erdiger, natürlicher, weniger faulig.
„Ah, du bist mir angekündigt worden“, dröhnte ein großer Mann in grüner Uniform.
‚Warum sind plötzlich alle per du mit mir?’, fragte sich Alex. Er fühlte sich sonderbar, so als hätte man ihn abgeschrieben. ‚Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan’, fiel ihm ein altes Sprichwort ein. Das ließ ihn schaudern und nichts Gutes für die Zukunft erahnen.
„Salutier gefälligst, auch hier gilt das Gesetz des Militärs!“, herrschte der Mann ihn an.
Erschrocken fuhr Alex’ Hand in die Höhe und er stand wieder stramm.
„So erwarte ich mir das und zwar jedes Mal, wenn ich an dir vorbei gehe, verstanden, ansonsten bekommst du den Stock zu spüren!“
Alex erstarrte innerlich. Davon hatte er einmal erzählen hören, es aber für dumme Geschichten oder Einbildung gehalten. Während der Ausbildung hatten die älteren Kadetten von drakonischen Strafen berichtet. Jede Befehlsverweigerung, dazu zählte auch Unpünktlichkeit, wurde hart bestraft. Er hatte es wirklich für dummes Geschwätz gehalten, um den Jüngeren Angst zu machen, sie auf Spur zu bringen. Nun wusste er, dass es stimmte. Sein Glaube an das Gute im Menschen erlosch immer mehr.

Gehorsam begab er sich zur Sortieranlage und leistete seinen Dienst ab. Es war schwierig, sich einerseits auf die Aufgabe zu konzentrieren und andererseits den Leutnant nicht aus den Augen zu verlieren. Immer wieder ging er an ihm vorbei, wobei es Alex in die Höhe riss und er stramm stand. Gegen Ende seiner Schicht wurde er unaufmerksamer. Er übersah den Vorgesetzten und sofort landete der Stock auf seinem Rücken. Mit einem Schmerzenslaut richtete er sich sofort auf und stand stramm, was aber nichts mehr nutzte. Der Stock sauste nochmals auf ihn nieder. Insgesamt zehnmal. Alex versuchte dabei gerade stehen zu bleiben und die Hand an der Stirn zu lassen. Fest biss er die Zähne aufeinander. Er war ein Samek, darauf war er stolz. Das redete er sich in diesen Minuten ein.
„Geh jetzt zum Quartiermeister, du wirst in Zukunft in den unteren Bereichen leben. Und wenn du wieder unaufmerksam bist, gibt’s die doppelte Anzahl, verstanden?“
„Ey, Sir!“, schrie er, wie auf dem Kasernenhof, nachdem ihm der Ausbilder zum hundertsten Mal in den Dreck springen ließ und ihn danach wegen der schmutzigen Kleidung anbrüllte.

Das neue Quartier war ein Gemeinschaftsraum. Er teilte ihn mit acht anderen Soldaten.
Seine persönliche Habe war schon hergeschafft worden. Es war nicht viel, außer ein paar Bücher, ja er hatte noch welche, und Papier und Stifte, hatte er nicht viel.
„Willkommen im Dreckloch, Sumpfratte“, begrüßte man ihn herzlich. „Ich bin Derek, das da sind Suzie, Erich, Ismail, Franklin, Tessa, Dominic und Gottfried.“ Alle hoben kurz die Hand zum Gruß nachdem ihr Name genannt wurde.
„Ich bin Alex“, stellte er sich vor.
„Bist wohl auch auf der falschen Seite des Zauns zur Welt gekommen“, stellte Derek düster fest.
„Siehst so aus“, antwortete er und räumte seine Habseligkeiten in einen schmalen Spind.
„Du stinkst uns hier die Bude voll, Alex, geh dich waschen“, maulte Suzie und zog die Nase kraus.
„Wenn du mir sagst, wo ich das kann, mach ich es gerne. Oder denkst du, dass es mir Spaß macht zu stinken wie ein Iltis in der Brunft?“
Das brachte alle zum Lachen.
„Du bist schon in Ordnung, Alter. Suzie, wenn es dich so stört, dann zeig ihm hier alles“, meinte Derek heiter.

Alex lebte sich relativ rasch in diese Gruppe ein. Sie schienen alle auf dem Abstellgleis gelandet zu sein. Hier war der Bodensatz der Hierarchie. Sie dümpelten am Rand der Gesellschaft dahin. Der Wissenschafter in ihm machte sich eifrig Notizen und verglich die Gegenwart mit der Vergangenheit, in die er sooft reisen hatte müssen. Jetzt waren die Studien offensichtlich abgeschlossen und er wurde nicht mehr gebraucht. Altertumsforscher waren entbehrlich, wenn sie nicht zum richtigen Ergebnis gekommen waren. Er hatte offensichtlich nicht die richtigen Worte gefunden, um die Tatsachen zu verschleiern.

Abends las er in seinen Büchern, die er bald auswendig kannte und er langweilte sich. Die Arbeit im Abfall ermüdete ihn und brachte ihn an den Rand des Zusammenbruchs. Der Leutnant dort schindete ihn täglich. Er nutzte jede Möglichkeit um ihn zu schikanieren und zu drangsalieren. Unter den Arbeitern gab es in diesem Bereich keinerlei Zusammenhalt. Der Offizier und er waren die einzigen Militärs dort, die restlichen Arbeiter waren zwangsverpflichtete Zivilisten, verurteilte Verbrecher, die hier ihre Strafe abbüßten und dann wieder zur Erde zurückkehrten.

Alex wusste, dass er hierbleiben musste, ebenso Leutnant Griffin, auch er wusste, dass hier seine Endstation war. Das ließ er die Arbeiter umso mehr spüren, je länger sie hier waren.

Eines Tages platzte Alex der Kragen. Er war ein geduldiger Mensch, sonst wäre er schon viel früher explodiert. Wieder einmal hatte er Griffin übersehen, als er an ihm vorbeiging und der Stock war unbarmherzig auf seinen Armen gelandet. Da schrie er seine Wut einfach so heraus. „Du verdammter Dreckskerl du, du Müllschlucker, was bildest du dir eigentlich ein!“, schrie er und ließ sich auf ein Handgemenge mit dem viel größeren Offizier ein. Natürlich verlor er den Kampf und er erwachte mit schmerzenden Knochen und einem blauen Augen im Arrestbereich.

Die Strafe war drakonisch und sie zerstörte sein gesamtes Weltbild, die Unschuld des Glaubens, seines Glaubens an das Gute, das in jedem Menschen schlummert.

„Weil du so ein guter Altertumsforscher bist, darfst du jetzt deine Strafe in der Vergangenheit absitzen“, verkündete der Kapitän.
„Ma’m?“ Alex war verwirrt.
„Du wirst in die zuletzt gespeicherte Zeit transferiert und dort bleiben. Was glaubst du eigentlich, mit wem du es hier zu tun hast? Du gehörst einer untergeordneten Rasse an und so solltest du dich auch benehmen, oder haben sie dir das nicht beigebracht? Auf Leute wie dich können wir verzichten. Vielleicht sollte ich dir zum Abschluss noch sagen, dass die Samek nicht mehr lange existieren werden. Wir haben sie mittels Geburtenkontrolle ausgerottet, oder zumindest wird es keine Jungen mehr geben. Also, freu dich, du gehörst einer aussterbenden Rasse an.“
Das war zuviel für ihn. Diese Arroganz der Eumerier! Diese Selbstzufriedenheit! Mit einem lauten Schrei stürzte er sich auf den Kapitän und wollte sie erwürgen. Alle anerzogenen Hemmungen waren von ihm gefallen und er schlug nach allen, die um ihn standen und ihn zu fassen kriegen wollten. Mit der Wut der Verzweiflung drosch er auf den Kapitän ein, was dieser aber nur ein Lachen entlockte. Sie lachte ihn aus in seiner Wut, obwohl sie einige heftige Schläge einstecken musste.


„Warum?“, frage ich die sternklare Nacht, „warum hat die Menschheit aus der Geschichte nichts gelernt?“

(c) Herta 1/2010
Herbst 2018
***to Mann
4.270 Beiträge
Wow. Starke Nummer.
Das muss man mehrmals lesen, um sich alles zu erschliessen.

Vielen Dank dafür.

Heinrich
ähh
ich glaub ich bin doch zu doof...wer hat wo die Unschculd verloren und warum hat sie/ihn/es steinhart gemacht?
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
@ heinrich
danke. *g*


@ Sur_real: dann musst du nochmals lesen. *zwinker*
Die Geschichte handelt über Geschichte, manipulierte Geschichte - und die verlorene Unschuld des Glaubens an das Gute im Menschen, zerrieben im Rassismus, der sich im Laufe der Zeit nur in seiner Ausprägung geändert hat, aber nicht verloren ging.


Liebe Grüße
Herta
Her(t)zchen
Du Geniale, wie wäre es, wenn Alex in seiner neuen alten Zeit so ein ganz kleines Bisschen den Lauf der Geschichte.........

chanceseholaf
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
*rotwerd*

Ich hege aber die Befürchtung, dass sich ein Rudel Hyänen oder ein Höhlenlöwe des armen Mannes annehmen werden ...

und die Geschichte nimmt ihren Lauf ...


*nixweiss*Herta
Herbst 2018
***to Mann
4.270 Beiträge
Warum darf er nicht kämpfen?
Er ist doch Wissenschaftler?

Findet unsere Ahnen und macht einen auf Führer?
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Er wäre
kein guter Anführer. Zu dieser Zeit musste ein Führer/Führerin wissen, wo es Wasser zu finden gab, welche Wanderzyklen die Herdentiere hatten, wo sie zu finden waren und auch wo welche eßbaren Pflanzen wuchsen.

Da ist ein Mensche aus der Zukunft, und stammt er auch aus einem naturverbundenen Volk, einfach ungeeignet. Sie würden ihn nicht annehmen.

Außerdem hätten die Urmenschen wohl Angst vor ihm gehabt - fremdes Aussehen, fremde Kleidung, fremde Sprache - und wären vor ihm geflohen, wenn sie ihn nicht erschlagen und verspeist hätten.


*guru* Herta
Außerdem hätten die Urmenschen wohl Angst vor ihm gehabt - fremdes Aussehen, fremde Kleidung, fremde Sprache - und wären vor ihm geflohen, wenn sie ihn nicht erschlagen und verspeist hätten.

...Weil die Menschheit nie begreifen konnte und auch nie begreifen wird, dass nicht Jeder gleich sein kann. Lebewesen sind nunmal kein Produkt aus der Massenfertigung - und das ist gut so!

Das Leben wäre totlangweilig.
Was deine Geschichte nicht im Geringsten ist!
Die ist einfach nur Spitze!
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Lebewesen sind nunmal kein Produkt aus der Massenfertigung - und das ist gut so!

*top*

obwohl ich dazu sagen muss, dass die Angst der Urmenschen vor dem Unbekannten wohl begründet gewesen ist, sind sie doch ständig vom Tod bedroht gewesen.


Danke *freu*
Herbst 2018
***to Mann
4.270 Beiträge
Aber was ist mit der Neugierde?
Gepaart mit Mut ist das doch Bestandteil der Entwicklung, die der Mensch nun mal genommen hat.
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Lieber Heinrich
Ich denke gerade über das Leben in der Steppe nach, wie er das meistern könnte. *zwinker*

Mann, ihr schafft da Ideen in meinem Kopf *lol*
das summt nur so. Jetzt muss ich mal schauen, dass ich das halbwegs glaubhaft und nachvollziehbar rausbringe. *zwinker*
Dann kann er vielleicht auch hier überleben - eine Zeitlang - aber nur vielleicht. *g*


Herzlichst
Herta
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Da fällt mir doch glatt der immer wieder zutreffende Spruch ein:

Andere sind anders. Aber - dürfen die das überhaupt?

Ich bin Dir, liebe Herta, immer wieder dankbar für Deine Geschichten!

(Der Antaghar)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Andere sind anders. Aber - dürfen die das überhaupt?


Warum denke ich gerade an die Borg? *gruebel* Aber das ist eine andere Geschichte.


Danke Antaghar *blume*


*sonne* Herta
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
@ Olove und Heinrich
Lest mal weiter ... ich hab was versucht, wie findet ihr das?

************************


„Was bringt es, wenn man weiß, wie die Vergangenheit war, wenn sich die Gegenwart dadurch nicht verändern lässt? Ich weiß, dass ich in der Würmeiszeit gelandet bin, doch was nutzt mir das?“

Tagelang war er gewandert, immer mit der Angst vor wilden Tieren. Wenn er vor der Dämmerung eine Baumgruppe erreichen konnte, war er heilfroh, weil er dann Schutz in den Baumkronen suchen konnte. Er war ein leichtes Fressen für die Hyänen, ständig schlichen sie ihm nach. Sie schienen zu merken, dass er dem Ende nahe war.

Diese ständige Angst hätte ihn beinahe eine wichtige Lektion aus seinen Kindertagen vergessen lassen, als er mit Urgroßvater tagelang in der Tundra gewandert war. Er hatte nur diese eine Tour mit ihm gemacht und dabei viel gelernt. Nie hatte er gedacht, dieses Wissen einmal zu brauchen.

Nun erinnerte er sich daran. Er entledigte sich seiner Kleider und rollte sich splitterfasernackt in einem Mammutdunghaufen. Der Geruch war wirklich atemberaubend. Aber das war ihm gleichgültig. Er hielt die Hyänen auf Abstand.
Alex hatte keinerlei Waffen. Einzig sein Verstand konnte ihn hier am Leben halten und das Wissen seines Urgroßvaters.

Ihn fror und er hoffte, dass er bald eine menschliche Ansiedlung finden würde. Ständig hielt er nach Rauchsäulen Ausschau. Er war so müde, durstig und ausgehungert, dass er einfach auf den Höhleneingang zu marschierte und zusammenbrach, einen Arm in einer flehenden Geste ausgestreckt.

Die Menschen starrten den Fremden erstaunt an. Ein Raunen erhob sich, ob sie ihm helfen sollten oder nicht, ob es nicht besser wäre, ihn den Aasfressern zu überlassen. Und am wichtigsten war die Frage: warum sah er so anders aus und warum hatte er keine schützende Kleidung an? Es war kalt.

Die Mutter trat nun aus der Höhle, scheuchte die Gaffer weg und betrachtete Alex von allen Seiten. Mit einem Stock hob sie seine Gliedmaßen und ließ sie wieder runterplumpsen. Er gab nur ein leises Stöhnen von sich, sonst nichts. Also war noch Leben in ihm. Er sah aus wie ein Mensch, aber doch nicht ganz. Ein Affe konnte es aber auch nicht sein, denn diese hatten am ganzen Körper Haare.

Die Mutter ließ sich auf die Knie nieder und schnüffelte an dem Fremden, dann zog sie ihn an den Haaren, die ebenfalls voller Mammutdung waren. Das bewies ihr, dass er Verstand hatte und sich zumindest halbwegs schützen konnte. Aber dass er so gar keine Waffen besaß, fand sie schon absonderlich. ‚Vielleicht ist er ein Suchender’, überlegte sie.

Sie setzte sich auf die Fersen und begann zu singen. Es war ein monotoner Singsang, den sie abrupt abbrach. Dann schickte sie eine Frau hinein, um Wasser zu holen. Die Mutter benetzte damit die Lippen des Fremden. Alex regte sich und fuhr gierig mit der Zunge darüber. Das wiederholte die Frau solange bis er die Augen aufschlug.
Sie fuhr zurück – die Augen waren blau wie der Himmel über ihr!

„Danke“, flüsterte er und die ganze Sippe flüchtete in die Höhle.
Herbst 2018
***to Mann
4.270 Beiträge
Na, geht doch.
Den Gedanken mit den Baumkronen hatte ich auch.
Das mit dem Mammutdung ist einfach genial.

Wo kommst du her?
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Danke
*freu*

Die Urgeschichte ist ein lang vergessenes Steckenpferd von mir *smile*

Ich bin flüsterflüster in Niederösterreich daheim - nicht weitersagen.
Herbst 2018
***to Mann
4.270 Beiträge
Ahhhh.
Und ihr habt da Mammuts... und Hyänen, und wißt daher was ihr tun müsst... *zwinker*
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
*haumichwech* der ist guuuuut.

Ich sag mal, ich bin ein schlaues Köfpchen *fiesgrins* und mach mir so meine Gedanken - wovor könnte eine Hyäne Respekt haben? Was war das größte Lebenwesen der damaligen Zeit? Na, das Mammut! Da überlegt sich auch ein Rudel Hyänen zweimal ob es auf Angriff geht *g*
Herbst 2018
***to Mann
4.270 Beiträge
Wenn ich mich vor Hyänen schützen muss,
dann mach ich das so: *wc*
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Ich versuche erst gar nicht in so eine Situation zu kommen, noch dazu, wo es keine Mammuts mehr gibt *zwinker*

Jetzt vertiefe ich aber die Begegnung der Kulturen noch etwas *smile*
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Alex drehte sich auf die Seite und griff nach der Wasserschale. Gierig trank er das restliche Wasser aus. Dann versuchte er sich aufzurichten aber es gelang ihm nicht. Er war zu sehr geschwächt und fiel wieder um.

Die Mutter kam zu dem Entschluss, dass das Wesen da nicht gefährlich sein konnte. Sie verließ sich dabei auf ihre Intuition – damit hatte sie die Sippe bislang gut geführt. Jetzt beriet sie sich aber mit ihrem Partner.
„Grah“, sagte sie. „Mein Gefühl sagt mir, dass wir dem da helfen sollen. Ich denke, es wäre gut.“
Grah brummte in seinen Bart. Er musste nachdenken. Es war eine schwere Entscheidung, bislang hatte er nur überlegen müssen, welche Herde sie verfolgen sollen und welches Tier am leichtesten zu erlegen ist. Das waren leichte Fragen. Aber was seine Gefährtin jetzt von ihm verlangte, war schon etwas viel verlangt von einem Jäger.

„Mae, ich weiß es nicht. Ich vertraue auf dein Urteil als Mutter der Sippe“, sagte er schließlich zögernd. „Sollte er sich als gefährlich erweisen, stirbt er.“
„So sei es, Grah. Hat die Sippe das vernommen! Habt ihr es alle verstanden? Die Mutter hat gesprochen – wir helfen dem Fremden.“

Alex lag halb benommen auf dem Rücken und hörte die Höhlenmenschen reden. Es war eine sonderbare Lautsprache und er fühlte sich ausgeschlossen. Er nahm an, dass sie über ihn redeten, ein Urteil fällten. Es gab nichts, das er tun konnte, also schloss er die Augen und hoffte, dass sie ihn nicht zerstückelten und aufaßen.

Als sich ein Schatten über ihn warf, öffnete er erschrocken die Augen und sog scharf die Luft ein. „Tut mir nichts“, flüsterte er, obwohl er wusste, dass ihn diese Menschen ebenso wenig verstanden, wie er sie.

Die Frau redete ihn an, deutete auf ihn und dann wieder auf die Höhle. Alex nahm an, dass sie ihn in die Behausung einlud. Er versuchte sich hochzustemmen und kam auch auf die Knie, dann griff er nach der Frau, weil er Halt suchte. Sofort umringten ihn die Männer und richteten Speere auf ihn. Alex hielt inne. Er wollte niemanden bedrohen – er fühlte sich keineswegs als Bedrohung, war er doch immer nur der Bodensatz der Gesellschaft gewesen. So jemand bedroht niemanden. Die Frau sagte etwas und die Speerspitzen wurden gesenkt. Alex atmete erleichtert auf. Verängstigt klammerte er sich an die Frau und zog sich in die Höhe. Sie half ihm, sich auf die Beine zu stellen, dabei viel ihr auf, dass er ebenso aufrecht gehen konnte wie sie selbst. Ein zufriedenes Brummen entfuhr ihr. Alex blickte sie an und lächelte dankbar. Sie brachte ihn in die Höhle ans Feuer. Er hatte nicht gemerkt, wie kalt es war, bis er sich aufwärmen konnte. Die Mutter drapierte noch einige Felle um ihn und jagte dann alle anderen weg.

Alex war froh, dass er nicht mehr so angestarrt wurde. Ergeben senkte er den Blick und betrachtete seine nackten Füße. „Mann, ich stinke wie ein Skunk und sehe wahrscheinlich zum Fürchten aus, aber was bin ich froh, diese Leute gefunden zu haben“, dachte er und übergab sich dem Schlaf.

Mit einem Ruck erwachte er. Im ersten Moment wusste er nicht wo er war. Dann erinnerte er sich wieder an die Höhle und die Frau. Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und setzte sich auf. Die Frau saß ihm gegenüber und beobachtete jede seiner Bewegungen. In einer demütigen Geste senkte er wieder den Blick und streckte die Hände nach vor um zu zeigen, dass er keine Waffen hatte. Als nichts geschah, hob er vorsichtig den Blick. Die Frau saß noch in der gleichen abwartenden Haltung da.
‚Ob sie mich bemerkt hat?’, fragte er sich. ‚Ich werde wohl nur dann nicht übersehen, wenn ich etwas falsch mache. Hier werde ich wieder in jedes erdenkliche Fettnäpfchen treten’, dachte er resigniert. Er räusperte sich vernehmlich und blickte die Frau von unten an. Sie schien hier das Sagen zu haben. ‚So eine Art Clanmutter’, dachte er. Als er ihre Aufmerksamkeit hatte, deutete er auf sich und sagte: „Alex.“ Dann streckte er die Hand nach ihr aus und hob fragend eine Augenbraue.
Die Frau verstand, denn sie antwortete prompt. „Mae.“ Alex verstand nicht viel mehr als „Mmma“. Er versuchte ihren Lauten zu folgen und wiederholte den Namen. Mae lachte. Er versuchte es noch einmal. „Maä“, sagte er schließlich. Sie nickte großzügig. Aber sein Name machte auch ihr Probleme. Sie sprach in als „Aks“ an. Alex nickte eifrig, war er doch froh, dass sie ihn jetzt wenigstens mit einem Namen anreden konnte.

Am nächsten Tag bekam er in der Behausung den kleinen Bereich am Eingang der Höhle zugewiesen. Es war dort zwar sehr zugig, aber Alex war froh, einen trockenen Platz gefunden zu haben.

Nach und nach kam ihm seine Fremdheit zu Bewusstsein. Nichts, das er in seinem bisherigen Leben gelernt hatte, war hier von Nutzen. Er war völlig hilflos. Wenn ihm nicht diese Menschen hier geholfen hätten, wäre er schon tot.
Das wurde ihm so richtig klar, als er es nicht schaffte, ein Feuer zu entfachen. Selbst die kleinen Kinder lachten ihn aus. Tapfer versuchte er über seine Unkenntnisse zu lachen, aber irgendwann war es einfach zuviel und er kam nicht mehr unter den Fellen, die Mae ihm geschenkt hatte, hervor.
Er konnte nichts, nicht einmal seine Sprache war hier etwas wert, keiner verstand ihn – er war ganz alleine. Gestrandet in einer fernen Zeit an einem Ort, an dem er nicht sein wollte. „Mutter!“, rief er immer wieder, Tränen liefen ihm über die Wangen. „Mutter! Mutter! Lasst mich nachhause gehen."


Was ist der Mensch wert? Nichts als die Summe seiner Fähigkeiten. Ich stehe am Rand des Abgrunds und überlege, ob ich nicht endgültig abrechne.
Herbst 2018
***to Mann
4.270 Beiträge
Echt stark.
So gefällt mir das: Vom Überleben zum Leben...

Woher kenn ich das nur...
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
O Heinrich!
Der arme Mensch ist gerade mitten im Kulturschock und weiß noch nicht, ob er so leben will und vor allen Dingen, ob er so leben kann.

Was hast du mir angetan *panik*

Aber ihr seid nun arm dran, weil ihr meinen Schreibfluss jetzt fast ungefiltert zu lesen bekommt.


Grüße aus dem Pleistozän *frier*
Herta (zum Glück ist da gerade eine interglaziale Phase *zwinker*)
Herbst 2018
***to Mann
4.270 Beiträge
Natürlich will der!
Auf gehts...
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