Delirium
DeliriumIch lag im Fieber. Schwitzend warf ich mich im Bett herum und fragte mich, wann das denn endlich aufhören würde. Wirre Träume quälten mich und rissen mich in eine Hölle, die ich nicht sehen wollte.
Ich träumte:
Teuflische Fratzen bewegten sich auf mich zu, grinsten mich an. Mit ihren Klauen packten sie mich und zogen mich fort in die Hölle, die tiefste Höhle einer Seele. Welche war es?
‚Nicht meine! Bitte, nicht meine!’, dachte ich ängstlich.
Am tiefsten Abgrund angekommen trat der größte und hässlichste Teufel zu mir und verbeugte sich tief. „Willkommen in deinem Reich“, sagte er und aus seinem Mund trat Schwefelgestank und sein Atem war als gelbe Wolke zu erkennen. Voll Furcht war ich und ich hoffte bald aus dem Traum zu erwachen. Doch der Teufel lachte. Er schien meine Gedanken gelesen zu haben. „Hier kannst du nicht weg. Es ist kein Traum. Das hier bist du, du kleiner Mensch. Komm mit und ich zeige dir alles, was du hier geschaffen hast.“
Er wartete keine Antwort ab, sondern packte mich mit seiner Klaue und zog mich weiter.
Es stank bestialisch nach Schwefel, Methan und am meisten nach Angst.
„Du wirst dich daran gewöhnen, schließlich ist der Geruch von dir geschaffen worden“, meinte der Teufel heiter. Er schien das Schauspiel zu genießen. Die hässliche Gestalt humpelte mit seinem Klumpfuß vor mir her und blickte immer wieder mit seinem einen feurigen Auge auf mich.
„Komm, komm. Immer weiter geht’s.“
Es wurde kalt, immer kälter. Ich dachte, dass es in der Hölle furchtbar heiß ist, dass man dort verbrennt. Aber das stimmt nicht, in der Hölle erfriert man.
Dann standen wir vor einem weiteren Abgrund. Er war tiefer als das tiefste Tief. Dort ließ er mich stehen und verschwand in einer Wolke aus Häme.
Ich starrte hinunter und versuchte einen Grund zu erkennen. Aber da war nichts als Schwärze und herauf krochen, sich an bleichen Knochenfingern ziehend weitere Gestalten.
Schreiend stand ich da und konnte keinen Schritt zurück. Meine Füße waren, das erkannte ich jetzt, mit dem Felsen und Eis verwachsen.
Dann stand das erste Wesen da. Es verbeugte sich vor mir und so ging es weiter, bis ich von den knochigen, bleichen Dingern umringt war und keinen Platz zum Atmen hatte.
Da erkannte ich den Abgrund als mein Selbst. Alle Teile, dich ich fest hinter der starken Mauer meinte, die ich hochgezogen hatte, um sie nicht zu sehen. Dennoch waren sie da, immer.
Es waren mein unbändiger Zorn, dem ich nie Lauf ließ. Er freute sich, dass ich ihn erkannte und drosch mit den Fäusten in die Luft. Dann war noch Hass, er mochte mich nicht, weil ich ihn mit Liebe tarnte, deshalb zwickte er mich dauernd und hauchte mir seinen nach Moder riechenden Atem ins Gesicht, dass mir schwindlig wurde.
Ich erkannte auch Ignoranz. Sie stand da, lächelte und drehte sich um. „So ist es, wenn man wegschaut, Mensch. Dann stehst du alleine da“, klapperte sie mit ihrem lockeren Gebiss.
Etwas weiter hinten in der Reihe drängten sich Egoismus, Gier und Neid. Alle drei hatten einen leichten Gelbschimmer und winkten unablässig. „So ist es gut, Mensch. Mach was aus dir! Was mit den anderen ist, ist doch gleichgültig.“
Ganz in der letzten Reihe, verdeckt von Hader und Streitlust standen weitere Gestalten. Sie waren klein und ich konnte sie nur deshalb sehen, weil die anderen sie mit ihrem Gedrängel wohl unabsichtlich vorgeschoben hatten.
„Wir sind Schmerz, Schuld, Scham und Angst. Uns hast du am längsten verborgen gehalten. Nun kommen wir und nehmen was uns zusteht.“
Mit einem lauten Gebrüll stürmten sie auf mich los, rissen mich vom Felsen und zogen mich in den Abgrund. Im Fallen hörte ich den Teufel noch rufen:
„Viel Spaß und gute Reise!“
Schweißgebadet und schwer atmend erwachte ich. Hatte ich mich etwa selbst erkannt, alle meine Fehler, unterdrückten Gefühle?
‚Nein, nein, das war nur ein Fiebertraum, ein elender Traum’, versicherte ich mir selbst.
Dann lief ich auf die Toilette und übergab mich. Ich kotzte Gift und Galle.
Als ich wieder im Bett lag, begann ich damit die Mauer zu erneuern, sie höher aufzurichten und stabiler zu machen.
Denn es war nur ein Traum – nur ein Traum.
(c) Herta 1/2010