Narzissen
„Schnaps-positiv“, sagte Schinderella, als sie ihren Herrn mit seinem großen Herzen betrachtete, der da vor ihr stand und sich ihr bar offenlegte, damit sie ihn doch bitte liebhaben möge, so wie er nun einmal sei. „Prost“, rülpste sie daraufhin, drehte sich im Spiegel vor ihm um die eigene Achse, zog den Kopf dabei ein und die Schultern nach oben und machte eine Miene zum Spiel.
„Denn du hast dich selbst nicht lieb“, fuhr sie fort.
Im Kinosaal sieben raunten die Besucher. Manche von ihnen begehrten auch protestierend auf und warfen ihre Popcornbecher nach der großen Leinwand, so dass die Projektion darauf erzitterte und ins Wanken geriet.
Noch bevor jemand „Au weia“ ausrufen konnte, trat der uniformierte Wachmann mit ‘nem Bauchladen voller Eissorten in den Saal und läutete die Pause ein.
„Schnaps ist aus“, murmelte schließlich der Herr wenig später noch etwas ruppig, als er sich auf der Leinwand wieder zu regen begann und dazu überging, den Wandspiegel über seiner Frisierkommode zu verhüllen.
„Was wird das?“, fragte Schinderella, als sie hinter seinem Hang, vor dem Spiegel zu stehen, hervorlugte und beherzt ins Schlafzimmer ihres Herrn sprang.
Für den Betrachter im Kinosaal sieben war sie weder groß noch klein. Weder dick noch dünn. Weder hell noch dunkel oder gar grau. Weder Person noch Tier. Weder ein ich noch ein es oder sonst irgendeine Manifestation des Da-Seins. Erst ihr Herr brachte sie in ihre Existenz und machte sie zu dem, was sie nun einmal gewesen ist.
„Komm, lass uns zur Musik deiner Nachbarn tanzen und lass uns bis zum Umfallen fröbeln. Damit unsere Welt lebendiger wird. Lass uns die Bäume mit Sternschnuppen behängen, auf dass sie uns leuchten mögen in den finsteren Tagen“, forderte Schinderella ihn auf und strich ihm dabei über seine blank polierte Glatze.
Er hingegen murrte ein wenig, ließ sich allerdings dennoch erweichen.
So hatten sie am Ende ihrer Vorstellung eine seiner Schnarrtannen über und über mit Schnuppen behängt, so dass dieser Baum in ihren dunklen Stunden anderen Leuten Freude bereiten konnte, wenn sie denn an ihm vorüber gingen.
Und schon war Herr Schinderella zufrieden mit sich und der Welt. Er stibitzte sich einen Strauß Narzissen aus dem Garten der Nachbarn und schenkte ihn schließlich seiner Schinderella.
Dann wünschte er allen einen „Guten Tag oder eine gute Nacht und ein auf Wiedersehen!“
© CRSK, Le, 01/2022