Nichtraucher Gesetz
Ich liebe das neue Nichtraucher Gesetz. Was ist das für ein eigenartiger Gedanke beim lesen geschäftlicher E-Mails? Wie vielschichtig doch unser Denken ist. Besonders wenn unsere grundlegenden Sinne angesprochen werden. Oh, nicht mit Worten. Hier geht es um die tieferen, subtileren Dinge und ich weiß jetzt wieso ich das denke. Mir wird bewusst, dass ich das charakteristische klack, klack, klack hoher Absätzen bereits vor einigen Sekunden wahrgenommen habe. Ein Geräusch das mich im Normalfall in seinen Bann zieht und meinen Blick, wie selbst gesteuert, in die Richtung dieses Stakattos zwingt. Abgelenkt von meinem Laptop, mit der Geräuschkulisse einer Hotelhalle im Hintergrund und Gedanken bei der Arbeit hat mich das Verlangen dieses Mal verschont. Doch nur für Sekunden. Es hat gelauert, bereit sofort wieder zu erwachen.
Und das ist es! Das Raubtier hat gewittert! Ich liebe das neue Nichtraucher Gesetz. Der Gedanke, der mir gerade noch so eigenartig vor kam ist der Applaus meines Geistes für die Aufnahme der Witterung. Meine Ohren selektieren das Geräusch einer sich setzenden Person aus dem Hintergrund des Alltags. Die charakteristischen Knarzlaute des Ledersessels neben mir. Doch viel mächtiger steigt mir dieser Duft in die Nase. Dieser Duft, der mich an das Nichtraucher Gesetz denken lässt. Ein Gedanke, der jetzt, da er präsent ist auch schon wieder im Selektionsprozess der Prioritäten verblasst. Dieser Duft! Aaah, er ist so subtil und so viel versprechend. So zart und doch so klar. Blumig? Nicht wirklich. Doch. Vielleicht das Shampoo? Holzig, voll, warm – oh, ich denke an Haut. Es ist so eindeutig diese Mischung aus dem perfekten Parfum und Haut. Die Haut einer Frau. Was für eine Frau! Ihre Haut, ihre Wärme, ihr Schweiß machen aus dem Duft ein so sinnliches Erlebnis, dass ich die Augen schließen muss. Ich darf von diesem Erlebnis kein Atom verpassen. Von der aufwallenden Fülle der bewegten Luft ist, nach dem Hinsetzen, nur noch ein zarter Duftstrom verblieben. Ich atme. Die Zeit verlangsamt sich. Ich erlebe. Körperlotion und irgendwo versteckt und gleichzeitig überall ihr Duft. Ihr Duft! Ich habe immer gedacht so etwas lässt sich nur erleben, wenn man sich näher kommt. Da ist der Gedanke wieder. Ich liebe das neue Nichtraucher Gesetz. Die Luft ist so viel klarer. Weg mit ihnen. Zum Müll der Gedanken des Alltags. Erleben. Auf einmal weiß ich auch etwas über meinen Testosteronspiegel. Erleben.
Adrenalin! Eine weiche Altstimme dringt in mein Schwelgen. Sie klingt als würde sie lächeln. Wie klingt Lächeln? Ich weiß es jetzt. Und mit diesem Wissen kommt auch der Inhalt ihrer Worte.
Worte, Bedeutung, verstehen. Warum ist das so schwierig? Es ist noch nicht einmal ein langer Satz. Eine Frage. „Wie arbeitet man an einem Laptop mit geschlossenen Augen?“ Noch mehr Adrenalin. Ich weiß jetzt das sie nicht nur neben mir sitzt. Ich weiß das sie mich ansieht!
Ich öffne die Augen und drehe den Kopf. Das ist ein Fehler. Ich hätte erst denken sollen. Mir eine eloquente Antwort und ein sympathisches Lächeln zurechtlegen sollen. Ausatmen sollen. So kommt, als die Luft stoßartig entweicht, nur ein etwas eigenartiger Laut über meine Lippen. Diese visuellen Eindrücke und das olfaktorische Erlebnis sind nicht dazu angetan meine Sprechfähigkeit zu beschleunigen. Ein Tier spricht nicht.
Ich sehe. Was? Unglaublich grüne Augen und einen lächelnden, kleinen Mund mit vollen Lippen. Dieses Universum ist so groß, hier muss es noch mehr geben. Dunkelbraune kurze Haare. Ohrstecker mit grünen Steinen. Rollkragenpullover. Weiter komme ich nicht. „Geht es ihnen gut?“ Einatmen. Durchatmen. „Sehr!“ Diese Antwort kann ich sogar hören. Sie scheint meinen Lippen entkommen zu sein und verbreitert ihr Lächeln. Ich bewege mich. Drehe mich im Sessel und versuche erneut zu erfassen, was ich sehe. Sie hat sich in ihrem Sessel auf die Armlehne gestützt. Die zarten Hände halten eine Mobiltelefon und sie scheint auf etwas zu warten. Meine Antwort!
Was soll ich sagen? Das ist so schwierig. Ja, das ist die Antwort – „schwierig!“
Das Lächeln bekommt eine neue Dynamik und erfasst ihre Augen. Ihre Fingernägel sind kurz, manikürt und mit auberginefarbigem Lack überzogen. Ihre Lippen, besser gesagt der Lippenstift hat den gleichen Ton. Aaah der Duft. Der Teil ihrer Beine den ich hinter dem Sessel sehen kann steckt in schwarzen, schlichten Stiefeln mit dünnen und aufregend hohen Absätzen. Wie war das mit dem Testosteron? „Ich übe noch, haben sie das noch nie probiert?“. Sie lacht. Ein Lachen das mir Gänsehaut verursacht und mir auch in der Körpermitte eindeutig vermittelt das ich sie als äußerst attraktive Frau erlebe. Irre ich mich, oder weiten sich auch ihre Nasenflügel? Ich täusche mich nicht. Das Raubtier achtet auf die Zeichen seiner Beute. Sie schluckt. „Können sie mir einen Gefallen tun?“ Jeden! Alle dieser Welt. Hier, sofort, jetzt! „Wieso ich?“ Was stelle ich für Fragen? Sie lehnt sich zurück. Es ist kein Rollkragenpullover sondern ein Strickkleid und es zeigt eindeutig, dass sie Wert auf ihren Körper legt. Das Raubtier schnurrt. Wie alt ist sie? Anfang vierzig? Sie weiß sich in Szene zu setzen. „Weil sie ein Laptop haben.“ Die Vorteile moderner Kommunikation. Ich lächle sie an. „Das scheint mir nicht so außergewöhnlich.“ Sie lächelt ebenfalls. Die Zeit rastet wieder ein.
Nach dem ich für sie die aktuellen Verkehrsmeldungen, für ihre Fahrt nach Hamburg, aus den Tiefen des Internets gefischt habe kommen wir ins Gespräch. Kurz darauf weiß ich das ihr Laptop defekt ist, sie Espresso mit einem Löffel Zucker trinkt und sich für Innenarchitektur interessiert. Mehr aber auch nicht. Ihr Duft, dieser unglaubliche Duft, macht mich nicht zum besten Gesprächspartner. Das Raubtier ist zwei Schritte im Hintergrund. Da ist dieser Nebel. Meine Sinne sind verwirrt. Die Zeit beschleunigt sich.
Ihre Augen strahlen, sie wirkt erhitzt. Ihr Atemrhythmus ist schneller. Was hat sie gesagt? Sie muss jetzt los. Sie hat Ihre Visitenkarten im Auto. Das Raubtier ist da, hellwach, lauernd. „Ich komme mit in die Tiefgarage.“ Mein Satz hat dies ausgelöst. Sie ist schon drei Schritte vor mir. Eine Welt aus tausenden von Duftmolekülen. Ihre Bewegungen, das Geräusch ihrer Absätze auf dem polierten Granit. Ich bin erregt. Sie hält die Treppenhaustür offen und lächelt mich an. Als ich an ihr vorbei in das Treppenhaus gehe schließt sie für einen Moment die Augen und atmet tief ein. Wir kommen bis zu ersten Absatz. Ihre Lippen sind weich und warm. Sie muss, trotz der Absätze, den Kopf in den Nacken legen um mich zu küssen. Ihr Atmen, ihr Duft, ihr Geschmack, ihre Bewegungen – auf einmal sind es zwei Raubtiere. Leidenschaft, Wahnsinn, ihre Hitze, ihre Nässe – ihr Duft - Paarung. Sie sitzt auf dem Geländer und hält sich an mir fest. Es ist ein kurzer unglaublich sinnlicher Akt. Ich komme in ihrem Orgasmus. Wir halten uns fest. Ich bleibe in Ihr. Unser Atem hat keine Zeit, zwischen den zärtlichen Küssen, seinen Platz zu finden. Die Zeit kehrt zurück. „Ich liebe deinen Duft“ sagt sie. „Das musst du mir erklären“ sage ich und lächle. Raubtierzeit !