Hallo zusammen,
ich habe mir überlegt, ob ich meine Rückmeldung zu diesem Text im Forum einstelle, ob ich sie an
@*******blau direkt schicke oder sie für mich behalte. Ich habe mich für ersteres entschieden, auch weil mich interessiert, ob es jemandem so ähnlich erging wie mir.
Ich hatte MENSCHENAFFEN das erste Mal kurz nach der Veröffentlichung gelesen, seither noch einige Male. Bei mir hat die erste Fassung emotional mehr ausgelöst als die spätere Überarbeitung, wobei ich zu keinem Zeitpunkt den Eindruck hatte, jemand möchte mir (s)eine absolute Wahrheit aufdrängen, genau so wenig wie wenn Band Aid „we are the world, we are the children“ singt. Für mich ist es ein literarischer Text der die Möglichkeiten der Pointierung nutzt um Wirkung zu erzielen. So weit, so legitim.
Das Intro hat mich neugierig gemacht. Beim Lesen verspürt habe ich dann einen kräftigen Impuls zum Nachdenken. Zum Beispiel: was unterscheidet mich vom Tier? Später dann: welche Ethik vertreten wir als Spezies in dieser Welt? Gibt es so etwas wie die Ethik einer Spezies überhaupt oder ist Ethik immer etwas höchst Individuelles? Ist es die Ethik, die den Menschen vom Tier unterschiedet? In der (vorläufig) letzten Phase habe ich mich dann eingeladen gefühlt zu einer philosophischen und auch intellektuellen Schnitzeljagt. MENSCHENAFFEN hat mich zu den alten Griechen geführt, ich habe Stefan Zweigs schöne Gestalten mit den traurigen Seelen wiedergefunden und Rilkes zum Schutz beschlagene Seele. Die Haltung im Text erinnert mich an Nietzsche und die depressiven Hominoiden nehmen mich an die Hand und führen mich zu The Politics of Experience. Ich habe mich fasziniert von (halbwegs) Bekanntem zu Neuem (zumindest für mich neu) gehangelt und bin so auf Edward Wilsons Biophilie und Zygmunt Baumans Kunst des Lebens gestoßen. Der Ritt war herrlich und dauert noch immer an. MENSCHENAFFEN ist stellt sich für mich wie eine Mandelbrot-Menge dar, je tiefer ich mich ins Apfelmännchen zoome desto mehr Details treten zutage. Manche selbstähnlich, manche verblüffend neu und in Gänze immer wieder faszinierend.
Ich versuche meine Kritik kurz zu halten:
Struktur:
Mir gefällt der Wechsel von der Gedicht- in die Textform und zurück. Sowohl visuell als auch beim Lesen. Mir gefällt, dass der Text nicht symmetrisch zwischen jeweils 2 Strophen steht, warum auch immer.
Sprache:
Beeindruckend! Zu Beginn des Textes empfinde ich „Das scheint vergessen worden zu sein“ als unnötige Abschwächung. Warum nicht „Das haben wir vergessen“. Dann ist es nochmals schärfer.
Für mein Empfinden manchmal zu viele Fremdworte: „Mitochondrial. Eukaryotisch. Das ist die ganze Anthropogonie auf den Punkt gebracht.“ Menschwerdung fände ich an dieser Stelle wirkungsvoller, schon wegen der Menschenaffen. „[…] alle lösen sich auf in dem großen Nebel, den wir Leben nennen. Dem simplen Palindrom.“ Klar ist Nebel und Leben ein Palindrom. Warum extra darauf hinweisen?
Metaphern: „Wir sind von der Reise der Vögel so weit entfernt, wie es das Elektron von seinem Proton ist.“ Die klingt gut, aber ich habe sie nicht verstanden.
Story:
Der Ausflug zur unbelebten Materie, den unendlichen Weiten des Alls und die Orange als (Nicht)-Gottesbeweis transportiert für mich Verlassenheit bzw. Einsamkeit, ein völlig anderer Aspekt als die Mensch/Tier-Thematik. Es führt mich als Leser von Letzterer und damit vom Kern des Textes weg, ohne dass ich erkennen kann, was die beiden Themen zusammenhält. Für mich wäre hier weniger mehr.
Logik und Peanuts
„Danach leugneten wir unsre eigene Höhle und erhoben uns selbst zu Tempeln.“. Müsste das nicht heißen: erhoben unsere Häuser zu Tempeln?
„Wir sind von der Reise der Vögel so weit entfernt, wie es das Elektron von seinem Proton ist.“ Elektronen sind nicht einem spezifischen Proton zugeordnet. Es lässt auch nicht genau sagen wo sich ein Elektron gerade befindet, da schlägt Heisenbergs Unschärferelation zu.
„Das ist die ganze Anthropogonie auf den Punkt gebracht.“ Wäre hier der Begriff Anthropogenie nicht treffender, da es das (wissenschaftliche) Prinzip der Evolution ist, die uns mit den Menschenaffen fast identisches Erbgut beschert und nicht die weltanschauliche oder religiöse Perspektive auf die Menschwerdung?
Nochmals großen Dank und Respekt für diesen Text.
Alleine so zu schreiben, dass es Menschen zu Diskussionen und Austausch anregt ist eine Kunst.
Tom_
Hab ich beim Stöbern gefunden:
"Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch - ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Herüber." [Nietzsche].