Guten Morgen, Frau G.
Dieser Mann in Weiß ist wieder da. Er ist wegen der Katze hier. Nein, hier gibt es keine Katze. Das ist ja mein Problem. Er ist hier, weil ich eine Katze gesehen habe. Dabei habe ich sie gar nicht gesehen. Aber das verstehen sie hier nicht.Hier, das ist im Krankenhaus. Und ich bin hier zu Gast. Also Patient auf der Intensivstation. Das alles scheint tragisch, ist aber nicht so schlimm, wie man meinen möchte. Denn schließlich kann ich diese Geschichte schreiben. Also habe ich überlebt. Die Krankheit und auch die Intensivstation.
Also… ich lag im Koma. Weil ich vorher sehr krank gewesen war. Man wusste mir nicht anders zu helfen, als mich ins Koma zu legen und meinen Körper irgendwie am Leben zu halten und jeden Tag literweise mit Antibiotika voll zu pumpen. So weit so gut.
Die Albträume während des Komas, die lass ich mal aus. Denn das ist keine schöne Geschichte.
Irgendwann war ich also wieder wach. Oder das, was man wach nennt. Wisst ihr, wie es ist, zum ersten Mal im Leben einen Apfel zu riechen? Oder gar zu versuchen, dieses Apfelstück mit der Hand zu greifen und dann den Mund zu finden? Nein? Nun, es ist eine heftige Erfahrung. Wäre für mich vorher auch unvorstellbar gewesen.
In den Nächten fand ich keinen Schlaf. Ich hatte ja wochenlang vorgeschlafen. Und in einer Nacht hörte ich einen kleinen Aufruhr auf dem Flur. Ich muss dazu sagen, es war Dezember und sehr kalt draußen. So, wie sich das anhörte, was ich von den Pflegern auf dem Flur aufschnappte, hatte sich wohl eine Katze vor der Kälte ins Treppenhaus geflüchtet. So was kann und darf nicht sein, denn schließlich war das ein Krankenhaus und Katzen haben dort nichts zu suchen. Diese Katze aber hatte es wohl geschafft, sich ein Plätzchen im wohligwarmen Treppenhaus des Krankenhauses zu sichern und sie war nahezu versessen darauf, es auch zu behalten.
Ich habe all das nicht mit angesehen. Ich war nur Ohrenzeuge.
Irgendwann dämmerte ich weg.
Am nächsten Morgen fragte ich den Pfleger nach der Katze und was wohl aus ihr geworden war. Ob es den Nachtschwestern gelungen war, sie einzufangen.
Man begegnete mir reserviert. Es gäbe keine Katze und hätte nie eine gegeben.
Seitdem besucht mich jeden Tag der Mann in weiß. Er stellte sich mir als Neurologe vor, der sich Sorgen um meinen Geisteszustand mache.
Gestern war er wieder da. Er fragte: „Guten Morgen, Frau G. Wie geht es ihnen? Sehen sie immer noch Dinge, die die anderen nicht sehen?“
Ich antwortete einwenig genervt: „Wunderschönen guten Morgen, Herr Dr. Schmidt. Ich weiß nicht, ob ich Dinge sehe, die die anderen nicht sehen. Denn ich kann nicht in deren Köpfe sehen. Also weiß ich nicht, ob deren Welt genauso bunt und schön ist, wie die meine!“
Am Nachmittag konnte ich einen Blick in meine Krankenakte erhaschen, die beim Pfleger auf dem Tisch lag. Dort stand: „Frau G. reagiert aggressiv und hat schizoide Züge. Weitere Beobachtung und evtl. Behandlung mit Psychopharmaka ist dringend angebracht. Möglicherweise Einweisung in die Psychiatrie.“
Der Mann in Weiß ist wieder da.
„Guten Morgen, Frau G., wie geht es ihnen? Sehen sie immer noch Dinge die die anderen nicht sehen?“
„Guten Morgen, Herr Dr. Schmidt. Mir geht es gut. Nein, ich sehe nichts. Ich muss wohl aufgrund der Medikamente ein wenig daneben gewesen sein!“
„Sehr schön, Frau G. dann können sie morgen nach Hause!“