Ich reg mich auf...
.Aber ich habe Vorfahrt!
"Ok, ich flipp aus jetzt.
Das ist es doch, was du willst. Mir die Nerven strangulieren mit deiner Kartoffel - Ökomamascheiße. Oder was?
Okay, ich hab die Quiche direkt aus dem Ofen in meine Tupperdose gesteckt. Okay. Und okay, die Tupper ist fake, made in PRC, und eigentlich vom Ariana., was für dich und deinen Gott offenbar der Frevel zuviel sind? So what?
Was verzählst du mir jetzt von Plastik? Was für giftige Dämpfe? Was laberst du? Die werden doch nicht gleich sterben!... das sind Kinder. Die halten was aus... Außerdem ist das hier ein Kindergartenfest und du kotzt mich gerade fett an mit deiner schnippischen, bourgeoisen Überheblichkeit. Achtsamkeit für'n Arsch, ok? Die Quiche ist der Hammer und wenn du und dein hässliches Balg das nicht essen wollt, oder sollt, dann bitteschön, umso besser, fresst ihr euren verfickten Quinoasalat mit Spirulina und Gojibeeren und den ganzen woken Scheiß. Oder Schichtsalat oder Stockbrot oder was Biodeutsche sonstso essen halt. Wasweißich?
Sooderso, umsobesser. Jedenfalls bliebe dann mehr von der hammer Quiche übrig, und zwar für Nichtarschgeigen. Wie gefällt dir das, Schnepfe? Tra la lááááá!"
Ts ts ts. Leute gibt's...
Ich reg mich immer so auf.
Ich meine, ich rege mich normalerweise gerne auf. Ich liebe das. Ich echauffiere mich über jeden Scheiß, werde Choleriker geschimpft und mißverstanden. Oft mißverstanden.
Oft mißverstanden, schief angesehen und, vor allen Dingen, unfair behandelt. Aber ich genieße es. Meistens.
Es ist ein Rausch und eine Sinfonie. Es ist beides. Es gibt ein Vorspiel und eine Ouvertüre. Es gibt Streicher und Bläser und Paukenschläge. Es gibt Themen, die wiederkehren, sich abwechseln oder sich umkehren. Kontrapunkte. Stakkatos. Tremoli. Alles fügt sich wunderbar zusammen und fällt dennoch aus dem Rahmen einer „zivilisierten“ Welt, in der sich alle die Händchen halten und jeder brav und politisch korrekt sein muss. Alles passt zusammen in der Sinfonie des Zornes und ist auf eine Klimax gerichtet, ein Ziel, ein furioses Finale. Das Herz beginnt laut zu pochen und beschleunigt phasenweise, bis es, scheinbar ohne jeden Halt, Drumsolos aus schwedischen Speedmetalstücken hämmert, die keinen Gedanken zulassen, der sich nicht diesem Rhythmus beugt. Die Augen wachen auf und taxieren genau. Der Kopf, der ganze Körper wird warm und die Zeit hält einfach mal an. Stillstand. Der Planet unterbricht seinen Spin und schaut zu. Zeit innerhalb der Zeit, Raum innerhalb des Raumes. Ein Fest! Die Lungen füllen sich mit Luft, das Hirn ertränkt sich selbst in Adrenalin und ich fühle mich lebendig, wie wenn ich…wie wenn ich ein Mensch wäre. Ich kann es anders nicht sagen. Ich fühle mich menschlich und das fühlt sich gut an. Ich fülle meine Brust mit Stolz und genieße den Rausch, den das alles auslöst. Ich liebe es, fühle mich meinem Gott nahe. Lebendig sein. Laut sein. Schreien. Angreifen.
Ich reg mich auf, ja...ja und? Was soll die Frage? Was soll der Scheiß? Darf ein Mensch nicht nach Satisfaktion dürsten? Oder regst du dich auf, weil ich von Genuß sprach?
Mach dich locker! In Wahrheit ist es nicht immer ein Genuß und so gut wie nie für meine Begleitung. Meine Frau hat das gehasst und sich geschämt, aber sie war auch 'ne Flenne und ein Duckmäuschen.
Simma mal ehrlich. Gott hab sie selig. Ich meine, sie ist nicht tot, oder so. Sie lebt noch, zumindest das, was sie für Leben hält. Aber sie ist nicht mehr meine Frau und daher wieder Gottes Problem. Das ist die Sache. Was hat er sich bloß gedacht bei ihr?
Und was zum Schwanz hat er sich bei der Schnepfe hier in der Kita gedacht. Ich meine, war das nötig? Ich würde diese Schickse am liebsten tagelang ohrfeigen und meinen Zorn der Welt, in einem einzigen langen Schrei, mitteilen. Edvard Munch für die Ohren. Meine Fresse, ich bin ein Castorbehälter und in meinem Innern schmelzen gerade alle Brennstäbe durch. Mein Blutdruck kratzt an seinem Allzeithoch. Kauft Aktien, Leute, kauft Aktien! Mein Blutdruck performt bärenstark und ist in der Hausse seines Lebens.
Ich sollte runterkommen, schon wegen der Kinder und so, und ich steh hier im Garten der Kita hinter Büschen und reg mich auf über die Schnepfe. Aber auch über mich. Das ist die Sache. Denn noch ein weiteres Mal war ich wortlos geblieben. Nicht mundfaul. Wortlos. Wenn überhaupt, dann sowas wie mundfeige.
Ich hab der Schnepfe natürlich nichts von alledem gesagt. Nichts. Kein Wort. Nur dämlich genickt und gelächelt. Ich konnte in ihren Augen diese Kartoffel-Überheblichkeit sehen. Die Hybris des Geldes und der Bildungsbürger. Das machen sie gerne. Das ist für ihr Seelenheil sicherlich viel vorteilhafter und auch weitaus angenehmer, hinter dem Deckmantel der Achtsamkeit, auf uns, "bildungsferne" Kanacken, herabschauen zu können. Der Chauvinismus der Gutmenschen.
Auch das habe ich ihr nicht gesagt. Gut, sie ist eine Frau, da kann ich nicht so aufdrehen, wie bei einem Kerl. Bei einer Frau kannst du ja nicht gerade aus dem dreckigen Topf schöpfen, verstehst Du?
Aber wie sagte Huckleberry Finn? Eloquenz ist das, was einem auf dem Heimweg einfällt.
Wäre die Schnepfe aber ein Kerl?
Jungejunge, die hätte was zu Ohren gekriegt, wäre mir was eingefallen, wäre ich schlagfertig, wäre ich bloß einmal gelassen und wäre mein Kopf nicht hummerfarben und ein siedender Dampfkessel, in dem Beleidigungen brodeln, die ihre Heimat auf den verkritzelten Hinterbanken von Brennpunktschulen haben.
Hätt ich ihr nur bloß irgendetwas gesagt, ein Wort, ein kleines Wort, anstatt wiedermal sprachlos zu bleiben, ungekonnt falsch zu lächeln und jetzt hier abseitsstehend die Gedanken um mich selbst drehen zu lassen, wie die Gondeln eines, außer Kontrolle geratenen, Karussells auf dem Wasen. Alles piepst und schlägt hysterisch Alarm. Alles dröhnt und tönt und dringt in den Kopf ein. All die Töne brüllen mir ins Gesicht, wie die blinkenden Lichter, grell und unüberhörbar laut.
Nur wegen dieser überheblichen Schnepfe. Und wegen des dämlichen BMW-Fahrers von heute Morgen. Den hatte ich schon fast verdrängt...
... dieser kranke Wichser!
Wir sind uns begegnet...
...auf der Straße. Er kam mir entgegen. Also, er kam mir nicht menschlich entgegen, das ist ja der Punkt, aber faktisch halt schon. Das ist die Sache.
Er kam mir entgegen mit seinem odipösen SUV bei einer schmalen Stelle und ich hatte auf meiner Straßenseite drei parkende Autos als Hindernis. Theoretisch halte ich und lass ihn durch, regelkonform und so. Aber ich bin halt viel näher dran an der „Stelle“ und fahre gerade so schön flüssig, also fahre ich durch, was sonst? Er muss nicht mal bremsen, wenn man's genau nimmt. Vielleicht mal den Fuß a weng vom Gas nehmen, wenn's hochkommt. Was macht der Arsch aber? Was macht er...? Er gibt Gas. Warum auch nicht?? Dem scheißegal. Der Arsch gibt Gas, so daß wir uns gegenüberstehen auf meiner Überholspur und beide nicht weiterkommen. Er fährt so ein hässliches, fettes Auto, welches schon durch sein Übermaß und sein Übergewicht ein Problem für und in meinen Augen darstellt. Als ob das nicht schon der ästhetischen Gräuel genug wäre, trägt er, wie wenn er auf dem Weg zu seinem Yachtklub wäre, ein Hemd mit gesticktem Aufdruck auf dem Rücken, wenn man das so nennt. Lamartina, was soll das sein?
Der BMWler rührte sich...
...also nicht vom Fleck, aber er hupte zwei längere Huper. Auffällig laute Huper. Übertrieben laut. Kann der nicht leiser hupen? Der Kalte Krieg ist auf der Dorfstraße ausgebrochen und er macht auf Roter Oktober. Der hat vielleicht Nerven und hupt knallhart mich an! Wirklich? Mich, den Weltmeister? Echt jetzt?
Beim Hupen kenn ich nichts. Also gab ich alles und ihm ein Konzert. Ich hupte ihn für 'ne halbe Minute in Grund und Boden, wie wenn ich alleine die Geräuschkulisse einer frequentierten Kreuzung in Mumbay darstellen wollte. Er stieg mit einem Mal aus und stellte sich demonstrativ neben sein Auto, das, jetzt wo der Wichser danebenstand, wirkte wie das uneheliche Kind eines behinderten Kürbisses und des Elefantenmenschen. In graumetallic.
Das Blut hielt in meinem Kopf...
...eine Vollversammlung ab oder einen Kriegsrat. Je nach Diskurs, den man zu führen bereit ist. Wenn er aussteigt, kann ich nicht nichtaussteigen. Geht nicht. Wie sähe das aus? Also stieg ich auch aus und blieb wiederum neben der geöffneten Fahrertür meines Alfa stehen. Ich geigte ihm die Meinung. Er blökte mir seine. Ich widersprach ihm energisch, im Stile eines rührigen Hafenarbeiters, und beleidigte sein Auto auf's allerallergröbste. Er schrie mir seine Meinung entgegen und wurde persönlich. Was für'n Hurensohn?! Aber wie geil?!
Ich schrie ihm meine Meinung in seine hochmütige Fresse, direkt, ungekürzt, ohne Filter. Badass. Roh. Blutig. Nicht medium rare. Nicht für das Feuilleton geeignet. Nicht für eine Kaffeeunterhaltung geeignet. Nicht in Anwesenheit von Damen oder Priestern.
Aber dem wurscht. Dem wurscht alles. Er hatte, aus einer unsachgemäßen, formalistischen, Perspektive gesehen, recht, und so einer wie der weiß das zu händeln. So einer wie der, weiß das zu melken für seine eigenen Interessen, ganz egal, was mit Anderen ist. Die anderen haben halt Pech, wenn sie sich keinen Anwalt leisten können. Isso. Die anderen haben halt Pech, wenn sie keinen Steuerberater haben oder nur einen luschigen, der nicht die "guten" Tricks kennt. Die anderen haben halt Pech, wenn sie bei CumEx glauben, das wär ein Porno mit Happy End. Die haben halt Pech, wenn sie teuer mieten müssen und kein Betongold besitzen. Die haben halt Pech, wenn sie selbst arbeiten müssen und nicht ihr Geld für sie arbeitet. Die Welt ist kein Ponyhof und der Stärkere setzt sich durch. Isso. So einer wie der, setzt auch sein hässliches Auto von der Steuer ab, genau, wie er seine Alte absetzt als Büroangestellte. Der setzt auch das grässliche Hemd ab, wie er aussieht. So einer weiß nicht, dass Geld gar nicht arbeitet und es immer Menschen sind, die arbeiten, auch für seinen Schwabbelbauch.
Der Bourgeois, das muss man ihm lassen, schimpfte aber auch nicht schlecht, etwas angestaubt, aber auch schön grobschlächtig. Und er brachte auch mehrfach den kleingeistigsten Satz, den es in der deutschen Sprache überhaupt gibt: Aber ich habe Vorfahrt!
Deine Mutter hat Vorfahrt!
Was fürn Schmock?! Der Verkehr muss fließen...Weiß der das nicht? Vorausschauend fahren, Rücksichtnahme, Gemeinschaftssinn, schonmal was davon gehört? Die goldene Regel?
Von mir jedenfalls nicht, denn aus meinem Mund kamen zwar Wörter, aber wieder einmal, wie so oft, nur die gekritzelten Wörter von der Schulbank. Ich zog vom Leder, wie die berühmten Kesselflicker und hab keine Ahnung, warum sie so geehrt werden. Das müssen Helden gewesen sein. Die müssen sich an den Fingern wehgetan haben. Übel zerstochene, blutende Finger müssen die gehabt haben, die armen Kesselflicker, und deshalb hamse geschimpft. Wahrscheinlich, weil diese Arbeit sich anders nicht machen lassen hat, was ihren Patron dennoch nicht davon abgehalten hatte zu glauben, sein Geld arbeitete für ihn.
Der Schweinepriester sah sich bestätigt durch meine Schmähungen und blickte immer wieder zu seiner Frau auf der dringenden Suche nach Zustimmung. Ihr Blick sagte, sie sehe das durchaus differenziert. Sie wusste, wen sie geheiratet hatte und diese Nummer zog der Kerl nicht zum ersten Mal durch. Das hat er am Strand mit dem Handtuch schon hundert Mal gebracht, im Zug mit den Reservierungen schon dutzende Male und in jedem anderen Fall, bei dem er fürchtete, benachteiligt zu werden. Wie sagte Ozzy immer? Der Deutsche hat vor zwei Dingen panische Angst und diese Angst bestimmt sein ganzes Leben. „Zu kurz oder zu spät zu kommen.“ Ozzy halt…
Aber die Wörter von der Schulbank zeigten Wirkung bei ihr. Sie stießen der BMWler-Gattin offenbar übel auf. In ihren Augen, aber auch in denen unserer anderen Zuschauer, neigte sich die Kriegschuldfrage langsam, aber sicher, gegen mich. Das sah ich in ihren Blicken. Aber was sollte ich machen? Es gab kein Zurück und die Schulbankwörter zogen marodierend durch meinen Verstand. Sie tanzten ekstatisch Pogo in meinem Schäfel und ließen keinen „normalen“ Gedanken am Leben.
Also blieben der Kerl und ich stur. Knallhart. Keiner wollte sich auch nur „w“ von „wegbewegen“, scheißegal wie viele Autos hinter uns warteten. Kalter Krieg auf Dorfdeppenniveau.
Hinter mir vier Karren und ich hindere zwangsläufig alle von ihnen daran, dort hinzukommen, wo sie, in Gottes Namen, hinwollen. Aber ich bin nicht schuld. Der BMWler ist das Arschloch in der Geschichte.
Er verstopft die Dorfstraße für alle, und nur auf seiner Seite, mittlerweile für zwei weitere Karren. Schon deswegen hätte er nachgeben müssen, aber der Hurensohn tat es erst, als die Gattin wohl ihre Schamgrenze erreicht hatte und es ihr zu viel wurde, sie ausstieg und ihn zurückpfiff, wie man einen Hund zurückpfeift, der den Briefträger nun lang genug angebellt halt und jetzt wieder still sein soll, weil die Nachbarn kucken. Und wie ein Hund zögerte er zunächst ein wenig, sah mich so böse an, wie seine Gesichtszüge es zu tun vermochten, knurrte zähnefletschend nach und protestierte mit all seinen Körperzellen gegen diesen Rückzug. Ein Sieg für mich möchte man meinen, je nach Diskurs, den man zu führen bereit ist.
Jetzt stehe ich im Garten der Kita, allein, etwas abseitig und habe niemanden, mit dem ich mich in eine Konversation verwickeln lassen würde. Mein Sohn ist inmitten seines Rudels und rauft und schubst, wird zurückgeschubst und lacht dabei. Ich kann ihn nicht mal genau ausmachen. Mal glaube ich einen Arm von ihm zu sehen, mal seinen Wuschelkopf. Ab und an höre ich seine Stimme heraus aus dem Stimmengewirr. Wenn man die Augen zumacht, kann man sich vorstellen, man wäre am Meer und hörte schwer gestörte Möwenscharen schnattern. Ich stehe hier hinten und esse in Ruhe meine Quiche.
Und die schmeckt der Hammer.
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