Organisiertes Verbrechen
Die Geschichte hinter der GeschichteSchnellen Schrittes stackst die Lokalreporterin zum Treffpunkt. Sie ist spät dran. Der Fischbrunnen vor dem Rathaus ist ein beliebter Ort für Verabredungen. Dort angekommen huscht ihr Blick über die Gesichter einer wartenden Menschentraube, bis er an einem suchenden Augenpaar hängen bleibt. „Sogar hier klappt es ohne Erkennungszeichen“, denkt sie sich und streckt dem Pressesprecher der Polizei mit einem kräftigen „Grüß Gott“ die Hand entgegen.
Er stellt seine Kollegen vor, und es geht in medias res. „In Banden organisiert“, notiert die Reporterin stehend inmitten des Getümmels der Fußgängerzone auf ihrem Block. „Sie kommen aus Rumänien und der Slowakei“, berichtet der Polizist in Zivil, „und es werden immer mehr“. Sie schreibt weiter mit: „hohes Aggressionspotenzial, mafiöse Strukturen, Hintermänner im Ausland.“
Was später nicht in den Unterlagen erscheinen wird: Die Polizistin erzählt ihr, ein Clan-Mitglied habe sie schon einmal zu einem Urlaub in sein Heimatland eingeladen. Angenommen hat sie das Angebot nicht. Noch immer fragt sich die Journalistin, ob es nötig war, sich mit ihrem Anliegen an die Polizei zu wenden, ob eine Recherche auf eigene Faust tatsächlich gefährlich gewesen wäre. Dann gibt sie das Stichwort: „Suchen wir einen?“
Auf der Jagd
Zu viert marschiert der Trupp durch die Innenstadt. Der Pressesprecher lauscht lockeren Gesprächen, die nicht schriftlich festgehalten werden. Für den Termin hat er zwei Stunden einberaumt. Zeit, in der die Arbeit auf seinem Schreibtisch liegen bleibt. Doch er setzt Hoffnungen in die bevorstehende Veröffentlichung, denn er weiß: Gegen diese Art von Vergehen hat die Polizei kaum Handhabe. Sie ist auf die Bevölkerung angewiesen.
Nach etwa zwanzig Minuten ist es so weit: „Da drüben“, presst der Polizist heraus, tauscht einen kurzen Blick mit der Kollegin und beginnt zu laufen. „Stehenbleiben“, befiehlt die junge Frau dem zurückbleibenden Gefolge. Wenig später ein Anruf auf ihrem Handy. „Rechts hier rein“, lautet die nächste Anweisung, „wir umzingeln sie.“
Frei zum Abschuss
Im langen Gang der Passage lehnt mit dem Rücken zur Wand eine zierliche, kleine Frau um die Vierzig. Sie trägt ein schmutziges, graues T-Shirt über ihren alten Jeans und raucht. In der einen Hand hält sie die Zigarette und einen Pappbecher, in dem ein paar Münzen klimpern. Mit der anderen beginnt sie umständlich, aber ohne Hektik in ihren Hosentaschen zu wühlen. Sie hat die Polizisten gesehen, kennt sie bereits. „Nicht hier, Jana“, heißt es mit lauter Stimme, während sie ihren Ausweis zückt. „Betteln ist in der Fußgängerzone eine Ordnungswidrigkeit“, erklärt der Pressesprecher der Journalistin. „Aber sobald sie ein paar Straßen weiterzieht, können wir nichts mehr dagegen tun.“
Was gesprochen wird, kann die Rumänin nicht verstehen, aber sie weiß, es geht um sie. Angespannt redet die Polizistin auf sie ein, „Jana Foto“, hört sie und beobachtet die Finger der Frau, die abwechselnd auf sie zeigen und Vierecke in die Luft malen. Sie ist müde, dreht den Kopf, um sich abzuwenden und blickt in die Kamera der Reporterin. Sie lächelt, es blitzt.
Die Unbekannte
Eine kurze Verabschiedung, die Gruppe trennt sich. Auf dem Bild werden später glänzende Goldzähne zu sehen sein, der Rest des Gesichts wird von einem schwarzen Balken verdeckt. „Die Polizei rät dringend davon ab, den Bettlern Geld zu geben“, warnt der Zeitungsbericht, der am nächsten Tag erscheint. Der Pressesprecher bedankt sich bei der Reporterin per E-Mail. Sie hat an diesem Vormittag hundert Euro verdient.
Frauen wie Jana bezahlen an ihre Hintermänner die Hälfte dieser Summe pro Tag für den Transport nach Deutschland und das Nachtlager auf Matratzen im Freien, weiß sie von der Polizei. Auch das steht in dem Artikel. Wer die Frau hinter dem schwarzen Balken ist, erfährt der Leser nicht.