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RavenFox, Eine Fabel

RavenFox, Eine Fabel
Kern der Geschichte ist eine alte, mündlich überlieferte Indianer-Fabel, die nun in dieser Geschichte in New Mexico eine neue Bühne gefunden hat…

Da die folgende Geschichte etwas länger ist, wird sie in mehreren Teilen gepostet. Ich bitte, erst dann zu antworten, wenn der letzte Teil unter dem Titel 'Epilog' zu sehen sein wird.

Danke



Der Mann ohne Namen

Er hatte keinen Namen. Noch nicht. Einen Namen musste man sich erst verdienen, bevor man zum Krieger wurde und sich dann auch Streifen aus den Farben der Erde ins Gesicht malen durfte. Er war ein Sohn der Aguirre Springs Sippe der Mescalero. So lange der Mann denken konnte hasste er es, ohne Namen zu sein und so sehnte der Krieger den Tag seiner Mutprobe herbei.

Irgendwann, wenn es die Ältesten für angemessen hielten, mussten die jungen Männer den heiligen Berg aufsuchen, den der weiße Mann viele Jahre später Sierra Blanca genannt hat. Hier verbrachte man zwei Tage und Nächte in Meditation und ernährte sich ausschließlich vom Schnee des Himmels und den Beeren der Erde in der Hoffnung, Manitou würde einem den Weg weisen und wohlmöglich sogar begleiten. Erst anschließend war man reif zur eigentlichen Mutprobe.

Am Tage vor dem Aufbruch des jungen Mannes gab es das kleine Pow-Wow, bei dem die Ältesten der Sippe die Aufgaben übertrugen. Viele Männer brachen in der Vergangenheit bereits vor ihm auf und so kannte er die möglichen Aufgaben. Einige mussten Adlerfedern holen. Andere hatten die Aufgabe, die Rassel einer Klapperschlange mit mindestens acht Ringen zu finden. Ein weiterer sollte die Mustangs suchen und sich ein Reitpferd nehmen. Aber es gab auch einfachere Aufgaben, an denen sich die jungen Männer versuchen sollten. So gab es jene, die heilige, seltene, gesundheitsbringende Kräuter in den Bergen sammeln sollten.

Und auch die Aufgabe des jungen Mannes ohne Namen schien nicht besonders schwer zu sein.

Mit ernster Miene wandte sich in jener Nacht der Älteste der Sippe an den Mann ohne Namen, der stets etwas schmächtiger als die anderen war, stets ein wenig langsamer lief und auch seltener mit seinem Bogen ein Ziel traf: „Du hast eine besondere Aufgabe. Breche auf zu den Bergen auf der anderen Seite des Basins. Wähle den Weg entlang des weißen Sandes und suche den schwarzglänzenden Raben, in dessen Federkleid sich die Sterne des Nachts spiegeln. Nehme dir eine seiner Federn für dein Stirnband und du wirst zum Manne werden. Nur eine Feder.“

„Glänzender Rabe?“, entgegnete der Junge. „Raben haben ein schwarzes Federkleid. Sie sind einfach schwarz. Sie glänzen nicht.“
„Gehe, und du wirst sehen.“

Der Mann grübelte lange, aber da seinen Füßen der erste Schritt seines Weges durch das Basin vorgegeben bekommen haben, beschloss er, gleich am nächsten Morgen nach einer kurzen Meditation aufzubrechen.
Sacramento Mountains vom Tularosa Basin aus gesehen im Abendlicht.
Aquirre Spring, am Fuße der Organ Mountains, seine Heimat.
Der Weg
So begab er sich auf diesen beschwerlichen, fünf Tagesmärsche weiten Weg von den Organs zu den Sacramento Mountains, welche die andere Seite des trockenen, staubigen Tularosa Basin bildeten. Ein Basin ist ein großer Talkessel, jedoch ohne einen Fluss zu beherbergen, der Wasser für die Reise spenden konnte. Zudem war hier besondere Vorsicht geboten, da der weiße Mann begonnen hatte, einen Pfad für das eiserne Pferd entlang seines Weges zu bauen. Es wimmelte überall von Jägern, Fallenstellern und selbsternannten Fährtenlesern, die dafür bezahlt wurden, die Skalps seiner Brüder zu sammeln.

Zwei glutheiße Tage lang trank er das wenige Wasser aus seinem Wasserschlauch. Zwei klirrendkalte Nächte verbrachte er im Schutze einiger knorriger, halbvertrockneter Cottonwood Trees, die mit ergrauter, rissiger Haut der Witterung zu trotzten versuchten.
Im Stile eines vorsichtigen Kriegers meisterte er alle Gefahren auf dem Weg, der nur mit einem Messer als Waffe, dem Lederbeutel Wasser und seinem Totem angetreten wurde. Dies war Bedingung! Ein Verstoß hätte den Ausschluss aus der Sippe bedeutet.

Früh am dritten Tage markierte der Eingang des Dog Canyons das gemäßigtwarme Ende seines Weges durch das Basin. Von hier aus sollte ihn nun ein steiler Weg zunächst zum Hochplateau der Sacramento Mountains führen. Seine Augen sahen bereits weit im Norden den mächtigen, alles überragenden und weiß gekrönten Sierra Blanca. Der heilige Berg der Mescalero und vorgegebene Ort seiner Meditation. Mit aller Vorsicht und angespannten Sinnen schlich er sich an der kleinen Holzfällerstadt Cloudcroft vorbei, welche sich im Schutze alter Wälder an die Felsen des Russian Canyons schmiegte.

Spät am Abend erreichte er die Siedlung in Mescalero; eine neue, schäbige Heimstadt seines Stammes. Aber seine Sippe zog es weiterhin vor, abseits in Aguirre Spings zu bleiben. In Mescalero fand sein Geist, sein Körper bei seinen Stammesbrüdern ein wenig Ruhe, bevor er den letzten Tagesmarsch zum heiligen Berg antrat.
Sierra Blanca
Der Hitze der Wüste verlor sich in den Bergen Schritt um Schritt je weiter er nach oben stieg. Vereinzelte Flecken mit dreckigbraunem Schnee zeugten von der noch fehlenden Kraft der Sonne im späten Frühjahr, der Vegetation ein wenig, wenn auch kargen Platz zu schaffen. Auf die Kälte waren seine Glieder nicht vorbereitet. Seine Kleidung war unzureichend dünn. So litt er bibbernd unter der Kälte, die sich schleichend ihren Weg in seine Gliedmaßen und sein Hirn bahnte. Seine Muskeln froren und zitterten. Fieberschübe erschütterten seinen Körper. Vollkommen entkräftet und Schutz suchend sank er am Gipfel neben einer Schneewehe nieder. Mehr Schutz konnte er nicht finden. Ein kleines Feuer aus den Ästen der wenigen Sträucher, die er noch unterwegs sammelte, spendete zumindest seinen Gedanken noch ein wenig Wärme bevor er unruhig einschlief.

In dieser Nacht erschien ihm im Traum ein Fuchs. Und jener sprach mit all seiner List zu ihm: „Was suchst du hier auf unserer Seite des Basins? Gehörst du nicht zur Aguirre-Sippe?“

Die Lippen des Mannes formten lautlos seine Erwiderung: „Den glänzenden Raben suche ich.“

„Das trifft sich gut. Sehr gut sogar. Ich kenne alle Wege in den Sacramentos. Und den Weg zum Raben werde ich dir gerne weisen, denn dann kannst du mir zugleich einen kleinen Gefallen tun.“
Der Fuchs hielt kurz in seiner Rede inne und wollte sichtlich betonen, wie wichtig ihm diese Gegenleistung sei, die er als ‚klein‘ bezeichnete. Dann fuhr er fort: „Folge dem Weg in Richtung deines Schattens, sobald die Sonne über dem Felsen erscheint und den neuen Tag begrüßt. Bald wirst du einen Canyon mit einem dünnen Rinnsal finden. Es ist aber genug Wasser, um den Durst der Tiere und auch deinen zu löschen. Folge dem Mäander. Er wird dir den Weg zu den Nestern der Raben weisen, die du auf einer steinernen Erhebung finden wirst. Unten, an diesem Ort, den sie ‚Three Rivers‘ nennen, gibt es eine große Kolonie dieser schwarzen Vögel. Inmitten jener wirst du auch das gesuchte Nest des großen, glänzend schimmernden Raben finden. Er – sie – ist die Königin der Kolonie. Sie fliegt schöner und höher als alle anderen Raben. Nehme dir all ihre Federn, auf dass sie nicht mehr fliegen kann! Und dann reiße ihre Nester aus den Bäumen. Töte die Küken und der Rabe wird sich schließlich selbst richten. Deine Sippe wird es dir danken.“

Nochmals hielt der Fuchs inne, als wolle er sicher gehen, dass der junge Mann verstand, denn sein Schlaf war unruhig. Er wälzte sich hin und her, sichtlich bemüht, seine Glieder zu wärmen.

Und der Fuchs fuhr fort: „Ruhm gibt es für die Großtat, nicht für eine kleine Aufgabe. Warum solltest du dich mit einer Feder begnügen, wenn du alle haben kannst? Dein Ruhm wird tausendfach vom heiligen Sierra Blanca widerhallen. Und auch ich werde es dir danken, so wie ich es kann.“

„Was ist dein Vorteil und wieso willst du es mir danken?“ entgegnete er.

„Dann bin ich das intelligenteste Tier unter Manitous blauem Zelt.“, bemerkte der Fuchs leise schmunzelnd.

Bevor der Mann im Schlafe eine tiefere Ebene erreichte und für den Fuchs nicht mehr ansprechbar war, fügte er noch hinzu: „Aber sehe dich vor. Three Rivers ist gefährlich. Hier findest du überall in den Spalten des verwitterten Steines Rattles Snakes. Lasse dich nicht beißen. Es wäre dein Tod.“

„Klapperschlangen kenne ich, seitdem ich als Kind mit der Rassel gespielt habe.“

„Aber vielleicht kennst du die Diamondbacks nicht. Sie ist hässlich, dick, aber muskulös und schnell. Und ihr Gift ist tödlicher als das anderer Schlangen. Nur klettern kann sie nicht. Daher kann sie auch dem Nest des Raben nicht gefährlich werden.“

‚…leider…‘, fügte der Fuchs in seinen Gedanken still hinzu.

‚…gut…‘, dachte hingegen der ohne Namen: ‚denn ich kann klettern…‘

Und dann trottete der Fuchs langsam von Dannen und sein rotbraunes Fell verschwand langsam im diffusen Nebel der Träume.
Am folgenden Tag spürte der Mann die Kälte noch intensiver. Aber an den Traum erinnerte er sich nicht. Als die helle Sonnenscheibe langsam über den Horizont kroch, fehlte ihm wahrlich der Enthusiasmus und die Kraft, den neuen Tag gebührend zu begrüßen. Den Tag verbrachte er dann meditierend mit den vorgegebenen Gebeten und Gesten im Einklang mit der Natur, deren Teil er war. Er suchte Manitous Rat. Man kann es nicht erzwingen. Wenn Manitou sich nicht zeigen will, wird man ihn auch nicht sehen.

Gegen Abend schwächten Fieber, Schlafmangel und Hunger seinen Körper zusehend weiter. Lediglich der zwischen seinen steifen Fingern schmelzende Schnee linderte seinen Durst. Und so versanken seine Fiktionen wieder in einen unruhigen, oberflächlichen Schlaf. Diesmal gab es jedoch kein Feuer mehr, dass ihn wärmen konnte.

Als die ersten Sterne am Firmament auftraten und sich auf dem glitzernden Schnee tausendfach funkelnd brachen, begegnete ihm im Traum schemenhaft ein schwarzer Vogel. ‚Es mag ein Rabe sein‘, dachte er. Zunächst nahm er ihn als Schatten in grauer Distanz war. Dann kamen seine Kreise immer näher. Aus der Nähe sah er, dass das Sternenlicht seine Federn blau und silbrig glänzen ließ. Der Rabe sprach zu ihm: „Der Tod ist mir nahe.“ Und er flehte: „Verschone mein Nest! Verschone meine Küken! Achte mein Leben und gib ihm einen Sinn.“

Die Erinnerung des Mannes verblasste schnell, als das Fieber wieder die Kontrolle über ihn gewann. Der Rabe entschwand wie er gekommen war; auf leisen Samt-Flügelschlägen im dunklen Flaum ferner Wolken.
Die Entscheidung
Grübelnd erwachten seine Sinne am folgenden Morgen. Wiederum hatte er keine Erinnerungen an die Träume der vergangenen Nacht. Dafür verspürte er aber weiterhin beißenden Hunger wie Stiche in der Magengegend und eine ebensolche Kälte auf der Haut. So beschloss er, sobald wie möglich den heiligen Berg zu verlassen. Die Zeit der Meditation war zu Ende und so konnte er nun Wärme und Nahrung in den tiefer gelegenen Gebieten suchen.

Über den Weg dachte er nicht weiter nach. Er ergab sich einfach und der Mann begab sich auf den unsichtbaren Weg, der nicht durch einen ausgetretenen Pfad vorgegeben war; die noch junge Sonne des Tages hinter sich lassend. Der Mann folgte seinem Schatten hinunter zum Canyon, der den Lauf dreier kleinerer Flüsse vereinigt. Dort überdeckten alte, wie auch junge Bäume seinen Schatten und er verlor die Orientierung. Seinem Schatten konnten seine Blicke und Schritte nicht mehr folgen. Stattdessen folgten sie dem Plätschern des Bachs, wie er in kleinen Wellen in der schmalen Schlucht kristallklar über die Steine sprang. Noch bevor sich der Lauf des Bachs in der Ebene beruhigte, weitete sich der Canyon und gab den Blick auf eine seltsame Konstellation von Steinen frei. Es sah fast so aus, als hätte ein zu groß geratenes Kind mit überdimensionalen Kieselsteinen gespielt und diese hier achtlos liegen gelassen.

Diese Steine banden seine Aufmerksamkeit, wohl auch deshalb, weil schwarze Vögel über ihnen kreisten. Das steinerne Nest des glänzenden Raben!
Der junge Mann war voller Enthusiasmus. Adrenalin und Glückshormone durchströmten seine Adern. Dennoch blieb er vorsichtig. Wortfetzen kamen in den Sinn, die jedoch keine ganzen Sätze, geschweige denn Substanz hatten: ‚…hässlich … dick … muskulös … schnell…‘. Seine Sinne schärfsten sich, wie er es bisher noch nicht erlebt hatte. Sie wuchsen mit der Aufgabe.

Er blickte auf. Seine Augen folgten den Kreisen der Raben am Himmel, die regelmäßige Muster in den Himmel schrieben und im Winde tanzten. Es waren wenige Raben, aber sie schienen etwas sagen zu wollen. Nur konnte er ihren Flug nicht lesen.

Plötzlich vernahm er ein Rasseln zwischen den Steinen.

Sein Schritt stockte.

Sein Puls raste.

Sein Fuß blieb in der Luft hängen, bevor er ihn niedersetzen konnte und alle Muskeln blieben abwehrend gespannt.

Das bereits in ihm zirkulierende Adrenalin brachte das Blut zum Kochen. Instinktiv griff seine Hand nach seinem Messer, ohne jedoch den Feind zu sehen, den seine Ohren hörten. Das laute Rasseln war ihm sehr vertraut. Aber so laut, so nahe, kannte sein Hirn es nicht. Eine Schlange, welche auf sich aufmerksam machen wollte. Eine Schlange, die ihm sagte: „Trete nicht auf mich. Es wäre dein schmerzvoller Tod!“
Dann sah er diesen Schatten auf einem sonnendurchfluteten Stein seine eigenen Kreise tanzen. Sie schienen ein Spiegelbild des Fluges der Raben zu sein. S-förmig spannte sich der Hals des Schattens zu einer Feder. Dann sah er nur noch die den offenem Mund und entblößten Fänge auf seinem Fuß zu schießen. Ebenso schnell verließ das Messer seine Hand und vereinigte sich mit dem Schattens in der Mitte seiner Flugbahn. Messer und Schatten änderten ihren nunmehr nicht mehr zu trennenden Weg abrupt und sanken letzten Endes gemeinsam zu Boden.

Der Mann nahm einen naheliegenden Stein und zerschmetterte den hässlichen, beinahe dreieckigen Kopf der Schlange. Dann zog er sein Messer aus dem zuckenden Körper und bevor er es in seinen Bund zurücksteckte, hielt er inne. Aus einem Instinkt heraus schnitt er der Schlange die Rassel ab. Man zählte acht Ringe.

Er setzte sich auf dem Stein nieder, auf dem zuvor noch die Schlange den Tanz des Raben tanzte. Seine Gedanken verloren sich wieder: ‚…tödlicher als andere Schlangen. …‘

Nach einigen Minuten der Stille, die das Blut brauchte, gekühlt zu werden, bemerkte er, dass er ungeschützt im Zugriff der den glühenden Strahlen der Sonne saß. So suchte er Schutz im Schatten der Steine.

Pethroglyphs konnte man dort finden. Kalkhelle Felszeichnungen, die seine Vorfahren, die Anaszasi, in den Stein ritzten. ‚Dieser Ort muss wahrlich heilig sein!‘ Seine Hände zeichneten die verwundenen Muster in der Luft fast schon beschwörend nach. Da waren Sonnensymbole, Zia genannt, stilisierte Eidechsen und Schlangen, Schildkröten, Vögel und manche Symbole die er nicht deuten konnte.
Aber er sah auch das Symbol einer Pflanze. Deutlich konnte er Blätter und eine Blühte erkennen, die ihm jedoch seltsam bekannt vorkam, ohne dass das Bild konkret einem Namen zugeordnet werden konnte.
Nachdem er die Mittagshitze im Schatten verbrachte und seinen Wasserbeutel unten am Bachlauf gefüllt hatte, kehrte er zu den Felsen zurück, um seine Aufgabe zu erfüllen. Er dachte an die eindringlichen Worte des Stammesältesten: ‚Nehme dir eine Feder … Nur eine Feder‘.
Nur wurden die Worte von einem anderen Sinn überlagert: ‚Nehme dir all ihre Federn, … vernichte Nester ... Töte die Küken … Warum eine Feder … begnügen, wenn man alle haben kann?‘ Es ergab sich eine Melange von Sinnfetzen, die sich zu einem neuen, grauen Bild formierten.

„Deine Sippe wird es dir danken.“, sprach er vor sich hin, als er oben in einem alten Wacholder ein großes Nest erblickte. Es muss das Nest eines starken, aber verletzlichen Vogels sein, da er es hoch oben erbaute.

Gewissheit bekam er, als sich der glänzende Rabe auf diesem Nest niederließ. ‚vernichte Nester!‘, kam es ihm immer wieder in den Sinn.

So begann er, den Wacholder zu erklimmen. Es gelang ihm, mit Mühen, sich von Ast zu Ast nach oben zu arbeiten. Die raue Rinde schnitt ihm immer wieder in die Haut. Äste schlugen ihm ins ungeschützte Gesicht, da seine Hände ständig nach neuem Halt auf dem Weg nach oben griffen.
„Ich werde die Küken aus dem Nest werfen“, sagte er.
Viele Herzschläge später erreichte er das Nest im Wipfel und sah die jungen Vögel. Er griff nach dem Nest, hielt dann aber inne. Eine imaginäre Hemmschwelle hinderte ihn, zuzugreifen. ‚…töte die Küken…‘ flog es ihm durch den Kopf. Andere Worte erkämpften sich sogleich ihren Weg und wieder ergab sich diese Melange verschiedener Bedeutungen. ‚Verschone … Nest und Küken … tausendfach danken ...‘

Dank hin oder her. Wer dankt wem wofür? Sein Denken war von Verwirrung umgeben. Durch all diese Worte sah er nicht mehr, warum er hier oben im Wacholder saß.

Aber wieder versucht er nach dem Nest zu greifen. Auch wenn es ihm möglich wäre, so halten seine Hände wiederum im letzten Augenblick inne und ballten sich zu Fäusten. Wie durch einen Krampf verursacht, wurden seine Fäuste an einer Schnur zurückgezogen. Diese unsichtbare Barriere in seinem Kopf war noch immer da. Sein Blick schweifte nach oben. Er sah den Raben oben in sicherer Entfernung seine aufgeregten Kreise ziehen, die gar nicht mehr so elegant wirkten, wie zuvor.

„Nachdenken. Denke nach!“, sagte er sich. „Was machst du hier?“ Aber die Hitze des späten Tages verweigert ihm die Antwort. Seine Gedanken gingen im heißen Brei seines Hirns unter. „So kann ich es nicht.“

So entschloss er sich, zunächst hinunterzuklettern und zu meditieren. Vielleicht hat Manitou eine Antwort für ihn. Er sucht sich einen geschützten Platz am Fuße der Felsen.

Herbwürzige, süßliche Gerüche wurden ihm vom Wind zugeweht. Es war ein angenehmer Platz und seine Gedanken fokussierten sich auf die Pethroglyphs vor ihm: einem Vogel, die Spirale des Lebens und Zia, das Symbol der Sonne. ‚Ich werde meine Aufgabe nicht erfüllen. Nicht um den Preis, anderen das zu nehmen, was ihnen heilig ist. Auch wenn es nur ein Vogel ist.‘ Mit diesen Gedanken glitt er langsam aus der Meditation in einen tiefen Schlaf hinüber. Die Strapazen der letzten Tage forderten letztendlich ihren Tribut.

Am nächsten Morgen erwachte er früh. Die gleichen, sanften herbwürzige Gerüche strichen wieder an den Schleimhäuten seiner Nase entlang. Er sah, dass er auf einem Kissen, gelber Blüten lag. Die Blumen, die er als Petroglyphs bereits in Stein geritzt gesehen hat. „Die heilsbringenden Kräuter“, sagte er zu sich. Er schnitt einige – nicht zu viele – hiervon ab und sammelte sie in seinem Beutel.
Nun stand sein Entschluss fest. Er würde seine Mission hier und jetzt beenden und dem Raben seine Federn lassen. Zwar hatte er eine Rassel mit acht Ringen und die heilsbringenden Blühten, aber all dies war nicht seine Aufgabe. Seine Prüfung hat er nicht bestanden. Dennoch würde er erhobenen Hauptes zu seiner Sippe zurückkehren und weiterhin auf einen Namen verzichten.

Er trat den langen Weg zurück nach Aguirre Springs an. Tag für Tag legte er einen großen Teil der Strecke durch das Basin – vorbei an mittlerweile bekannten Gefahren des weißen Mannes – zurück.

Immer wieder meinte er, nicht alleine zu wandern. Manchmal sahen seine Augen den diffusen Schatten eines Vogels auf dem Boden. Und ständig hatte er den Eindruck, ein Rabe würde ihn hoch oben in den Wolken begleiten. Er ging seinen Weg nicht alleine.

Beim Blick nach oben drehten sich seine nunmehr friedvollen Gedanken immer wieder um neue Wortfetzen: ‚Verschone … Nest … Küken … Achte Leben.‘ Diese Bruchstücke hatten mittlerweile eine Bedeutung erlangt. Aber was sollte er mit ‚gib meinem Leben einen Sinn!‘ anfangen?

Kurz bevor er die letzteWegstrecke hoch zu den Organ Mountains antrat, legte er eine letzte Rast ein und schloss die Augen. Wenige Augenblicke später öffnete er sie wieder. Und dann sah er sie. … Eine einzelne, wunderschöne, tiefblau, fast schwarz glänzende Feder lag mitten in seinem Schoß. Hoch oben kreiste wieder der Rabe und er meinte zu hören: ‚Diese Feder schenke ich dir, weil du es wert bist. Du hast das Leben gesehen. Du achtest auch die kleinen, unscheinbaren auf dieser Erde. Möge dich diese Feder ständig begleiten und zeigen, der Rabe ist immer mit dir. Mein Leben ist nun mit deinem untrennbar verwoben. Dies ist der Sinn meines Lebens.‘
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Einfach nur: DANKE!

*top* *anbet*

(Der Antaghar)
Starker Tobak *top*

Hugh !
Joe.
große Erzählkunst, wundervolle Fotos und ein tiefer Sinn...
danke für diese Feder aus deinem reichen Kleid!
Epilog
Irgendwo ging der Epilog verloren...

Seine Rückkehr in Aguirre Springs wurde gebührend gefeiert, wie man auch die anderen jungen Männer zuvor in Empfang nahm. Die Ältesten des Stammes registrierten die Rassel an seinem Gürtel. Sie sahen die gelben Blüten und natürlich die schwarze Feder glänzend an der Schläfe. Sie fragten ihn in Anbetracht des wärmenden, lichtspendenden Feuers: „Welchen Namen hast du dir auf diesem Wege gewählt?“

„Von nun an soll man mich RavenFox nennen.“
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Jetzt ...
habe ich auch den Epilog abwarten können ... *bravo*

Ich mag solche Geschichten. Danke *blume*


hutzieherta
Danke...
Diese Geschichte hat so viele virtuellen Bilder, dass es mir ein lang gehegtes Anliegen war, sie fertigzustellen. Nur wartete sie auf die passende Gelegenheit.

Und diese Woche hat die Geschichte für mich einen tieferen Sinn erlangt.

Also ...

Danke!
Wunderschön!
Ich bin den ganzen Weg mitgegangen und gehe jetzt mit einem unglaublich schönen Gefühl wieder an die Arbeit.

Danke!

Sabine
Möge dir die
schwarze Feder Leichtigkeit und tiefe Magie schenken!

Danke! falkenwirbelolaf
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