Schwarze Sonne
.S c h w a r z e S o n n e
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"Gut, dass du zu mir gekommen bist. Tritt ein...", sprach Wölflin mit gedämpfter Stimme. Er blieb in der Türe stehen und wies den Weg hinein mit einer leichten Bewegung seiner etwas hastigen Hand.
Cramer drehte sich nochmal diebisch über beide Schultern um und als er niemanden sah, der ihn hätte möglicherweise beobachten können, trat er langsam ein, bedacht die Dielen nicht knarzen zu lassen. Auch Wölflin sah sicherheitshalber in den Flur links und rechts und lauschte nochmal kurz nach. Man kann nie wissen. Vorsicht ist die Mutter von irgendwas, aber leider notwendig in diesem Staat.
Es war ein kleines Büro, holzgetäfelt, nicht länger als sechs Meter und nicht breiter als vier. Es war spärlich möbliert und noch spärlicher dekoriert und farblich braun in braun gehalten. Lakonisch wäre das Wort der Wahl, wenn mal die Lakedaimonier beim Wort nähme, wie es Wölflin tar.
Zwei schmale Fenster versuchten vergebens das Büro mit Licht zu versorgen, was schon deswegen nicht recht gelang, weil Wölflin die dunkelpurpurnen Vorhänge zum größeren Teil davor gezogen hatte.
"Ich habe von deinem...'Problem' gehört. Dieser Journalist, diese Canaille, dieser dreckige Hund, der da herumstochert... Unschön. Wirklich unschön. Da siehst du mal, welche Faszination wir immer noch ausüben..." Wölflin grinste ungesehen und legte seine Hand, beinahe väterlich, auf Cramers Schulter ab, dem das unangenehm war.
"Er stellt Fragen, Wölflin. Er stellt viele Fragen. Überall. Er fragt jeden, den ich kenne und weckt tote Hunde auf. Wo ich war im Kriege, will er wissen. Was ich so gemacht habe? Wann bin ich in die Partei eingetreten bin? Wieso tat ich das? Was hab' ich gesehen? Ob ich in der Wehrmacht gedient habe? Ob ich nicht doch... Obergruppenführer...", Cramer sprach das letzte Wort leise, aber betont, aus und fuhr danach noch leiser fort: "...war. Wen ich gekannt habe und wen ich gekannt haben könnte...?"
"Unschön. Unschön. Das ist doch alles fast zwanzig Jahre her, was will dieses Schwein jetzt? Dreckige Journaille. Diese elenden Nestbeschmutzer. Die mit ihrem dümmlichen Geschwurbel, die stehen Deutschland nur im Wege rum! Wer soll denn sonst dieses Land aufbauen, wenn nicht wir? Juden und Bolschewisten etwa?", fragte Wölflin mit lachenden Augen, die Cramer beruhigen und zum Mitmachen bewegen sollten, aber nicht verfingen und leer in den Raum ausgingen.
"Nicht wahr? Is' doch so. Dieses lügende und betrügende Gesindel, man müsste ihnen... ach...man müsste ihnen...Eine Plage, sag ich dir. Viele unserer Freunde leiden unter diesen Schmeißfliegen, diesen Ratten, diesem Ungeziefer und was der Begriffe mehr sind! Aber die vertreiben uns von hier nicht, das lass dir sagen. Die nicht. Das ist unser Land, hörst du? Unser. Unsere Freunde sitzen fest im Sattel, wisse das, wir haben Freunde. Wir haben Freunde überall, selbst hier im Haus, hier im Landwirtschaftsministerium, weißt du? Du würdest nicht glauben wo alles, mein Freund..."
"Die Sache ist die, ich habe einen Anruf aus Frankfurt bekommen. Von der Staatsanwaltschaft..."
Wölflins Miene verfinsterte sich miteinemmal, als ob ein schweres Gewitter über seinem Gesicht hinwegzog und alles Aufgesetzte hinwegwusch. Kein Grinsen, keine lachenden Augen, nichts Schelmisches, nichts Sicheres mehr. Er hatte Platz genommen und mit seiner rechten Hand hatte er Cramer bedeutet ihm gleich zu tun. Als Cramer, der nicht daran dachte sich zu setzen, das Wort 'Frankfurt' ausgesprochen hatte, war Wölflin regelrecht zusammengezuckt wie bei einem leichten elektrischen Schlag, was Cramer sehr verunsicherte.
Als das Wort 'Staatsanwaltschaft' fiel, stach der Klang, wie ein langer Dorn, Wölflin tief ins Fleisch , und dieser fing an, an dem Ring an seiner Hand zu spielen, den er vorhin eigens aus der geheimen Schublade geholt, poliert und angezogen hatte. Cramer hatte sehen sollen, dass sich nichts verändert hat seit der Ordensburg und dem Eid, den beide, in der Gruft unter 'ihrer' Sonne, aus vielen Mündern und einer Stimme, geschworen hatten. Dass alles noch beim Alten war.
"Was hat der Staatsanwalt gesagt?", fragte Wölflin, der versuchte seiner Stimme und sich selbst souveräne Ruhe zu verleihen, und der, an Cramer vorbei, Richtung Tür sah und sich seines Blickes anschließend verlustigt. Denn Wölflins Augen fanden dort keinen Halt und schweiften abhandengekommen durch den Raum auf der Suche nach einem, aber das Unbehagen, was die bloße Nennung des kleinen Staatsanwaltes aus Frankfurt auslöste, ließ keinen Halt zu.
"Ich habe nur einen Mitarbeiter am Telefon gehabt...",fuhr Cramer fort. Der hat mich gefragt, ob ich der Martin Cramer bin, der bei der Schutzstaffel war. Geradeheraus. Ohne Geplänkel. Gleich losgefeuert. Ob ich auf der Burg war? Ob das richtig sei? Warum ich gemeldet habe, bei der Wehrmacht gedient zu haben? Sie haben Material von Journalisten erhalten und wollen es mit mir abgleichen, sagen sie. Mich entlasten, sagen sie. Das wäre doch etwas Gutes für mich. Wann ich denn Zeit hätte?"
"Und du? Was hast du ihm gesagt?", fragte Wölflin nervös.
"Ich hab' mich unter einem Vorwand aus dem Gespräch gewunden und bin sogleich raus auf die Straße und mit der Tram zum Bahnhof gefahren, um dich von einer der Telefonzellen dort anzurufen...Du weißt, ich wollte nicht…" Wölflin nickte und schloß dabei kurz die Augen.
Cramers Augen sprangen nun aufgebracht durch den Raum und suchten Zuflucht, die sie nicht fanden, auch weil die einzige Pflanze im Raum schon lange eingegangen und Wölflins Blick mittlerweile sich an dem Spalt zwischen Vorhang und Fenster festkrallte.
"Das war also gestern. Das ist gut. Es war richtig mich anzurufen. Es ist gut, dass du hier bist. Wir werden schon eine Lösung finden. Gemeinsam. Du kannst beruhigt sein, mein Freund. In unserer glorreichen Historie haben wir immer eine Lösung gefunden", sprach Wölflin, der seinen Blick aus den Spalt gezogen hatte, um Cramers rastlos vagabundierende Augen wieder einzufangen.
"Schau...", fuhr Wölflin fort und spielte demonstrativ mit dem Ring, "Schau, unsere Freunde, sie sitzen auch in Wiesbaden. Im Justizministerium und auch beim BKA. Mach dir keine Sorgen um deine Sache. Deine Sache und meine Sache, das ist alles unsere Sache. Unsere Freunde werden sich kümmern, wie wir uns um sie kümmern. Wir sind Kameraden auf ewig...Wir haben einen Eid geschworen. Wichtig ist Ruhe zu bewahren und nichts zu sagen. Gewinne Zeit. Sage, du erinnerst dich nicht. Der Russe hat dich misshandelt. Du bist ein Opfer und hast Traumata. Die Soldateska und so. Russen gehen immer gut als Bösewichte. Sie haben dich misshandelt. In Ostpreußen. Das geht immer gut. Bist selbst nur Opfer. Amnesie. Wir werden den Staatsanwaltschaft ausbomben mit Informationen und noch mehr Informationen und ein paar netten Lügen. Es wird ihm nichts nützen. Er wird alles durcharbeiten müssen, unseren falschen Fährten nachschnüffeln und das dauert...Er ist alleine, wir sind viele...so viele..."
Wölflin fuhr fort und sprach von Argentinien und Chile und dass dort auch viele Freunde wären und wenn es hart auf hart käme, könnte man dort immer noch fußfassen, man habe Geldtöpfe... Doch Cramer hörte nur noch halb hin. Seine Augen waren stählern auf den Ring gerichtet, den Wölflin mit den Fingerspitzen drehte. Die Schwarze Sonne. Sie beruhigte ihn wieder. Es war, als ob sie spräche und er den Widerhall der Stiefel im Obergruppenführersaal hören konnte. Sie ging auf und mit der nächsten Fingerbewegung Wölflins wieder unter. Sie ging auf und wieder unter und wieder auf und wieder unter und wieder auf...
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