So fällt man keine Bäume
So fällt man keine BäumeVor Wochen schon wurde mir ein hundertjähriger Baum anvertraut. Ich sollte ihn hegen und pflegen, für ein wohliges und sauberes Umfeld sorgen. Gerne hatte ich diese Aufgabe übernommen, denn so einen alten Baum durfte ich noch nie betreuen.
Ich ging also hin in diesen verwunschenen Garten Eden. Alles dort war alt, selbst die Luft roch nach vergangenen Zeiten. Aber ich wagte nicht, sie zu erneuern, denn sie steckte voller Erinnerung.
So sah ich sie nun. Wie eine gekrümmte ehemals schlanke, hohe Birke stand sie vor mir. Ihre dünne, helle Haut von Falten durchzogen, fein schimmerten blau die Äderchen durch. Es war noch Kraft in ihr, konnte ich erkennen, wie sie da so gebeugt vor mir stand und mich feindselig musterte.
Wir standen uns gegenüber und keiner sagte nach der Begrüßung ein Wort. Sie stierte mich nur an und setzte sich nach einer Weile wieder an ihren Platz. Ich nahm an, dass das lange Stehen sie ermüdet hatte. So saß sie da und knetete die knorrigen Finger, als wollte sie ihnen wieder Wärme geben.
Ich stand noch immer still und wartete. Endlich hob sie den Blick und schenkte mir ein Lächeln, wie es nur alte Menschen können. Die Furchen im Gesicht verdoppelten sich und die Augen strahlten plötzlich, so als hätte sie jemanden erkannt.
„Ah, endlich bist du da“, sagte sie leise und seufzte zufrieden.
„Ja, ich bin da“, antwortete ich. Ich wusste nicht, wen sie meinte, mich konnte sie damit nicht im Sinn gehabt haben.
So ging das jeden Tag. Außer diesem einen Satz redete sie nichts. Ich dagegen schon, Um die Stille zu überbrücken führte ich Monologe, erzählte von der Sonne draußen, von der Kälte im Winter oder dem Spiel der Kinder auf dem Spielplatz. So verging Tag für Tag eine Stunde mit unnützer Hausarbeit, die ich eigentlich der Frau schenken wollte.
Eines Tages, ich berichtete gerade, dass ich am Morgen ein Eichhörnchen gesehen hatte, sagte die Frau etwas. Ich erschrak, nicht über den Inhalt, sondern, dass sie überhaupt mit mir redete.
„Wann kommt endlich jemand und fällt mich alten Baum. Ich mag nicht mehr leben. Alle, die ich kenne sind schon lange tot, nur ich muss noch ausharren. Kannst du mir nicht helfen?“
Ich ging vor ihr auf die Knie und nahm ihre Hände in meine, kalt waren sie und irgendwie leblos. Da fühlte ich, wie meine Energie auf sie überging und sie schaute mich nur aus ihren lichtblauen Augen flehend an.
„Ich kann dir nicht helfen, denn es liegt nicht in meiner Macht, alte Bäume zu fällen und selbst wenn ich es könnte, verbietet es meine Ethik jemanden ein Leid zu tun. Aber wenn du magst, kann ich die Stunde, die ich hier bin, für dich da sein und nur für dich.“
So geschah es. Ich ging von Montag bis Freitag zu dieser alten Birke und war für sie da, hielt ihre Hände bis sie warm waren, machte ihr das Haar und wir redeten von der Sonne, den spielenden Kindern, Eichhörnchen, alten Bäumen und dem Nahen des Holzfällers.
Dann begann der Ärger.
Ich hatte den Haushalt vernachlässigt, das Bett nicht ordentlich gemacht und den Boden nicht gewischt. Das hätte ich wohl tun sollen, um mir die folgende Standpauke zu ersparen.
Die Angehörigen stellten mich zur Rede und bezweifelten meine Kompetenz. Sie beschwerten sich bei der Einsatzleitung und auch bei ihr musste ich zum Rapport erscheinen. Mir wurden Konsequenzen angedroht, sollte ich mein Verhalten nicht ändern.
Ich lebe ganz gut mit den Konsequenzen, nur ist es schade, dass ich meine alte Birke nicht mehr sehen kann. Mein Einsatz dort wurde abgebrochen. Wochen später erfuhr ich, dass sie gestorben war und ich sagte: „So fällt man keine Bäume, weder alte noch junge.“
(c) Herta 2/2010
Ich musste mir das jetzt einmal von der Seele schreiben - diese alte Birke, die gibt es wirklich und eine andere, die schon gefällt wurde auch.
Herta