Davu
DavuEr stand hinter dem Zaun. Zeit seines Lebens hatte er nichts anderes gemacht, als das Leben von außen zu betrachten. Davu war geboren als Kind armer Einwanderer, sie hatten nichts gehabt als die Kleider am Leib und ihr Leben. Er war ein Säugling gewesen, als sie ins Land kamen, war hier in den Kindergarten gegangen und dann zur Schule. Die Sprache beherrschte er perfekt. Einzig die Hautfarbe unterschied ihn von den anderen Menschen in seiner Umgebung. Seine Eltern waren aus einem Krisengebiet in Afrika geflohen. Dort herrschte schon so lange Krieg, dass keiner mehr wusste, wie sich Frieden anfühlt.
Nun stand er am Zaun seines bescheidenen Horizonts und war der Neger, der mit Rauschgift handelt und dem man nicht trauen kann, weil die ja alle stehlen und lügen. Er betrachtete sein Leben als Rückschau und fand wenig Gutes darin. Das einzige, das ihn noch hoffen ließ, waren eine handvoll Menschen, die sich mit der Kultur seiner Eltern beschäftigten. Sie hatten einen Clubraum, wo sie sich einmal im Monat trafen, die Trommel schlugen und tanzten. Aber irgendwie war dieses Folkloristische auch nicht so sein Ding. Er wollte zur großen Gemeinschaft gehören, sehnte sich nach Menschen, die ihn nicht abstempelten und in eine Schublade legten.
„Davu!“, rief der Chef. „Trödel nicht schon wieder rum! Die Ziegel müssen heute noch vermauert werden. Mach mal schneller und guck nicht soviel! Ich zahl dich nicht fürs Gaffen!“ Er war bei einer Baufirma als Hilfsarbeiter beschäftigt. Wahrscheinlich als Schwarzarbeiter, war seine mehr als berechtigte Befürchtung. Sonderzahlungen gab es nie und auf Urlaub musste er auch verzichten. War er einmal krank, drohte der Rausschmiss. So schwebte über ihm nicht nur das Damoklesschwert der Behörden, sondern auch das der drohenden Arbeitslosigkeit und damit, in eine noch größere Armut zu fallen, als er ohnehin schon war.
Er besaß nicht viel. Das meiste des verdienten Geldes gab er seinen Eltern, damit sie ihre Schulden bei einem Kredithai abzahlen konnten, den sie bei ihrer Einwanderung vor fünfundzwanzig Jahren aufgenommen hatten, um einige Beamte zu bestechen. Sie hatten Asyl und später die Einbürgerung erhalten, aber die Schulden waren ständig gewachsen und damit die Abhängigkeit von anderen.
„Meine Eltern sind von einem Kriegsgebiet in ein anderes gezogen, nur dass hier mit versteckten Waffen gekämpft wird, das sieht keiner“, sagte er eines Tages zu seinen Bekannten aus der Afrikagruppe. Er hatte schon befürchtet, dass über diese Aussage gelacht werden würde, aber alle nickten nur. Jeder kannte die Situation, die in Afrika und die Hierzulande. Hier waren die Mittel anders. Die Benachteiligung war subtiler. Hinter vorgehaltener Hand wurde über die Ehrlichkeit der Asylanten spekuliert. In den Wirtshäusern gelästert und dumme Witze gerissen. Dann wieder waren da die anderen, die, die mit den Fäusten argumentierten und jeden, der anders aussah aus dem Land prügeln wollten, mit Feuer und Schwert und dem Kreuz, ganz gleich ob Moslem, Christ oder ein Andersgläubiger. Jeder Fremde wurde als Gefahr für die eigene Existenz gesehen.
Für Davu und alle anderen waren die Zeiten keine rosigen.
Damit er endlich aus der elterlichen Schuldenfalle kam, hatte er begonnen, seinen Körper gegen Geld zu verkaufen. Er griff zu Drogen, um den Ekel vor sich selbst zu betäuben und sank dadurch noch tiefer in den Strudel der Abhängigkeiten. Jetzt war er nicht nur von den Geldeintreibern bedroht, sondern auch von den Dealern, denen er Geld schuldig war. Er wusste nicht, wie oft er schon zusammen geschlagen worden war, von Freiern, die nicht zahlen wollten, Dealern und den Handlangern des Gläubigers. So ertrank er mehr und mehr im Sumpf der Kriminalität und wurde der Schublade gerecht, in die er vom ersten Tag seines Lebens in diesem Land gesteckt worden war.
Eines Tages hielt er sein Leben nicht mehr aus und er, bereits schwer heroinabhängig, setzte sich den letzten Schuss. So endete ein Mensch, der das Leben immer nur von außen betrachten konnte in einer stinkenden Bahnhofstoilette und wurde nicht einmal eine Randnotiz in einer der vielen Tageszeitungen.
Auf dem schlichten Stein des Armengrabes hatten seine alten Eltern lediglich den Namen eingravieren lassen: Davu.
(c) Herta 2/2010