Von der Wörk-Wörk Live Balance

Ich saß auf der Rückbank meines Gefährtes und plauderte mit mir selbst. Keine Ahnung, wohin wir unterwegs waren. Aber eins wusste ich. Neben mir hockten Herr Fragezeichen und Frau Ausrufezeichen, und das Steuer führte das kleine Semikolon.
Das Fragezeichen und das Ausrufezeichen schauten finster drein, während das kleine Semikolon in einem fort quasselte. Ohne Punkt und Komma. Ohne Luft zu holen und ohne zu bemerken, dass der Raum in meinem Vehikel mit jedem weiteren Wort, mit jedem neuen Satz und mit jedem weiteren Komma immer dichter wurde und sich am Ende niemand mehr rühren konnte, auch wenn sich im Herzen durchaus viele große und kleine Regungen zeigten.
Ich fand ja, dass ich mein kleines Semikolon und dessen Geschwisterkinder die Kommata durchaus gernhatte, aber manchmal mochte ich sie lieber fressen, anstatt ihnen die Hand zu halten.

So auch letzte Nacht, als die Raupe Nimmersatt sich zu verpuppen begann und mit alter Stimme zu mir sprach: „Kind, lass dich nicht schrecken vom Fragezeichen und Ausrufezeichen! Das sind manchmal gar zu launische Gesellen und heute gerade ganz besonders. Denn wir haben die Stressoren im Haus. Die revidieren gerade den Fundus an Wörtern, um herauszufinden, warum wir der Welt da draußen so oft das IX für ‘n Uh vormachen.
„Ach“, entgegnete ich daraufhin und kratze mir das stoppelige Kinn, während sich meine hohe Stirn krauszog, die Augenbrauen nach oben wanderten und die Geheimratsecken am Ende noch mehr Platz brauchten.
Am - von der Skyline beleuchteten - Großstadthimmel prangte der fahle Erntemond. Und ich dachte noch: „Witzig! Sieht aus wie ein löchriger Käse. Pflückreif sozusagen. Genauso fühle ich mich gerade, und meine Zunge gleicht einer alten vertrockneten Brotschreibe.“

Am linken Straßenrand schrie plötzlich eine Streunerkatze auf: „Lass uns um die Häuser jagen und den Mäusen ein Stell dich ein bieten! Vielleicht finden wir ja einen Lover für dich?“
Da musste ich grinsen und hörte schon die Geigen am Himmel musizieren. Als mein Gefährt einen gefährlichen Ruck nach links tat und plötzlich zum Stehen kam.

Herr Fragezeichen und Frau Ausrufezeichen kreischten auf, und das kleine Semikolon wurde kurzerhand zum heruntergekurbelten Seitenfenster hinausgeschleudert. So verstummte es endlich und vor mir tauchte plötzlich der Wörk-Wörk-Jabber-lomm auf.
„Was ein Gruselding!“, dachte ich mir. Als er mir tief in die Augen schaute, wurde mir ganz blümerant zu mute, und ich wünschte mich ganz fix weit, weit fort. So wie damals, als ich noch Kind gewesen war und es brenzlich wurde ...
Ich raufte mir mit beiden Händen meine nicht rasierte Halbglatze. „Was bist du nur für ein Dusel?“, fragte ich leise den Wörk-Wörk-Jabber-lomm und legte vor ihm pro Forma die Beichte ab. Denn es hätte ja noch schlimmer kommen können.

Ich kniff, so wie früher, ganz fest meine Augen zusammen und murmelte: „Mein rechter und linker Platz sind leider nicht leer. Dennoch wünsche ich mir den Spinnser her. Der frisst mir dann den Himmel kahl und bietet somit dem Wörk-Wörk die Stirn prall, um ihn schlussendlich lammfromm zu biegen.“
So dachte ich jedenfalls.

Als sich das Ungestüm allerdings wider Erwarten von selbst vor mir verbeugte und mit dem ersehnten Spinnser die freie Zeit für mich (er)zeugte, sah ich hin und war - wie der flotte Otto – ganz schnell weg. Denn das Klingeln an meiner Wohnungstüre riss mich abrupt aus meinen wirren Träumen.

Im Verlauf der folgenden Stunden dachte ich noch oft über diese Begebenheit nach und schmunzelte ob der „Songs for Alice“, mit denen ich mich - nach den Wochen voller Arbeit und wenig Schlaf - am Abend zuvor im Theater belohnt hatte.

© CRSK, LE, 10/2023