Keine Heilung
Keine HeilungSchweißgebadet wirft sie sich im Bett herum, schlechte Träume quälen ihren Schlaf, der keine Heilung bringen will. Mit sorgenvoller Miene blickt ihr Gefährte auf sie und fleht ihre Schwestern an, wieder zu kommen. Stumm ist sein Ruf.
Die Schwestern sind fort, lange schon und haben sie ganz alleine mit ihm gelassen und er kann nicht helfen, denn er ist immer der letzte Weg.
Sie schläft und träumt, wie ihr Fieber begann:
Eigentlich begann alles schon viel früher, aber daran erinnert sie sich noch am besten. Das Leben als unendliche Geschichte breitet sich vor ihr aus. Immer wieder wurde sie niedergeknüppelt und krank gemacht, bis jetzt konnte sie aber stets genesen. Nun bohren sich die letzten hundert Jahre in ihre Traumgedanken.
Ihre Erinnerungen bleiben an einem unbeutenden kleinen Land hängen, das im vergangenen Jahrhundert bei zwei großen Flächenbränden eine mehr als unrühmliche Rolle gespielt hat. Sie sah die Millionen Toten, die sterbend Zurückgelassenen, die an Leib und Seele Verwundeten, den Zug der Flüchtenden. Sie sah in die Augen der Menschen, sie waren leer.
Dann kam der Wiederaufbau, ihre Schwester die Hoffnung war noch stark und stand treu zu ihrer Seite. Eifrig arbeiteten die Menschen, um sich eine neue Existenz aufzubauen und keiner wollte Letzter sein. Es begann sich eine mächtige Blase zu bilden, in der die Menschen in scheinbarem Reichtum und Wohlstand lebten.
Die Blase wuchs und wuchs, bis sie endlich platzte und viele ins Unglück stürzte. Dann begann ein Kampf zwischen den Brüdern. Zu dieser Zeit war sie schon schwer gezeichnet im Bett gelegen, aber ihre Schwestern waren noch immer an ihrer Seite und halfen wo es nur ging.
Nun macht sich ein neues Bild in ihr breit, ein Foto in braunem Rahmen. Arbeiter marschierten wie Soldaten, die sie bald waren. Menschen wurden aus ihren Heimen gerissen, entwürdigt, beraubt und heimtückisch ermordet. Blind sah der Rest der Welt dabei zu.
Dann begann das große Schlachten. Manche ihrer Verwandten hatten zu dieser Zeit sehr gut zu leben, denn Gier, Habsucht, Zwietracht und Krieg finden immer wieder Nahrung, wenn es ihr schlecht geht.
Je länger die Kämpfe dauerten und je mehr Menschen dabei starben, desto mehr zogen sich die Schwestern von ihr zurück. Einzig Hoffnung blieb noch an ihrer Seite. Liebe versteckte sich angewidert und will auch jetzt nicht aus ihrem Versteck hervorkommen.
Hoffnung half ihr nach dem großen Krieg, dieses Land wieder aufzubauen. Sie pflanzten den Menschen den Willen dazu ein. Doch Krieg, Gier und Habsucht sind stark und werden immer mächtiger werden, je schlechter es ihr geht.
Gier und Habsucht hatten kurz nach dem Wiederaufbau erneut eine Blase gebildet, die unter ihrem Gelächter größer wurde und jetzt geplatzt ist und Krieg reibt sich schon freudig die Hände.
So hat auch Hoffnung den Platz am Krankenbett der Menschlichkeit geräumt.
Einzig ihr treuer Gefährte Tod steht ihr noch bei, doch der weicht nie.
Tod ruft verzweifelt nach Liebe und Hoffnung.
Ob sie kommen werden, weiß er nicht.
Und Menschlichkeit wartet weiter auf Heilung …
(c) Herta 2/2010