Das neunzehnte Türchen
Herzlichen Dank liebe
@***a2 für diese kurzweilige Geschichte, die auch aus dem Joyleben gegriffen hätte sein können.
In der heutigen Geschichte dreht sich nochmal alles ums moderne Dating und ob es Fluch oder Segen ist.
Appgefertigt
„Guten Morgen, Robbie-Schatz, hattest du süße Träume? Es ist 05:45, Zeit zum Aufstehen!“
Knurrend drehte sich Roberto auf die andere Seite und vergrub sein Gesicht in den Kissen.
„Es ist Weihnachten, du dumme Schnepfe. Kein Arbeitstag für mich.“
„Entschuldige, Robbie. Ich gelobe Besserung.“
Robbie… Robbie… Er musste sich Alexiri dringend mal zur Brust nehmen und ihr etwas Respekt beibringen. Seine Robbie-Zeit war nun fast fünf Jahre her, inzwischen hatte er sich zum Geschäftsführer einer Fast-Food-Kette gemausert – dafür konnte man Anerkennung verlangen. Auch wenn er geradezu vernarrt war in diese geniale Technik, die all seinen Befehlen widerspruchslos und umgehend folgte, fand er es nervig, dass er die Feinabstimmungen immer wieder selbst vornehmen musste. In den letzten Wochen hatte er es schleifen lassen, aber nach Weihnachten würde aus Robbie endlich Roberto und noch andere Kleinigkeiten ausgemerzt werden.
Doch wenn Alexiri ihn schon zu so einer unchristlichen Zeit geweckt hatte, konnte er die Gelegenheit nutzen und sich ausgiebig vorbereiten. Immerhin erwartete er Besuch am Abend. Weiblichen Besuch.
Langsam schälte er sich aus der Bettdecke. „Alexiri – Badbeleuchtung.“
„Groß oder klein?“
„Hä?! Ach so, die kleine Beleuchtung.“ Prompt gingen die Strahler am Kosmetikspiegel an.
Während Roberto sein Gesicht mit dem Präzisionsrasierer bearbeitete, folgten weitere Befehle: Kaffeeautomat anschalten, die Duschkabine mit der wechselnden Beleuchtung vorwärmen (den Whirlpool wollte er sich für sein Date aufheben), Öffnen der Kleiderschranktüren sowie Vorschläge zum abendlichen Outfit.
Er schaltete den Rasierer aus. „Du siehst perfekt aus, Robbie, einfach unwiderstehlich!“
„Ich bin doch noch gar nicht fertig.“
„Entschuldige Robbie, ich gelobe Besserung.“
Guter Dinge ging Roberto nach seiner Morgentoilette in die Küche. Während er seinen Kaffee trank, ließ er sich von Alexiri die neuesten Nachrichten vorlesen, doch er war nicht wirklich bei der Sache. Er dachte vielmehr an sein bevorstehendes Date zum Weihnachtsabend.
Als beruflich stark eingebundener Single fand er kaum Gelegenheiten, ansprechende Damen kennenzulernen. Was er zum Leben brauchte, ließ er sich liefern, und für Hobbys oder Vereine hatte er keine Zeit. Trotzdem wollte er Weihnachten nicht alleine verbringen.
So war er dem Tipp eines Freundes gefolgt und hatte sich eine App heruntergeladen:
Jinglebellsingles – Verbringe das Fest mit einem netten Single-Partner!
Die Handhabung war denkbar einfach. Must-have-Kriterien angeben und unter den Vorschlägen seine Wahl treffen. Ein kurzer Check über eine dafür eingerichtete WhatsApp-Gruppe, danach wurde die Adresse übermittelt.
Wie schön, endlich mal wieder die Gesellschaft eines weiblichen Wesens zu genießen! Kerzenschein, leckeres Essen, ein wenig Flirten … Wer weiß, was sich daraus entwickeln würde! Aber was, wenn er ihr nicht gefiel oder ihren Ansprüchen nicht genügte? Er musste sich eingestehen, dass er keine Ahnung hatte, wie er auf Frauen wirkte oder wie man mit ihnen umging. Die letzten realen Begegnungen hatte er mit 17 Jahren im Zeltlager und zwei Jahre später auf einer Geburtstagsfeier. Damals ging alles recht schnell. Das war doch eigentlich gut – oder doch nicht?
Roberto beschloss, trotz des frisch gefallenen Schnees einen Spaziergang zu machen, dabei würden die Selbstzweifel, die durch seinen Kopf wirbelten, sicher etwas zur Ruhe kommen.
Mit einem prüfenden Blick checkte er, ob alles vorbereitet war: Tisch gedeckt, Kerzen aufgestellt, die Weihnachtsmann-Girlande zierte die Wand und ein Adventskranz schmückte den Beistelltisch. Die Beleuchtung ließ sich per App steuern, und das Essen würde pünktlich geliefert werden – perfekt. Dann verließ er warm eingepackt das Haus.
⁂⁂⁂
Zurück von seinem Streifzug, zog er den anthrazitfarbenen Anzug und das hellblau gestreifte Hemd an, verzichtete aber entgegen Alexiris Vorschlag auf eine Krawatte – es war schließlich keine geschäftliche Verabredung. Kritisch betrachtete er sich im Spiegel. „Alexiri, wie sehe ich aus?“
„Fantastisch, Robbie-Schatz! Wie aus dem Ei gepellt! Du wirst alle Herzen brechen!“
‚Eins würde mir ja erst mal genügen’, murmelte er und eilte zur Tür, an der es gerade klingelte.
Als er öffnete, blickte er auf ein riesiges Dekolleté, das mit künstlichen, blinkenden Schneekügelchen geschmückt vor seiner Nase hin- und herwippte.
„Hi, ich bin Sandy!“
„Natürlich bist du das.“
Sandys Kopf krönte eine blondierte Pracht, so hochtoupiert, dass Roberto befürchtete, das zuckerwattenähnliche Gebilde könnte am Türrahmen hängenbleiben. Sanft schubste Sandy ihn beiseite und trat ein.
„Nett hast du es hier. Gibt’s was zu Trinken?“
Den angebotenen Rotwein schlug sie aus, ihr stand eher der Sinn nach einem Bier.
Eine schlechte Wahl, die auch so gar nicht zum Hummer passte, der in einer halben Stunde geliefert werden würde. Roberto zog sich in die Küche zurück und flüsterte:
„Alexiri, habe ich noch Bier vorrätig?“
„Im Keller, Robbie.“
Auf dem Weg zur Kellertreppe gab er Sandy den Tipp, Alexiri mit Stichworten ein passendes Weihnachtsprogramm im Fernseher einschalten zu lassen. Er hörte Sandy noch „irgendwas mit Glocken“ sagen, und verschwand eilig im Keller.
Was hatte er sich da bloß eingebrockt? Die App versprach hundertprozentige Erfolgsgarantie, irgendwas musste schiefgelaufen sein. Vielleicht hätte er nicht Alexiri das Angeben der Kriterien überlassen sollen? Rasch rief er die App auf – und fluchte.
Deine fünf Topkriterien:
drall
blond
trinkfest
genügsam
erfahren
Verflucht, wie kam er aus der Nummer wieder raus? Er musste diese Zuckerwatten-Sandy dringend loswerden. Ohne Bier trat er den Rückweg an und hörte schon auf der Treppe lüsternes Gestöhne. Was war das jetzt wieder? Dann fiel ihm siedendheiß ein, dass er den Film von gestern noch im Rekorder hatte. Alexiris Spracherkennungsskills mussten dringend überarbeitet werden!
Auf der letzten Treppenstufe stürmte Sandy schon auf ihn zu.
„Du Dreckskerl! Da will man endlich mal im Warmen gemütlich ein Bierchen trinken, und kommt ausgerechnet an so einen Perversen wie dich! Hast du gedacht, so ein billiges Filmchen bringt mich in Stimmung? Ich werde dich bei
Jinglebellsingles melden, nur dass du Bescheid weißt!“
Im Rhythmus ihrer Worte trommelte sie mit den Fäusten auf seine Brust und ihr Dekolleté blinkte im Takt dazu.
Roberto schob die immer noch zeternde Sandy vor sich her Richtung Haustür und schnappte sich im Vorbeigehen die bereitgestellte Flasche Rotwein.
„Hier, Sandy, nimm den Wein und such dir ein passenderes warmes Plätzchen. Ich habe jetzt anderes zu tun.“
„Das kann ich mir lebhaft vorstellen, duuuu …“ Mit einem lauten Knall ließ er die Tür ins Schloss fallen. Gott sei Dank war das Problem schneller gelöst als gedacht.
Roberto legte eine Weihnachts-CD ein und gab Alexiri den Auftrag, die gesamte Beleuchtung auszuschalten. Er entzündete die Kerzen am Adventskranz, lauschte den Klängen von Frank Sinatras
White Christmas und schwor sich, Alexiri morgen vom Netz zu nehmen.
Ein traditionelles Fest wie früher, mit einem lamettabehangenen Tannenbaum, war doch viel stimmungsvoller und besinnlicher als App- Blind Dates.