After-Adventsspiel Tag 6
Für die gestrige Geschichte bedanken wir und bei
@*******Wild. Leider werden wie die Geschichte nicht mehr in der Chronologie finden, da die Autorin sie, aus persönlichen Gründen, wieder zurückgezogen hat.
Heute sind wir wieder kurz vor dem Weihnachtsfest, auf dem Weg nach Hause, zur Mutter, mit der Bahn. Und wer schonmal mit der Bahn unterwegs war, der weiß, dass man da so einiges erleben kann.
Bahn im Schnee
Der Weg nach Hause wurde für Franziska jedes Jahr mühsamer. Die Reise nicht anzutreten, war aber keine Option. Sie hatte Angst um ihre Mutter. Würde sie Weihnachten alleine überstehen? Alt und alleine?
In ihrer Kindheit war ihre alleinerziehende Mutter für Franziska stets Heldin und Opfer zugleich. Heldin, weil sie alles tat, um Franziska zu unterstützen. Opfer, weil das System in Deutschland gemacht wurde für 'Verheiratet-Kinder-Eigenheim-Auto und Männer mit festen Arbeitszeiten'. Franziskas Mutter war früh verwitwet, alleinerziehend, Mieterin und freie Mitarbeiterin einer Zeitung. Kurz: Ein Mensch, der im System nie vorgesehen war und deshalb ungerecht besteuert wurde, rekordverdächtige Krankenkassenbeiträge zahlte, in Kindergärten und Schulen wenig Unterstützung fand und Sonntags, allein mit Kind auf der Parkbank, von vorbeischlendernden Paaren belächelt wurde.
Trotzdem hatte sie ihr damals alle Wünsche erfüllt, so gut es ging. Gerne dachte Franziska an die Modelleisenbahn zurück. Ihre Mutter hatte es irgendwie geschafft, Schienen, eine Lok mit Wagons sowie andere Bauteile zu besorgen. Nur damit Franziska ihre Winterlandschaft mit Zug bauen konnte, die sie sich immer wünschte. Teures Jungs-Spielzeug für sie, obwohl sie ein Mädchen war.
Und Franziska? Sie ließ ihre Mutter, mit Erreichen der Volljährigkeit, einfach alleine zurück, um in der fernen Stadt, am anderen Ende des Landes, zu studieren, Freunde zu finden und das Leben zu genießen. Ein schlechtes Gewissen nagt am Ruhekissen, wie die Maus am süßen Leckerbissen.
Seit Stunden zuckelte Franziska auf den Schienen der Deutschen Bahn durch das Land. Ein durchgeknallter Gewerkschaftsfunktionär mit Profilierungssucht hatte tatsächlich zur Weihnachtszeit Streikaktionen ausgerufen. Mal flott mit dem ICE von Nord nach Süd ging nicht, sie kämpfte sich mit Regionalbahnen auf Notfahrplänen durch den Flickenteppich des privatisierten Föderalismus. „Wie heißt es so schön?“, dachte sie sich, „Nur wer Umwege geht, sieht mehr von der Welt. Ok, aber musste das unbedingt zu Weihnachten der Fall sein?“ Sie lachte spöttisch vor sich hin, während ein offensichtlich betrunkener Geschäftsmann, im leicht verwahrlosten, dunkelblauen Anzug, platziert im Sitz gegenüber des Mittelgangs, nach jedem Schluck aus einer undefinierbaren Pulle „Früher war mehr Lametta“ skandierte.
WhatsApp an Franziska von 'Mama Handy':
„Schatz, bist Du auf dem Weg? Weißt Du, wann Du ankommst? Blöde Streiks aber auch...“
Antwort von 'Franziska Mobil':
„Bin auf dem Weg, Mama. WTF, Bahn!!! Ich gebe Dir Bescheid, wenn ich mehr weiß!“
Von den Sitzen hinter ihrem Rücken hörte Franziska Stimmen, die Sprache konnte sie nicht zuordnen. Irgendwas Afrikanisches? Sicher nicht arabisch, es war wenig zu hören vom harten Tack-Tack-Tack-Hallabad. Für Türkisch waren es zu wenig Ös und Üs und Schs. Slawische Sprachen konnte sie komplett ausschließen, alle ihre Studienfreunde aus Polen, Slowakei und Ukraine sprachen in einem ganz anderen Singsang.
Ihr gegenüber saß eine Art weiblicher Alien. Franziska, im Grunde konservativ wie Hannelore Kohl, dachte, bei so viel Metall im Gesicht müsste das Gesichtsschmuck tragende Wesen doch ständig auf Empfang sein für kosmische Schwingungen, irdische Magnetfelder und elektrische Strömungen. Grünes, struppiges Haar, Piercings in Lippen, Wangen, Nase, Augenbrauen und Ohren, wippte der Kopf mit geschlossenen Augen, langsam zur Musik aus den, über den durchlöcherten Hörmuscheln sitzenden, fetten Kopfhörern.
Vom Sitz hinter dem Alien hörte Franziska die jungen Stimmen von Männern und Frauen, die sich tatsächlich über Gott und dessen unehelichen Sohn Jesus unterhielten. Nicht nur unterhielten. Geradezu hitzig debattierten. Maria wurde auch ins Spiel gebracht. Scheinbar waren die diskutierenden Frauen nicht zufrieden mit der Rolle, die einer Frau in der ganzen biblischen Geschichte zugeschrieben wurde:
„Keine Ahnung von wem der Balg ist, aber als Mutter alles dulden, was dem Heiland widerfährt? Das sollen Frauen verstehen? Keine Wunder, der Mitgliederschwund!“, empörte sich eine der jungen Damen.
„Nein, dass sind die ohne Glied, die gehen“, kicherte ein junger Mann.
„Aber die mit Glied schwinden auch“, ereiferte der andere.
„Es vergeht, was steht!“, konterte die zweite, weibliche Stimme.
Sündiges Gelächter.
Franziska fiel beinahe von ihrem Sitz. Sie saß in Fahrtrichtung, der Zug bremste ohne Vorwarnung brutal ab. Der Schnee, der vor dem Fenster bisher gegen die Fahrtrichtung vorbeischoss, viel plötzlich gemütlich in die andere Richtung. Das weibliche Alien gegenüber öffnete gelangweilt die Augen, ihre Blicke begegneten sich. Nur ein Schulterzucken von beiden genügte der Kommunikation.
„Heeee“, quiekte eine Dame von der anderen Seite.
„Sorriiiiie...“, flötete einer der jungen Herren.
„Früher war mehr Lametta“, stöhnte der betrunkene Geschäftsmann.
Der Zug stand. Die stobenden Schneeflocken verschleierte den Blick in die Dunkelheit. Die Lautsprecher knackten:
„Sehr verehrte Fahrgäste. Der Regionalexpress KBS 782 hält aufgrund einer unvorhersehbaren Störung. Wenn ich Ihnen jetzt sagen würde, vor dem Zug sitzt ein Riese mit Verstopfung und versucht, auf die Schienen zu kacken, würde Sie mir das nicht glauben. Zu Recht. Es handelt sich um umgestürzte Bäume. Leider streiken gerade alle. Nicht alle Bäume, sondern das Personal, welches die Bäume aus dem Weg räumen könnte. Hilfe ist nicht in Sicht. Mein Lohn ist zu gering und die Steuerlast zu hoch, als dass ich in dem Schneesturm rausgehen würde, um mir die Finger abzufrieren. Das heißt, wir müssen warten. Machen wir es uns gemütlich. Ich erkläre hiermit das Bordbistro für eröffnet – kostenlos. Fresst und sauft, was ihr könnt – mir doch scheißegal. Frohe Weihnachten!“
Der weibliche Alien prustete lachend los. Die Truppe von Männern und Frauen verstummte. Die Vielleicht-Afrikaner redeten wild durcheinander. Der Geschäftsmann fragte: „Hä?“
WhatsApp von Franziska an 'Mama Handy':
„Zug steht. Heilige Scheiße!“
Antwort von 'Mama Handy':
„Beruhige Dich, ich komm zurecht.“
Woher wusste Franziskas Mutter, dass sich Franziska Sorgen um sie machte? Ein eitler Beobachter könnte jetzt sagen: Das wissen Eltern immer. War das nicht eine verkehrte Welt, wenn sich Kinder Sorgen um ihre Eltern machten? Sich verpflichtet fühlen, irgendeine Erwartung zu erfüllen? Warum? Hatten sie danach gefragt, wie ein Backstein im Gedärm, aus dem Körper einer Frau gedrückt zu werden? Franziska war beinahe wütend auf ihre Mutter, sie tippte in ihr Handy:
„Hab Dich lieb!“ Die Häkchen blieben grau.
Aus den übrigen Wagons des liegengebliebenen Zuges erschallten zunehmende Geräusche. Gelächter, Gejammer, Gejohle. Irgendwoher erklang Musik.
„Ich liebe das Risiko“, rülpste der betrunkene Geschäftsmann gegenüber. „Alles verzockt. Nie Sicherheit. Immer Risiko. Keine Langeweile. Unsicherheit. Spannung. Ist das gut? Ist das schlecht?“
Hilflos nach einer Antwort suchend, schwenkten seine Blicke über alle anderen Insassen des Wagons.
„Du nichts weißt von Risiko und Gefahr. Wir habe auch alles verloren, aber nixe verzockt.“ Die Vielleicht-Afrikaner in Franziskas Rücken sprachen erstaunlich gutes Deutsch, mit einem nur leichten Akzent.
„... und heute Nacht werden wir hier alle erfrieren, wenn wir es nicht schaffen, die Wärme fließen zu lassen“. Das weibliche Alien konnte sprechen.
Die Musik aus der Ferne wurde lauter. Es klang wie eine anarchistische Polka. Als ob eine handvoll bulgarischer Bläser auf Speed Weihnachtslieder interpretieren würden. Duracell-Hasen auf 380 Volt.
„Ich wollte zu meiner Mutter fahren. Aber eigentlich will ich gar nicht. Ich würde Weihnachten so gerne mal ausgelassen mit meinen Freunden feiern.“ Franziska hörte sich selbst reden und stellte die Frage: „Wo wollt ihr denn hin?“
„Ich will nicht, ich muss...“, tönte der Geschäftsmann.
„Familietreffen in de Bergen“, kam aus der vielleicht afrikanischen Ecke.
„Zurück ins Kloster“, hörte man eine jugendlich-männliche Stimme von der Rückwand des Alien.
Franziska erhob sich von ihrem Sitzplatz, um sich die Beine zu vertreten – und aus Neugier. Verhohlen schielte sie hinter die Rückseite ihrer Rückenlehne und erstarrte augenblicklich: Hier hatte sich die heilige Familie eingenistet. Auf der rechten Bank saßen drei, teilweise ergraute, Männer in königlichen Gewändern, in der Mitte schlief ein Kleinkind im Kinderwagen, auf der linken Sitzbank hielten sich ein Mann und eine Frau an den Händen, während sie verzückt und voller Liebe in die Wiege blickten. Ein Bild wie eine Krippe unterm Weihnachtsbaum, nur waren hier alle Beteiligten von dunkler Hautfarbe. Franziska wusste nicht, ob sie vor Rührung weinen oder vor Verblüffung lachen sollte.
„Was starrst Du uns an wie Ochs vom Berg? Noch nie traditionelle, afrikanische Feiertagsgewänder gesehen?“
„'tschuldigung, aber … weil … na ja ...“, stammelte Franziska hoffnungslos überrascht.
„Ich weiß“, redete einer der drei Männer auf der Bank weiter, „wir sehen aus wie die 'eiligen drei Könige.“
Ein andere führte weiter aus: „Wir sind nicht Caspar, Melchior und Balthasar, auch wenn von denen einer schwarz war wie Kohlegrube. Wir sind Herbert, Hugo und Franz. Die beiden jungen Verliebten da drüben sind tatsächlich Maria und Josef.“
Die beiden verträumten Eltern lächelten Franziska an: „Aber unser Kind heißt nicht Jesus. Sie heißt Greta“, sprach die junge Frau, wobei strahlend weiße Zähne im dunklen Gesicht aufblitzten.
„Angenehm, ich bin Franziska.“ Es folgte ein herzliches Hallo und wildes Händeschütteln aller Beteiligten.
„Besorgen wir uns was zu Essen und zu Trinken, wenn das hier wirklich noch länger dauert?“ Die Frage kam von einem jungen Mann, der plötzlich links neben Franziska stand. Er trug das helle Gewand eines Mönchs, vielleicht ein Novize, und lächelte Franziska fragend an.
„Gute Idee“, antworte einer der Afrikaner und stand umgehend auf, „lass uns gehen zum Restaurant und sehen, was es zu holen gibt.“ Die beiden zogen gemeinsam ab und verschwanden im angehängten Wagon der stillstehenden Bummelbahn.
„Schnaps könnt Ihr von mir haben!“, grölte der Geschäftsmann. Waren das eigentlich Spuren von Kotze auf dem verkommenen, blauen Anzug?
„Müsli mit Haferkleie, meine Frau hat heute morgen damit nach mir geworfen“, antwortete er. Konnte er Gedanken lesen?
„Verstehe ...“, nickte Franziska, irgendwie aufmunternd und tröstend.
„Gestatten – Manuel. Scheintoter Handelsreisender“, stellte sich der Geschäftsmann unaufgefordert vor.
„Franziska, mit schlechtem Gewissen Heimreisende“, antwortete Franziska. „Den Schnaps könnte ich jetzt gebrauchen!“
Manuel holte zwei kleine Gläschen aus seinem Aktenkoffer, schenkte ein und reichte ihr ein Glas.
„Alkohol ist keine Lösung“, stand plötzlich ein weiterer Novize mit erhobenem Zeigefinger im Raum.
„... aber durchaus eine Zwischenlösung.“ Hinter dem jungen Novizen tauchte eine Nonne aus dem Abteil auf. Der Geschäftsmann suchte im aufgeklappten Aktenkoffer nach einem dritten Glas. Die, die so hitzig über Gott diskutiert hatten, waren also zwei junge Novizen und zwei Nonnen, die gemeinsam auf der Reise waren. Die zweite Nonne saß ungerührt auf ihrem Platz und tippte lange Texte in ihr Mobiltelefon ein. Ein Fuß, auf der gegenüberliegenden Sitzbank abgestellt, zeigte Schuhe unter dem katholischen Pinguinkleid, die mit hohen Absätzen in glänzendem Lack nicht so recht zum Image einer frigiden Nonne passen wollten. Die Polka aus der Ferne des langen Zugs schien näher zu kommen. Die Musik wurde lauter.
WhatsApp an Franziska von 'Mama Handy':
„Ich liebe Dich auch.“
Franziska war gerade vom realen Leben zu sehr abgelenkt, um zu antworten.
WhatsApp an Franziska von 'Mama Handy':
„Mach Dir keinen Stress. Ich komme zurecht. Wenn Du es nicht schaffst – ich bin nicht alleine ;-)“
Antwort von 'Franziska Mobil':
„What???“
Antwort von 'Mama Handy':
„Hab jemand kennengelernt. Toller Mann. Er wird Weihnachten mit mir feiern. Oder mit uns?“
Spätestens jetzt wäre der Zeitpunkt für Franziska, um richtig sauer auf ihre Mutter zu sein. Doch sie lächelte nur und schrieb ihrer Mutter:
„Ok, Klara. Ich werde sehen, wie ich hier zurechtkomme. Macht Euch keine Sorgen. Kuss!“
Noch nie hatte sie ihre Mutter beim Vornamen genannt.
„Schaut mal, dass Festmahl ist eröffnet!“
Der Novize und der festliche Afrikaner strahlten wie der helle Stern über Bethlehem. Sie schoben eine Servierwagen vor sich her, schwer beladen mit Knabberzeug, Pommes und einem großen Topf dampfender Gulaschsuppe. In der unteren Etage des klapprigen Wägelchens sangen einige Bier-, Wein- und Wasserflaschen fröhlich klirrend das Lied von Wein und Rosen.
In diesem Augenblick öffnete sich eine Wagentür und die Hölle brach los. Die Musik war ohrenbetäubend laut.
„Haile Selassie“, schrie ein Asiat, dessen Dreadlocks ihm, fettig und schmierig, bis über die Hüften hingen. Um ihn herum gruppierten sich eine Handvoll verschiedener Frauen und Männer, die mit ihren Blasinstrumenten einen toxischen Reggae spielten, der Bob Marley im Grab zum Rotieren gebracht hätte.
Das weibliche Alien sprang von ihrem Sitz auf und entriss dem Asiaten freundlich das Megaphon, durch welches er sich Gehör verschafft hatte. Sie begann Texte zu sprechen, welche die Band in einen psychedelisch-akustischen Hip-Hop zwangen:
„Es geht der Krug zum Brunnen, bis er bricht.
Hier drin im Dunkel brennt das helle Licht.
Draußen herrschen Krieg und Hass und Gewalt,
Herzen aus Asche und Stein, sie sind so mega kalt.
Junge Menschen, nach der Geburt schon alt.
Sie pflanzen nicht Blumen, sie pflegen nicht Bäume,
kapitalistische Träume sind bittere Schäume.
Alte Männer verbrennen die Jugend,
erzählen stolz von Ehre und Tugend,
doch sie bringen nur Schmerz und Tod,
den Kindern fehlt Liebe und fettes Brot.
Wir sind hier gefangen, drum lasst uns feiern,
sollen andere nach dem großen Luxus geiern.
Wir sind fröhlich, wir sind lieb,
mit der Lust als einzigem Prinzip.
Vergesst den Geiz, vergesst den Zorn,
statt Panzer feiern wir den Porn'!“
Franziska schaute sich erstaunt um. Der Geschäftsmann klatsche begeistert zum Rhythmus in die Hände. Die Afrikaner tanzten und unterstützten lachend den Bass der Musik mit melodiösen Öh-Lauten. Das Kind in der Krippe schlief ungerührt weiter. Die zwei männlichen Novizen standen an der Zugabteiltür angelehnt und tranken lächelnd ihr Bier. Die zwei Nonnen tanzten wild im Mittelgang. Geradezu obszön lifteten sie dabei ihre Röcke und gaben den Blick auf Strümpfe mit Strapsbändern frei, die so gar nicht zum züchtigen Bild der biederen, katholischen Nonnen passen wollten. Franziska schenkte ihnen einen fröhlich-fragenden Blick mit einem Achselzucken, während sie selbst begann, zur Musik mit dem Hintern zu wippen. Eine der Nonnen zwinkerte ihr kokett zu, kam näher und flüsterte ihr abwinkend ins Ohr:
„Zölibat – wird alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“
„Früher war mehr Lametta!“, rief der Geschäftsmann feiernd.
Irgendwo, in einer verlassenen und verschneiten Gegend, erhob sich ein Riese aus einer hockenden Körperstellung. Er hat einen riesigen, dampfenden Haufen auf den Schienen hinterlassen. Nur eine kleine Racheaktion, denn die Menschen nervten ihn schon seit 219 Jahren mir ihrem Lärm. Dass diese kleinen Wesen solchen Lärm machen konnten, war ihm immer unbegreiflich. Maschinen, Autos, Züge, Flugzeuge, Schiffe. Alles verursachte Lärm. Jährlich schossen diese Menschen Feuer in die Luft, mit lauten Knallgeräuschen und viel stinkendem Rauch. Mindestens ein- bis zweimal im Jahrhundert veranstalteten sie etwas, dass er nicht verstand: Sie zerstörten ihr eigenes Umfeld. Zerstörten Häuser, Landschaften und Wege, töteten sich gegenseitig. Nun gut, wenn sie das wollten, hätten sie ihn nur fragen müssen. Für ihn wäre es leicht, alles zu verwüsten. Doch sie sahen ihn nicht. Darum kackte er ihnen heute auf die Schienen. Zufrieden schnürte er den Gürtel um seine Hose. Vorhin hatte er von den vergorenen Früchten und Pilzen gegessen. Die Wirkung setzte ein. Er blickte zurück. So gesehen, war es ein romantisches Bild. Der Zug in der verschneiten Landschaft, jedes Fenster hell erleuchtet. Der Schnee im Schein der Lichter von einem warmen Farbton übergossen. Diese Menschen konnten auch Schönheit erschaffen. Vielleicht waren sie ja nicht alle schlecht. Darum ließ er sie auch in Ruhe.
Irgendwo schaltet ein Kind den Hauptschalter seiner Modelleisenbahn ab, macht das Licht aus und geht zu Bett. Das Kind würde in dieser Nacht von einem Nachtzug träumen, der stoppen muss, weil ein Riese die dumme Idee hatte, auf die Schienen zu kacken.