Trotz Schmerzen, es geht weiter .... muss es ja ;-)
„Experiment C3-15, bleibe wie du bist“, drang eine metallische Stimme aus einem Lautsprecher. Ivo blickte sich um, er sah niemanden sonst, also nahm er an, dass er damit gemeint war. Trotzig sagte er: „Ich bin Ivo Lindstrom-Nielsson und bewegen kann ich mich nicht.“
Aus dem Lautsprecher drang Gelächter, dann brach es abrupt ab und es legte sich eine bleischwere Stille auf Ivo. Vorher hatte er nicht gemerkt wie ruhig es hier war, nun fand er es unheimlich.
Es dauerte noch eine Weile, dann hörte er, wie die Tür geöffnet wurde und jemand zu ihm kam. Abermals sah er nicht die Person, sondern nur weißbehandschuhte Hände, die sich an seinem Gesicht und dann dem Kopf zu schaffen machten.
„Hast du Angst?“, hörte er fragen.
Er konnte nur nicken, seine Angst war so groß, dass sie ihm die Sprache genommen hatte. „Das ist gut. Wenn du Angst hast, dann verpfuschst du den Versuch wenigstens nicht. Ach, ja, C3-15 es könnte etwas wehtun, aber das macht dir in deinem derzeitigen Zustand bestimmt nichts aus. Wir haben dich empfindungslos gemacht.“
Ivo kamen die schlimmsten Befürchtungen. Er wurde in eine sitzende Position gebracht, der Oberkörper nach vorne gebeugt. Dann schob jemand abermals eine Kanüle in seinen Rückmarkskanal. Davon bekam er diesmal nichts mit, weil er halsabwärts nichts mehr spürte. Er merkte nur, wie unangenehm diese Haltung war, sie erschwerte ihm das Atmen.
Als die Hohlnadel richtig platziert war, drehten sie ihn zur Seite und ließen ihn wieder so liegen. Er hatte gemerkt, dass mindestens zwei Personen im Raum gewesen waren, aber gesehen hatte er nur die Hände, die ihn festhielten. Von der Tür her, hörte er jetzt leises Reden. Er strengte sich an, um etwas zu hören.
„Dieser verdammte Junge, sieht nicht nur so aus wie er, sondern hat auch noch die gleiche Kraft. Wenn wir das klonen könnten, das wäre der absolute Durchbruch.“
„Ja Svetlana, klonen wäre schon was, aber wir müssen vorher das Problem mit der Willensstärke beheben. Wir werden ihn nicht einfach so klonen können.“
Ivo hörte stumm zu. Er war erschüttert und so sehr verängstigt über diese Worte, dass es sein Denken lähmte. Sie diskutierten noch eine Weile, wie sie den Klonvorgang am besten durchführen konnten, dann kamen die Wissenschafter wieder ins Licht und Ivo konnte ihren erwartungsvollen Ausdruck in den Gesichtern sehen. Sie sahen weder bösartig noch verrückt aus, im Gegenteil, wirkten sie voller Anteilnahme und Wissbegierde. Wenn Ivo es nicht besser gewusst hätte, hätte er sich täuschen lassen.
Doktor Renner ging zur Kanüle und zog etwas Liquor heraus, das übergab er einem stummen Laboranten und trat wieder in Ivos Gesichtsfeld.
„So, das war jetzt die letzte Liquorprobe. Die Nadel lassen wir am besten noch eine Weile wo sie ist, nur für den Fall, dass eine der Proben verunreinigt ist. Ich mag da nicht dauernd rumstochern müssen. Was ist jetzt mit den Hirnwellen, Svetlana? Machst du das gleich, oder lässt du ihm etwas Zeit zur Erholung?“
Die Ärztin schien zu überlegen, aber Ivo hatte den Verdacht, dass sie genau wusste, was sie wann zu machen hatte. Dann war er dennoch überrascht.
„Wir warten, bis er auf dem Rücken liegen kann. Ich brauche ihn dafür sitzend, da passt der Helm besser. In Seitenlage bekomme ich undeutliche Ergebnisse. Wie lange willst du noch warten, Lenard?“
„Ich sag es dir, bei einem Koffeinpräparat. Komm, wir machen Pause.“
Damit gingen die beiden hinaus und ließen ihn gänzlich verunsichert zurück. Er versuchte sich zu entspannen, redete sich ein, dass Sven in Sicherheit war und er auch bald wieder frei sein würde. ‚Das glaubst du doch selbst nicht, Mann’, sagte wieder die feindselige Stimme in ihm. ‚Wieso sollte er es nicht glauben?’, antwortete die ruhige, sanfte Stimme. ‚Weil es Unsinn ist! Er kann sich noch nicht einmal bewegen, oder hast du das nicht gemerkt, du Blödian!’ Die Stimmen wurden wieder ruhig. Fürs Erste hatte der aggressive Teil gewonnen. ‚Du solltest mich freilassen’, sagte der dunkle Bruder nun sehr sanft.
„Nein“, antwortete Ivo leise. „Noch nicht. Du bist der letzte Ausweg.“
Dann war es ruhig, in ihm und um ihn herum. Er hörte nur den eigenen Herzschlag, der ihm versicherte, dass er am Leben war.
Brigitt rappelte sich als erste wieder auf. Ihr linker Oberschenkel tobte, die Wunde war aufgebrochen. Sie humpelte hinter einen Felsen und kam etwas später leise vor sich hinschimpfend zurück.
Alex war ebenfalls erwacht und lag nun auf dem Rücken. Als er sie hörte, setzte er sich auf und schaute sie an. Im ersten Moment konnte er sich nicht vorstellen, was mit ihr war, doch dann ging ihm ein Licht auf und er sagte: „Das passiert wirklich im unpassendsten Augenblick.“ Er zog sein Hemd aus und gab es ihr. „Hier, reiß es in Streifen. Es ist zwar dreckig und verschwitzt, aber besser als nichts.“
Sie nahm es entgegen und ging wieder hinter die Felsen.
Alex legte sich noch einmal hin und betrachtete die Drohne, die über ihm schwebte. Dann nahm er ganz langsam einen Stein in die Hand und richtete sich auf. Er war sehr vorsichtig und machte keine hastigen Bewegungen. Das Flugobjekt behielt er beständig im Auge. Dann, mit einem kräftigen Schwung holte er aus und schleuderte den Stein auf die Maschine. Er hatte gut gezielt, sie trudelte und fiel in den Canyon. Alex robbte an den Rand und sah sie noch im Fluss versinken. „Gut, die wären wir los. Es wird hoffentlich etwas dauern, bis sie eine Neue schicken“, murmelte er.
Brigitt kam ganz verheult zurück. Ihr tat alles weh, die aufgebrochene Beinwunde, die Arme von der Kletterei und jetzt noch die Monatsblutung. Sie schimpfte und weinte. Dann verfluchte sie sich selbst, weil sie kein Junge geworden war.
„Hör auf, dich selbst schlecht zu machen“, sagte er streng. „Du bist was du bist. Ich würde dir – und mir – gerne eine längere Pause gönnen, aber wir müssen weiter.“
„Das weiß ich selbst, ich bin ja nicht blöd“, fuhr sie ihn an, reichte ihm den Arm und dann stolperten sie durch die karge Landschaft.
Drei Tage marschierten sie so, wortkarg, fußwund, hungrig und ausgetrocknet. Noch immer hatten sie kein Wasser gefunden. Alex war sicher, dass hier ein Fluss sein musste. Da blieb Brigitt stehen, beschattete die Augen und sagte: „Ist das da vorne eine Baumzeile? Könnte das glitzernde Etwas Wasser sein?“ Alex schaute nun auch genauer hin. Sie freuten sich, denn es schien genau das zu sein, was sie so dringend brauchten. Entschlossen, ihre letzten Kräfte zu mobilisieren, änderten sie die Richtung, da sahen sie etwas anderes, das ihre Hoffnungen niederdrückte. Von der Seite her näherte sich ihnen ein Militärkonvoi.
Alex blieb stehen und zog Brigitt mit sich zu Boden. „Wir bleiben hier“, flüsterte er.
Aber sie waren bereits entdeckt und die Fahrzeuge begannen sie einzukreisen.
„Was machen wir nun? Wir brauchen dringend Wasser“, wisperte Brigitt und fühlte Tränen aufsteigen, die sie nicht weinen konnte. Alex überlegte eine Weile und entschloss sich dann zu einem ungewöhnlichen Vorgehen.
„Wir gehen einfach weiter. Ich bin mir sicher, dass die uns schon eine Weile beobachten und sie jetzt die Schrauben fester drehen, uns verunsichern wollen“, antwortete er und fühlte sich ebenso mutlos. Er atmete einige Male tief durch und befahl sich ruhig zu bleiben, dann stand er auf und ging. Brigitt folgte ihm dichtauf.
Sie näherten sich den Wagen und taten so, als ob sie sie nicht sehen würden, marschierten einfach weiter. Brigitt fühlte ihre Wangen brennen und ihren Atem schneller gehen, auch Alex atmete schwerer als gewöhnlich. Nebeneinander schritten sie zwischen den Soldaten durch, die sie unbehelligt ließen. Wahrscheinlich hatten sie keine Befehle für den Fall, dass das geschehen sollte. Alex nahm Brigitt an der Hand und sie beschleunigten etwas den Schritt. Hinter sich hörten sie die Motoren wieder starten. Bald fuhren die Wagen neben ihnen her und versuchten sie vom Fluss abzudrängen.
Alex fühlte wie ihm der Wassermangel zu schaffen machte. Für sein Herz war es das Schlimmste, was passieren konnte. Brigitt ging es auch nicht viel besser. Sie stolperte dahin und hielt Alex an der Hand. Entschlossen lief sie zwischen den Wagen durch, einmal nach links, einmal nach rechts. Es war ermüdend, so zu gehen, aber es brachte die Soldaten immer wieder dazu, ihre Fahrzeuge zu bremsen. So kamen sie langsam aber stetig dem Fluss näher. Schon konnten sie das Rauschen hören und die Bäume an seinem Rand erkennen.
„Gleich sind wir da“, flüsterte sie, Alex konnte nur noch nicken. Er ließ sich von ihr leiten, hatte die Führung an sie abgegeben. Noch einmal lief sie zwischen den Einsatzfahrzeugen durch und dann schlug sie einen Haken und sagte: „Jetzt, laufen wir.“
Es war dann mehr ein schnelles Gehen und Alex stolperte nur noch dahin. So kamen sie endlich zum Fluss. Sie warfen sich am Ufer nieder und tranken das kühle Nass aus der hohlen Hand.
Am Waldrand hielt der Konvoi und die Soldaten bezogen Position. Sie umstellten das Wäldchen. Das kümmerte Brigitt im Moment wenig. Sie half Alex, damit er es bequemer hatte und legte ihm ihren Pullover um die Schultern, dann sagte sie: „Ich geh jetzt baden und wasche meine Hosen. Es ist mir gleich, ob dort draußen einer steht und mir zusieht oder eine Million. Das muss sein!“
Alex lachte, dann sagte er: „Mach das, wir rasten einfach hier bis morgen. Vielleicht schaffe ich es ein Feuer zu machen, wenn ich das richtige Holz finde und mich erholt habe. Geh du baden.“ Insgeheim dachte er: ‚Hoffentlich lassen sie uns eine Weile unbehelligt.’
In der Hosentasche hatte er noch ein kleines Klappmesser, das zog er jetzt heraus und machte sich auf die Suche nach dem passenden Stück Holz und Zunder. Es dauerte lange bis er das Gewünschte fand und anschließend noch einmal über eine Stunde, aber dann hatte er es geschafft und sie saßen an einem warmen Feuer.
„Heute Nacht werde ich nicht frieren“, sagte er. „Und jetzt gehe ich auch baden, weil ich stinke ebenso wenig gerne wie du.“ Er zwinkerte ihr zu und entledigte sich der Hosen, dann stieg er in den Fluss und schrubbte sich gründlich ab.
Nach dem Bad fühlte sich Brigitt wie neugeboren. Das Wasser war kalt und schlammig, aber das machte ihr nichts aus. Sie hatte auch ihre Kleidung gewaschen und hängte nun die tropfnassen Hosen über einen Ast in der Nähe des Feuers, damit sie bis zum Morgen etwas trocknen konnten. Dann lehnte sie sich an einen Baum und streckte die Füße dem Feuer entgegen. Alex saß am Ufer und beobachtete die Fische. Es waren nur wenige, die er sehen konnte, aber er wollte einen Trick versuchen, den er beim Clan kennen gelernt hatte. Langsam watete er hinaus, immer die Fische im Auge. Dann tauchte er vorsichtig einen Arm ins Wasser und schob ihn unter einen stehenden Fisch. Jetzt hieß es, sich in Geduld zu üben. Als der Fisch nicht reagierte, packte er zu und schmiss ihn in hohem Bogen an Land, wo er zappelnd liegen blieb. Beim zweiten Mal hatte er weniger Glück und der Fisch entkam ihm.
Brigitt hatte ihm fasziniert zugesehen, wie er nackt im Fluss herumwatete und ganz selbstvergessen nach Art der Steinzeitmenschen auf die Jagd ging. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie auch nichts anhatte und es wohl so bleiben würde, wenn sie nicht in nassen Kleidern den Rest des Tages und die Nacht verbringen wollte. Mit einem Mal war sie sich klar, dass sie ihre Gefühle doch nicht wegschieben konnte und sie wandte den Blick von ihm, als er mit seiner Beute zurückkam.
„Abendessen“, verkündete er stolz. „Heute werden wir nicht hungern, nicht sehr zumindest. Leider habe ich nur einen erwischt.“ Den Fisch hatte er bereits am Ufer ausgenommen und gewaschen, nun steckte er ihn an einen angespitzten Ast und hielt ihn über das Feuer. Es schien ihm nichts auszumachen, dass sie beide nackt waren. Aber Brigitt fühlte sich nicht mehr wohl.
Als der Fisch briet, war es sehr ruhig geworden. Sie konnten die Soldaten hören, die am Waldrand ihre Stellung einnahmen und den Wind in den Ästen, das Knistern des Feuers. Alex legte noch ein Stück Holz nach und betrachtete die hoch züngelnden Flammen. Er musste acht geben, dass der Fisch nicht verbrannte, so konzentrierte er sich darauf und schließlich war er gar und er nahm ihn weg. Weil Brigitt nichts sagte, sagte auch er nichts. Stumm teilte er das Essen und reichte ihr ihren Anteil. Sie zog die Beine ganz fest an die Brust und umklammerte mit einer Hand die Knie, mit der anderen nahm sie den Fisch entgegen. Da erkannte Alex ihre Beklemmung und er drehte sich leise seufzend um.
„Macht es dir soviel aus, so vor mir zu sitzen?“, fragte er schließlich, als er mit essen fertig war. „Willst du meine Hose anziehen? Sie steht zwar auch schon von alleine, so schmutzig ist sie, aber sie ist trocken.“ Noch immer kehrte er ihr den Rücken zu und wagte nicht, sich umzudrehen. Brigitt überlegte eine Weile, dann sagte sie: „Nein, zieh ruhig du sie an. Du hast mich schon dein Hemd vernichten lassen, ich will dir nicht auch noch den Rest deiner Kleidung nehmen.“
„Darf ich mich wenigstens wieder umdrehen? Mir ist nämlich kalt und ich hätte mich gerne am Feuer ausgestreckt.“
„Natürlich, wärme dich, du kannst auch meinen Pullover haben. Du hast die letzten Tage und Nächte genug gefroren. Ich werde es überleben, dass du mich nackt siehst.“ In Gedanken fügte sie „hoffentlich“ hinzu. Dankbar zog sich Alex an, er war noch nie der Meinung gewesen, dass Frauen schwächer als Männer waren und legte sich ganz nah an das Feuer. Dort schlief er kurz darauf ein. Nun rückte auch Brigitt näher an die Wärmequelle und wartete, dass es Nacht wurde.
Die Nacht brachte andere Geräusche. Sie konnte fast den Atem der Soldaten hören, die langsam näher rückten. Noch einmal legte sie einen Ast auf das Feuer und rollte sich daneben. Sie fühlte die Wärme auf der Haut und wünschte sich in einem warmen Bett zu liegen und saubere Kleidung.
Die Nacht war schon weit fortgeschritten und Brigitt war auch eingeschlafen als die Soldaten neue Order von der CPU erhielten.
Leise rückten sie vor und stürmten dann das Lager der Verfolgten. Brigitt erwachte mit einem Ruck. Sie sah Alex gefesselt an einen Baum lehnen. Nun nahm Brigitt eine defensive Haltung ein, auch sie hatte den unbewaffneten Kampf von Alex gelernt und schlug den Ersten nieder, der sie ergreifen wollte. Aber einen Kampf gegen so viele Gegner hatte sie noch nie geführt, deshalb griff sie nun zu unfairen Mitteln und fasste nach einem brennenden Ast, mit dem sie auf die Angreifer losging. Alex fand, dass sie aussah wie ein Racheengel, groß, flammendgelbes Haar, nackt und im Feuerschein strahlend. So weiblich hatte er sie noch nie wahrgenommen und er war sehr stolz auf sie, weil sie sich so wehrte. Ihn hatten sie einfach überrumpelt. Noch bevor er die Augen offen hatte, war er gefesselt worden. Als ein Soldat nun an ihm vorbei rannte, streckte er die Beine aus und der Mann fiel, dann gab er ihm noch einen Tritt und er blieb bewusstlos liegen. Weil seine Bewacher durch Brigitt abgelenkt waren, kam Alex endlich auf die Beine, die sie zu fesseln vergessen hatten. Er kannte einige Tricks, die auch mit gebundenen Händen funktionierten. Das Leben in den Eingeweiden der Raumstation, wo er einige Zeit gelebt hatte, hatte ihn einiges gelehrt, das man auf der Militärakademie nie lernte. Jetzt wendete er diese Kenntnisse gnadenlos an und bald lagen viele Soldaten am Boden, die geglaubt hatten, leichtes Spiel zu haben. Nur kurz zogen sich die Angreifer zurück und Alex schrie Brigitt zu: „Nimm deine Sachen und renn als wäre der Teufel hinter dir her, schnell! Ich bin gleich hinter dir! Lauf, Mädchen, lauf und schau nicht zurück! Immer geradeaus, dort ist unser Ziel!“
Brigitt befolgte die Anweisung und sprintete los, Alex etwas langsamer hinterdrein.
Sie lief, bis ihr die Luft ausging, da drehte sie sich kurz um und sah, wie Alex wieder eingefangen wurde. Er rief ihr noch etwas zu, das sie nicht richtig verstand, aber das wollte sie nicht hören. „Nein, ich gehe nicht alleine nach Sunflower. Ich lasse dich nicht im Stich“, sagte sie zu sich und kletterte auf den nächsten Baum. Dort wartete sie bis der letzte Soldat vorbei gerannt war, dann blieb sie noch eine Weile oben und als keiner mehr zurückkam, stieg sie hinunter. Leise schlich sie zum Lager zurück.
Stunden später kam ein Laborant und entfernte die Kanüle. Er klebte einen kleinen Verband über die Wunde und drehte Ivo auf den Rücken. Dann ging er wortlos.
Ivo wurde immer ängstlicher zumute. Als Sven noch bei ihm gewesen war, hatte er sich ablenken können, nun war das nicht mehr möglich. Wieder bedauerte er die Entscheidung, die Energie nicht auf die Angreifer losgelassen zu haben. ‚Du hattest recht’, sagte die feine Stimme in ihm. Die andere lachte nur verächtlich, sagte aber nichts dazu.
Ivo fand die Stimmen in ihm langsam unheimlich, sie waren noch furchteinflößender als die sterile, kalte Laborumgebung, gefährlicher als den Helm, der über ihm schwebte.
Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis endlich wieder die Tür aufging und jemand eintrat. Er würde gerne mit jemanden reden können, sagen, wie viel Angst er hatte und dass er nachhause wollte. Aber zu der Person, die jetzt zu ihm trat würde er nichts davon sagen, sie las es ohnehin in seinen Gedanken.
„C3-15 du brauchst wirklich nicht soviel Angst vor mir zu haben. Ich werde dich weder verletzten noch in deine Gedanken eindringen“, sagte Doktor Hess und sie klang beinahe liebenswürdig. Ivo erinnerte sich daran, wie sie ihm das letzte Mal einfach ein Stück Haut aus dem Bein geschnitten hatte und glaubte ihr kein Wort.
„Sie werden mir wieder wehtun“, antwortete er deshalb mit zitternder Stimme.
„Es liegt immer an dir, was daraus wird. Noch verhindert die Spinalpunktion, dass du Schmerzen fühlst. Aber die Anästhesie lässt auch wieder nach.“ Sie umrundete ihn und betrachtete ihn von allen Seiten, dabei wuchs ihr Lächeln in die Breite. „Was bist du nur für ein hübscher junger Mann. Ich werde deine Gene mit Genuss klonen.“ Dabei tätschelte sie seine Wange und fuhr dann entlang seiner Brust mit einem Finger nach unten.
„Hör auf“, sagte er leise, obwohl er nichts fühlte, wusste er genau, was sie tat.
Dann gab sie einem Helfer ein Zeichen. Sofort eilte er herbei, brachte die Rückenlehne der Liege in eine aufrechte Position und schnallte dann Ivo fest, damit er nicht seitlich herunterkippte. „Schön“, sagte sie und betrachtete ihn noch einmal gründlich. „Du hast auch schöne Augen, ein sehr eigenartiges Grün, wenn ich so sagen darf, wenngleich die Augen deines Bruders interessanter sind.“
Ivo hatte das Gefühl vom Bett zu fallen und war diesmal froh über die Halterung. Er hatte bereits Tränen in den Augen, weil er wusste, was jetzt auf ihn zukommen würde. Der Helm wurde über ihm gesenkt und die Ärztin redete unablässig weiter, von seiner Haut, den Zähnen, er hörte nicht mehr hin, sondern begann leise zu singen. Er wusste, dass er sie damit nur provozieren und dafür leiden würde, dennoch sang er: „Und foltert ihr mich, bis auf das Blut und keiner hier ist mir noch gut. So bleib ich dabei: Die Gedanken sind frei.“