So geht's weiter ...
Im Saal waren nicht mehr viele Leute, doch diejenigen, die da waren, hielten ihre Waffen auf James und Celia gerichtet, die mit dem Rücken zur Wand standen. Celia hielt sich krampfhaft an James fest und ihre blinden Augen waren vor Angst geweitet. Dazu kamen noch die Gefühle, die sie von James aufnahm und die der umstehenden Leute. Es war fast zuviel für ihr Hirn, das alles auf einmal zu verarbeiten und sie war nahe dran, ihre Fähigkeiten auszunutzen. James stand kerzengerade an die Wand gedrückt und starrte zornig in die Düsternis. Er sah nur die Schemen der Leute, die sie bedrohten.
Obwohl Annika nichts sah, wusste sie sofort, was los war. „Hört auf!“, schrie sie und die Leute drehten sich um. Einige senkten sogar ihre Waffen.
„Soldaten sind eingedrungen“, erklärte einer der Anwesenden.
„Ja, sie haben zwei in der Nähe des unteren Zugangs entdeckt, du weißt schon beim Hohen Weg an der dreiundzwanzigsten Straße.“
„Zwei? Und da jagt unsere gesamte Stadt hinterher? Die werden sich mehr im Weg stehen, als etwas auszurichten!“, höhnte Jeremy, dem es lächerlich vorkam, dass wegen zwei Soldaten die Leute in Panik gerieten. „Wo ist Willem?“
„Er ist mitgegangen“, antwortete jemand.
„Wir müssen sie aufhalten. Kennt jemand eine Abkürzung dorthin? Sven du kommst auch mit, von euch anderen brauchen nur ein oder zwei mitzukommen. Jemand muss vor mir herlaufen und mir den Weg ansagen, sonst komme ich nicht weit“, bestimmte Annika und wählte zwei aus der Gruppe, die sich anfangs sträubten, dann aber doch überredet werden konnten.
„Was ist mit uns?“, fragte James.
„Ja, was ist mit uns?“, wollte auch Celia wissen.
„Bewirtet unsere Gäste und lasst sie ansonsten in Ruhe!“, forderte Annika, dann ließ sie sich aus dem Raum führen und sie liefen die Straße entlang, die sie an die Wegbiegung zur dreiundzwanzigsten Straße bringen würde.
Die Leute legten ihre Waffen zur Seite, blieben aber weiterhin wachsam. Dann wurde ihnen endlich Wasser und Nahrung gebracht. James konnte nicht erraten was er gegessen hatte. Er genoss einfach das Gefühl, satt zu sein. Celia schlang den Brei kommentarlos hinunter und lehnte sich dann zufrieden zurück. Im Moment ging von den Menschen hier keine Gefahr aus. Deshalb gestattete sie sich eine telepathische Pause und schloss die Augen. James tat es ihr gleich und bald schnarchte er im Sitzen, den Kopf auf die Tischplatte gelegt.
Sie mussten ihr Tempo an Annika anpassen, die durch ihre Behinderung etwas langsamer war und sich an den vor ihr laufenden Jeremy orientierte, der die Kommandos gab. Sven lief keuchend hinterher. Er war müde und ausgelaugt, hungrig und durstig, aber neugierig, warum gerade er mitkommen sollte. So strengte er sich an, um die anderen nicht zu verlieren. Die Straßen- und Gassenzüge bildeten ein einziges Gewirr, in dem man leicht verloren gehen konnte.
Jeremy lief gleichmäßig und bald schon ging es bergauf und sie kamen an die angegebene Kreuzung. Jetzt mussten sie noch ein Stück hinab und da sahen sie die anderen schon auf sie zukommen. Mitten im Weg standen ein Mann und eine Frau in Uniform und warteten. Sven konnte die Angst des Mannes beinahe als körperlichen Schmerz wahrnehmen, von der Frau empfing er nichts, einzig ihre Gestalt kam ihm vertraut vor.
‚Was macht sie in einer Armeeuniform?’, dachte er erschüttert und drängelte sich nach vor. In ihm stritten Freude, Entsetzen, Zorn und Panik um die Vorherrschaft.
Alex krümmte sich am Boden. Er hatte zu hastig getrunken und jetzt rebellierte der Magen gegen die kalte, ungewohnte Flüssigkeit.
Wieder hörte er die Stimme in seinem Kopf, die ihn aufforderte, die Pläne des Zeitreisemoduls zu verraten. Die Kopfschmerzen nahmen zu und auch sein Herz begann wieder unregelmäßig zu schlagen. Es lag an dem ungewollten telepathischen Kontakt, er brachte ihn zum Würgen und presste Tränen aus den Augen.
„Gib mir die Pläne!“, verlangte die eiskalte Stimme.
Alex hörte sich selbst etwas rufen, das er vorher noch nicht einmal gedacht hatte: „Leck mich am Arsch!“ Nie im Leben hätte er das zu jemandem gesagt. Mittlerweile war es ihm egal. Diese Person stöberte weiter in seinen Gedanken, war wieder bei den Steinzeiterlebnissen angelangt und ging nun dazu über, in die Erinnerungen vor über zwanzig Jahren einzudringen.
„Sag es mir! Oder soll ich dich weiterquälen?“
„Du wirst – keine Antwort – von mir – bekommen.“
Er fühlte den kalten Boden unter sich und die Schmerzen ließen ihn immer mehr zusammenkrümmen, sein Atem ging nur noch flach, langsam und stoßweise. Bewusst vermied er es, tiefe Atemzüge zu machen, weil das die Schmerzen noch verschlimmerte.
„Na, wie lange wirst du noch aushalten, Alex? Ich weiß, dass du immer der Härteste unter den Studenten warst, das liegt wohl an deiner elenden Herkunft. Aber jetzt bist du eine Sensation, der letzte deines Volkes und dazu noch ein Telepath, also wirklich etwas Besonderes. Bevor ich dich an die Forscher übergebe, wirst du mir noch die Pläne liefern.“
„Edita?“, fragte er ungläubig. „Warum?“
„Weil es nötig ist. Ich gebe mich nicht mehr mit dem Kinderkram zufrieden. Mir wurde eine Position angeboten, die verdient sein will, also frag nicht mehr. Ich will nur die Baupläne, dann lasse ich dich in Ruhe.“
„Gib mir etwas Zeit, damit ich mich erholen kann. Ich bin krank. Edita, wenn du so weitermachst, bin ich tot noch bevor du eine Antwort hast.“
Darüber dachte sie nach, dann zog sie sich zurück und sagte: „Ich gebe dir genau zwanzig Stunden, um dich zu regenerieren. Du bekommst von mir sogar jemanden der dir hilft.“ Dann war sie weg.
Alex atmete erleichtert auf, zog sich hoch und ließ ich aufs Bett fallen. Aber die Schonzeit erschien ihm zu kurz. Er war kaum eingeschlafen, als die Tür aufging und die junge Frau wieder eintrat die ihm das Wasser gegeben hatte.
„Aufstehen“, sagte sie und zerrte ihn hoch.
„Ich hab gesagt, dass ich Ruhe brauche“, erwiderte er gereizt. „Vorher bekommt ihr von mir nichts.“
„Du wirst verlegt.“
Er stöhnte genervt, ging aber auf wackeligen Beinen mit.
„Wer bist du?“
„Du kannst mich Pippa nennen. Ich werde mich um dich kümmern.“
Sie brachte ihn in ein modern eingerichtetes Krankenzimmer mit einem richtigen Bett. Es gab sogar eine Nasszelle, die steuerte er jetzt an. Ohne auf ihre Verlegenheit zu achten, entkleidete er sich und stieg in die Dusche. Danach fühlte er sich zwar noch immer matt und unsicher, aber er war wieder sauber. Seit jeher hatte er es gehasst, wenn er über einen längeren Zeitraum nicht duschen oder baden konnte. Dann zog er eines der Krankenhausnachthemden an und legte sich ins Bett. Pippa war währenddessen im Raum geblieben, auch jetzt ging sie nicht. Alex fühlte sich in seiner Ruhe gestört. Die offen montierten Kameras irritierten ihn ebenso. Sicher, sie waren klein, aber er konnte sie dennoch erkennen. Dann bemerkte er, dass sie nicht aktiv waren und atmete etwas auf.
„Ist noch was? Wenn du mich quälen möchtest – nur zu, ich kann mich nicht wehren“, sagte er zornig.
Angespannt starrte sie auf ihre Finger. Dann strich sie sich nervös durchs Haar, blickte ihn direkt an, wobei sie errötete und sagte: „Ich möchte dir nicht auf die Nerven fallen, aber ich muss mich um dich kümmern und dafür Sorge tragen, dass es dir bald besser geht. Ähm – brauchst du etwas, außer den Dingen, die ich dir nicht geben kann, wie zum Beispiel, dich laufen zu lassen?“
Er überlegte eine Weile, dann sagte er: „Als erstes möchte ich etwas zu essen, aber nicht dieses chemisch hergestellte Zeug, das ihr hier habt, richtiges Essen und zu trinken hätte ich auch gerne, aber nicht unbedingt das eiskalte Wasser, davon bekomme ich Magenschmerzen. Und wenn du mir etwas ganz Gutes tun willst, dann besorgst du mir etwas zu rauchen. Ihr habt hier nicht zufällig auch Weißdorn- und Lindenblütentee? Aber danach brauchst du nicht zu suchen, bring nur etwas mit, das meine Schmerzen lindert und das Herz wieder beruhigt.“ Grinsend lag er im Bett und betrachtete ihren verblüfften Gesichtsausdruck. Schließlich räusperte sie sich und meinte: „Ich werde versuchen, dir alles zu beschaffen, aber garantieren kann ich es nicht.“
Als sie weg war rollte sich Alex lächelnd auf die Seite. Er genoss es, sauber zu sein und in einem weichen Bett zu liegen. Lange würde der Luxus nicht dauern, fürchtete er. Dann dachte er wieder an Brigitt und hoffte, dass sie in Sicherheit war, sofern man in diesem Land sicher sein konnte. Er wünschte, dass sie Hilfe gefunden hatte und sich endlich selbst vertraute. „Du kannst mehr als du denkst, Brigitt“, sagte er laut. Er ließ seine Gedanken sanft dahin treiben und glitt dann in einen friedlichen Schlaf über.
Stunden später erwachte er. Er drehte sich zur Seite und wieder war Pippa im Zimmer. Sie saß nahe bei ihm auf einem der unbequemen Stühle. Ihr Blick heftete an seinem Gesicht und er fragte sich, ob er merkwürdig aussah, so wie sie ihn musterte. Dann grinste er, als er das Tablett auf dem kleinen Tisch bemerkte. Pippa schaute nun ebenfalls dorthin und sagte, wobei ihre Stimme jünger klang als sie tatsächlich war: „Soll ich dir beim Aufstehen helfen oder geht’s jetzt wieder alleine?“
Weil sich Alex noch nie zu gut dafür war, Hilfe anzunehmen, griff er nach der dargebotenen Hand und zog sich in die Höhe. Erst als er saß, merkte er wie schlecht es ihm noch immer ging. In seinem Kopf drehte sich alles und am liebsten hätte er sich wieder hingelegt. „Ich kann dir dein Essen auch ans Bett bringen, du bist weiß wie die Wand.“
Ohne lange zu überlegen, nahm er das Angebot an. Kurz darauf saß er im Bett, vor sich ein Tablett mit einer Schüssel Suppe, er fragte nicht, wie sie hergestellt worden war, er roch die chemischen Geschmacksverstärker auch so heraus. Aber er aß sie trotzdem. Dann fand er auf einem anderen Teller noch ein eigentümliches Stück, das man mit viel guten Willen Fleischersatz nennen konnte, wahrscheinlich war es ein gepresstes Stück genmanipuliertes Sojakonzentrat. Soja war die Pflanze schlechthin und wurde in fast jeder Speise verarbeitet.
Er aß alles auf. Das Getränk war warm und süß, es sollte wohl Tee sein, schmeckte aber nur nach künstlichem Süßstoff. Alex kannte den Unterschied zwischen richtigem Zucker und dem schädlichen Ersatz genau.
„Es hat nicht geschmeckt, war aber ausreichend“, sagte er, als er fertig war und die leeren Teller von sich schob. „Schade, dass du keinen Tabak gefunden hast. Das wäre jetzt genau richtig damit der künstliche Geschmack aus dem Mund verschwindet.“
Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Schwer lagen die ungewohnten Speisen in seinem Magen.
„Es freut mich, dass ich wenigstens etwas für dich tun konnte. Viel habe ich leider nicht auftreiben können, aber ich kenne jemanden …“, sie hörte mitten im Satz auf und reichte ihm eine Zigarette.
„Himmel noch mal, das war im Scherz gesagt!“ Ungläubig fuhr er im Bett hoch und ließ sich dann wieder zurücksinken. „Aber jetzt, wo du mir eine gebracht hast, werde ich sie auch genießen. Hier gibt’s hoffentlich keine Besprenkelungsanlage.“
Pippa füllte eine der Tassen mit Wasser, stellte sie zurück auf den Beistelltisch und zündete für Alex und sich die Zigaretten an.
„Was willst du wirklich von mir“, sagte er als sie schon eine Weile schweigend geraucht hatten.
„Das weiß ich selbst nicht so genau“, gestand sie schließlich und hustete, weil der Zigarettenrauch für sie ungewohnt war. Nie zuvor hatte sie eine verbotene Substanz zu sich genommen.
„Ich würde an deiner Stelle einmal etwas für dich tun. Hör mit den Pillen auf. Verkaufen sie die euch noch als Vitaminpräparate, für teures Geld, damit ihr gesund bleibt und trotzdem frühzeitig sterbt?“ Als sie nickte fuhr er fort: „Ich habe sie nie genommen, aber ich bin zum Glück auch kein Bürger dieses ach so schönen Landes, was mir auch nichts genutzt hat, schließlich bin ich hier und nicht dort wo ich gerne wäre. Hör auf, das Zeug zu nehmen. Und vermeide zuviel künstliche Lebensmittel, sie verderben nicht nur die Geschmacksnerven, sondern sind auch noch schädlich. Es macht geistig träge und dazu kommen noch die zahlreichen Zivilisationskrankheiten, die dadurch ausgelöst werden.“
Er lehnte sich ins Kissen zurück und rauchte schweigend weiter. Pippa stand auf und öffnete das Fenster, der Rauch würde sonst irgendeinen internen Alarm auslösen und hier wäre die Hölle los. Sie sagte noch immer nichts, was Alex sonderbar und irgendwie beunruhigend fand. Nach einer Weile stellte er die Fragen, die in ihm brannten, seit er hierher gebracht worden war: „Wo bin ich und wer seid ihr? Was hat Doktor Landon mit der Sache zu tun? Sie war doch Leiterin der Historischen Fakultät.“
Jetzt setzte sich Pippa wieder zu ihm, warf die Zigarette in den Wasserbecher und schaute ihn abwägend an. Endlich begann sie zu reden: „Ich weiß nicht, ob ich dir das überhaupt sagen darf, aber ich mach es trotzdem. Du bist hier in einem geheimen Krankenhaus des Inlandschutzes. Krankenhaus ist vielleicht übertrieben, es ist eher eine Überwachungsstation für Gefangene, die während eines Verhörs zu Schaden kamen. Ich bin eigentlich Studentin an der Historischen Uni. Als Doktor Landon Freiwillige für ihre Feldforschungsarbeit am Zeitreisemodul suchte, wurde ich ausgewählt. Dabei interessiert mich der physikalische Kram daran überhaupt nicht. Sie ist scheinbar für die Leitung einer besonderen Einheit vorgesehen und arbeitet schon lange an diesen Raumzeitgeschichten. Ich weiß nicht einmal mit Sicherheit, ob das, was ich dir gesagt habe, stimmt. Es wird soviel erzählt, heute das, morgen das, da verliert man den Überblick und weiß nicht mehr, was man glauben kann und was nicht.“
„Seit wann gibt es den Inlandschutz? Ich habe erst kürzlich davon erfahren.“
„Offiziell gibt es ihn gar nicht. Aber inoffiziell besteht er seit achtzehn Jahren. Sie haben soviel Angst vor einer Veränderung, die du möglicherweise in der Vergangenheit bewirkt haben könntest, dass sie gegen jede Art des Aufstands rigoros vorgehen. Wenn sie dahinterkommen, dass ich dir das erzählt habe, kann ich einpacken, dann finde ich mich ebenfalls in einem Verhörzimmer wieder und kann mich mit den Gedankensonden anzufreunden beginnen. Nein, daran mag ich gar nicht denken.“
„Warum erzählst du es mir dann?“
„Weil ich es jemandem erzählen muss. Wie lange kann man etwas nur für sich behalten? Und ich meine jetzt nicht ein kleines Geheimnis, das man über mehrere Wochen mit sich trägt und dann wieder vergisst, weil es langweilig ist und einen nicht betrifft. Mich wurmt der Zustand, in dem sich unsere Welt befindet. Überall gibt es Krieg, entschuldige, es heißt ja Friedenseinsatz oder Friedensschutz. Am Ende kommt es auf das gleiche raus. Eumeria rüstet schon wieder und die anderen Staaten ziehen mit. Allesamt sind sie arm wie die Kirchenmäuse, aber dafür haben sie immer genug Geld. Gerade haben sie ein altes Waffensystem wiederentdeckt, besser gesagt, unsere Historiker haben das gemacht. Wir sind übrigens in der Hierarchie aufgestiegen und keine unnötige Wissenschaft mehr. Es ist eine mit radioaktiver Strahlung angereicherte Munition, was immer das sein mag, es pulverisiert alles, was damit getroffen wird und verseucht gleichzeitig die Umwelt. Ist doch toll. Und das Beste kommt noch – das Zeug kostet nichts! Es gibt ja seit Jahrhunderten keine Atomkraftwerke mehr, aber Physiker haben jetzt einige alte Endlager entdeckt, das ist natürlich eine tolle Fundgrube. Der Atommüll hat eine so hohe Halbwertzeit, dass er sogar jetzt noch gefährlich viel Strahlung abgibt.“ Ihre Stimme war voller Zynismus. „Es gibt noch andere Waffen. Aber über die wenigsten weiß ich etwas. Ich will es auch gar nicht wissen, es macht mir Angst.“
Sie schwiegen beide eine lange Zeit. Dann schaute sie auf die Uhr und sagte: „Am besten, du schläfst noch etwas, deine zwanzig Stunden sind bald um. Ich bringe dir später noch etwas zu essen und zu trinken. Magst du ein Koffeingetränk?“
„Warte“, sagte er und streckte die Hand nach ihr aus, berührte sie jedoch nicht. Er wusste, wie empfindlich die Eumerier auf Hautkontakte reagierten. „Warum versuchst du mir zu helfen? Was versprichst du dir davon?“
Sie drehte sich zu ihm um und sagte: „Nichts. Es ist alles nicht richtig, deshalb.“ Rasch verließ sie den Raum und ließ Alex nachdenklich geworden zurück. Jetzt hatte er jede Menge Stoff zum Nachdenken bekommen. Er nahm noch ein Schmerzmittel und fiel dann bald in einen traumlosen, tiefen Schlaf.
Als sie wiederkam fühlte er sich viel besser. Er betrachtete sie und erfreute sich an dem jugendlichen Anblick. Sie musste es gemerkt haben, denn sie errötete. Schnell schaute er weg und wandte seine Aufmerksamkeit den mitgebrachten Speisen zu.
„Wo hast du den Apfel aufgetrieben?“
„Das willst du gar nicht wissen. Genieße ihn, denn jetzt wirst du bald zu einem Verhör abgeholt werden.“
Er aß stumm und als er fertig war, ging sie mit dem leeren Tablett wortlos davon, nur um kurz darauf mit einem Wachmann zurück zu kommen. Sie reichte Alex frische Kleidung. Ganz bedächtig zog er sich um und weil es den Wächter so offensichtlich ärgerte, machte er noch etwas langsamer und stöhnte ein paar Mal. Er bemerkte, wie der Mann nach der Betäubungspistole tastete und zog sich den Rest schneller an. Bevor sie ihn abführten, wurde er wieder gefesselt.
„Erspart mir das, bitte. Ich schwöre, dass ich keinen Fluchtversuch machen werde, es wäre ohnehin sinnlos“, versuchte er sich dagegen zu wehren.
Der Uniformierte drückte ihm statt einer Antwort die Pistole in den Rücken und schob ihn vorwärts.
Er wurde in einen abgedunkelten Raum gebracht, auf einen Stuhl gedrückt und dort festgebunden. Als das erledigt war, ging das Licht an und Alex fühlte sich, als hätte ihn der Blitz getroffen. Sein Herz setzte einen Schlag lang aus und klopfte dann hektisch gegen das Brustbein. „Nein“, war alles, was er noch herausbrachte, bevor ihn das Bewusstsein verließ.
Man verabreichte ihm eine Injektion und kurze Zeit später kam er wieder zu sich. Als er die Augen öffnete flüsterte er: „Das kann nicht sein, du bist tot.“
Die Frau vor ihm lachte, dann sagte sie mit einschmeichelnder Stimme: „So kann man sich täuschen, Alex. Du musst mir unbedingt helfen. Wenn du ihnen die Pläne nicht gibst, dann töten sie die Kinder.“ Sie hatte Tränen in den Augen und blickte ihn flehend an. Das ergraute Haar war zu einem strengen Knoten gebunden, wie sie es immer getan hatte, wenn sie in die Stadt gefahren war. Aber sie trug den grauen Mantel der Forschungseinheiten.
„Nein, das hättest du nie von mir verlangt. Du bist nicht echt.“ Er wollte nicht glauben, was er sah. Sie kam um den Tisch herum, nahm sein Gesicht in die Hände und presste die Lippen kurz auf seine. „Ich würde dich nie anlügen, das weißt du. Gib mir die Daten.“ Dabei schaute sie ihm tief in die Augen. Das Blau war noch tiefer geworden und Feuchtigkeit glänzte darin.
„Du bist nicht Agnes“, sagte er heiser.
„Doch, ich bin es. Würdest du nicht alles für mich tun, wenn ich dir sagte, dass ich dich liebe, dich immer geliebt habe, du der einzige für mich bist?“
„Nein. Ich weiß ganz genau, dass du nicht Agnes bist, also hör auf, mich mit ihrer Gestalt zu quälen.“
„Oh Alex. Wie kannst du nur so dumm sein. Ich bin es wirklich, deine Agnes und ich liebe dich.“ Sie versuchte ihn zu küssen, doch er drehte den Kopf zur Seite, sodass sie nur die Wange erwischte.
„Lass das sein. Wer immer du bist, du bist nicht Agens Lindstrom. Sie hat mich vielleicht geliebt, aber nicht so, wie du denkst.“
Sie gab ihm eine schallende Ohrfeige und ließ die Suggestion fallen. Jetzt erkannte er Doktor Landon.
„Es ist traurig und bedauerlich, dass du dich zu solchen Tricks hinreißen lässt“, sagte er eisig.
Sie ließ sich davon nicht provozieren und aktivierte eine Bildübertragungseinheit. Es flimmerte kurz, dann sah er klar und deutlich Ivo auf einer Art Bahre sitzen. Alex schluchzte kurz auf und unterdrückte den Drang mit dem Jungen mitzuschreien. Ivo trug eine Art Helm, der Energieentladungen ausstieß und ihn herzerweichend um Hilfe rufen ließ.
„Das passiert jeden Tag. So versuchen sie seine Kräfte, die wirklich enorm sind, vom restlichen Bewusstsein zu trennen. Möchtest du noch sehen, was mit Sven und Brigitt los ist? Ich habe von allen dreien Aufnahmen.“
„Edita, ich dachte immer wir wären Freunde. Du hast mich vor fünf Jahren aufgespürt und wieder dazu gebracht, für euch zu schreiben und zu forschen. War das alles nur Kalkül, damit ich auf einen Ruf von dir sofort komme? Du hättest es dir sparen können, denn als sie die Jungs schnappten, habe ich mich sofort auf den Weg gemacht. Sie konnten nur nach Sunflower verschleppt worden sein. Und jetzt weiß ich, dass sie hier sind und zumindest leben. Das ist mehr, als ich noch vor einer Stunde wusste.“
„Es macht nichts, dass du das weißt. Aber bei dir habe ich wirklich gute Arbeit geleistet. Was die Suggestion angeht, da bin ich gut, nicht wahr?“ Wieder drang sie in seinen Geist und ließ ihn Agnes sehen.
„Hör auf. Ich bitte dich, Edita, hör auf damit.“
„Du brauchst mir nur die Daten zu geben, dann bin ich zufrieden.“
„Lässt du die Kinder frei?“
„Das kann ich nicht. Sie befinden sich in der Obhut von jemand anders. Aber ich kann dir Bilder von ihnen zeigen“, sagte sie jetzt und verließ sein Sehzentrum. Dann drückte sie einige Knöpfe auf einem Paneel und sofort erschien Sven, wie er im Käfig lag und vor Schmerz schrie, als er sich die Schulter ausrenkte. Dass sie schon lange nicht mehr wussten, wo sich Sven nach seiner Flucht aufhielt, sagte sie ihm nicht. Stattdessen grinste sie, als sie ein Bild von Brigitt hochlud, die in Armeeuniform mit einem Soldaten marschierte.
„Was zeigst du mir da? Brigitt würde nie mit der Armee kollaborieren. Sie nicht!“
„Du gibst mir jetzt die Pläne und alles wird gut. Agnes wird bei dir sein und dich lieben. Dann wirst du alles vergessen.“
„Nein! Verdammt noch mal! Ich habe es dir schon gesagt, so geht das nicht! Du bekommst von mir nichts! Eher bringe ich mich um, als mich von dir und deinesgleichen manipulieren zu lassen!“ Er wollte aufspringen, hatte vergessen, dass er festgebunden war und fiel mit dem Sessel um.
„Wir werden sehen, was du in einigen Stunden dazu sagst. Ich habe Mittel und Wege, dich zum Reden zu bringen und auch die Autorisation dazu. Überlege es dir gut, Alex. Welchen Weg nimmst du?“
„Leck mich“, brummte er kaum hörbar.