Vom vorsätzlichen Résumé
„Jesus! Was für‘n Stumpfsinn!“, meckerte Herr Mausezahn vor sich hin, als er zum gefühlten einhunderttausendsten Male die inzwischen im Inneren nicht mehr ganz so mit Teein versiffte Thermoskanne einweichte und dem kochend heißen Wasser dabei zuschaute, wie es dank des Geschirrspültabs in der Kanne über den Rand dieser sprudelte.„Nee“, murmelte er. „Der Jesus kann da gar nix für“, fuhr er fort, „der fühlt nicht meinen Scheiß. Der ist nur der Heiland der Lemminge.“
Herr Mausezahn runzelte die Stirn, als er hörte, dass es in seinem Wohnzimmer einen lauten Radau gab. Und so schickte er einen Stoßgebetsseufzer gen Himmel.
„Aber wovon soll er mich denn erlösen?“, fragte er sich, als er in seine gute Stube schlappte und das Schlachtfeld erblickte. Sein rosafarbener Tannenbaum hatte sich verabschiedet, als er sich mit viel Getöse aus der Deckenverankerung gelöst hatte.
„Etwa von meiner Natur, mich zum gefühlten Sepp der Nation zu machen, indem ich nie meine Klappe halte und mich selbst vor den Karren anderer Leute spanne?“
Er verdrehte seine Quarkknäppl und nieste drei Mal mächtig gewaltig. Aus der Nachbarwohnung drang ein gedämpftes: „Ruhe bitte!“ herüber.
Herr Mausezahn bleckte die Zähne. Er sah dabei aus wie einer der Zuchtrammler seines Lieblingsnachbarn. Also der mit den Hasenställen im Garten und den ganzen Kötteln auf der Wiese hinterm Haus. Und er begann damit, seine Batterie aus Bleistiften anzunagen. Nicht stumpf, sondern spitz. Denn er wollte sich endlich dransetzen, seine guten Vorsätze fürs neue Jahr aufzuschreiben. Ernsthaft. Und er wollte sein Résumé über die vergangenen zwölf Monate ziehen.
Doch irgendetwas hielt ihn davon ab. Ob es wohl daran lag, dass ihm noch immer die ungezählten Dominosteine von den Vortagen durch den Magen polterten und er den Zuckerschock vom vergangenen Weihnachtsfest in trauter Großfamilienstimmung immer noch nicht verdaut hatte?
Er wusste es nicht so genau. Und er konnte dieser Tage überhaupt nichts bestimmt benennen. Denn irgendwie herrschte derzeit nicht nur in seinem Wohnzimmer das blanke Chaos, sondern auch in seinem Inneren. Und das obwohl er schon vor den Festtagen damit begonnen hatte, sich geflissentlich auf das neue Jahr vorzubereiten und sich so enorm viel vorgenommen hatte für die Tage dazwischen.
Aber vielleicht war ja auch genau das sein Problem? Er hatte sich in seiner Erwartungshaltung zu viel vorgenommen, und nun hatte er den Salat. Denn er saß vor seiner Résumé-Liste und grübelte, während sich seine Raffzähne unermüdlich an den Bleistiften zu schaffen machten, bis von denen nichts mehr übrig war als Graffitstaub und Späne.
Herr Mausezahn war verzweifelt. Aus lauter Frust stopfte er sich noch mehr Dominosteine in den Mund. Denn er hatte sich diese von den Verkaufsmagiern für glatte sechsunddreißig Cent aus den Ladenregalen in seinen Einkaufskorb kehren lassen, wohlwissend dass eine ganze Packung von diesen Dingern normalerweise fast zwei Euro kostete.
Er wollte soviel und bekam gefühlt nix gebacken. Da konnte ihm auch nicht der feinstoffliche Jesus weiterhelfen.
Frustriert wühlte er mit seinen Händen im Graphit der zernagten Bleistifte und malte sich schließlich mit seinen Fingern lauter Herzen auf die hölzerne Schreibtischplatte. Dabei murmelte er in Dauerschleife: „Ene mene Miste, es rappelt in der Kiste. Ene mene Meck, und du bist weg. Weg bist du noch lange nicht, sag mir erst, ob ich mich lieb‘.“
© CRSK, LE, 12/2023
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