An-sicht-en die Zweite
ganz so schwarz- weiß hättest Du das doch nicht zeichnen müssen?
mein
olaf - Du kennst mich doch
kann nicht anders....
@*****tta :
mal am rande: wie nennt man eine solche kurzgeschichte genau, die nur aus dialogen besteht? gibt es dafür einen "fachbegriff"?)
ich glaube es bleibt einfach bei: Dialog
ich habe diesen Dialog nun mal in eine Geschichte "umgewandelt", doch ich finde, sie bekommt einen völlig anderen Charakter, wirkt ein wenig entschärft durch die Nebenhandlungen:
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An-sicht-en # die Zweite
Leise knarrend öffnete sich die Tür zum Atelier. Das Licht, das der Besucher mitbrachte, tauchte die der Tür gegenüberliegende Wand in Sepiatöne, die der hier hausende Künstler kaum perfekter auf seine Leinwände hätte bringen können.
Nur leicht hob der Meister den Kopf, um seinen Gast Giuliano mit einem kurzen Nicken zu begrüßen.
"Nun, großer Meister, Ihr habt erneut ein Werk geschaffen, wie ich sehe. Ich persönlich finde, es hätte farbenfroher sein können."
Seufzend ließ der Maler seine Hand mit dem Pinsel sinken, warf einen Blick auf das Gemälde auf der Staffelei, das sein Besucher ansprach und erwiderte: "Mein lieber Freund - wie immer, kommt Euer Kommentar zügig. Meine Art der Gestaltung des Bildes müsst Ihr dennoch mir überlassen."
Schon konnte er erkennen, wie sich der Pulsschlag seines Gegenübers erhöhte. Er war bekannt für seine raschen Gefühlsausbrüche, daher konnte der Maler sich zurücklehnen, wusste er doch, wie das Gespräch sich entwickeln würde.
"Auch wenn es viel besser aussehen könnte, wenn Ihr nur mal endlich meine Meinung annehmen würdet? Eure Ansichten sind veraltet und verschroben, so wie Ihr es seid." stieß sein Gast hastig und bereits etwas angegriffen hervor.
Jetzt erhob sich der Künstler, verschränkte im Gehen seine Arme hinter dem Rücken, während seine langen grauen Haare ihm über die Schultern fielen und sinnierte: "Das ist eben nur Eure Meinung, mein Freund. Ich schaffe meine Werke aus meinem inneren Empfinden heraus, ich bringe meine jeweiligen Gedanken darin ein, und somit ist es für mich nicht relevant, welche Wünsche Ihr habt. Schafft doch ein eigenes Werk, um Euch darzustellen, ich wäre der Erste, der es bewundern würde." Dabei lächelte er sanft seinen nun puterroten Gesprächspartner an.
Dieser polterte in seiner ungestümen Art sofort weiter: "Wie bitte? Wollt Ihr mir etwa unterstellen, ich wäre nicht fähig dazu? Außerdem verbiete ich mir, dass Ihr mich kritisiert. Was fällt Euch ein, mich beurteilen zu wollen?"
Der großgewachsene Maler hielt inne, betrachtete schweigend das Antlitz dieses ungehobelten Kerls, setzte sich wieder auf den kleinen Schemel, der sich unter einem kleinen Tisch befand. Er stützte seine Ellbogen auf die Tischplatte, faltete seine Hände vor seinem Gesicht zu einem Trapez zusammen und legte beide Zeigefinger an seine Lippen. Sein Schweigen machte den Wartenden unruhig, er ließ ihn noch ein wenig zappeln, dann erhob er erneut seine Stimme: "Oh, mein Lieber, ich erlaube mir keineswegs, etwas oder irgendjemanden zu kritisieren, geschweige denn, zu beurteilen. Ich betrachte mir jegliche Werke als das, was sie sind. Eine Darstellung eines Kreativen, der sich selbst Ausdruck verleiht. Wieso könnte ich dies denn kritisieren? Jeder Mensch ist ein Individuum und darf sich darstellen wie er es möchte. Somit auch Ihr. Doch, sagt mir, was hindert Euch daran es zu tun, und schwelgt lieber in Urteilen und verbalen Ergüssen anderen gegenüber?"
Er wusste bereits, wie sein Besucher nun reagieren würde, daher lehnte er sich zurück, verschränkte die Arme vor seiner Brust und fixierte mit seinem stechenden Blick das wütende Gesicht von Giuliano. Dieser lief nun wie ein Tiger hin und her, stampfte mit seinem Fuß kurz auf und verharrte vor der Staffelei: "Wie redet Ihr mit mir? Und überhaupt, Euer Bild, ich denke, das Gesicht dieser Person hätte mehr Eleganz gebrauchen können, und den Himmel hättet Ihr lebhafter gestalten können, es wirkt vollkommen langweilig und nichtssagend... ja, diesbezüglich passt es zu Eurer Persönlichkeit."
Langsam wurde es dem Maler doch zu unsinnig, sich mit Giuliano zu streiten. Vielmehr, ein Streiten war es nicht, da Giuliano erst zufrieden sein würde, wenn man ihm Recht gäbe. Auf Biegen und Brechen musste man seine Meinung annehmen. Ansonsten würde dies unendlich weitergehen. Dennoch würde er nie von seiner eigenen Meinung abkommen, Giuliano müsste es endlich lernen, dass jeder Mensch ein Recht auf seine eigene Meinung hatte. Daher entgegnete er mit gesenkter Stimme: "Ah, ich sehe, Ihr wollt ablenken, von Eurer eigenen Unfähigkeit und beginnt daher ein erneutes Streitgespräch und versucht mich zu verletzen? Doch lasst es Euch gleich gesagt sein, ich stehe darüber. Warum solltet Ihr mich, bzw. meine Werke beurteilen können? Ich stelle mich nicht auf eine Stufe mit Euch."
Das war Öl für Giulianos Feuer und er stieß noch weiter in die Glut, beleidigt warf er ein: "Jaaa, ich bin ja auch keiner Eurer Freunde. Doch die sind keineswegs in der Lage, Eure Werke kritisch zu betrachten. Sie sagen doch nur das, dass es ihnen gefällt, weil sie Euch mögen. ICH bin der Einzige, der wirklich den klaren Blick zur Kritik hat."
Der Künstler verdrehte seine Augen, atmete tief ein, erhob sich wieder und stellte sich neben Giuliano, betrachtete liebevoll sein Gemälde, drehte sich frontal zu Giuliano, blickte ihm tief in die Augen und brummte: "Meine Freunde - nun, da Ihr sie ansprecht, ja, natürlich beurteilen sie meine Werke anders als Ihr. Aber was ist denn daran schlimm? Und wenn man den Künstler persönlich kennt, betrachtet man dessen Werke sowieso stets anders. Wahre Freunde halten auch mit kritischen Aussagen nicht hinter dem Berg und verlieren doch nicht ihr Gesicht dabei, ebenso wenig wie ich. Die Freundschaft wird ebenfalls nicht unter Ehrlichkeit leiden."
Giuliano wich vor dem Maler zurück, der ihn um Haupteslänge überragte. Feige wie er war, wandte er sich ab, lief erneut durchs Zimmer und blieb vor dem Fenster stehen. Blickte nach draußen, bemerkte, dass die Sonne begann unterzugehen: "Freunde, Freunde, nein, sie urteilen nie richtig. Ihr könntet es wenigstens zugeben, dass Euer Werk nicht perfekt ist und dass es Makel hat, damit ich mich mit meiner Meinung besser fühle."
Den letzten Satz unterlegte er mit einem gehässigen Tonfall, so dass dem Meister herausrutschte: "Gehe ich davon aus, dass Ihr nur mit wenigen Freunden gesegnet seid, und wenn, dann nur mit solchen, die sich Euch nicht richtig geöffnet haben? Nur frage ich mich, weshalb..."
Giuliano erstarrte, dann lief ein Ruck durch seinen Körper, seine Augen weiteten sich in seinem dunkelrot angelaufenen Gesicht. Sein Mund war verzogen als er seine Kiefer aufeinanderpresste, sein Gesicht ähnelte nun mehr einer hässlichen Maske, als er zornentbrannt auf den Maler zustürmte. Er konnte sich grade noch zurückhalten, ihn nicht am Kragen zu packen und an die Wand zu pressen. Er brüllte verächtlich dem weise lächelnden Maler ins Gesicht: "Meister, es reicht. Nur weil ich meine Meinung über Euer Bild darlegen wollte, brauche ich mich nicht beleidigen zu lassen. Und, ich prophezeie Euch, oder viel mehr Eurem Bild - wie nannte Ihr es noch: Mona Lisa?- schon dies ist eine Zumutung - keinen großen Erfolg. Es wird mit Sicherheit im Laufe der Jahrhunderte in einer Abstellkammer vor sich in verstauben. Lebt wohl, da Vinci, Ihr seid meiner wertvollen Meinung nicht wert. An Euch ist jegliches Talent verloren gegangen, Ihr werdet noch an mich denken!"
Er stürzte aus dem Atelier und hörte noch im Treppenhaus das Gelächter von Leonardo da Vinci.