Drachenwelt (3. Kapitel)
DRACHENWELT (3)Der achte Sohn
„Schneller, Paran, schneller“ rief Toger, “sie holen uns gleich ein.“ Die Peitsche knallte und obwohl Toger der Ältere war, überließ er das Führen der Hunde gerne seinem jüngsten Bruder. Paran hatte ein fast unheimliches Geschick in manchen Dingen und der Umgang mit Tieren gehörte zweifellos dazu. Mit seiner glockenhellen Stimme trieb er die vier Wolfskinder an und der Abstand zum nächsten Schlitten vergrößerte sich tatsächlich wieder, als die Tiere sich mit aller Kraft durch den tiefen Schnee kämpften. Das Ziel kam in Sicht und Toger, der in Größe und Gestalt an einen Bären erinnerte, jauchzte wie ein kleines Kind und winkte ihren Verfolgern schelmisch zu.
Der Knabe aber, der die Leinen des Hundegeschirres hielt, hörte und merkte nichts von dem Triumphgeheul seines Bruders. Er lief mit ihnen durch den Schnee, fühlte ihren starken Herzschlag und ihren heißen Atem, der als kleine Wolken vor ihren Lefzen kondensierte. Er spürte ihre Freude und die spielerische Lust am Laufen durch das weiche, kalte Weis.
Togers prankengleiche Hand landete schwer auf seiner Schulter und holte ihn in die Wirklichkeit zurück. „ Halt an, Du Narr“ lachte der Ältere, “wir haben doch schon gewonnen. Tatsächlich lagen die Reisighaufen die das Ziel des Schlittenrennens markierten schon viele Schritte hinter ihnen zurück, so lockerte Paran seinen Griff um die Ledernen Bänder und lenkte die Hunde in einem engen Bogen zurück dorthin, wo der Großteil des Dorfes schon winkend und jubelnd auf sie wartete. Während Toger die Siegerehrung in vollen Zügen genoss, blieb Paran allein zurück und ließ seinen Blick über die Menge schweifen. Als er seinen Vater nicht entdecken konnte, kümmerte er sich zunächst um die Hunde. Er füllte ihre hölzernen Näpfe mit frischem Fleisch und stellte ihnen zur Belohnung auch eine Schale mit Ziegenmilch hin, als ein großer Schatten auf ihn fiel.
„Das hast Du sehr gut gemacht, Paran.“ Dargon hob ihn vom Boden auf und setzte ihn sich auf seine breiten Schultern. Paran vergrub kurz seine Finger in den langen, wilden Haaren seines ältesten Bruders und lachte glücklich auf. „Wo ist Vater“ fragte er, während Dargons lange Schritte sie der Mitte des Dorfes zu trugen. „ In den Bergen ist er, aber er wird bald zurückkehren und dann erzählen wir Ihm von Deinem großen Sieg“ .Enttäuschung zeigte sich auf Parans Gesicht, denn er liebte seinen Vater sehr. Um so mehr schmerzte ihn die manchmal kalte, abstoßende Art, mit der er ihn behandelte und die er nicht verstand. Traurig blickte er in Richtung der gewaltigen Berge, da traf ihn plötzlich ein Schneeball mit solcher Wucht an die Brust, dass er von Dargons Schultern gerissen wurde und kopfüber in den tiefen Schnee stürzte.
Prustend schüttelte Paran den Schnee aus seinen Haaren und konnte nur knapp dem nächsten Wurfgeschoss ausweichen, bevor er zur Gegenoffensive überging und die rothaarige Angreiferin lachend unter Beschuss nahm. „Na warte, Dalisa. Das wirst Du mir büßen !
Behende wie eine Bergziege wich das schlanke, hellhäutige Mädchen seinen Schneebällen aus, riss ihn um und rollte lachend mit ihm den sanften Hügel hinab durch den Schnee. Als sie am Fuße des Abhanges erschöpft keuchend liegen blieben, packte er mit der rechten Hand ihre feingliedrigen Handgelenke und rieb ihr mit der linken eine Handvoll Schnee ins Gesicht, bis sie lachen um Gnade flehte. „Genug, Paran ! Rief sie.“ Genug“. Das war die Rache dafür das Du mich im Schlittenrennen geschlagen hast „.Mit gerötetem Gesicht und noch ein wenig außer Atem erhob er sich und half Dalisa auf die Beine. Die roten Haare und der schlanke, hohe Wuchs, machte die Ähnlichkeit zu ihrer Mutter, der Heilerin der Stammes, unübersehbar. Obwohl im selben Zyklus geboren, überragte sie ihn um fast eine Hauptslänge. Auch wenn sie es an Kraft und Ausdauer nicht mit ihm aufnehmen konnte, so stand sie ihm in anderen Geschicken um nichts nach. Lächelnd standen sie einen Augenblick händchenhaltend im Schnee, bevor sie sich voneinander lösten und nebeneinander her den Hügel hinauf zum Dorf zurück gingen.
„Morgen ist Dein großer Tag“ erinnerte Dalisa ihn lächelnd. „Bist Du schon aufgeregt ? Paran schüttelte traurig den Kopf. Sein achter Geburtstag und damit der Tag, an dem die Knaben seines Stammes sich für ein Handwerk oder eine Kunst entschieden, welches sie die nächsten fünf Jahre erlernen würden. Das sein Vater der Häuptling dieses Dorfes war, spielte dabei keine Rolle. Alle Knaben hatten, je nach ihren Fähigkeiten, die freie Wahl. Das galt auch für die Mädchen, allerdings lernten diese bis zu ihrem zehnten Lebensjahr die Führung und Versorgung der Familie von ihren Müttern und wählten erst dann eine zusätzliche Aufgabe. In der Jagd wurden alle Kinder gemeinsam unterwiesen, dass war die Aufgabe des ganzen Stammes.
Paran hatte sehr viele Fähigkeiten und sein Geschick schon oft unter Beweis gestellt. Um so schwerer fiel es ihm eine Wahl zu treffen.
„Ganz ehrlich, Dalisa, ich hab nicht die geringste Ahnung.“ Seufzte er. Er zeichnete sehr gerne und auch das Schreiben ging ihm immer leichter von der Hand, aber auch das Bearbeiten von Metallen und der Umgang mit den zischenden, rauchenden Essenzen der Naturforscher faszinierte ihn. Ebenso die Heilkunst, das Deuten der Sterne und die Kunst des Ackerbaus. Es war zum verzweifeln. Am liebsten hätte er alles gelernt, aber dazu, dass wusste er, war ein Leben nicht lang genug.
Sie hatten den großen Platz in der Mitte des Dorfes erreicht und Dalisa küsste ihn flüchtig auf die Wange, bevor sie lachend in Richtung ihrer Hütte davon lief. Er blickte ihr einen Moment lang lächelnd hinterher, dann wandte er sich der großen Hütte mit dem Geweih eines mächtigen Elches über der bronzebeschlagenen Eichentüre zu. Sein Zuhause.
Rund um den langen Esstisch aus gebürsteten Wurzelholz herrschte bereits reges Treiben als er eintrat. Die Vorbereitungen für das gemeinsame, abendliche Mahl waren in vollem Gange und trotz der vielen Arbeit fand seine Mutter noch die Zeit ihm zu seinem heutigen Sieg zu gratulieren. Sie küsste ihn auf die Stirn und fuhr ihm mit der Hand durch die dunkelblonden Locken. Paran runzelte kurz die Stirn, den das hatte sie schon lange nicht mehr getan. Seine Brüder begrüßten ihn johlen und lachend und bewarfen ihn mit Brotstücken, die er begeistert zurück warf, bis seine Mutter sie mit strenger Stimme zur Ordnung rief. Als sein Vater auch zum Essen nicht erschien, was bei seinen Ausflügen in die Berge nicht ungewöhnlich war, verbrachte Paran nur noch wenig Zeit auf dem Boden vor dem Kamin und übte sich im Schreiben, bevor er früh zu Bett ging. Der Tag war anstrengend gewesen und er schlief tief und fest, bis schwere Schritte und das Knarren der Zimmertüre ihn tief in der Nacht weckten.
Als er verschlafen die Augen öffnete, blickte er in das ernste Gesicht seines Vaters, der ihn mit einem seltsamen Blick musterte. „Meinen Glückwunsch zu Deinem Sieg im Schlittenrennen, mein Sohn. Ich bin sehr stolz auf Dich. Mit diesen Worten drückte Kandal seinen jüngsten Sohn kurz an seine Brust, bevor er sich von der Bettstat erhob. Morgen ist der Tag an dem Du eine Wahl treffen musst. Hast Du Dich bereits für eine Ausbildung entschieden ? Als Paran diese Frage nervös verneinte, lächelte sein Vater mild zu ihm herunter. Zieh Dich an, Paran. Und dann komm hinunter in die Essstube, denn es gibt noch eine weitere Ausbildung zur Auswahl, von der ich Dir erzählen möchte.
© 03.2010 by Biker_696