An Tagen wie diesen
Eigentlich ist es ein ganz normaler Arbeitstag von mir, aber ... und da folgt die Geschichte dazu ... (ich musste mir das runter schreiben, ich wäre sonst geplatzt)An Tagen wie diesen
Wieder so ein Tag, der mir schon am Morgen den Appetit auf den Abend verdirbt. Es ist wirklich die Hölle. Auf den Straßen lauter Irre unterwegs und ich mittendrin. Stau schon um sieben Uhr, nur zäh geht es dahin, hinein in die Stadt. Endlich, nach einem durchschwitzten T-Shirt und einem leer getrunkenen Kaffeebecher komme ich an meinem ersten Einsatzort an. Hier läuft noch alles nach Plan: Unterhaltung, waschen, aufräumen. Dann der Nächste auf der Liste. Ich hasse diese Hausbesuche, manchmal, an Tagen wie diesen.
Der nächste Einsatzort, beschert mir wieder Magenkrämpfe. Zuerst wate ich durch nasses WC-Papier, das schon an der Wohnungstür zu finden ist. ‚Schön, sie hat nicht vergessen, auf die Toilette zu gehen’, denke ich und räume das Papier weg. Sie ist bereits wach und empfängt mich mit Schimpftiraden, zum Glück beziehen sie sich nicht auf mich. Sie schimpft auf den unfähigen, unfreundlichen Therapeuten, der sie gestern im Stich gelassen hatte. Das ist mir heute aber so was von egal. Ich überrede sie zu einer Dusche, da hört sie endlich zu keifen auf. Heute kann ich das nicht hören. Mit viel Geduld geht die Stunde herum, Frau und Wohnung sind halbwegs sauber, sie sitzt jetzt wieder ruhig und zufrieden am gedeckten Tisch und schlürft ihren Kaffee. Ich möchte jetzt auch einen, habe aber gerade mal Zeit, eine Zigarette zu rauchen und es geht wieder weiter.
Ich rase durch die Straßen, immer die Fahrradkuriere im Auge, die stracks die Seite wechseln und sich zwischen den Autos durch den Verkehr fädeln.
Endlich komme ich beim nächsten Klienten an, finde wie zu erwarten in dieser Straße keinen Parkplatz und rase weiter, zwänge mich in eine freie Parklücke und laufe. Ich weiß genau, dass ich für jede Minute Verspätung bei dieser Dame Rechenschaft ablegen muss. Das nervt!
Vor der Haustür atme ich einmal tief durch. Das ist jetzt sozialer Wohnbau per exellence. Kaum habe ich die Tür aufgedrückt umweht mich schon der unvergleichbare Duft nach Schweiß, zuwenig Sauerstoff, Knoblauch, Zwiebel, Alkohol, kaltem Zigarettenrauch und Harn. Diese Duftwolke ist so dick, dass sie sich in der Nasenschleimhaut festsetzt und dort ein Eigenleben beginnt. Vorsichtig schlängle ich mich an den Mülltüten vorbei, die ebenfalls zur Geruchsbildung beitragen, steige über einen Haufen Hundekot, die Zigarettenkippen stören mich dort am wenigsten. Geschafft, ich bin glücklich an der Stiege angekommen. Jetzt immer zwei Stufen auf einmal hinauf in den ersten Stock.
Dort empfängt mich eine neue Wolke. Die Mischung aus Parfum und Stuhl, einfach wunderbar und unvergleichlich die dazupassende Note aus Harn, Schweiß und altem, vergammeltem Essen. Als ich eintrete weiß ich wieder nicht, wo ich meine Füße hinsetzen soll. Die nette Dame hatte Durchfall und so ist es eben gekommen, wie es kommen musste. Ich wate durch die Bescherung, stehe gewissermaßen in der Scheiße und frage mich, was ich hier mache. Warum habe ich nichts Ordentliches gelernt? Ja, werdet ihr jetzt sagen, die arme Frau kann auch nichts dafür. Sicher, das stimmt schon. Aber ich doch auch nicht. Wie komme ich dazu, den Dreck anderer Leute wegzumachen?
Also, Wut runter schlucken und den Widerwillen gleich mit. Dann ran an die Arbeit. Zuerst wird die Frau geduscht, nach einer halben Stunde Schrubberei dann das Bad und der Rest der Wohnung. Alles stinkt nach Stuhl, ich kann ihn fast auf der Zunge schmecken. Wie ein ekeliger Belag hat sich dieser Geruch durch die Riechnerven zu den Geschmacksknospen vorgewagt und lässt mich spucken.
Heute reiche ich ihr zum Abschied nicht mehr die Hand, ein Winken muss genügen. Noch einmal ins Auto und weitergehetzt. Auf zum nächsten sozialen Brennpunkt. Es leben die Substandardwohnungen! Wenigstens sind sie alle mit fließendem Wasser ausgestattet. Vor gar nicht allzu langer Zeit musste man das Wasser in einigen Häusern noch vom Gang holen und auf dem Herd erwärmen. Das ist echt toll, im 21. Jahrhundert. Kaum vorstellbar so etwas.
Also, dann … läuft es endlich wieder halbwegs nach Plan, bis der Angehörige die Wohnung stürmt und mich mit seinem Ärger über die Ämter voll labert. Ich weiß, dass die Ämter alles probieren, damit sie nicht zahlen müssen und nein, ich bin von einer anderen Organisation und wie bitte soll ich wissen, wie die Betreuung der alten Dame organisiert wurde? Schließlich bin ich nur die Aushilfe.
Jetzt wäre eigentlich Zeit für die Mittagspause aber ich muss noch Berichte schreiben. Also schnell irgendwo einen Kaffee trinken und dann zu jedem Klienten einige Zeilen schreiben und ab zur Dienstbesprechung. Fast hätte ich auf die wichtigen Formulare zum Ausfüllen vergessen, schließlich will ich ja irgendwann etwas Geld auf dem Konto sehen und Urlaub wäre auch nicht schlecht.
An Tagen wie diesen hasse ich meinen Beruf … an Tagen wie diesen … beginnt die große Frage nach der Sinnhaftigkeit meiner Arbeit.
(c) Herta 3/2010