Die Maus
Ihr war etwas übel. Zittrige Knie, schwitzige Hände, trockener Mund. Aber das kannte sie schon. So war es jedes Mal.Gleichmäßig atmen, Mädchen! Ganz ruhig! Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Atme die Übelkeit weg. Einatmen. Schultern gerade. Ausatmen. Bauch rein. Einatmen. Hände entspannt. Ausatmen. Arschbacken zusammenkneifen. Einatmen. Locker in den Knien. Ausatmen. Bodenhaftung annehmen. Einatmen. So ist es schon besser. Und jetzt raus, auf die Bühne, das Mikro wird dich schon nicht auffressen. Es ist dein Freund. Es verleiht dir Stimme.
Die ersten Töne waren noch recht wackelig. Aber dann wurde sie sicherer. Traf nach einer Weile die Töne messerscharf. Dachte nicht mehr darüber nach. Dachte nicht mehr an Texte. Nicht ans Publikum. Sie vergaß gefallen zu wollen. Das Einzige, woran sie dachte, war die Musik, die ihr um die Ohren brauste. Und dass sie eins sein wollte mit dieser Musik. Die grellen Lichter der Scheinwerfer fielen ihr nicht mehr auf. Sie fühlte sich völlig allein mit der Musik und ihrem Gesang. Es war wie ein Rausch. Ein Delirium, das keine Droge der Welt so herbeiführen könnte. Beinah war es, als hätte sie ihren Körper verlassen und würde schweben, getragen von Musik entrückte sie in ferne Welten.
Den Applaus des Publikums nahm sie kaum wahr, nachdem die Musik verklungen war. Sie verbeugte sich knapp und floh zurück in ihre kleine, eigene Welt. Mausgrau wie sie selbst. Der Rausch war vorbei.