[RF] Nun, im Amt: Klo und Papier
„Auf der Toilette fehlt Klopapier.“ habe ich nach der Frühstückspause festgestellt und den Fehler begangen, Jupp davon in Kenntnis zu setzen.Ohne aufzuschauen meint er: „Huusmeesterdienst.“
„Das war einmal“, entgegne ich. „Wir haben doch das Gebäudemanagement outgesourced.“ Ich hasse dieses Outsourcing. Immer mehr Dienstleistungen haben wir externen Firmen übertragen. Es fing mit den Putzfrauen an, die kein Wort deutsch sprechen. Die aber gerade deshalb ideal für den Job geeignet sind, da sie dann auch keinen Einblick in die geheimen Akten nehmen können, die wir aus Bequemlichkeit – wir nennen das Vertrauen gegenüber den Kollegen – nie im Schrank verschließen. Die Putzfrau war erst der Anfang. ‚Bald werden deutsche Beamten nach Indien outgesourced‘, denke ich. ‚Oder vielleicht nach Griechenland. Die brauchen jetzt jede Unterstützung der EU. Kalimera, oder so.‘
Mittlerweile verspüre ich einen stärker werdenden Druck im Darm und schaue sehnsüchtig auf den leeren Papierkorb hinüber. ‚Nein‘, denke ich. ‚Ich werde nicht.‘
Da Jupp nun mit der Herausforderung Suche Klopapier konfrontiert wird, würdigt er mich doch eines Blickes. Sicher realisiert er, wie ich immer unruhiger auf meinem Bürodrehstuhl hin und her wippe und meint: „Schau‘n mer mal in der Versorgungsdatei nach, welcher Beschaffungskanal dafür in Frage kommt. Wenn du den kennst, geht alles andere einfach. Also fast automatisch.“
Ja, wir haben Kanäle zur Beschaffung, keine Mitarbeiter. Unsere notwendigen Arbeitsmittel kommen über diese ominösen Kanäle. Ich komme mir so vor, wie damals, als die ersten Güter durch den Suez-Kanal transportiert wurden. Es kam etwas an und keine wusste so recht, woher eigentlich, aber jeder wusste, es ging an Ägypten vorbei. Ägypten, dieses sagenhafte Land jenseits unserer Vorstellung.
Genaugenommen habe ich keine Ahnung, was diese Versorgungsdatei sein soll, von der Jupp geredet hat. Aber ich würde es nie eingestehen. Aber da in diesem zusammengesetzten Substantiv der Bestandteil Datei vorkommt, habe ich messerscharf geschlossen… ich werde es in unserem Computer-Netzwerk finden. Da findet man alles… Irgendwann. Nur warum laufen meine Recherchen immer ins Leere?
Nach etwa einer Stunde breche ich die automatische Suche nach Worten wie Papier, Versorgung oder Nachschub ergebnislos ab und beginne, alle Verzeichnisse manuell zu durchforsten. Irgendwann im Laufe des späten Vormittags stolpere ich versehentlich über eine Anwendung – nicht Datei – namens VersDat. Ich hätte meinen Glücksfund fast ignoriert, da die Windungen meines Dickdarms sich immer weiter mit Methangas füllen. Ich beiße auf meine Lippen und das Lächeln – obgleich ich fündig wurde – fällt wir schwer. VersDat – darauf hätte ich auch kommen können.
Durch Doppelklicken auf das niedliche Symbol eines LKWs öffnet sich die Datei und fragt mich zunächst nach meiner Berechtigung, überhaupt etwas zu dürfen. Die immerwährende Frage der Netzwerke nach Lebst-du-noch oder arbeitest-du-schon? Ich schaue auf die Uhr. Dienstag, 10:30 Uhr. ‚Das Wochenende ist vorbei‘, denke ich. Also arbeite ich schon – zwangsläufig. Nur muss ich es irgendwie der Maschine erklären.
Mit tatkräftiger Hilfe meines Counterparts im Büro – Jupp – lösen wir zumindest die Frage nach dem Passwort. Ungelöst bleibt meine Sehnsucht nach… und ich schaue wieder zum Papierkorb, der mir immer sympathischer wird. Ich gebe meinen Nach- und Vornamen als Benutzer ein. Das habe ich bereits gelernt. Dann gebe ich meinen Vor- und Nachnamen als Passwort ein. Darauf wäre ich nie gekommen. Aber es erfüllt alle Kriterien: Groß- und Kleinschreibung und ein Sonderzeichen enthält das Passwort auch, wenn man mal das Leerzeichen zwischen den beiden Wörtern mitrechnet. Prompt breitet sich mir eine schöne neue Datenwelt aus:
Willkommen zu VersDat
Nun beginne ich auf Suche. Das hört sich gut an. Ich klicke auf das Symbol VersArt in der tiefen Hoffnung, Versorgungsartikel zu finden. Ich werde nicht enttäuscht und erfreue mich an meinem messerscharfen Verstand. Auch dies war einfach. Eine alphabetische Liste. Gut. Als Suchbegriff gebe ich Klo… ein. Ich bin verblüfft, wie sich die Maschine bemüht, meine Gedanken zu lesen und jeweils die Wortanfänge sinnvoll ergänzen möchte. Alleine sich mit dieser Thematik zu beschäftigen erhöht den inneren Darmdruck immens.
Keine Treffer. Klopa… Noch immer nichts. Auch bis Klopapier bleibt meine Suche ergebnislos.
Da trifft es sich gut, dass Jupp ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt das Büro zum Rauchen verlässt. ‚Allein‘, fährt es mir durch den Kopf und all das Methan entlädt sich explosionsartig in dem Büro. Zumindest ein kleines Gefühl der Erleichterung macht sich breit. Aber es lindert meinen Druck nur ansatzweise.
Als Jupp um 11:30 – also nach 45 Minuten Zigarettenpause – wieder zurückkommt, rümpft er die Nase, wagt es aber nicht, etwas zu den ungewohnten Gerüchen zu bemerken. Inständig hoffe ich, dass seine nikotinbetäubte Nase nicht in der Lage ist, die Geruchswelt zu identifizieren.
„Naaaa“, er dehnt dieses ‚a‘ immer. „Fündisch jeworden?“
Zu meiner Schande muss ich gestehen: „Klopapier kennt die dumme Maschine nicht.“ Und in Gedanken und leidend verzerrter Grimasse füge ich hinzu: ‚und ich seit gestern auch nicht mehr.‘
„Kann s‘e auch nischt.“ Er grinst. „Du musst Papier, Klo- eintippen. Immer erst den Hauptbegriff, dann de Spezifizierung.“
Gegen 11:40 tippe ich Papier, K… Mehr war gar nicht notwendig. Automatisch ergänzt diese grauenhafte Besserwissermaschine in buchstabenweiser Langsamkeit: o …
‚Nicht Kopapier‘, denke ich noch, bevor die weiteren Buchstaben erscheinen: p – i – e – r -.
„Nein!“ schreie ich auf. „Niemand putzt sich mit Kopierpapier das braune aus der Ritze. Niemand!“
Ich explodiere fast und mein Ausbruch reißt Jupp von seiner Bildungslektüre. Ist es Wut oder ein erneuter Methanstau? Es muss Wut sein, denn unverzüglich entlädt sich das Methan selbständig.
Das Methan geht. Die Wut bleibt.
„Dann nemm Tollette, oder wie man das schreibt“, schlägt Jupp vor und versinkt wieder in der Bild.
Also tippe ich Toiletten… und wundere mich, warum die Maschine den Wortvorschlag nicht ergänzt. ‚Nein‘, erinnere ich mich: Papier, T…
‚Geht doch‘. Nun lächele ich doch einmal. Aber nur kurz.
Papier, Toilette
Ich bin begeistert. Glückshormone durchströmen pünktlich um 11:00 meinen Körper. Endorphine! Dann schrecke ich in der Befürchtung hoch, dass auch noch ganz andere Dinge meinen Körper durchströmen mögen.
Für Bezugseinheit gibt es zum Glück ein Auswahlfeld. Drop Down Menu habe ich in meinem PC Anwenderkurs gelernt:
Der erste Eintrag im Menü ist Meter: ‚Wie viele Meter Klopapier brauche ich eigentlich? Und wie lang ist das Klopapier auf einer Rolle‘ überlege ich und verwerfe dann den Gedanken, eine Rolle abzuwickeln und auszumessen. ‚Hätte ich doch wenigstens eine Rolle‘. Bei diesem Gedanken rollen mir Tränen – in der Bezugseinheit Tropfen – über mein Gesicht.
Dann folgt Rolle: Das ist naheliegend. Ich wähle Rolle aus. Am besten nehme ich direkt Acht und verteile diese auf die verschiedenen Kabinen. „Jupp, wie sieht es mit Rolle aus?“
Er scheint nicht verstehen zu wollen. „Wie, wo was, Rolle?“
„Als Bezugseinheit für das Klopapier.“
„Verjess es.“
„Warum?“
„Damit kannst’e Tesafilm bestellen. Also eher Röllchen, wie Röllmöps oder Schinkenröllchen.“
„Rollmops“, verbessere ich ihn, „Mit o, nicht ö.“ und verdränge den Gedanken an Essen schnellstmöglich wieder.
Ich verberge meine Bedürfnisse hinter Röllmöps. Nichts ist es mit Rolle. So drehe ich wieder auf meinem Bürostuhl hin und her, denke an Rollstuhl, Rolltreppe und Rollladen; nicht jedoch Roulade, während meine Augen erneut an diesem einladenden Papierkorb hängen bleiben. Er schreit mich förmlich an: „Benutze mich!“
„Jupp, und ein PK?“
„Paket, heißt das.“
„Kommt Klopapier in Paketen?“
„Nur wenn es nicht geboxt ist.“
„Wer boxt Klopapier.“
„Net verprüjeln.“ Jupp weiß einfach alles. Ich bewundere ihn.
„Niemand boxt mit Klopapier. Dat steht für in eine Box gelegt. Also kannst du eine Box Klopapier bestellen. Dat’es aber zu viel. Dat jeht net.“ Nun gut. Nun weiß ich, dass ich die Einheit BX auch ignorieren kann.
kg: Kilogramm kann ich wohl auch ignorieren. Ich wage erst gar nicht daran zu denken, wie schwer so eine Rolle sein könnte.
EA: „Und EA, Jupp? Was ist das?“
„European Agency, mein lieber.“ Er bleibt in seiner Zeitung vertieft.
„Aber wie kommst du jetzt darauf?“
„Hier bei der Auswahl.“
„Ach, saach dat doch gleich.“ Wissend schaut Jupp auf. „Dat steht für Ietsch?
„Each?“ wiederhole ich fragend.
„Jenau. Dat’es militärisch. Each heißt Stück.“
So muss sich Sokrates gefühlt haben, als er Heureka rief, wie ich nun um 12:15 als Bezugsmenge EA eintrage.
Fast hätte ich meine Mittagspause vergessen. Kurz bevor ich meine Bestellung vollenden kann legt Jupp seine Bild aus der Hand, steht auf, winkt mir zu und meint: „Maaaahlzeit.“
Sobald sich die Türe hinter ihm schließt, springe ich auf, renne zum Papierkorb, fühle die Erleichterung, als sich mein Darm erleichtert und verwende Kopierpapier – wie von der Maschine empfohlen.