ars amatoria
„Hah, aber ich will nicht die Liebe um der Liebe willen. Liebe ist doch eine universelle Macht. Sie ist nichts, dem gegenüber man einen Anspruch erheben kann. Deren Verlust aber Energie raubt.“Thomas setzte sein Bierglas heftig auf den Tisch. Herausfordernd blickte er seinen Freund Klaus an.
Klaus drehte den Bierdeckel in der Hand:
„Keine Frage, Liebe ist eine universelle Energie.
Dann kann es aber ihren Verlust nicht geben! Auch wenn
es regnet, ist die Sonne hinter den Wolken und macht uns Licht. Es ist also das bewusste, berauschende Wahrnehmen, das du gerade erfährst. Aber eigentlich keine Zustandsänderung. Denn die Sonne geht jeden Morgen auf, egal wie das Wetter ist.“
Thomas dachte einen Moment nach:
„Dann ist es also das Baden in Liebe, das bewusste Erleben was zählt, nicht die Liebe selbst?
Ihr Widerhall in uns. Ihr verbindendes Wesen. Ihr grenzenloses Füllhorn von Glück. Überschwemmend, mitreissend. Wir lassen uns fallen. Erleben ihre Wogen, die uns tragen. Nur weil sie durch uns, für uns erlebt wird, erhält sie ihren wahren Wert.“
Klaus nickte zustimmend:
„Vorher war nicht weniger Liebe in dir oder in deiner neuen Freundin, bevor ihr euch begegnet seid.
Was sich geändert hat: dass ihr einander als Liebesobjekte gewählt habt. Ihr seid ideale Liebespartner füreinander, weil ihr einander auf´s Schönste spiegelt. Ihr füttert euer Ego mit diesen Spiegelungen.
Wenn man die Liebe, die Paarliebe, so betrachtet, ist sie fast wie ein Theaterstück. Wir machen alle Liebestheater und manche sind Meister in dieser Kunst!“ Er musste über das verdutzte Gesicht von Thomas lächeln.
„Wenn wir lieben, bespielen wir die ganze Klaviatur des Liebe Machens, - tun es immer gleich, je nach individueller Liebesfähigkeit – und mit unterschiedlich begabten Mitspielern. Denn viele sperren sich dagegen, stellen Geist und Willen in ihren Weg.“
Thomas schaute ihn fast enttäuscht an.
„Dann ist also doch Lieben um der Liebe willen?“
Klaus nickte.
„Unerträglich ist, wenn wir nicht wissen, wohin mit unserer Liebesenergie; es sei denn, wir verwandeln sie in Arbeit oder Kunst. Ein Partner muss groß und kraftvoll sein, um diese Wucht auszuhalten – die meisten knicken früher oder später ein. Das klingt, wenn man es so formuliert, sehr nüchtern, entzaubert – allerdings halte ich es für die notwendige Voraussetzung einer dauerhaften Objektbezogenheit. Der universelle Rausch, so es ihn überhaupt gibt, vergeht schnell – dann aber ist Liebesarbeit oder –kunst gefordert, immer neue Szenen zu erfinden, neue Bühnenbilder zu schaffen für weitere Akte des Stücks.“
„Der Gedanke gefällt mir nicht!“ erwiderte Thomas. „Ich will doch nicht nur eine selbst gebastelte Illusion! Nichts auf dieser Welt sollte lieblos sein. Kein Herz von Schatten bedeckt. Liebe soll bleiben. Niemand sollte den Nachhall von Liebe vergessen. So wie wir Licht, Farben und Gerüche erinnern.“
Klaus nickte.
„Ja, romantisch ist das nicht. Aber realistisch. Dasselbe gilt übrigens auch für den Sex: Das Rein-Raus-Spiel ist im Grunde immer das Gleiche: wir nehmen im Prinzip kaum einen Unterschied wahr, welcher Körper uns gerade einen Orgasmus beschert. Aber die Inszenierung, das Davor, Danach und Drumherum ist das, was wir erinnern werden, und deswegen ist es wichtig!
Oder betrachte die Kunst: Die Zahl der Kern-Inhalte, die in allen Kunstarten dargestellt werden, ist begrenzt. Aber wie viele Bilder-, Wort-, und Kompositionsvarianten hat der Mensch nicht schon erfunden, um die selben Themen immer wieder neu, schön, und überraschend zu zeigen?
Die selbe Arbeit ist auch in der Liebe gefordert. Und die Lust, das geradezu unstillbare Bedürfnis, diese Arbeit zu leisten.“
Thomas schüttelte ungläubig den Kopf.
„Arbeit – das klingt so mühsam!“
„Nur, wenn man es oberflächlich betrachtet. Nimm einem Künstler sein Werkzeug weg, und er verkümmert. Betrachte den desolaten Zustand eines Arbeitslosen, nicht nur im materiellen Sinne. Er fühlt sich unnütz und dadurch wertlos. Was der Mensch braucht ist eine Aufgabe, eine Möglichkeit, tätig zu sein, um sich selbst zu erfahren. Also ist die Liebesarbeit nur eine weitere, schöne Möglichkeit, das Leben zu gestalten. So, dass wir uns nicht langweilen, wie wir es im Paradies wohl täten.“
Thomas begann zu grinsen.
„Also wäre lieben wie arbeiten nur ein weiteres Mittel gegen Langeweile?“
Klaus lachte auch.
„Genau: alles nur Mittel gegen die unerträgliche Langeweile des schieren Seins! Prost!“
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