Nur ein kleines Leben
Südmähren 1925, 24. DezemberKlirrende Kälte herrscht draußen. Drinnen in der Stube aber ist es gemütlich warm. Es duftet nach Tee und Plätzchen und Tannengrün. Die Familie hat sich um den Weihnachtsbaum versammelt und will gerade die Kerzen am Weihnachtsbaum anzünden, als bei der Mutter die Wehen einsetzen. Eilends wird nach der Hebamme geschickt und nicht viel später erblickt ein Knabe das Licht der Welt, noch nicht wissend, in welch bewegte Zeit er hineingeboren wurde.
Winzigklein ist dieser Junge, der an diesem Heiligabend das Licht der Welt erblickt. Kein Wunder, denn sein älterer Bruder Sepp war im gleichen Jahr geboren und die Mutter hatte alle Kraft aufzubieten, ein Kind zu nähren und derweil ein zweites auszutragen.
„Der wird nichts, den werfen wir am besten auf den Mist!“ sagt der Vater halb im Scherz. Er denkt dabei an die Lämmer, die im Dezember, viel zu früh geboren, kläglich erfrieren. Aber wie es mit Weihnachtsgeschenken manchmal so ist, kommt es doch anders, als man denkt. Der kleine Wurm hat so viel Lebenswillen, dass aus ihm ein stattlicher, fröhlicher Knabe heranwachsen wird. Noch aber weiß das niemand und so bangt man die ersten Tage um das winzige Knäblein, das auf den Namen Rupert getauft wird. Drei Brüder und eine Schwester hat Rupert und gemeinsam werden sie viel aushecken, in dem Dörfchen, in dem sie groß werden.
Hier in Kurlupp nahe der Grenze nach Österreich und der Tschechoslowakei leben nur Deutsche. Reich ist hier kaum jemand. Man lebt von dem, was das Land einem gibt und versorgt sich selbst oder treibt Tauschhandel. Fast alle im Dorf sind Bauern mit eigenem Land, und am Ende des Weilers wohnen die Tagelöhner, die abwechselnd bei den Bauern arbeiten, immer gerade da, wo jemand gebraucht wird.
Die Schmucken Höfe stehen nahe beieinander in einer Reihe und jeder Hof hat ein großes Tor, durch das ein beladener Heuwagen bequem hindurch fahren kann. Mächtige Kastanienbäume säumen schattenspendend die schnurgerade Straße, die durchs Dorf führt. Mitten im Dorf, wie es sich gehört, steht die Kirche, mit dem Kriegerdenkmal der gefallenen Helden aus dem Weltkrieg davor. Nicht weit davon gibt es einen kleinen Gemischtwarenladen, in dem man auch die Milch abliefern kann und ein Gasthaus, in dessen Hof hinterm Haus um Sommer die Musik zum Tanz aufspielt. Gleich daneben ist das Rathaus mit der Post und am Ende des Dorfes das Schulhaus, das dem kleinen Rupert in seinen nächsten Jahren noch einigen Verdruss bereiten wird.
Ja, die Schule… Der Schulmeister, der sogar schon ein Auto hat, ist ein gestrenger Mann, der Ruperts Dummheiten nicht ungestraft durchgehen lässt. Rupert wird mit Sepp, der ja beinah ein Jahr älter ist als er selbst, in eine Klasse gesteckt. Was bedeutet, dass sie nah beieinander sitzen, denn die Schule hat ohnehin nur ein Klassenzimmer. Rupert tut sich schwer in der Schule und mit der Lernerei. Er lebt mehr vom Abschreiben, als vom Wissen und da gibt es so manche kräftige Ohrfeige, oder Tatzen mit dem Rohrstock, dass ihm Hören und Sehen vergehen. Rupert möchte lieber mit den Pferden auf dem Hof spielen, als in der Schule still zu sitzen. Es treibt ihn immer nach draußen. Das Lernen, das ist nichts Rechtes für ihn. Und so steht er auch mit dem Pfarrer auf dem Kriegsfuß, der immer den Katechismus abfragt und der auch eine so deutliche Handschrift hat, dass Rupert sogar durchs Fenster hinausspringt um vor des frommen Mannes heiligem Zorn zu fliehen.
Hier draußen auf dem Land gibt es auch für die Kinder immer viel Arbeit. Bei der Ernte, beim Füttern der Tiere und beim Ausmisten im Stall ist ihre Hilfe unerlässlich. Aber trotzdem bleibt noch Zeit für Spiele. Spielsachen gibt es allerdings kaum und das Wenige, was die Kinder haben, basteln sie sich selbst. Rupert schnitzt Schwerter, die er poliert und bemalt und mit denen sie Räuber und Gendarm spielen. Einige davon fertigt er aber auch an, um sie am Kirtag für zehn Kreutzer zu verkaufen und sich vom Erlös Cremschnitten zu kaufen, oder Ringelspiel fahren zu können. Dieses Karussell musste man noch selbst drehen, da es noch keinen Motor hatte.
Überhaupt ist Rupert ein begeisterter Bastler. Aus Holz und ein wenig Draht baut er alles zusammen, was seine Phantasiewelt ihm vormalt. Da werden Wagen gebaut und Flugzeuge. Der Mutter, die nicht gerade erfreut ist, stibitz er die hölzernen Garnrollen, um Räder zu machen für seine Fahrzeuge. Oft träumt er, er sei der rote Baron, und Kurlupp mit seinem Schulmeister und dem Pfarrer würden winzigklein unter ihm verschwinden, während er sich in die Lüfte erhebt um ruhmreich für Ehre und Vaterland zu kämpfen.
Seine Mutter liebt er innig und will ihr gern gefallen. Einmal will er ihr ein Geschenk machen, aber er hat kein Geld, etwas zu kaufen. Im Hof findet er einen zerbrochenen, roten Ziegel, den er ganz fein zu Pulver zerreibt, in ein Schälchen füllt und der Mutter bringt. „Da Mutter ich bring dir Paprika zum Kochen.“ Die Mutter bedankt sich und nimmt ihn liebevoll in den Arm. Sie kennt ihren Rupert genau und weiß, was er ihr Gutes tun will.