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Nur ein kleines Leben

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****ia Frau
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Nur ein kleines Leben
Südmähren 1925, 24. Dezember

Klirrende Kälte herrscht draußen. Drinnen in der Stube aber ist es gemütlich warm. Es duftet nach Tee und Plätzchen und Tannengrün. Die Familie hat sich um den Weihnachtsbaum versammelt und will gerade die Kerzen am Weihnachtsbaum anzünden, als bei der Mutter die Wehen einsetzen. Eilends wird nach der Hebamme geschickt und nicht viel später erblickt ein Knabe das Licht der Welt, noch nicht wissend, in welch bewegte Zeit er hineingeboren wurde.
Winzigklein ist dieser Junge, der an diesem Heiligabend das Licht der Welt erblickt. Kein Wunder, denn sein älterer Bruder Sepp war im gleichen Jahr geboren und die Mutter hatte alle Kraft aufzubieten, ein Kind zu nähren und derweil ein zweites auszutragen.
„Der wird nichts, den werfen wir am besten auf den Mist!“ sagt der Vater halb im Scherz. Er denkt dabei an die Lämmer, die im Dezember, viel zu früh geboren, kläglich erfrieren. Aber wie es mit Weihnachtsgeschenken manchmal so ist, kommt es doch anders, als man denkt. Der kleine Wurm hat so viel Lebenswillen, dass aus ihm ein stattlicher, fröhlicher Knabe heranwachsen wird. Noch aber weiß das niemand und so bangt man die ersten Tage um das winzige Knäblein, das auf den Namen Rupert getauft wird. Drei Brüder und eine Schwester hat Rupert und gemeinsam werden sie viel aushecken, in dem Dörfchen, in dem sie groß werden.
Hier in Kurlupp nahe der Grenze nach Österreich und der Tschechoslowakei leben nur Deutsche. Reich ist hier kaum jemand. Man lebt von dem, was das Land einem gibt und versorgt sich selbst oder treibt Tauschhandel. Fast alle im Dorf sind Bauern mit eigenem Land, und am Ende des Weilers wohnen die Tagelöhner, die abwechselnd bei den Bauern arbeiten, immer gerade da, wo jemand gebraucht wird.
Die Schmucken Höfe stehen nahe beieinander in einer Reihe und jeder Hof hat ein großes Tor, durch das ein beladener Heuwagen bequem hindurch fahren kann. Mächtige Kastanienbäume säumen schattenspendend die schnurgerade Straße, die durchs Dorf führt. Mitten im Dorf, wie es sich gehört, steht die Kirche, mit dem Kriegerdenkmal der gefallenen Helden aus dem Weltkrieg davor. Nicht weit davon gibt es einen kleinen Gemischtwarenladen, in dem man auch die Milch abliefern kann und ein Gasthaus, in dessen Hof hinterm Haus um Sommer die Musik zum Tanz aufspielt. Gleich daneben ist das Rathaus mit der Post und am Ende des Dorfes das Schulhaus, das dem kleinen Rupert in seinen nächsten Jahren noch einigen Verdruss bereiten wird.
Ja, die Schule… Der Schulmeister, der sogar schon ein Auto hat, ist ein gestrenger Mann, der Ruperts Dummheiten nicht ungestraft durchgehen lässt. Rupert wird mit Sepp, der ja beinah ein Jahr älter ist als er selbst, in eine Klasse gesteckt. Was bedeutet, dass sie nah beieinander sitzen, denn die Schule hat ohnehin nur ein Klassenzimmer. Rupert tut sich schwer in der Schule und mit der Lernerei. Er lebt mehr vom Abschreiben, als vom Wissen und da gibt es so manche kräftige Ohrfeige, oder Tatzen mit dem Rohrstock, dass ihm Hören und Sehen vergehen. Rupert möchte lieber mit den Pferden auf dem Hof spielen, als in der Schule still zu sitzen. Es treibt ihn immer nach draußen. Das Lernen, das ist nichts Rechtes für ihn. Und so steht er auch mit dem Pfarrer auf dem Kriegsfuß, der immer den Katechismus abfragt und der auch eine so deutliche Handschrift hat, dass Rupert sogar durchs Fenster hinausspringt um vor des frommen Mannes heiligem Zorn zu fliehen.
Hier draußen auf dem Land gibt es auch für die Kinder immer viel Arbeit. Bei der Ernte, beim Füttern der Tiere und beim Ausmisten im Stall ist ihre Hilfe unerlässlich. Aber trotzdem bleibt noch Zeit für Spiele. Spielsachen gibt es allerdings kaum und das Wenige, was die Kinder haben, basteln sie sich selbst. Rupert schnitzt Schwerter, die er poliert und bemalt und mit denen sie Räuber und Gendarm spielen. Einige davon fertigt er aber auch an, um sie am Kirtag für zehn Kreutzer zu verkaufen und sich vom Erlös Cremschnitten zu kaufen, oder Ringelspiel fahren zu können. Dieses Karussell musste man noch selbst drehen, da es noch keinen Motor hatte.
Überhaupt ist Rupert ein begeisterter Bastler. Aus Holz und ein wenig Draht baut er alles zusammen, was seine Phantasiewelt ihm vormalt. Da werden Wagen gebaut und Flugzeuge. Der Mutter, die nicht gerade erfreut ist, stibitz er die hölzernen Garnrollen, um Räder zu machen für seine Fahrzeuge. Oft träumt er, er sei der rote Baron, und Kurlupp mit seinem Schulmeister und dem Pfarrer würden winzigklein unter ihm verschwinden, während er sich in die Lüfte erhebt um ruhmreich für Ehre und Vaterland zu kämpfen.
Seine Mutter liebt er innig und will ihr gern gefallen. Einmal will er ihr ein Geschenk machen, aber er hat kein Geld, etwas zu kaufen. Im Hof findet er einen zerbrochenen, roten Ziegel, den er ganz fein zu Pulver zerreibt, in ein Schälchen füllt und der Mutter bringt. „Da Mutter ich bring dir Paprika zum Kochen.“ Die Mutter bedankt sich und nimmt ihn liebevoll in den Arm. Sie kennt ihren Rupert genau und weiß, was er ihr Gutes tun will.
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****ia Frau
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Der Dachboden ist ein wichtiger Raum im Haus, wegen der Säuglinge, die es auf dem Hof fast ständig gibt. Auf dem Dachboden ist ein Balken, in dem der Wurm steckt. Klopft man gegen den Balken, rieselt feines Holzmehl heraus, mit dem man die Babys pudern kann, denn Babypuder gibt es hier nicht zu kaufen und Mehl kann man dafür nicht benutzen, weil es kleben würde. Eifrig steigt der kleine Rupert auf den Boden, um das kostbare Holzmehl für seine Munter zu sammeln.
Im Winter ist der Vater öfter daheim, als sonst. Aber auch in dieser Zeit dürfen seine Hände nicht ruhen. Da müssen die Strohbänder gefertigt werden, die im Sommer für die Garben - Korn- und Weizenbündel zum Zusammenbinden - gebraucht werden. Im Stall, wo es durch die Tiere schön warm ist, steht die Hotzlbank, auf der er für die Familie neue Holzschuhe schnitzt, die, mit Stroh ausgelegt, die Füße warm halten. Wenn die Bäche und Teiche zugefroren sind, ist es eine Freude für die Kinder, mit den Holzschuhen auf dem Eis zu schliddern. Manche Kinder haben auch schon Schlittschuhe aus Eisen, die man an die Schuhe schrauben muss. Aber es gibt auch kleine Schlitten für die Füße. Das sind zwei Kufen für jeden Fuß, die mit Eisen beschlagen und mit Querbrettchen versehen sind. Man stößt sich mit einem Stock ab, der mit einer Metallspitze versehen ist. Hui, das ist eine Gaudi, so über’s Eis zu flitzen!
Wenn der Bach im Winter dick zugefroren ist, werden große Stücke von dem Eis herausgesägt und mit dem Schlitten zum Müllerwirt transportiert. Dort wird das Eis zerhackt und in einer großen Grube unter dem Schuppen mit Wasser übergossen, damit es eine geschlossene Eisfläche gibt. Das hält dann den ganzen Sommer zur Kühlung für Getränke, wie Bier und auch Fleisch.
Jetzt ist auch die Zeit, dass Holz gemacht wird, im eigenen Wald. Mit der Kreissäge werden lange Scheite zurechtgeschnitten, für den Backofen. Für den Herd in der Küche müssen kleinere Stücke gehackt werden. Mit dem großen Schlitten, den die Pferde ziehen müssen wird das Holz heimgefahren. Das Reisig wird zum Anfeuern hinterm Schuppen aufbewahrt. Und immer werden die emsigen Hände der Kinder gebraucht, um mitzuhelfen. Denn jede Hand auf dem Hof ist nötig.
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****ia Frau
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Im Nachbardorf wohnen die Großeltern, die fünf Söhne und zwei Töchter haben. Die beiden Ältesten, der Adolf und der Alois studieren in Prag. Der Alois ist Schulrektor und der Adolf ist im Staatsdienst tätig. Bei Kriegsbeginn werden sie in der Tschechoslowakei zum Militärdienst verpflichtet. Während ihrer Militärzeit haben sie noch einmal Urlaub, und machen einen Besuch in Kurlupp um sich zu verabschieden. Die Kinder bewundern ihre schicken Uniformen, mit den roten Streifen an den Hosenbeinen, den goldenen Knöpfen und den flotten Mützen. An der Seite hängt ein Säbel, der silbern glänzt und den Rupert streichelt, weil er ihm so gut gefällt. Der Franz soll daheim den Hof übernehmen, und der Anton ist so gut wie verlobt mit dem Nachbarsmädel und soll dort in den Hof einheiraten. Franz und Anton sollen für Deutschland in den Krieg. Sie sagen, sie könnten doch nicht gegen ihre Brüder kämpfen. Um dem zu entgehen, spielt der Franz einen Idioten. Er geht ganz krumm und so wird er nicht zum Militärdienst eingezogen. Später, nach dem Krieg kann er nicht mehr gerade laufen.
Um das Taschengeld aufzubessern gehen die Kinder am ersten Januar durch den dicken Schnee zehn Kilometer bis nach Nespiz, um Oma und Opa, Onkel Franz und Onkel Anton ein gutes neues Jahr zu wünschen. Jedes Kind muss ein Gedicht aufsagen. Unterwegs sagt Rupert sein Gedicht immer vor sich her, um es ja nicht zu vergessen, aber als er oben ankommt ist alles wie weggeblasen. „Lass dir Zeit und denk nach“, beruhigt ihn Onkel Franz. Es will ihm aber nicht mehr einfallen, dann sprudelt es aus ihm raus: „Ich bin ein kleines Pinkerl und stell mich ins Winkerl, wenn i nix kann, dann fang i nix an.“ Alle lachen und er bekommt wie alle anderen auch seine fünf Kronen. Oma macht noch eine große Pfanne Rührei für alle und dann machen sie sich im Schneegestöber wieder auf den langen Heimweg, glücklich über die fünf Kronen in der Tasche malen sie sich aus was sie alles dafür kaufen können.
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Auf dem Hof gibt es viele Tiere. Da ist der Hofhund Nero, der vor dem Tor Wache halten muss. Wenn der Vater vom Feld mit dem Wagen heimfährt, rennt ihm der Hund immer entgegen, um ihn abzuholen und zu begrüßen. Mit einem Sprung sitzt er neben ihm auf dem Kutschbock. Ins Haus darf er aber nicht. Wenn Nero aber doch mal rein schleichen will, wird er von der Mutter mit dem Besen rausgejagt. Im Winter schläft er im Stall und legt sich auf die Kuh, die schön liegen bleibt. Steht die Kuh aber mal auf - Kühe stehen zuerst mit den Hinterbeinen auf - und er fällt hinunter, dann knurrt er. Nero fängt auch Ratten, die im Stall nach Futter suchen. Kaum macht man die Stalltür auf, erwischt er schon gleich eine, packt sie am Hals und schüttelt sie so lange bis sie tot ist. Da ist aber noch Schnurrl, die Katze, die auch Ratten fängt. Die darf ins Haus und sitzt bei Tisch dem Vater auf der Schulter und bekommt manchen Leckerbissen. Fünf Kühe stehen im Stall, die von der Mutter täglich morgens und abends gemolken werden müssen. Es gibt ebenso viele Kälber, größere und kleine, die zum Teil verkauft, oder für den Eigenbedarf geschlachtet werden. Der Vater kümmert sich alleine um seine Pferde, die er sehr liebt. Es sind schwere Ackerpferde, Belgische Kaltblüter. Es sind drei Pferde und ein bis zwei Fohlen, die wenn sie groß genug sind, verkauft werden. Das eine Pferd, die Minka, hat im Lauf der Zeit vierzehn Fohlen bekommen. Die Pferde müssen die ganze Arbeit auf dem Feld leisten, Pflügen, Ackern, den Wagen ziehen für das Heu und die Frucht einbringen. Ein Pferd trägt elf Monate bis ein Fohlen geboren wird. Wenn die Zeit da ist, zwei bis drei Tage vor der Geburt, wird im Stall bei dem Pferd auf Heu geschlafen, um Wache zu halten. Wenn es dann soweit ist, kommt auch der Nachbar rüber um bei der Geburt zu helfen, das Fohlen auf die Beine zu stellen, und ihm beim ersten Mal trinken zu helfen. Neun Tage nach der Geburt ist das Pferd wieder rossig, deshalb wollen sie in das nächste Dorf fahren um es wieder decken zu lassen. Rupert darf mitfahren und zusehen wie das Pferd von dem Hengst gedeckt wird.
Ungefähr zwanzig Schweine sind im Stall und eine Muttersau zur Zucht. Sie hat jedes Jahr vierzehn bis fünfzehn kleine Schweinchen. Damit haben die Kinder auch viel Freude, und sind oft im Stall zu finden. Wenn die Ferkel auf dem Markt in Jamnitz verkauft werden sollen, darf Rupert mitfahren. Im Wagen ist ein großer Korb, der mit Stroh schön ausgepolstert ist. Dicht aneinandergekuschelt liegen die Ferkel nah beieinander darin und der Junge mitten drin.
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****ia Frau
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An die hundert Hühner und ein Hahn leben auf dem Hof. Morgens, wenn die Hühner aus dem Stall kommen um zu fressen, verkündet der Hahn auf dem Misthaufen sein lautes Kikeriki und er hat dann viel zu tun alle seine Hennen zu treten. Es ist ein sehr schöner, dunkelbrauner Hahn, mit in allen Farben bunt schillernden Schwanzfedern. Die Hennen suchen mit viel Gegacker ihre Nester auf, um Eier zu legen. Die meisten Eier werden wieder verkauft. Manche Hühner haben ihre Nester hoch oben im Heu auf der Tenne oder der Scheune und wenn die Henne gluckerig ist, dann weiß man, jetzt sind die Küken geschlüpft und man muss sie schnellstens nach unten bringen, damit sie nicht hinunterfallen. Die Küken werden mit hart gekochten, gehackten Eiern und fein gehackten Brennnesseln und Kleie oder Hirse gefüttert, ebenso wie die kleinen Gänschen. Manchmal kommt der Nachbarsgockel unter dem Tor durch, dann gibt es einen Hahnenkampf, denn er kann ja keinen Rivalen dulden. Er zieht dann schwer verletzt wieder ab.
Sechzehn bis zwanzig Gänse werden auch auf dem Hof gezüchtet, hauptsächlich um Daunen für die Betten zu gewinnen, für einen Festtagsbraten und auch zum Verkauf. Die Gänse sind auch gute Hausbewacher. Wenn jemand fremdes kommt, geht das Geschnatter los und man muss aufpassen dass man nicht ins Bein gezwickt wird. Im Sommer werden die Gänse von einem Gänsehirt auf die Gemeindewiese am Bach getrieben, wo sie sich den ganzen Tag aufhalten. Alle Gänse, auch die der Nachbarn finden abends wieder nach Hause zurück, und schlüpfen unter dem Eingangstor durch. Es hat sich noch nie eine verlaufen. Enten gibt es auch. Die halten sich den ganzen Tag auf dem Feuerwehrteich auf und finden abends wieder alleine heim.
In der Toreinfahrt oben in der Ecke ist ein Taubenschlag aus Holz mit einem Brettchen vor dem Eingang, damit die Tauben gut raus und hinein können. Die Tauben haben öfter Junge und bevor sie so groß sind, dass sie ausfliegen könnten, werden sie gefangen und geschlach- tet. Die Mutter dünstet die Täubchen mit einer feinen Soße, das ist eine Delikatesse. Sie kann sehr gut kochen und backen. Die Luise, die ja das einzige Mädchen in der Familie ist, muss der Mutter in der Küche helfen. Dem Vater, der keine Milch verträgt, macht die Mutter eine Brotsuppe. Die Anderen trinken frische Milch und essen Bratkartoffeln mit Kümmel, oder Brot und Wurst. Im Haus ist eine große Küche, die auch als Schlaf- und Wohnraum dient. An der einen Längswand stehen drei große breite Betten längs hintereinander, die mit einer Tagesdecke abgedeckt werden. In den Betten sind Strohsäcke mit einer Öffnung, damit man das Stroh täglich lockern und wieder auffüllen kann. Zum Zudecken hat man schöne, dicke Daunenbetten und Kissen. In den Betten können drei Kinder nebeneinander schlafen. Weil sie noch klein sind, schlafen Luise, Sepp und Rupert zusammen in einem Bett. Es gibt einen großen, viereckigen Bauerntisch und eine Eckbank. Der große Herd ist fest von einem Ofensetzer eingebaut worden. Er hat ein Wasserschiff und einen großen Backofen. Auf der Platte sind mehrere Ringe, die man einzeln wegnehmen kann.
Manchmal backt die Mutter auf der Platte Langós. Das sind große Fladen, die mit Schmalz und Knoblauch bepinselt werden, die schmecken sehr gut. Auf dem Herd wird auch Futter für die Tiere gekocht. Zu Mittag wird in einem großen Topf Malzkaffee mit Milch und Zucker fertig gekocht und mit einem Schöpflöffel darin auf den Tisch gestellt. Zehn Personen sitzen am Tisch, die fünf Kinder, Vater und Mutter, Magd und Knecht und die Franziska, eine Freundin der Mutter, die alleinstehend ist. Sie hat einen Jungen, der im gleichen Alter ist wie Ruperts Bruder Ernst. Zum Kaffee isst man Brot mit Schmalz oder Wurst. Manchmal gibt es einen großen Hefezopf oder anderen Kuchen.
Hinter den Betten ist ein Vorratsschrank eingebaut, in dem die Töpfe und das Geschirr aufbewahrt werden. Auch der Zucker, der sehr teuer ist, steht in dem Schrank. Wenn die Mutter im Stall beim Melken ist, schleicht sich der Vater manchmal heimlich zu dem Schrank, um vom Zucker zu naschen. Da aber kein Löffel da ist, muss er die Hand nehmen und die Hälfte vom Zucker liegt auf dem Boden, was natürlich Ärger gibt. Auch wenn er denkt, dass die Mutter nicht da ist, schneidet er sich zwei dünne Scheiben Brot ab und schmiert fingerdick Schweineschmalz dazwischen. Beim Ausmisten im Stall beißt er immer mal wieder in das Brot und legt es dann auf das staubige Stallfenster. Da er immer schwer arbeitet, muss er auch kräftig essen und deswegen sagt die Mutter da auch nichts.
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In der guten Stube stehen zwei Betten, in denen niemand schläft, drei große Schränke für die Kleider, ein kleiner Schrank für das gute Geschirr, ein runder Tisch mit Stühlen und eine Standuhr. Wenn am Kirtag Besuch kommt, wird in der guten Stube gegessen. Mittags nach dem Essen schleicht sich der kleine Rupert oft hier hineine, steigt von der Wand her auf das Bett, ohne das Bettzeug zu zerwühlen, in den Hohlraum zwischen die Kissen und legt sich schlafen. Wenn jemand in das Zimmer zu Besuch kommt und sieht, dass im Bett sich was bewegt, sagt die Mutter: „Ruhig, da liegt der Rupert drin und schläft.“ Beim Aufstehen macht er keine Unordnung, damit die Mutter nichts merken soll. Es gibt im Haus noch eine Zweitwohnung, in der die Eltern vom Vater gewohnt haben. Als Rupert noch klein ist, leben sie noch. Sie haben einen großen Hund mit langen Haaren, auf dem die Kinder ab und an drauf sitzen dürfen. In dieser Wohnung sind auch eine Küche mit einem großen, fest eingebauten Ofen und ein großer Aufenthaltsraum mit einem großen Tisch. Diese Wohnung wird immer im Sommer benutzt. Bis 1935 gibt es noch keine Elektrizität im Ort. Am Abend wird die Petroleumlampe angezündet und über dem Tisch aufgehängt. Auch fließend Wasser gibt es im Haus noch nicht. Im Hof, zwei Schritte seitlich vor der Haustür, ist der Brunnen mit einem großen Steintrog, aus dem auch die Tiere getränkt werden. Jeder Bauernhof hat einen eigenen Brunnen. Mit einer Pumpe muss man das Wasser hoch pumpen. Die Aufgabe der Kinder ist, täglich das Vieh aus dem Stall an den Brunnen zu führen, das Wasser hoch zu pumpen und zu tränken. In dem großen Hausgang stehen vor der Küchentür immer zwei Eimer mit frischem Wasser für den täglichen Gebrauch in der Küche. Im Sommer gewittert es oft heftig mit Blitz und Donner, was den Kindern immer große Angst macht und die Mutter weist sie dann an, sich im Flur hin und her zu wälzen, damit der Blitz nicht einschlägt.
Alle zwei Wochen backt die Mutter vierzehn große, runde Laibe Brot. Dafür benutzt sie einen Holztrog, der auf einem Gestell steht und in dem sie den Teig von Hand knetet. Das Mehl ist aus eigenem Weizen und Roggen, das in der Dorfmühle gemahlen wird. Die Laibe liegen in geflochtenen Strohkörben zum Aufgehen bereit, während der große Ofen mit Holzscheiten beheizt wird. Ist das Holz verbrannt, wird die Glut mit einem flachen Eisen ausgerecht und gesäubert. Dann ist der Ziegelbackofen richtig heiß um das Brot schön zu backen. Es ist noch genügend Platz vorhanden um auch noch ein paar Bleche mit Kuchen und Buchteln mitzubacken. Das Brot von der Mutter ist sehr beliebt und begehrt. Die Nachbarn kommen um von dem frischgebackenen Brot zu holen. Wenn dann bei den Nachbarn Backtag ist, geben sie wieder ein Brot zurück, damit es nicht zu alt wird.
Auch die Milch wird direkt auf dem Hof verarbeitet. Sie wird in einer Zentrifuge von der Magermilch und der Sahne getrennt. Die Magermilch ist für die Schweine und die jungen Kälber. Die Sahne kommt ins Butterfass und die Kinder müssen abwechselnd drehen bis die Butter fertig ist. Die Buttermilch wird getrunken oder ans Vieh verfüttert. Die Butter wird gut ausgedrückt, geformt, mit einem Löffel schön verziert und zusammen mit Eiern und Milch verkauft.
Den ganzen Sommer über laufen die Kinder barfuss, das spart die teuren Schuhe. Wenn es heiß ist vergnügen sie sich am Bach. Dort gibt es eine seichte Stelle für die Kleinen und eine tiefere für die, die schon schwimmen können. Niemand hat ihnen das Schwimmen beigebracht, sie haben es sich bei den Hunden abgeschaut und genau so machen sie es auch. Die Rasselbande schmiert sich von Kopf bis Fuß mit Matsch ein und dann springen sie vom Steg, der über den Bach führt, ins Wasser, oder sie lösen vom Steg die Bretter und lassen sich damit auf dem Wasser treiben. Als der Müller kommt, dem die Wiese gehört, müssen sie wieder alles in Ordnung bringen. Die größeren Kinder müssen auf die Kleinen aufpassen. Den kleinen Erich setzen sie in den Korbkinderwagen und rennen mit ihm durch das ganze Dorf bis zum Feuerwehrteich, wo nebenan die Kalkgrube ist. Da kippt der Wagen um, und der Erich fällt in die Kalkgrube. Sie holen ihn wieder raus und waschen ihn ab, setzen ihn wieder in den Wagen und unter viel Gejohle und Geschrei wird wieder weiter gerannt.
Wo viele Kinder sind da kommen noch mehr dazu, weil da immer was los ist. So ist es auch hier. Oft steigen Rupert und seine Freunde auf das Scheunendach und rutschen auf dem First entlang auf die andere Seite, um zum Nachbarn rüberzuschauen. Vor dem Haus, auf dem großen Kastanienbaum, nageln die Jungs schöne Brettchen in die Astgabeln. Das ist ihr Hochsitz, wo man sich prima unterhalten kann. Von da oben kann man die ganze Straße überblicken ohne dass man gesehen wird. Alle paar Wochen kommt ein Mann mit einem Bauchladen und er hat einen Gehstock dabei. Er geht von Haus zu Haus, stützt mit dem Gehstock den Bauchladen auf, um allerlei Kleinkram zu verkaufen. Da gibt es Knöpfe, Zwirnfaden, Schrauben, Hosenträger und Messer, auf die die Jungs besonders neugierig sind. Was die Buben besonders dringend brauchen, ist das kantige Gummi für ihre Schleudern.
Wenn die Hasen geschlachtet werden, zieht man ihnen die Häute ab und stopft sie mit Stroh aus. Willi, der Jude kauft den Bauern die Hasenbälger für zehn Heller ab. Von Haus zu Haus laufen die Kinder mit Willi mit und rufen: „Willi gib uns den Hasenschwanz!“ Den bekommen sie auch, und binden ihn mit einer Schnur an einem Stecken fest. So haben sie eine Trophäe und sind glücklich. Auch ein Scherenschleifer kommt immer mal wieder vorbei und läutet mit einer Glocke vor jedem Haus. Die Leute lassen dann ihre Messer und allerlei Scheren wieder schärfen. Alle vier Wochen kommt ein Kesselflicker ins Dorf. Niemand wirft einen Topf weg, der ein Loch hat. Wenn an einer Stelle an einem Gefäß die Emaille abgesprungen ist, rostet es und es gibt ein Loch. Der Kesselflicker macht einen neuen Boden drauf und dann kann man ihn wieder benutzen.
Mit dem Fahrrad vom Vater, der übrigens von hinten her auf das Rad aufsteigt, indem er auf die langen Schrauben, die an den Hinterrädern herausstehen, draufsteigt und sich mit einem Schwung auf den Sattel schwingt, lernen die Jungs das Radeln. Als sie noch klein sind, können sie noch nicht über die mittlere Stange steigen. Da fahren sie seitlich mit einem Fuß unter der Stange durch, oder zu zweit, auf jeder Seite einer, was sehr komisch aussieht, wenn der eine hoch und der andere runter geht. Jeder darf mal radeln, jeden Tag ein anderer, da wird dann durch das ganze Dorf gefahren. Als Rupert größer ist, muss die Mutter dringend aufs Feld. Er will sie mit dem Rad hinaus fahren, und lässt sie vorn auf der Stange aufsitzen. Sie fahren einen holprigen Hohlweg entlang, kommen in eine Furche, das Fahrrad kippt um und beide liegen im Dreck. Rupert bekommt einen großen Schreck, aber die Munter lacht nur.
Um ein Fahrzeug zu konstruieren, montieren die Lausbuben die Räder vom Pflug ab, als der Vater auf dem Feld arbeitet. Sie wollen am Tragatsch, das ist ein Handkarren aus Holz mit einem Rad und zwei Handgriffen, die Räder vom Pflug anbringen. So haben sie einen prima dreirädrigen Wagen, auf dem vier bis fünf Kinder Platz haben. Das Gefährt lässt sich nicht gut lenken. Vom oberen Schuppen bis zum Misthaufen ist das Gelände abschüssig. Sie sausen in schneller Fahrt den Hang hinunter und fliegen in hohem Bogen auf den Misthaufen. Das hält sie aber nicht ab, noch mehrmals zu fahren. Zu groß ist der Spaß, da ist ihnen der Mist egal.
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und weiter geht's mit der Rasselbande
Die Schafe können vom Hof frei an der Scheune vorbei in den Obstgarten laufen, der eingezäunt ist. Gerne reizen die Kinder den Schafbock, dass er ihnen nachrennen soll. „Komm doch! Komm doch, alter Bock! Wir sind schneller als du!“
Als die Eltern in der Stadt zum Einkaufen sind, soll Ernst, der Älteste, für alle Grießbrei kochen. Er nimmt einen großen Topf mit zwei Henkeln, gießt Milch, von der ja genug da ist, hinein und dann schüttet er Grieß dazu, bis eine dicke Masse entsteht. Als der Brei aufgequollen ist, ist er natürlich viel zu dick. Ernst weiß sich nicht anders zu helfen, als den Breiklumpen in der Jauchegrube zu versenken. Die anderen Kinder aber haben derweil den Schafbock mal wieder gereizt, und verstecken sich dann. Da Ernst mit dem Topf in der Hand vor der Jauchegrube der Einzige ist, der noch da ist, kommt der Bock mit Anlauf von hinten, und gibt ihm einen Stoss auf sein Hinterquartier, als er sich gerade bückt um den Brei auszuleeren. Da fliegt der Bub in hohem Bogen mitsamt dem Topf in die einen halben Meter tiefe Jauchegrube. Anschließend muss er sich unter dem Gejohle seiner Geschwister am Brunnen im Freien waschen weil er so stinkt. „Ernst, jetzt riechst du selber wie eine Herde Schafböcke!“ An diesem Mittag gibt es nichts zu Essen.
Aber trotz allem Unfug, den die Kinder aushecken, machen sie sich auch nützlich. Auf den Wiesen am Hang wächst Kümmel an kleinen Sträuchern, die sie in ganzen Bündeln sammeln, und zum Trocknen auf das flache Dach legen. Nach ein paar Tagen, wenn sie trocken sind, klopfen sie die Samen heraus und verwahren sie in kleinen Soffsäckchen. Die Mutter freut sich sehr darüber denn Kümmel wird in der Küche viel verwendet. Der Vorrat reicht für ein ganzes Jahr. Überhaupt sind Vorräte wichtig. Im Herbst sammeln die Kinder Pilze. Hauptsächlich Pfifferlinge, Steinpilze und Maronen. Es geht aber immer ein Mann aus dem Dorf mit, der die Pilze kennt, damit kein falscher mit in die Sammelkörbe gerät. Die Pilze werden geputzt, geschnitten und zum Trocknen ausgelegt. Wenn es einmal regnet, kommen sie in den Backofen. Apfelscheiben und Zwetschgen werden auch für den Winter gedörrt. „Wo so viele fleißige Hände helfen, werden wir gut über den Winter kommen!“ sagt die Mutter voller Stolz auf ihre Rasselbande.
Die Kinder lieben es, auf die Bäume zu klettern und das Obst direkt dort zu verspeisen. Auf den Feldern ist auch immer was zu holen. Da gibt es junge Erbsen, die sich die Kinder in die Sporthemden stecken, dass sie aussehen wie aufgeblasene Luftballons, und beim Heimgehen essen sie eine nach der anderen auf. Ein andermal überfallen sie ein Gelberübenfeld. Die Größten Möhren werden rausgerupft, an der Hose abgewischt und gegessen. Die Krautrüben müssen auch dran glauben. Jeder Junge hat ja ein Taschenmesser, mit dem sie die Rüben schälen und Stückweise essen. Noch besser schmeckt natürlich das Obst vom Nachbarn. Kirschen, Äpfel, Birnen und Zwetschgen locken mit der ganzen Süße des Sommers und so ist die Gier größer als die Angst vor der Schelte und den Ohrfeigen, die sie zu erwarten haben, wenn der Nachbar sie erwischt.
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****ia Frau
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Auf dem Feld wird auch Weißkraut angebaut, für das Sauerkraut, das im Winter eine wichtige Kost ist. Nach der Ernte wird das Kraut in der Küche verarbeitet. Dazu wird ein Leintuch ausgebreitet und das Kraut mit einem Krauthobel darauf geschnitten. Die Kinder müssen ihre Füße waschen und das geschnittene Kraut im Fass eintreten, bis sich oben Schaum gebildet hat. Obendrauf kommt ein Leintuch, dann Brettchen und ein schwerer Stein, der das Kraut presst. Das Fass kommt in den Vorratskeller, wo auch ein Fass mit gepökeltem Fleisch steht. Zwei mal im Jahr wird geschlachtet. Immer zwei Schweine und manchmal auch ein Rind. Da ist dann besonders viel zu tun. Die Därme müssen für die Würste gereinigt werden, während die Munter das Wurstbrät vorbereitet. Und am Ende gibt es dann Wurstsuppe für alle. Das ist die Brühe, in denen die Würste und Schwartenmagen gekocht wurden und am besten schmeckt sie, wenn ein paar Würste beim Kochen geplatzt sind. Zwischendurch gibt es auch mal Hasenbraten oder Gans. Die älteren Gänse werden im Herbst verkauft.

Drei bis vier Frauen aus dem Dorf kommen im Winter ins Haus und sitzen in der Küche zusammen um den Tisch, um die Daunen, die man von den Gänsen gerupft hatte, vom Kiehl zu befreien für Federbetten. Jedes von den Kindern bekommt schöne Betten für die Aussteuer, die auf dem Boden im Trockenen für später aufbewahrt werden. Nach drei bis vier Tagen, wenn sie mit der Arbeit fertig sind, gibt es ein kleines Fest mit Mohnstrudel. Wenn die Arbeit im einen Haus fertig ist, wird bei der Nachbarin weitergemacht. Bei der Arbeit haben die Frauen viel zu erzählen, über Geister und Hexen, die über den Schornstein fliegen, wie halt Tratschweiber sind. Diesen Geschichten hören die Kinder immer gerne und mit einem leisen Gruseln zu, während sie unter dem Tisch sitzen und die Kiele sammeln, um draußen damit Wege zu machen.

Wenn die Glocken abends um sieben Uhr läuten, müssen die Kinder pünktlich daheim sein, da ist die Mutter streng. Sie müssen sich in der Küche vor die Betten, über denen Heiligenbilder an der Wand hängen, knien, dann gibt es gemeinsames Abendessen. Als einziger von den Kindern bekommt Rupert jeden Abend von der Mutter Grießbrei gekocht, weil er den so gern isst.

Auf dem Land ist es so, dass ein Sohn in einer Familie Pfarrer werden soll. Es ist der Wunsch der Mutter, dass Ernst, der Älteste, Pfarrer werden sollte, aber es ist ja dann anders gekommen. Die Jungs sollten Ministranten werden. Der Pfarrer hat Rupert dafür vorgesehen. Der aber hat keine Lust. „Ich will nicht da vor an den Altar gehen, ich will lieber die Orgel treten.“ Da ist er nun jeden Sonntag auf der Empore und bedient den Blasebalg für die Orgel. Mit der Hand muss er den Hebel rauf und runter drücken. Da ist ein Zeiger auf einem Zifferblatt, an dem er sehen kann, wie viel Luft noch da ist. Wenn der Zeiger auf den roten Punkt kommt, spielt die Orgel nicht mehr. Der Schlingel probiert es natürlich aus, und prompt hört die Orgel auf zu spielen. Schnell pumpt er wieder. Von der Frau, die immer die Orgel spielt, bekommt er öfter mal Taschengeld. Von da oben kann er wunderbar beobachten, was unten in der Kirche vor sich geht. Er sieht, wie der Pfarrer seinen Becher schnell hochhebt wenn der Messdiener Wasser eingießt, aber beim Wein lässt er sich ganz voll gießen. Die Kinder müssen auch immer zur Beichte in den Beichtstuhl, um alle ihre Sünden aufzusagen. Das geht den Pfarrer doch alles nichts an, denkt Rupert. Als er im Beichtstuhl gefragt wird, sagt er: “Ich beichte alle meine wissentlichen und unwissentlichen Sünden, Amen“. Hast du sonst nichts zu sagen mein Sohn?“ fragt der Pfarrer. “Nein!“ schießt Rupert hervor und macht sich ganz schnell aus dem Staub.

In der Fastnachtszeit ist es hier Sitte, sich zu verkleiden. Die Jugendlichen verkleiden sich als Teufel und seine Gefolgschaft. Sie gehen von Haus zu Haus mit Ruten in der Hand, verhauen die Dienstmädchen und die größeren Kinder, die nicht lieb sind. Mit Glocken kündigen sie sich an. Die Mutter backt den ganzen Tag Krapfen, da darf niemand in die Stube kommen, sonst fallen sie beim aufgehen zusammen. Sie kommt mit backen fast nicht nach, da jedes von den fünf Kindern vier bis fünf Krapfen gleich isst. Am Abend ist im Feuerwehrsaal Tanz. Jeder bringt einen Schinken und ein paar Krapfen mit. Es wird gemeinsam alles verzehrt und schön gefeiert. Auf die Kinder daheim muss derweil das Dienstmädchen aufpassen, das ist die Tochter von der Hebamme.

Am Karfreitag dürfen die Glocken nicht läuten. Da müssen die Kinder rätschen gehen, morgens um sieben Uhr zum ersten Mal, um zehn Uhr zur Messe, um zwölf Uhr Mittag, um drei Uhr zur Andacht und um sieben Uhr abends noch mal. In Zweierreihen laufen sie durch alle Gassen und Strassen, und machen einen Höllenlärm mit ihren hölzernen Ratschen. Desgleichen am Samstag. Bei Rupert ist Treffpunkt und Ende. Nach dem Rätschen muss man sich am Bach waschen. Am Sonntag werden die Glocken wieder geläutet. Nach dem Gottesdienst gehen die Kinder von Haus zu Haus um zu sammeln. Meist bekommen sie Eier, da ja alle Bauern Hühner haben, oder auch mal Schinken, Geld oder Krapfen, oder Strauben aus Blätterteig. Danach wird auf der Tenne alles verteilt, jeder bekommt gleich viel. Ein Teil der Eier wird im Dorfladen, wo auch die Milch abgegeben wird, verkauft. Die übrigen Eier werden hart gekocht, schön bunt gefärbt und mit Abziehbildern verziert. Dann wird Eierditschen gespielt. Da werden die Spitzen aneinander geschlagen, und das Ei, das kaputt geht muss man abgeben und der Sieger darf es aufessen. Es wird auch Eierweitwerfen gespielt. Wer am weitesten geworfen hat, der ist Sieger, und der am kürzesten wirft, muss sein Ei dem Sieger geben. Wenn ein Ei kaputt geht bekommt das auch der Sieger, so sind die Regeln.

Aus Astgabeln bauen die Jungs sich gerne Schleudern. Da geht so manches Fenster zu Bruch. Einmal kommen sie auf die Idee, auf das Zifferblatt der Kirchenuhr zu zielen. „Wer trifft den Zeiger, dass er weiterhupft?“ Rupert trifft das Zifferblatt, und der Stein schlägt ein Loch in die Emaille, es entsteht ein schwarzer Punkt. Der Pfarrer sieht das, und beschwert sich bei den Eltern. Als der Bub heimkommt, legt ihn der Vater übers Knie und versohlt ihm tüchtig den Hintern. Deshalb kann Rupert den Pfarrer nicht mehr leiden.

Wenn Jemand gestorben ist, wird der Tote drei Tage im Haus des Verstorbenen aufgebahrt. Man hält die Totenwache und betet. Am vierten Tag wird die Leiche in die Kirche gebracht. Es ist Sommer als der Pfarrer stirbt, und es ist sehr heiß. Da es für die Toten keine Kühlräume gibt, ist der Leichnam schon in Verwesung übergegangen. Der Sarg steht in der Kirche zur Trauerfeier. Der Pfarrer ist so dick, dass er gerade noch in den Sarg passt, sechs Mann müssen ihn tragen. Durch die Verwesung läuft die Brühe schon an den Seiten heraus, und es stinkt fürchterlich. Die Kinder verlassen auf dem schnellsten Weg die Kirche, um an die frische Luft zu kommen.
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Dass hier noch keiner was dazu geschrieben hat, erstaunt mich aber *oh*

Sehr interessant geschrieben und ich bin schon neugierig wie es weitergeht. Vieles davon kenne ich aus Erzählungen meiner Klientel.

Ich bin schon gespannt, wie du die Zeit während der NS-Herrschaft und des Krieges beschreibst und auch nachher, die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei.

*sonne*Herta
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Wieso denn das, liebe Herta? Ich z. B. warte einfach mal ab, was da noch kommt ... Es ist bisher ja immer klar, dass es weiter geht!

*g*

Und manchmal ist man ja auch erstmal sprachlos ...

(Der Antaghar)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Ich war ja auch erst einmal sprachlos *g*

Aber hier wird normalerweise viel kommentiert, deshalb meine Verwunderung *ggg*
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****ia Frau
22.263 Beiträge
Themenersteller 
Die Stallfenster stehen das ganze Jahr offen. Dadurch haben die Schwalben immer Zugang in den Stall. Sie bauen da ihre Nester und ziehen ihre Jungen groß. Allein schon im Stall gibt es genug Fliegen, um die Jungen zu füttern. Es ist schön anzusehen, wie die Alten hin und her fliegen, um die Kleinen in die aufgesperrten, gelben Schnäbel zu füttern. Die Schwalben kommen jedes Jahr wieder. Die Kinder werden angewiesen die Vögel nicht zu stören, oder ihre Nester anzugreifen, was sie auch befolgen. Aber sie freuen sich immer an den Tieren, denn es heißt ja, Schwalben bringen Glück.

Nach der zweiten Heuernte werden die Kühe auf die Weide getrieben, und abends wieder heim. Die Wiese grenzt an den Bach und den Wald. Das Nachbargrundstück gehört einem anderen Bauern, der nur eine Tochter hat, die Milli heißt. Sie muss auch ihre Kühe hüten. Wenn die Kühe friedlich grasen, sammeln die Kinder im nahen Wald Holz, und machen am Bach zwischen zwei Bäumen ein Feuer. In der Glut braten sie Kartoffeln, die sie mitgebracht haben und die köstlich schmecken. Der Bach ist durch ein Wehr gestaut. Oberhalb des Wehres ist das Wasser tief. Mit selbst gebastelten Angeln, Stecken mit einer Schnur und ein Haken aus einer Sicherheitsnadel dran, wollen sie hier fischen. Ab und zu beißt auch mal ein Fisch an. Krebse gibt es viele, da haben sie mehr Glück. Sie umwickeln ein totes Huhn mit Stroh, binden es mit einer Schnur fest, beschweren es mit einem Stein, und lassen es in das tiefe Wasser. Am nächsten Tag wird das Bündel herausgezogen, und aus dem Stroh können sie die Krebse absammeln. Unter den Steinen sind auch welche zu finden. Auch manchen Fisch können sie unter den Steinen greifen. Am Wehr können die Kinder auch schön spielen. Gegen Abend treiben sie die Kühe wieder heim. Jede Kuh findet allein wieder ihren Platz im Stall. Die Milli ist jünger als Rupert, deshalb und auch weil er sie gern hat, hilft er ihr die Kühe im Stall anzubinden, und die schweren Ketten über ihre Hörner zu streifen.

Viele Maikäfer, und auch Junikäfer, die etwas kleiner sind, gibt es zu der Zeit. An den Hängen, wo der Kümmel wächst, haben die Grillen ihre Erdlöcher. Man hört, wo ihr Gesang herkommt. Mit einem kleinen Stöckchen kitzeln die Kinder die Grillen aus den Löchern und fangen sie ein. Sie stecken sie in Flaschen und füttern daheim die Hühner damit, die wie wild darüber herfallen.

Im selben Dorf, in der Nähe des Feuerwehrteiches, wohnen Verwandte. Onkel Joseph ist ein Bruder der Mutter. Sie haben nur einen Sohn, der auch Joseph heißt, wie sein Vater. Er ist drei Tage jünger als Rupert. Weil er der Einzige ist, muss er daheim auf dem Hof viel helfen. Er darf auch nicht immer alles bei der Rasselbande mitmachen. Rupert und Joseph sind schon seit je her Freunde. Im Sommer schleppen sie als den schweren Waschtrog zum Teich und fahren Boot. Auch Nero, Ruperts Hund, sitzt mit drin. Da man den Trog nicht gut steuern kann, kippt er öfter um, und alle fallen ins Wasser.

In der Landwirtschaft gibt es immer viel zu tun, deshalb müssen die Kinder mithelfen. Täglich muss für das Vieh Luzerne gemäht, und mit dem Pferdewagen heimgefahren werden. Außer Luzerne wird das Futter mit Rübenschnitzel, Häcksel und Schrot gemischt und verfüttert. Für die Schweine wird täglich ein großer Dämpfer mit Kartoffeln, mindestens fünf bis sechs Eimer, abgekocht und mit gemahlenem Körnerschrot und Magermilch gemischt. Manchmal kommt auch Grünzeug dazu. Wenn die Frucht - Weizen, Roggen, Hafer, Gerste und Linsen - reif ist, muss gemäht werden. Nach dem Trocknen auf dem Feld wird alles gebündelt mit den Strohbändern, die im Winter gefertigt wurden. Die Bänder werden zuerst am Bach ins Wasser getaucht damit sie geschmeidig werden. Dann kommen immer acht Bündel zu einem Kegel zusammen, und oben drei quer, damit, wenn es regnet, das Wasser ablaufen kann. Nach dem Trocknen werden die Bündel auf einen großen Leiterwagen geladen, von beiden Seiten mit der Frucht nach innen, vier bis fünf Lagen hoch. Der Wagen wird heimgefahren, durch den Hof bis in die hintere Scheune. Während der Durchfahrt im Hof warten die Hühner schon, ob Körner runterfallen und hüpfen am Wagen hoch, um Halme mit Körnern zu erwischen. Manchmal kommt ein unvorsichtiges Huhn unter die Räder.

Eines Tages kommen im Dorf Kriegsgefangene aus Frankreich an. Wer Hilfe auf dem Hof braucht, kann einen Mann bekommen. Sie können sich überall frei bewegen. Der Vater hat Hilfe beantragt, und der junge Mann, der bei ihnen jetzt arbeitet, heißt Jacques. Er ist sehr fleißig und es gefällt ihm hier auch sehr gut. Er wäre gerne für immer da geblieben, schon weil er die Louise gern hat. Als der Krieg zu Ende ist, müssen alle Gefangenen wieder in ihre Heimat zurück. Im Obstgarten hinter dem Haus steht ein großer Apfelbaum, mit schönen rotbackigen Äpfeln. Der Jacques zeigt dem Bauern, wie man Most macht, was bis dahin in der Gegend nicht bekannt ist. Fortan muss man auf dem Feld nicht nur Wasser trinken.

Eines Tages bringt der Vater ein Zicklein heim, zur Freude der Kinder. Es stellt allerhand an, aber da es so niedlich ist, wird ihm alles verziehen. Es darf überall frei rumlaufen.

Nach dem ersten Weltkrieg wird Kurlupp der Tschechoslowakei zugeteilt. 1938, bei der Mobilmachung, wird Österreich, das Sudetenland und Südmähren zum „Deutschen Reich“ eingegliedert. Die deutschen Soldaten besetzen Südmähren, und rücken mit Armeefahrzeugen in Kurlupp ein. Jedes Haus bekommt Einquartierung von Soldaten. Ein Offizier wird in der guten Stube untergebracht, dessen Uniform die Jungs bewundern. Als er die Stube betritt, drängt sich das Zicklein mit hinein, und hüpft von einem Bett auf das Andere und stellt sich seitlich hoch gegen den Offizier, der nur lacht. Die Fahrzeuge stehen draußen vor dem Haus, unter den Kastanienbäumen. Das Zicklein treibt weiter sein Unwesen, indem es zuerst auf die Kühlerhaube, und dann aufs Dach vom Auto springt, sich auf die Hinterbeine stellt, und vom Kastanienbaum die Blätter abfrisst. Die Soldaten amüsieren sich, und der Offizier hebt das Zicklein hoch und setzt es in den Beiwagen vom Motorrad. Die Soldaten hängen dem Tierchen einen Kranz Wurst um den Hals, und fahren mit ihm im ganzen Dorf herum. Nach einer Woche ziehen die Soldaten wieder ab.

Die jungen Burschen aus dem Dorf kommen alle zur HJ, das ist die Hitlerjugend. Dort müssen sie marschieren lernen und dazu singen. Bei den jungen Mädchen heißt es BDM, Bund Deutscher Mädchen. Noch scheint das alles mehr ein Spiel zu sein.

1940 kommt ein schriftlicher Befehl, dass Ernst einrücken muss, zur Ausbildung als Scharfschütze, in die Kaserne in Mistelbach bei Wien. Adolf Hitler hat Polen und Russland den Krieg erklärt. Ernst bekommt noch einmal Kurzurlaub, bevor er nach Russland an die Front muss. Er trägt eine schicke Uniform mit einer geflochtenen, silbernen Schützenschnur, die von der linken Schulter bis zum zweiten Knopf der Uniform herunterhängt. Er genießt es, daheim zu sein bei seiner Familie, aber alles geht einmal zu Ende, und es muss Abschied genommen werden. Alle umarmen ihn innig, und wünschen, er möge bald gesund wieder heimkommen, aber er sagt traurig, dass er nicht wiederkommen wird. Als es dann Zeit ist zum Abrücken, fährt ihn der Vater mit den Pferden im kleinen, leichten Wagen zum Bahnhof. Jetzt müssen sie auf dem Hof mit einer Hilfe weniger auskommen.
Juni 1942. Rupert arbeitet im Stall und plötzlich, wie unter einem inneren Zwang, geht er in die Küche und schaut die Bilder von den Gefallenen aus dem Dorf an, nimmt das Gebetbuch in die Hand und denkt: „Was für einen Spruch nehmen wir für den Ernst?“ Dann geht er wieder an die Arbeit. Das Macht er dreimal so, als hätte er eine Vorahnung. Am Mittag als die Post gebracht wird, kommt die Nachricht, dass Ernst gefallen ist, erschossen von einem Scharfschützen in Gromoweia Balka bei Kiev. Als die Mutter das liest, bricht sie in Tränen aus und jammert: „Da zieht man die Kinder groß, dass man Hilfe hat und dann werden sie einem weggenommen und erschossen!“ Rasend vor Trauer und Wut nimmt sie das Bild mit dem Hitler drauf von der Wand, wirft es auf den Misthaufen und trampelt drauf rum. „Munter, hör auf, um Himmels willen! Wenn das einer sieht, dann wirst du verhaftet!“ Sagt Rupert. Da deckt sie das kaputte Bild mit Mist zu. Es ist auch noch ein Brief vom Ernst mitgekommen, den er eigenhändig geschrieben hat. „Liebe Eltern und Geschwister, wenn Ihr diesen Brief in Euren Händen haltet, dann wisst Ihr, dass Euer Sohn und Bruder nicht mehr am Leben ist.“ Der Pfarrer liest den Brief am Sonntag in der Kirche vor. Kurze Zeit später müssen Rupert, der Sepp und Cousin Joseph zur Militärausbildung nach Liliental im Riesengebirge. Ohne noch mal heim zu können, müssen sie nach kurzer Ausbildung zum Arbeitsdienst nach Frankreich. Ja, jetzt ist plötzlich die heile Welt verloren und die unbeschwerte Kindheit zu Ende.
Meine Großeltern kamen aus Südmähren ....und sobald ich die Augen wieder offen halten kann lese ich auch zu ende und dann kommt ein Kommentar - Versprochen *smile*

LG
Joe
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****ia Frau
22.263 Beiträge
Themenersteller 
Danke, Joe!
Dieser Teil ist jetzt erst mal abgeschlossen.
Ob es irgendwann weiter geht?
Das kommt darauf an, was der Lebensgefährte meiner Mutter ihr noch alles so erzählt...

LG
Anke
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Also dann ... wenn hier erstmal Schluss ist: Da wurde auch in mir so einiges aufgewirbelt (bin ein Flüchtlingskind) - und das war einerseits schmerzlich, hat andererseits gut getan.

War schön zu lesen! Danke, liebe Rhabia!

(Der Antaghar)
Die Frage,
woher du das so haarklein alles weißt, erübrigt sich jetzt!

Es isr wunderschön geschrieben. Passend zum Gemüt und zur Zeit.

Danke! Olaf
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