Kinderhände
Meine Große. Bald wird sie zehn Jahre alt. Ein wunderschönes Mädchen ist sie geworden. Selbstbewusst, schüchtern, zickig, fragend, liebevoll. So ist sie, meine Große. Wir brüllen einander an, schmollen miteinander, umarmen einander, sind füreinander da. Und ganz oft, da fassen wir uns an den Händen. Es ist ein tolles Gefühl, so eine warme, kleine Kinderhand zu halten.Heute hielt ich die Hand meines Sohnes. Und bin erschrocken. Es durchzuckte mich wie ein Blitz. Seine Hand fühlt sich ganz anders an. Gestern waren das noch Babypatschhändchen. Aber gestern ist lange vorbei, denn er ist jetzt ja schon acht. Und seine Hand fühlt sich an, wie meine. Das klingt sonderbar. Aber es ist so. Und irgendwie hat es mich auf einmal erschreckt.
Er ist nicht so, wie andere Kinder. Irgendwie lebt er in seiner eigenen Welt. Er ist ein fröhlicher, kleiner Junge. Und manchmal auch ein recht einsamer. Seine Schwester liebt ihn. Auch wenn sie oft sehr genervt ist, von ihm. Aber das liegt in der Natur der Dinge.
Er… Er liebt jeden. Und alles. Stöckchen und Steine sind seine besten Freunde, die er mit nach Hause bringt. Ich muss dann Namensschilder für seine neuen Freunde schreiben. Weil er sich die vielen Namen nicht merken kann, sagt er. Lieber würde ich Namensschildchen schreiben für andere Jungs, die er mit nach Hause bringt. Aber es gibt keine. Seine Freunde sind Steine, Regenwürmer, Grashalme, Stofftiere, Marienkäfer und Holzstücke.
Manchmal möchte ich gern in seinen Kopf sehen können. Möchte verstehen, was er denkt und wie er fühlt. Das wird mir wohl immer verschlossen bleiben. Aber meine Hand wird immer offen sein für ihn.