„Hau ab . . .“
Eine alte Frau erwartet ihren Sohn mit seiner Tochter und seiner neuen Freundin.Alles ist vorbereitet, sie hat einen Kuchen gebacken, und zum Mittagessen gibt es Matjes, wie er es sich gewünscht hat.
Schon 9 Monate hat sie ihn nicht mehr gesehen, wohnt er doch über 600 km entfernt. Doch einmal im Jahr kommt er zu Besuch, und diesmal nun sogar mit seiner Tochter.
Wie die Kleine wohl aussieht? Ob sie ihm ähnlich ist oder mehr ihrer Mutter? Und wie wird seine neue Freundin sein. Seine Freundin ist ja 4 Jahre älter als er, 50 Jahre, ob sie hübsch ist?
Ihr Sohn ist zum ersten Mal Vater geworden, seine Tochter, die bei deren Mutter lebt, ist jetzt 13 Monate alt, ob sie inzwischen schon laufen kann?
Es klingelt, die alte Frau eilt zur Tür und öffnet. Freudig wird sie begrüßt und sieht das erste Mal ihre kleine Enkelin real. Bilder von ihr kennt sie, aber so von Angesicht zu Angesicht ist es doch ein Unterschied. Sie freut sich, ist es doch ihr einziges Enkelkind.
Niedlich ist die Kleine, ein lachendes fröhliches Kind. Es herrscht eine gute Stimmung. Die neue Oma fotografiert die Kleine unentwegt. Viele Bilder entstehen, auch, wie sie zur Katze krabbelt und die Katze streichelt. Alle sind erstaunt, dass die Katze sich das gefallen lässt.
So vergeht eine lange Zeit mit vielen anregenden Gesprächen. Doch so langsam macht sich Hunger breit. Also geht die neue Oma in die Küche, setzt die Kartoffeln auf und für die Kleine Möhren. Dann ruft sie ihren Sohn, weil sie wissen will, wie sie das Essen zubereiten soll. Er nimmt ihr das Essen aus der Hand und wird wütend.
„Da ist ja Fleisch drin!“
„Nein, ich habe es nur in Kalbsknochenbrühe gekocht.“
„Davon war nicht die Rede, nur von Möhren mit Kartoffeln!“
Der Sohn nimmt das Essen, geht ins Zimmer zurück und will seine Tochter füttern. Doch plötzlich stürmt zurück in die Küche.
“Das Essen ist ja total versalzen!“
Die Mutter lacht:
„Das kann nicht sein, ich habe keines hinein getan“
„Es ist sogar so salzig, dass nicht einmal ich es essen kann!“ schreit er weiter.
Sie schaut ihn an und sagt belustigt:
„Hau ab.“
Da dreht er sich um, nimmt seine Tochter und sagt zur Freundin:
„Komm wir gehen, meine Mutter hat eben gesagt ‚Hau ab’.“
Darauf die alte Frau, „ich meinte aus meiner Küche.“
Doch er: „Das hast du aber nicht gesagt.“
Und alle drei verlassen die Wohnung.
Zurück bleibt eine alte Frau, die den Sohn nicht mehr versteht:
„So mit mir zu reden, das hat bisher noch niemand gewagt. Muss ich mir, mit meinen 78 Jahren, solch einen Ton von ihm gefallen lassen?“
© ev 03-2010