Schwestern
Wenn ich nur wüsste, wie ich mir diesen Hass zugezogen habe. Nichts habe ich getan, außer geboren worden zu sein – und nicht einmal das habe ich mir ausgesucht. Jetzt stehe ich da und werde für die Hilfe, die ich die letzten Jahre gewährt habe, bestraft. Fassungslos muss ich zusehen, wie meine Träume davon schwimmen, den Bach runter gehen und mich leer zurück lassen. Geahnt habe ich es schon länger, aber nicht wahrhaben wollen, habe ich doch von ihr nie so einen Winkelzug erwartet. Es ist diese sprachlose Wut, die mich innerlich gefrieren lässt und mich an Taten hindert. Ich kann es nicht ändern, weil ich sonst noch mehr Leid produziere. Was hätte ich schon tun können?
Sie hasst mich, seit ich auf Gottes schöner Erde wandle, bin ich doch das Nesthäkchen, das verschissene Kind, das immer alles bekommen hat. Wenn es wirklich so wäre, müsste ich jetzt nicht meinen Träumen hinterher winken.
Ihren Zorn kann ich nicht verstehen. Sie hat bekommen, was sie sich gewünscht hat – und ich stehe da und kann meine Zukunft von vorne aufbauen. Alles will sie und nichts dafür geben, nicht einmal die Hand zur Versöhnung. Dabei täte das uns beiden gut. Aber – wer bin ich schon? Ich bin die kleine Schwester, wer nimmt denn die schon ernst? Die dumme Kleine, die nichts Ordentliches gelernt hat, die sich immer alles erschlichen hat, nach ihrer Ansicht. Ich habe etwas aus meinem Leben gemacht! Trotzdem heißt es für mich jetzt: zurück an den Start. Wohnung suchen, Kredit aufnehmen, neue Möbel, neues Leben. Das Alte ist dahin. Was bleibt ist ein Klumpen Enttäuschung, der tief im Hals steckt und mich am Atmen hindert.
Als wir beide schon erwachsen waren, sie hatte bereits zwei Kinder und das dritte war unterwegs, da bat sie mich um Hilfe. Ich kam oft nach Dienstschluss und an meinen freien Tagen zu ihr und unterstützte sie. Wenn ich einen freien Vormittag hatte, fuhren wir zusammen in die Stadt und tranken Kaffee. Es war lustig und wir schienen uns näher zu kommen. Dann meinte sie eines Tages, ich hatte sie gerade ins Krankenhaus zu einer Mutter-Kind-Pass-Untersuchung gefahren, es würde ihr nichts ausmachen, wenn ich das Elternhaus erben würde, solange ich sie ausbezahlte. Diese Bemerkung erleichterte mich, denn ich wohnte bereits einige Jahre dort und betreute die Eltern, was nicht immer ein leichtes Unterfangen war. So machten wir uns das aus und ich wohnte noch einige weitere Jahre daheim und half auch meiner Schwester, bezahlte Schikurse, kaufte dieses und jenes. Immer wieder kam sie an und weinte mir die Ohren voll, wie schlecht es ihnen ginge und wie glücklich ich als Single sein könne. Ich war eine Idiotin.
Nun stehe ich da und kann es noch immer nicht glauben. Ich hatte die Wohnung renoviert, sämtliche Wasserleitungen erneuert und auch im Garten einiges erledigt. Nicht zu vergessen, die Betreuung meiner Eltern.
Dann kam der Termin beim Notar. Nie im Leben werde ich es vergessen. Nie!
Wie kann man seine Schwester nur so hintergehen?
Vor einer Woche fuhr ich mit meinen Eltern zu diesem Termin und dachte es würde so geschehen, wie wir bereits vor einiger Zeit beschlossen hatten. Dann saßen wir alle um einen runden Tisch, meine Schwester einige Sessel von mir entfernt. Eigentlich hätte mir das schon sonderbar erscheinen müssen, aber noch ahnte ich nicht, was da auf mich zukommen würde.
Der Notar eröffnete den Willen meiner Eltern. Vater ist schon sehr krank und kann sich nicht mehr gut artikulieren und Mutter ist einfach nur mehr müde, von der Betreuung. Ich gehe den ganzen Tag über arbeiten und kann nur am Abend helfen. Deshalb wollten sie jetzt Nägel mit Köpfen machen. Aber wie diese Köpfe aussahen, ja, das warf mich aus der Bahn.
Meine Schwester sollte plötzlich alles bekommen und ich mich mit nicht einmal dem Pflichtteil abspeisen lassen, weil ich angeblich mietfrei in der Wohnung gelebt hatte. Ich kann es immer noch nicht fassen, mit welcher Hinterhältigkeit sie das vorgebracht hatte. Meine Schwester hatte geweint und gesagt: „Ich habe von euch nie etwas bekommen. Alles hat immer nur sie eingestreift und ich nichts.“ Ich konnte nicht mehr denken, nichts sagen. Ich stand auf und ging schwankend hinaus. Meine Mutter lief mir nach und sprach eindringlich auf mich ein. Sie forderte mich auf, die Unterschrift zu leisten und nicht kindisch zu sein. „Du bist alleine, deine Schwester mit den drei Kindern, steht nach der Scheidung auf der Straße. Kind, sieh doch ein, dass du nachgeben musst.“ Von Scheidung wusste ich nichts, sie hatte mir immer die heile Welt vorgespielt und um Geld gebeten. Mutter erklärte mir, dass sie das in den vergangenen Wochen besprochen hätten, während ich auf einem Seminar gewesen war. Toll, dachte ich, es wird einfach hinter meinem Rücken ein neuer Plan gemacht und ich auf die Straße gesetzt. Mutter sah mich die ganze Zeit über so leidend an, also gab ich nach und unterschrieb. Noch nie habe ich jemanden so zufrieden lächeln sehen wie meine Schwester.
In zwei Wochen muss ich raus aus der Wohnung. Ich weiß auch nicht wohin und woher so schnell eine andere Bleibe. Keiner fragt, was aus mir wird. Ich bin egal. Aber wenn jemand Hilfe braucht, dann wissen sie, wo sie mich finden. Denn ich, die blöde Kuh, bin immer für die anderen da gewesen.
Während ich packe und mir in den Pausen die Wohnungsinserate in Zeitungen und im Internet ansehe, denke ich an ihr Gesicht, als ich unterschrieben habe. Sie sah mich mit einer kalten Berechnung an, die mir auch jetzt noch eine Gänsehaut beschert.
Meine Familie hat mich verraten, ich weiß, dass ich auf mich alleine gestellt bin.
Meine Schwester ignoriert mich bestenfalls und neuderdings verunglimpft sie mich öffentlich, sodass mich die Leute zu meiden beginnen.
Was habe ich getan, um das zu verdienen?