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Der Fisch im Windschatten

*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Der Fisch im Windschatten
[Mit etwas Glück wird das hier der Anfang eines neuen Geschichtenzyklus.]


Es wurde Fisch serviert. So saftig und frisch, wie man ihn nur direkt an einem Hafen bekommt, und so vollendet zubereitet, wie es nur die Hanseaten verstehen. Dazu bitteres, schäumendes Bier aus hohen Krügen. Ein scharfer Wind blies mit Macht von der offenen See her, willkommene Kühle im strahlenden Schein der Augustsonne, aber so drangvoll und mächtig, dass er die Schaumkonen von den Krügen stahl und in weißen, flüchtigen Flocken über das Tischtuch streute. Er wackelte an den beiseitegelegten Hüten und an den Kragenspitzen der lässig über Stuhllehnen gehängten Jacketts der beiden Männer, die sich zum Essen an einen kleinen Tisch auf der sonnendurchfluteten Terrasse niedergesetzt hatten. Eine Ruhe fand er nur im Schatten ihre Oberkörper, die sich in vertrauter Weise über ihre Teller vorgebeugt hatten. Man sprach des Königs Englisch, mit der selbstbewussten Gemessenheit und dem kultivierten Akzent des reinen Oxfords. Der Wind riss die Worte fort, bevor sie den Umkreis des Tisches verlassen konnten. Was gesprochen wurde, hörten nur die Ohren, für die es bestimmt war. Und das war gut so.

Die beiden Männer glichen in Kleidung und Gebaren Handelsvertretern, die über eine bequeme Mittagstafel gewisse Dinge besprechen wollten, und Händler waren in einer geschäftigen Hafenstadt wie Hamburg ein alltäglicher Anblick, der kein Aufsehen erregte. Tatsächlich haftete dem Ton ihrer Unterhaltung etwas Sachliches, fast Geschäftliches an, und die Dialekte der weiten Welt waren auf den von mittelalterlichen Backsteinfassaden gesäumten Märkten und Gassen des Hafens durchaus am Platz. Und doch waren beide einander mehr als vertraut, und was zwischen ihnen gesprochen wurde, auch wenn sie bestimmte Begriffe sorgsam vermieden, kam in dem schwülen, überhitzten politischen Klima des Zeitgeistes einem Akt der Unbotmäßigkeit gleich.

„Er wird es tun, nicht wahr?“ Vom gegenüberliegenden Ufer, von den Helligen und Stapeln von Blohm und Voss, schallte das Schnarren einer Dampfpfeife herüber, unterbrach das beständige, gedämpfte Dröhnen der Niethämmer und den Widerhall von heißem Metall. Der Sprecher ließ das Geräusch wie einen Kontrapunkt in seiner Redepause hängen. Kriegsschiffe, natürlich, schlanke, moderne, graue Rümpfe und kantig zulaufende Aufbauten. Das Scheitern der Flottenverträge lag vier Monate zurück, und die deutsche Industrie verlor keine Zeit, einen Rückstand von mehreren Jahren aufzuholen und gewinnträchtige Aufträge einzufahren.

Sein Gegenüber schüttelte entschieden den Kopf. „Nur, wenn man ihn zwingt. Der Österreicher ist ein Schwein, aber er ist nicht dumm. Polen ist das wahre Übel. Ihre Regierung ist kurzsichtig und arrogant, und die Franzosen befeuern sie noch. Und euer Parlament…“
Der andere blickte zu Seite und griff nach seinem Bierkrug, um einen tiefen Zug zu nehmen. Die Bewegung öffnete dem Wind eine Bresche, er zupfte einige Krümel Schnittlauch von den Kanten gesalzener Kartoffeln und warf sie über den Tisch.
„… unser Parlament finanziert sie, genauso wie euren Österreicher. Unser Parlament ist eine Schande. Es ist voller Banker und korrupter Bürokraten.“

Beide aßen schweigend eine Zeit lang. Das Thema brannte heiß in ihnen, aber man kam ihm auch nicht bei, indem man den köstlichen Fisch kalt werden ließ. Das allein wäre schon eine Kulturlosigkeit gewesen, die keiner von beiden auf sich genommen hätte. Das war ihnen schon als Studierende gemeinsam gewesen, als sie grüne Hügel, Flüsse und Schankstuben zusammen unsicher gemacht hatten: die Vergnügungen und Genüsse des Lebens wollten zu jeder Zeit erobert und ausgekostet sein, ohne zu zögern, denn in ihnen lag der Ruhm einer Welt. Und man wusste nie, wann man ihrer wieder würde habhaft werden können.

Der Kellner brachte Rote Grütze mit Schlagsahne, danach Kaffee und Zigarren. Erst als diese brannten und der forsche Nordwest ihren dichten Rauch über die Terrasse zerblies, wurde wieder etwas anderes als Belanglosigkeiten gesprochen.
„Eure Regierung muss einlenken. Im Weltkrieg habt ihr euer Empire bereits aufs Spiel gesetzt, und einen zweiten Würfelwurf erträgt es nicht. Die Franzosen würde es freuen.“
„Ich fürchte, dass du Recht behalten wirst. Gott beschütze uns vor der Eigenmächtigkeit der Kolonialvölker.“
Beide zogen an ihren Zigarren. Einige Zeit sprach keiner ein Wort.
„Ich reise morgen früh ab, mit der Morgenflut. Mein Vater hat telegraphiert.“
Der andere nickte. Er hatte geahnt, als sie sich zu dieser Mahlzeit verabredet hatten, dass es fürs erste ihre letzte miteinander sein würde. „Wollen sehen, dass du es nicht nüchtern tun musst.“

Sie blickten einander in die Augen.
„Wenn es losgeht… wirst du mitmachen?“ Er sagte bewusst „wenn“, nicht „falls“.
„Ich muss, denke ich.“
„Tu es. Tu es für mich. Damit ich glauben kann, dass auch auf eurer Seite rechtschaffene Männer sind.“
„Du genauso.“
Sie reichten einander stumm die Hände und bestellten scharfen Schnaps, gleich die ganze Flasche. Und damit war ihr Krieg beschlossen als ein Akt der Brüderlichkeit.
*****e_M Frau
8.537 Beiträge
Das hat was! Gefällt mir gut!

Kompliment!
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Danke dir!
*********cht76 Mann
907 Beiträge
Ich bin schon auf die Fortsetzung gespannt!
******s23 Frau
12.725 Beiträge
Noch weiß ich nicht in welche Richtung deine Geschichte geht, aber es klingt vielversprechend.

Ein scharfer Wind blies mit Macht von der offenen See her, willkommene Kühle im strahlenden Schein der Augustsonne, aber so drangvoll und mächtig, dass er die Schaumkonen von den Krügen stahl und in weißen, flüchtigen Flocken über das Tischtuch streute. Er wackelte an den beiseitegelegten Hüten und an den Kragenspitzen der lässig über Stuhllehnen gehängten Jacketts der beiden Männer, die sich zum Essen an einen kleinen Tisch auf der sonnendurchfluteten Terrasse niedergesetzt hatten.

Du hast in der Schreibwerkstatt gepostet - von daher - würde ich diese obigen zwei Sätze, in mehrere Kurze umarbeiten, da es sich besser liest dann. *g*
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Vielen Dank, liebe Odette, liebe Damaris und lieber Ostseensucht. Ich freue mich über den Input von euch allen und werde darüber nachdenken.
Me 2
*********ld63 Frau
8.551 Beiträge
Sehr atmosphärisch, dein Text.
Gefällt mir sehr, wie du es geschafft hast, allein durch die erzeugten Wortbilder eine Szene zu beschreiben, die die Situation der Protagonisten darstellt, ohne zu viel zu erklären.

Bin gespannt, wie es weiter geht.
********1_by Mann
73 Beiträge
Das erweckt mein Interesse. Bin gespannt wie das Weitergeht. Ich rätsle für mich selbst noch so dahin. Was, wie gemeint sein könnte. Mich hat das Thema, der Text, gefangen und regt mich zum Nachdenken an. *top*
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Kapitel 1: England

Mein Name ist Alexander Voight. Ich wurde in jenem Jahr geboren, in dem auf dem Kontinent der große Krieg gegen die Hunnen und ihren Kaiser endete, der meinen Vater und seinen Bruder verschlang. In dem Jahr, in dem uns der Kontinent in einen zweiten, noch größeren Krieg schleuderte, erlebte ich meinen zweiundzwanzigsten Geburtstag. Es ist dem Mann namens Thomas Alfred Leicester zu danken, dass ich ihn überhaupt feierte. Ich lernte ihn kennen ungefähr acht Monate, nachdem er in Hamburg an einem denkwürdigen Fischessen teilgenommen hatte. Er rettete mein Leben mehr als einmal, in mehr als einer Weise. Dies hier ist nicht meine Geschichte, sondern seine.

Ich hatte den abgrundtiefen Hass auf alles, was den Kontinent, seine Menschen und Staaten, seine Symbole und Traditionen anbetraf, buchstäblich mit der Muttermilch aufgesogen. Meine Mutter war an dem Verlust meines Vaters und meines Onkels innerlich zerbrochen; sie hatte, auch wenn sie es nie offen zugab, keinen von ihnen geheiratet, aber sicherlich beide geliebt. Ich wuchs mit der Gewissheit auf, dass zumindest einer von ihnen mein Vater, der andere mein Onkel gewesen sein musste. In den seltenen Fällen, in denen meine Mutter über sie sprach, sprach sie nur von ihnen mit ihren Vornamen. Nur einmal hatte sie den Ausdruck "dein Vater“ mir gegenüber gebraucht: als ich nach etwas fragte, was andere Kinder wie selbstverständlich im Mund führten. „Dein Vater ist tot,“ hatte sie mit Bestimmtheit gesagt, und dabei blieb es.

Es war kein Kaiser, der im September 1939 seine Kolonnen in jene Provinzen entsandte, die dem Hunnen nach seiner Niederlage zwanzig Jahre zuvor genommen worden waren, aber ich hasste dieses großmäulige, mit den Händen fuchtelnde Arschloch trotzdem, schon aus Prinzip. Und doch, als das britische Empire im Verbund mit der Französischen Republik dem deutschen Reich den Krieg erkälte, hatte ich es nicht eilig, mich zu melden. Ich mochte die Deutschen nicht, aber die Franzosen genauso wenig, und die Sache roch mir doch sehr nach einer weiteren unseligen Episode festländischer Zwistigkeit. Ein Kampf um Englands Weltreich und Seegeltung leuchtete mir ein, in den kurzen Jahren meiner Kindheit hatte ich gebannt den Erzählungen von Trafalgar, Waterloo und Balaclava gelauscht. Im Weltkrieg hatten die Hunnen uns den Krieg erklärt, aber dieses Mal war es umgekehrt. Weder Polen noch Franzosen lagen mir auf irgendeine Weise am Herzen, und ich hielt die ganze Sache ehrlich gesagt für eine ziemliche Dummheit. Bisher hatte mir noch niemand wirklich begreiflich machen können, warum ehrliche Engländer sterben sollten, weil Festlandvölker untereinander nicht in Frieden leben mochten. Meine Mutter war natürlich auch dagegen, sie lag mir dauernd in den Ohren, sie wolle nun nicht auch noch ihren Sohn an den Krieg verlieren. Aber sie trank, und ihr anhaltendes Nörgeln und ihre Ermahnungen gingen mir in diesen Tagen schnell auf die Nerven. Als sie irgendwann wieder einmal ihren Rausch ausschlief, ging ich hin und meldete mich doch. Einfach, weil ich zweiundzwanzig und friedlos war, weil ich nichts besseres mit mir anzufangen wusste, und weil ich sie insgeheim verachtete. Ich wusste, es würde sie ärgern.

Eigentlich hatte ich mich zur Flotte melden wollen, aber das hätte eine Wartefrist von drei Tagen bedeutet. Truppenzüge zur Küste gingen nur alle paar Tage, und ich hatte weder Lust, meiner Mutter noch einmal unter die Augen zu treten, noch mich drei Nächte lang durch die Kneipen und Hinterhöfe zu schlafen. Also meldete ich mich zur Armee und verbrachte direkt die erste Nacht in der Kaserne, stolz das Schriftband des 1. Bataillons, The Royal West Kent Regiment, auf meinen Ärmel nähend.
[...]
*********cht76 Mann
907 Beiträge
Es wird spannend *top*
Kleine Frage: Aus dem Eingangstext ergibt sich, dass der Ich-Erzähler 1918 geboren ist. Dann wird er aber doch 1939 erst 21 und nicht 22?
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Stimmt. *top* Der aktive Kriegseintritt Englands in den Landkrieg in Frankreich fand aber erst im Frühjahr 1940 statt.
*********cht76 Mann
907 Beiträge
Danke für die Aufklärung!
**********_moon Mann
284 Beiträge
Lieber Bedouine,

ich halte das, was Du hier einstellst, vielleicht nicht immer für historisch bzw. metereologisch "einwandfrei", aber das spielt überhaupt keine Rolle, denn ich empfinde es als erzählerisch briliant!!!

OK, ein paar Kleinigkeiten hätte ich anzumerken, aber die sind unwesentlich.

Was es für mich besonders spannend macht, ist die Frage, in welche Richtung sich dieses Erzählen entwickeln soll???

Was soll es für ein Roman/Novelle/Geschichte werden?

LG!

*g* *g*
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Vielen Dank, lieber behind_the_moon, für dein Feedback und dein Lob.
Ich denke, es wird eine Art von historischem Abenteuerroman werden, bei dem der Krieg und das Militärische gar nicht so die Hauptrolle spielen, sondern eher die Erlebnisse der Hauptpersonen und ihre Gedanken und Gefühle.
Ob es überhaupt jemals Romanformat erreicht, wird abzuwarten bleiben.
LG
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Allerdings merkte ich schnell, dass die Armee und ich nicht gerade für einander bestimmt waren. In meiner Jugend war ich ein Tunichtgut und ein Herumtreiber gewesen, der sich um wenig scherte und tat, was er für richtig hielt. Es gab wenige Anstellungen, die ich für länger als ein paar Monate innegehabt hatte; Stupide Arbeit langweilte mich schnell, dann konnte mich ein falsches Wort, ein respektloser Blick in Rage versetzen, und eine Schlägerei war zumeist sehr bald die Folge. Halbe Nächte und halbe Löhne vertrank ich in Bierkneipen und kam am nächsten Morgen verspätet und mit geröteten Augen zur Arbeit. Die einzige Anstellung, bei der ich längere Zeit blieb, war eine als Maurer.

Nun sollte ich mich in die Disziplin der Armee fügen, in das frühe Aufstehen, den endlosen, stumpfsinnigen Drill, den winterlichen Wind und Regen, die zugigen Baracken mit den knarrenden Fenstern, die dauernden Appelle. Der erste Corporal, gegen den mir die Hand ausrutschte, war härtere Burschen als mich gewohnt; er verpasste mir eine Abreibung mit dem Stock und sperrte mich für zwei Tage ein. Danach lernte ich, mich zu beherrschen. Auf wundersame Weise trug er mir diesen Vorfall tatsächlich nie wieder nach, und ich entwickelte schnell einen gehörigen Respekt für ihn. Unter seiner Anleitung lernte ich umso bereitwilliger und tat mich bald beim Marschieren unter Gepäck und beim Bajonettkampf so hervor, dass er mich bei den regelmäßigen Boxwettkämpfen für unsere Kompanie antreten ließ. Ich gewann nicht, und es wurde aus mir auch trotzdem kein mustergültiger Soldat, ich lernte einfach, den Kopf einzuziehen und den Winter über so gut es ging durchzuschlüpfen. Ein einziger Brief kam von meiner Mutter zu Weihnachten, er bestand aus Beschwerden und Vorwürfen. Ich knüllte ihn nach dem Lesen zusammen und warf ihn vor der Barackentür in den Rinnstein.

Als ich Ende März 1940 in die Schreibstube der Kompanie gerufen wurde, bereitete ich mich innerlich auf eine Standpauke vor und durchforstete mein Gedächtnis nach möglichen Missetaten, bei denen ich in den letzten Tagen oder Wochen erwischt worden sein konnte; ich kam auf nichts.
Nicht, dass ich keine verübt hatte, aber mir war kein einziger Fall bewusst, in dem ich mich dem Risiko einer Entdeckung ausgesetzt hatte.
Dennoch war ich überrascht, als mich der Kompanieschreiber, mein Personalblatt vor sich auf dem Tisch, nach meinem Eintreten fragte, ob ich ein Automobil fahren könne.
„Yes, sir.“ Ich hielt meine Antwort so knapp wie möglich.
„Was gefahren?“
„Laster, sir.“
Auf dem Bau hatte ich tatsächlich mehrmals einen Lastkraftwagen gefahren. Dennoch hatte ich in Bezug darauf bei der Musterung mehr gelogen als streng genommen die Wahrheit gesagt.
Er nickte und schob mir einen Zündschlüssel hin, dazu einen verschlossenen Briefumschlag und ein Blatt Papier mit einigen handschriftlichen Anmerkungen.
„Habe eine Aufgabe für Sie. Holen Sie einen neuen Offizier aus seiner Einquartierung ab. Der Major will mit ihm reden. In dem Umschlag sind Befehle, geben Sie ihm den.“
Ich steckte den Umschlag ein und hob den Zettel auf, er enthielt einen Namen und eine Adresse, die mir vertraut vorkam. „Yes, sir.“ Er runzelte kurz die Stirn über meinen bestenfalls angedeuteten Salut, ließ es aber dabei bewenden.

Das Haus, vor dem ich wenig später meinen geborgten Bedford QLT Lastkraftwagen abstellte, war ein Gasthaus. Im Erdgeschoss befand sich eine Schankstube, die erleuchteten Fenster darüber mussten zu Schlafstuben gehören. Ich trat ein und fragte den Schankwirt hinter dem Tresen nach Lieutenant Thomas Leicester.
„Zimmer Vier. Aber du möchtest vielleicht ein paar Minuten warten, Kumpel.“ Er schob einen Becher dampfenden Tees über den Tresen in meine Richtung.
Ich griff wortlos nach dem Becher, schüttelte aber über den Ratschlag lediglich wortlos den Kopf und stapfte mit dem Tee in der Hand wortlos die Treppe hinauf.

Vor der Zimmertür wurde mir allerdings bewusst, dass die Worte des Wirts tatsächlich Sinn gehabt hatten: aus dem Zimmer drangen, gedämpft aber unverwechselbar, die spitzen Lustschreie einer Frau. Die Hand, die ich bereits zum Anklopfen gehoben hatte, ließ ich wieder sinken.
Ich war nun keinesfalls schamhaft. In meinem Stadtviertel waren die Wände dünn und die Fenster zugig, was die Nachbarn so alles trieben, bekam man relativ schnell mit. Trotzdem hatte ich keine Neigung, den Zorn eines Offiziers auf mich zu ziehen.
Also schlürfte ich meinen Tee und wartete, bis hinter der Tür Ruhe eingekehrt war. Erst dann stieß ich meine Knöchel auf das Holz.
„Herein.“ Ich drückte die Klinke und trat ein.

Die Stube war klein und verhältnismäßig einfach eingerichtet, lediglich ein Bett, ein Waschtisch mit Spiegel und eine Kleidertruhe. Eine Öllampe spendete mattes Licht. In dem Bett saß ein schlanker Mann von ungefähr Mitte zwanzig, mit zerzausten, dunkelblonden Haaren und einem athletischen Oberkörper. Neben ihm eine schöne, rothaarige Frau, die sich nicht die Mühe machte, ihre Blöße zu bedecken. Beide rauchten.
„Soldat?“
„Voight, sir.“ Ich gab mir angestrengte Mühe, den Blick auf ein schief hängendes Ölgemälde an der Wand über dem Bett geheftet zu halten, ein scheußliches Stillleben mit Obst.
„Was gibt es?“
„Befehle, sir. Und der Major schickt nach Ihnen. Wenn Sie Lieutenant Leicester sind.“
„Wenn ich’s nicht bin, sind Sie im falschen Zimmer und in Schwierigkeiten.“
„Yes, sir.“ Mir fiel ehrlich gesagt keine kluge Antwort ein.

„Geben Sie schon her.“ Er erhob sich und trat mir splitternackt gegenüber. Wer immer dieser Mann war, Schamgefühl schien er nicht zu kennen.
Ich zog den Umschlag aus der Tasche und reichte ihn ihm, er riss ihn auf, überflog die getippte Seite und nickte knapp, als hätte er ihren Inhalt erwartet. Sein Blick wanderte kurz zu der Frau herüber, die immer noch ungerührt an ihrer Zigarette zog, und in ihrem Gesicht ging etwas Undefinierbares vor sich.
Dann wanderten seine Augen wieder zu mir zurück.

„Haben Sie die ganze Zeit vor der Tür gestanden?“
„Yes, sir.“ Ich sah keinen Sinn darin, zu lügen.
Er legte den Kopf schief. „Was ist Ihre Stellung in der Kompanie, Soldat Voight?“
„Einfacher Schütze, sir.“
„Welchen Beruf haben Sie vor dem Krieg ausgeübt?“
„Maurer, sir.“ Das war zumindest nicht wirklich gelogen.
„Boxen Sie?“
„Nur Großmäuler, sir.“
Das entlockte ihm wirklich und wahrhaftig ein kurzes Prusten der Belustigung. „Nur Großmäuler. Gefällt mir.“ Er zog seine Uniformhose vom Waschtisch und stieg ohne viel Federlesen hinein, streifte dann sein Hemd über.

„Können Sie ein Horn blasen?“
Ich hielt überrascht inne. Ich befand mich offensichtlich gerade mitten in einer Art Vorstellungsgespräch, und mit dieser Frage hatte ich weiß Gott nicht gerechnet. „No, sir.“
Leicester hielt im Ankleiden inne, griff in einen Seesack und warf mir kurzerhand ein Jagdhorn aus abgestoßenem Messing zu. Ich fing es auf und wog es in der Hand.
„Lernen Sie es. Sie sind ab sofort mein Offiziersbursche und mein Hornist.“
„Yes, sir.“

Er zog Socken an und schlüpfte in seine Schuhe, die halb gerauchte Zigarette immer noch im Mund.
„Ich gehe zu Fuß zur Kaserne. Sie packen meine Sachen zusammen und fahren sie hinterher. Moira hilft Ihnen. Sie lassen die Finger von ihr, verstanden?“
„Verstehe, sir. Sie gehört Ihnen.“
Er blickte mich an und zog einen Mundwinkel in die Höhe. „Moira gehört nur sich selbst. Aber wenn Sie sie anrühren, Soldat, kratzt sie Ihnen die Augen aus.“
Ich schluckte und wagte einen kurzen Blick auf das rothaarige Mädchen, das mich herausfordernd anblickte. „Yes, sir.“

„Gut. Mein Gepäck schaffen Sie ins Kompaniegebäude. Und dann packen Sie ihre Kram zusammen, marschfertig.“
„Marschfertig, sir?“
Er reichte mir das Blatt mit dem Befehl. „Sie schiffen morgen mit mir nach Frankreich aus.“
„Yes, sir.“ Oh Scheiße.
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Hier wird es tatsächlich in absehbarer Zeit noch weitergehen. Momentan stecke ich in einer Recherchephase und muss ein paar grundlegende Fakten klären. Die Frankreich-Geschichte war... konfus... für die Alliierten. Und alleine die Chronik des 1. Bataillons The Royal West Kent Regiment hat 600 Seiten.
Also bitte ich meine Leser hier noch um etwas Geduld.
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