Seitenwechsel
und weiter geht es mit Cleo´s liebestheoretischen Schriften... Seitenwechsel
Jahrelang die selben Geschichten: Familien, Ehefrauen und -Männer, Kinder.
Erst das große Glück, der gemeinsame Traum, die vielen Momente des perfekten Idylls. Und dann die Veralltäglichung, die Gewohnheit, die Langeweile und die Last der Verantwortung. Die kleinen Streitereien, das große Unverständnis, die schleichende Entfremdung.
Der Familienkäfig.
Die Männer brachen aus, suchten das Neue, die Frauen verstummten und seufzten vor Filmen mit Rhett Butler und Robert Redford.
Geträumt wurde getrennt.
Geliebt wurden nur noch die Kinder.
Gelebt wurde noch zusammen – zwangsläufig.
Bis es irgendwann krachte.
Dann kamen sie zu mir zum reden und weinen.
Die unbegehrten Männer, die sich allein an der Lebensunterhaltsfront kämpfen sahen und zur Entspannung nur einen Nachmittag mit Schwiegermutter bekamen.
Die unverstandenen Frauen, die sich mit jedem Tag hässlicher fühlten und überall die schönere Konkurrenz witterten.
Die verständnislosen Kinder, die sich am zerbrechen der Ehe schuldig fühlten und von den Vätern im Stich gelassen.
Und ich versuchte zu trösten und Verständnis für den anderen und seine Handlungsweisen zu wecken. Bemühte mich in dem Wust von Enttäuschung und Verletzung die wiederkehrenden Muster aufzuzeigen. Zeigte Möglichkeiten für einen Neuanfang, zusammen oder getrennt. Erklärte den Kindern die Irrungen der Liebe und dass Zuneigung und Geborgenheit trotz Trennung möglich ist.
Redete von Schwächen und wie nötig sie Vergebung brauchten.
Bis ich in die Rolle der „Anderen“ schlüpfte. Einem Mann das gab, was er zuhause nicht mehr fand.
Der Rausch war grandios, sein Hunger meine Nahrung und seine Begeisterung ließ mich jeden Tag schöner werden.
Ich bekam die ganze Wucht seiner angestauten Liebe und genoss jede Sekunde. Der Alltag blieb uns erspart, denn wir begegneten uns nur im Ausnahmezustand der Lust.
Aber ich konnte die Tränen der Frauen nicht vergessen.
Ich hörte ihre Vorwürfe, die Schreie nach Loyalität und Ehrlichkeit, die Appelle an das Verantwortungsgefühl. Ihr Warten auf Entschuldigung und Reue. Und ihr Flehen um eine neue Chance.
Ich sah aber auch die Männer vor mir. Ihre grauen, müden Gesichter.
Ich verstand ihren Wunsch nach Zärtlichkeit, Begehren und Lust. Nach Zauber und Neuanfang. Ich begriff, dass es um ihr Überleben ging, und dass sie bereit waren, dafür viel zu opfern. Selbst ihre Ehemann- und Vaterrolle.
Und ich sah die traurigen Augen der Kinder, die sich verraten fühlten, und überfordert von der Wahl zwischen Mutter und Vater.
In diesen Momenten wäre ich am liebsten zu seiner Frau gefahren und hätte ihr klar gemacht, was gerade geschah. Wer da an ihrer Seite verkümmerte. Wie wunderbar es war, von diesem Mann geliebt zu werden und ihn zu lieben.
Ich wäre ein wenig wütend geworden, wie sie so nachlässig mit diesem Geschenk hatte umgehen können. Ich hätte sie gefragt, wieso sie ihn an seinen Abenden mit mir nicht versucht hatte anzurufen, um ihm zu sagen, dass sie ihn vermisste. Wieso sie ihn an den gemeinsamen Wochenenden nicht nach allen Regeln der Kunst zu verführen versucht hatte.
Und hätte dann gerne ihr schönstes Kleid aus dem Schrank geholt, es ihr angezogen und ihr die Haare gerichtet. Einen Babysitter bestellt und die beiden in einen schönen Abend zu zweit geschickt.
Damit sie wieder ein glückliches Paar werden konnten und eine Familie bleiben.
Aber jetzt konnte ich niemand mehr einen Rat geben. Auch mir nicht.
Denn ich war ein Teil diese kranken Systems, ein Schnörkel in diesen unschönen Mustern und nicht mehr frei von Schuld.
Wer vergab mir meine Schwäche?
©tangocleo 2010