Wenn das Leben eine Party wäre
Wenn das ganze Leben eine Party wäre – Du würdest in der Küche sitzenIch beobachtete ihn schon eine ganze Weile. Es war seine übliche Zeit und schon als er sein erstes Weizen für diesen Abend bei mir bestellte, hatte er auf das übliche „wie geht’s“ seinen leidenden Hundeblick aufgesetzt und mich über den Rand seiner Brille hinweg hoffnungslos gemustert.
Anfangs hatte mich sein Gejammer ja noch amüsiert, da hielt ich das auch noch für eine vorübergehende Laune von ihm, aber das hatte sich schnell erledigt. Was bei meinen anderen Gästen an einem langen Abend vielleicht fünf Minuten anhielt, nämlich das Lamentieren über die eigene Existenz und die übliche Unzufriedenheit über Job, Geld, Sex und Liebe, hatte er zu einer echten Kunstform erhoben und war offenbar jeden Tag von früh bis spät damit beschäftigt, sich noch zu verbessern.
So hatten schon einige meiner Gäste das gewaltige Pech gehabt, sich zum falschen Zeitpunkt in seinem Einzugsgebiet zu befinden.
Er begann stets mit einem zögerlichen „Hallo“ das so abgrundtief hoffnungslos und deprimierend klang, das zarte Seelen sofort darunter zusammenbrachen und wie Lawinenopfer von Mitleid begraben wurden.
Nicht wenige, etwas einfacher gestrickte Persönlichkeiten, hatten ihm auch schon Prügel angedroht, worauf hin er mir einen Blick a la „siehst Du wie unfair das Leben zu mir ist“ zuwarf und darauf wartete, dass ich mich schützend vor ihn stellte. Und ich tat es. Jedes mal wieder.
Dann erschien stets ein stolzes Leuchten in seinen Augen, weil ich wieder mal meine Freundschaft zu ihm öffentlich bewiesen hatte. Denn das waren wir wirklich, Freunde mein ich. Zumindest bis heute.
Begonnen hatte auch diese „Männerfreundschaft“ in einer verrauchten Hardrock-Kneipe, nur das ich damals noch als Angestellter hinter dem Tresen stand und ab und an auch Musik auflegte. So kamen wir ins Gespräch. „Hast schon die neue von Manowar, wie findest den die Jugulator von Priest „ und so weiter.
Ein komischer Vogel war das. Linkisch in seinen Bewegungen, provokant in seinen Äußerungen, aber intelligent. Das war eines seiner Hauptprobleme. Er war wesentlich gescheiter als die meisten anderen Gäste und das ließ er sie auch gerne spüren. Ich hab mich immer köstlich darüber amüsiert, wenn er einen dieser möchtegerncoolen verbal auf die Schippe genommen und verladen hat, ohne das dieser es überhaupt bemerkte. So groß sein Gehirn auch war, so schmal waren auch seine Schultern und die Ärmchen unter den Band-shirts die er meistens trug, konnten vermutlich nicht mal einen Viertklässler beeindrucken.
Also war es unausweichlich das früher oder später ein Heavy-Freak der Gattung Neandertaler auf seine Witze mit dem Einzigen reagieren würde, dass ihn wirklich auszeichnete, indem er einfach die Scheiße aus Ihm rausprügelte.
So stand ich also an diesem bewusstem Abend zwischen zweihundert Pfund zornbebender Muskeln und meinem schmächtigen Superhirn, wenn auch nur weil wir die Bullen erst gestern zu Besuch hatten und nicht schon wieder Theater gebrauchen konnten. Obwohl selber nicht der Stärkste oder Größte, hatte ich auch zu den Brutalos in diesem Laden ein ganz guten Draht und sie respektierten mich. Nach viel Gerede, dem sanften Hinweis auf offene Bewährungsstrafen und einem Drink auf`s Haus, war die Situation entspannt und...nein, keine Dankbarkeit von meinem musikbewanderten Superhirn, weit gefehlt. Mit trotzigen Tränen verletzten Stolzes in den Augen wurde schmollend den ganzen Abend an der Theke gesessen und jedem der „Hallo“ sagte, sein Leid geklagt. Ich wurde keines Blickes mehr gewürdigt und ganz ehrlich dachte ich so bei mir „ was für ein Vollpfosten“.
Am nächsten Abend spazierte er grinsend auf meinen Arbeitsplatz am DJ-Pult zu und überreichte mir mit den Worten „ Die ist nich so mein Geschmack, schenk ich Dir“ ne limitierte Picture-LP von Iron Maiden, die auf jeder Metal-Börse für mindestens Zweihundert (damals noch DM) gehandelt wurde.
Mit so etwas hatte ich nach der Show am Vorabend natürlich nicht gerechnet und ich begann, unsere Gespräche mal aus den seichten Kneipengefilden in die Gewässer tiefer Ernsthaftigkeit zu führen.
Eh ich mich versah verbrachten wir immer öfters mal einen Abend mit tiefgreifenden Philosophischen Triaden über Gott und die Welt und hatten mächtig Spaß daran.
Wenn wir gelegentlich mal aneinander gerieten, so lag das stets an dem selben Grund. Frauen. Nicht das wir den selben Geschmack gehabt und deshalb Hahnenkämpfe ausgetragen hätten, nein. Er war eifersüchtig. Sobald sich mal eine Bekannte zu mir setzte um „Hi“ zu sagen oder ein bisschen zu flirten, sprühte er dermaßen Gift und Galle, dass ich mir ernsthaft Gedanken darüber zu machen begann, ob er vielleicht schwul sei. Sein Gebaren war schon gelegentlich etwas tuntig, aber bisher hatte ich das einfach für Blödelei gehalten. Natürlich hab ich Ihn darauf angesprochen und natürlich hat er verneint, damit war das Thema erledigt, nachdem ich ihm klargemacht hatte, dass er gefälligst meine Mädels nicht so angiften soll. Tatsächlich freundete er sich sogar mit ein paar davon ein bisschen an und ich war besänftigt. Mit einer richtigen Freundin hatte ich ihn bis dahin trotzdem noch nicht gesehen und nach einer besonders langen und Whiskeyreichen Nacht, erfuhr ich auch warum das so war.
Er war unglücklich verliebt. Schon sehr lange und trotz aller abgeschmetterten Annäherungsversuche, wollte die Dame ihm nicht aus Herz und Hirn. Irene, so hieß die Angebetete, gehörte in den weiten Dunstkreis meiner Kneipenbekanntschaften und wirklich nichts an ihr, außer ihrer Zickigkeit, war der Rede wert. Zumindest in meinen Augen, er sah das freillich ein wenig anders und alle meine Versuche, ihm die schlechten Charaktereigenschaften dieser Frau aufzuzeigen, bewirkten nur das er sie noch mehr in Schutz nahm. Fast zwei Jahre lang dauerte dieses Drama, in dem ich ihn immer wieder als Häufchen Elend irgendwo in ihrem Wohnort aufsammeln musste, bevor die Polizei das tat, oder er sich ernsthaft etwas antun konnte.
Überhaupt waren seine angetäuschten Suizidversuche sein allerliebstes Druckmittel, was mir irgendwann furchtbar auf die Nerven ging, als ich erst begriffen hatte das er es niemals ernsthaft versuchen würde. Das war ein seltsames Gefühl, denn es blieb immer ein Rest von Unwohlsein, selbst wenn ich es besser wußte. Vielleicht würde er es eines Tages durch einen dummen Zufall aus Versehen richtig anstellen. Wie würde ich mich dann fühlen ? Aber mit jedem vorgetäuschten Versuch schwand meine Angst davor und irgendwann ignorierte ich diese Androhungen gänzlich, was ihn aber nicht dazu bewegen konnte damit aufzuhören.
Und dann trat Caro in sein Leben. Sie war neu in seiner Abteilung und die Beiden verstanden sich auf Anhieb wie Toast und Butter. Inzwischen hatte ich meinen eigenen Laden aufgemacht und freute mich für mein Superhirn und seine neue Flamme, die mich regelmäßig besuchen kamen. Dennoch, irgendetwas schien nicht ganz zu stimmen und als er eines Abends nach der Spätschicht alleine in meinen Laden kam, erfuhr ich auch was das war. „Caro lebt in einer festen Beziehung“ sprach`s , leerte den Jacky in einem Zug, ließ die Nase hängen und erging sich in Selbstmitleid. Allerdings nur für zehn Minuten, bis Caro durch die Tür und auf ihn zugestürmt kam. Die beiden verzogen sich in eine ruhige Ecke und nach einer knappen Stunde schien die Welt wieder in Ordnung.
Mir als Freund und Kumpel wurde mitgeteilt, dass sie beschlossen hätten Freunde zu bleiben. Offenbar fehlt Caro in ihrer Beziehung der geistige Tiefgang, weshalb sie sich so gerne mit meinem Superhirn unterhielt. „ Aha, kopfgefickt“ dachte ich so bei mir, aber ich sollte bald merken das Caros Beziehung auch noch andere Defizite aufwies. Unser Freund weilte im Urlaub und in dieser Zeit kam sie mich fast jeden Abend besuchen und ging oft als letzte, während ich schon die Stühle hochstellte und meine Abrechnung machte. Wir lachten viel zusammen und ich war doch tatsächlich der Meinung das sie nur die Leere durch die Abwesendheit unseres Freundes kompensieren wollte, doch an diesem Abend wurde ich eines besseren belehrt. Wir hatten uns schon verabschiedet und ich wollte gerade die Tür hinter ihr schließen, als sie sich noch mal umdrehte und mich heftig auf den Mund küsste.
Nun passierte mir das nicht zum ersten mal, aber von Caro hätte ich so etwas nie erwartet. Ich machte einen Schritt zurück, hielt sie auf Armeslänge von mir und musterte sie ernst. „Du weist natürlich das so was auf gar keinen Fall läuft“, sagte ich.
Wortlos drehte sie sich um und warf die Tür hinter sich zu. Ich hatte schon einiges an verrückten Dingen erlebt, aber in diesem Moment tat mir mein Superhirn schon leid. Wieder eine die ihn nur belog und verarschte, armes Schwein. Ich würde ihm davon erzählen müssen.
Den Gedanken hatte wohl auch Caro, denn als ich aus dem Hintereingang kam um selber noch ein bisschen feiern zu gehen, lehnte sie an meinem Wagen und wartete auf mich. Wir unterhielten uns lange und obwohl schmeichelhaft für mich, offenbarte sie dabei einen alles andern als sauberen Charakter. Das sie seit dem ersten Tag scharf auf mich war schmeichelte mir. Das ich Superhirn nichts davon verraten sollte, schmeichelte ihr hingegen weniger. Das sie zum anbeißen scharf aussah, änderte daran auch nichts. Sobald er aus dem Urlaub zurück war, würde er davon erfahren.
Seine Reaktion darauf hatte ich mir freilich anders vorgestellt. „ Mach doch“ war alles was er dazu sagte und als er das nächste Mal mit Caro an meiner Theke saß, griff er das Thema von ganz alleine noch mal auf und meinte, er hätte nicht das geringste Problem damit, sollten wir zwei ein bisschen Spaß miteinander haben. Also hatten wir ihn, den Spaß meine ich. Und nicht gerade wenig. Herr im Himmel, die Frau war eine Granate im Bett und nach ihren Besuchen hatte ich jedes Mal Schwierigkeiten bis zur Sperrstunde wach zu bleiben.
So war es auch heute. Ich hatte eben den betrunkenen Stressmacher der meinem Superhirn an die Gurgel wollte vor die Tür gesetzt und freute mich langsam auf meinen Feierabend, als er mich fragte was neuerdings mit mir los sein. Ob ich irgendwas ausbrütete, oder warum ich ständig müde wäre. „Witzbold, was soll denn schon los sein. Frag doch Caro, Du schaffst doch jeden Tag mit Ihr". Als sich seine Augen hinter den dicken Brillengläsern in grauenvollem Verstehen weiteten, fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Er liebte diese Frau und seine coolen Sprüche hatten nur dazu gedient, sich selbst und uns etwas vor zu machen. Vielleicht war es auch von Anfang an einer seiner kranken Tests, der er unsere Freundschaft so gerne aussetzte, in diesem Fall hatte ich ihn wohl nicht bestanden.
Die Szene die er mir anschließend machte, wäre gar nicht nötig gewesen. Das unsere Freundschaft in dem Augenblick geendet hatte, als ich mit Caro ins Bett ging, hatte ich schon in seinen Augen gesehen. Einige Wochen später hatte Caro eine Aussprache mit ihrem Partner, den ich übrigens nie kennen gelernt habe, und beendete die ganze Sache, was meine Lebenserwartung vermutlich um einige Jahre verlängerte.
Meine Kneipe habe ich noch einige Jahre weiter betrieben, aber mein Superhirn hat sich dort nie wieder sehen lassen.
Manchmal habe ich mir die Frage gestellt, wer den nun Schuld daran war, dass unsere Freundschaft in die Brüche ging.
Er, weil er mir heile Welt vorspielte und nicht in der Lage war den Mund auf zu machen, als er es hätte verhindern können, oder ich, weil ich ihm gerne glauben wollte und deshalb nicht auf meinen innere Stimme hörte, die mir schon damals sagte, dass daran irgendwas faul ist.
© 04.2010 by Biker_696.